Dank Social Media und Influencer-Welt gibt es inzwischen für jeden Bereich Online-Coaching- Verträge: Da werden Leute geschult, wie sie sinnvoll in Aktien oder ETFs investieren. Oder wie man sinnvoll seinen Alltag organisiert. Oder, oder, oder … Eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Hamburg wirft nun die Frage auf, ob nicht die meisten dieser Verträge unwirksam sind, weil sie über keine FernUSG-Zulassung verfügen.
Sind die meisten Online-Coaching-Verträge unwirksam?
A. Der Sachverhalt:
Der Sachverhalt, den das Landgericht Hamburg1 zu entscheiden hatte, ist schnell erzählt:
Die Klägerin bot Online-Lehrgänge an, mit denen die Teilnehmer erfolgreich im Internet mit Print on demand sein sollten. Unter anderem hieß es in der Reklame:
„Möchtest du M(...) die Masterclass bewusst als Unternehmer zum Aufbau deines online Shops und Gewerbes neben deinem Angestellten Job kaufen?"
Der wesentliche Vertragsinhalt des sechsmonatigen Programms bestand aus dem Zugang zu einem Videokursbereich mit 235 Schulungsvideos mit etwa 40 Stunden Videomaterial. Zudem gab es alle drei Wochen ein Zoom-Meeting von zwei Stunden.
Das Online-Coaching kostete insgesamt rund 6.400 Euro.
Der Beklagte schloss einen entsprechenden Vertrag ab, widerrief ihn aber einige Zeit später.
Die Klägerin verlangte die Bezahlung, der Beklagte weigerte sich.
Das Landgericht Hamburg wies die Klage ab, weil die Klägerin keine Zulassung nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) hatte und der Vertrag somit unwirksam war.
B. Die Problemlage:
1. FernUSG – bitte was?
a. Die Praxis
Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) – bitte was?, werden sich die meisten jetzt denken.
Von diesem komischen Gesetz habe ich nie gehört, ist vermutlich die wahrscheinlichste Reaktion.
Das FernUSG spielt in der täglichen Online-Praxis keine wirklich große Rolle. Es fristet eher ein stiefmütterliches Dasein.
Sie können dies selbst ausprobieren: Auf der Website der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht gibt es für jeden die Möglichkeit der Suche, ob ein Kurs über eine entsprechende Zulassung verfügt.2
Tippen Sie einfach mal den Namen ihres Lieblings-Influencers, der einen solchen Kurs anbietet, in die Suchmaske ein. In den allermeisten Fällen werden Sie nicht fündig werden. Ein anschauliches Beispiel dafür, dass dieses Gesetz keine wirkliche Bedeutung in der Praxis hat.
Die Folgen, die sich aus einer fehlenden Zulassung ergeben, sind jedoch absolut weitreichend und führen dazu, dass der geschlossene Vertrag unwirksam ist. Selbst bei bereits durchgeführten und bezahlten Verträgen besteht die Gefahr, dass der Anbieter sämtliche vereinnahmten Entgelte zurückzahlen muss. Zudem besteht die Gefahr, dass ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro fällig wird.
b. FernUSG: Was ist das überhaupt?
Um die Hintergründe und die Reichweite dieses Urteils beurteilen zu können, ist es zunächst wichtig, erst einmal zu verstehen, was es mit diesem Gesetz auf sich hat.
Das FernUSG ist ein relativ altes Gesetz und stammt bereits aus dem Jahr 1977 – also aus der Prä-Internet-Zeit.
Der Gesetzgeber hatte damals den Schutz von Teilnehmern eines Fernlehrgangs (zum Beispiel Weiterbildung per Post) vor Augen. Ein bekanntes Beispiel hierfür war und ist die FernUniversität Hagen, von der sicherlich viele Leser schon einmal gehört haben.
Um die Verbraucher vor unseriösen und unzureichenden Lehrgängen zu schützen, erließ der Staat damals dieses Gesetz. Neben dem Umstand, dass das FernUSG bestimmte inhaltliche Anforderungen an einen Lehrgang stellt, ist die wichtigste Regelung, dass ein Lehrgang grundsätzlich der staatlichen Zulassung bedarf.
Zuständig hierfür ist die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU), bei der der Veranstalter einen entsprechenden Antrag auf Genehmigung stellen muss. Die Behörde überprüft dann die entsprechenden Voraussetzungen.
Eine solche Genehmigung ist nicht kostenlos, sondern es fällt eine Mindestgebühr von 1.050 Euro an. In bestimmten Fällen kann das Entgelt auch deutlich höher liegen, zum Teil bis zu 200 % des Verkaufspreises des zugelassenen Fernlehrgangs. Zudem muss die Genehmigung alle drei Jahre erneuert werden.
c. Der Anwendungsbereich des FernUSG:
Was fällt nun alles in den Anwendungsbereich des FernUSG?
Die ZFU bietet dazu auf ihrer Website nachfolgende anschauliche Grafik:
Schaut man sich einmal diese Kriterien an, wird schnell klar, dass die allermeisten Online-Coaching-Verträge in den Anwendungsbereich fallen.
Auch das Landgericht Hamburg stufte den Inhalt als Fernunterricht ein.
Wir erinnern uns: Der wesentliche Vertragsinhalt des sechsmonatigen Programms bestand aus dem Zugang zu einem Videokursbereich von 235 Schulungsvideos mit etwa 40 Stunden Videomaterial. Zudem gab es alle drei Wochen ein Zoom-Meeting à zwei Stunden:
„Bei dem von der Klägerin angebotenen Coaching handelt es sich (…) um Fernunterricht im Sinne des § 1 FernUSG. (...)
Bei der Auslegung des Gesetzes und der Qualifikation des streitgegenständlichen Lehrgangs war die Intention des Gesetzgebers beim Erlass des FernUSG zu berücksichtigen. Dieser wollte wegen eines gestiegenen Interesses an Fernlehrgängen den Verbraucherschutz in diesem Bereich stärken. Insbesondere waren Mängel beim Angebot von Fernlehrgängen dergestalt festgestellt worden, dass Angebote von geringer methodischer und fachlicher Qualität angeboten wurden, die nicht geeignet waren, das in der Werbung genannte Lehrgangsziel zu erreichen (...)
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Ziff. 1 FernUSG waren erfüllt. Schließlich sah das gesamte ‚Kurskonzept‘ der Klägerin vor, dass der Lehrende und der Lernende räumlich getrennt sind, da das Coaching ausschließlich online – mittels Video-Coaching und Lernvideos – stattfinden sollte.“
Diese Ausführungen sind nahtlos auch auf die allermeisten anderen Online-Coaching-Verträge, die sich am Markt tummeln, übertragbar.
Auch das Argument, dass Online-Schulungen gar keine Fernlehrgänge seien, ließ das Gericht nicht gelten:
„Dem steht insbesondere die Rechtsmeinung der Beklagten entgegen, dass die Coachingmodule – die einen deutlichen Schwerpunkt des ‚Kurskonzepts‘ ausmachen, trotz der Videoübertragung keinen Fall der räumlichen Trennung darstellen.
Zwar sieht die Kammer, dass Teile der (spärlichen) Literatur und Rechtsprechung zum FernUSG die Teilnahme mittels Videokonferenz nicht als Fall einer räumlichen Trennung i. S. d. § 1 FernUSG ansehen, da es auf den direkten Kontakt zwischen Lehrendem und Lernendem bei der Wissensvermittlung ankomme (…)
Hiergegen spricht jedoch bereits der Wortlaut des § 1 FernUSG, welcher einzig und allein auf eine räumliche Trennung zwischen Lehrenden und Lernenden abstellt. Auch das OLG Köln geht in einer Entscheidung in einer Bußgeldsache dann von einer räumlichen Trennung aus, wenn weniger als die Hälfte des Lehrgangsstoffes im herkömmlichen Nah- oder Direktunterricht vermittelt würde (OLG Köln, Beschl. v. 24. November 2006 – 81 Ss-OWi 71/06 – 210 B Rn. 10).“
d. FernUSG gilt für Verbraucher und Unternehmer:
Wenn Sie, liebe Leser, bereits bis hierhin mehrfach geschluckt haben ob der Reichweite dieses Urteils, lassen Sie sich gesagt sein: Es wird noch schlimmer!
Das FernUSG macht nämlich keinen Unterschied, ob der Teilnehmer Verbraucher oder Unternehmer ist: In beiden Fällen gilt das FernUSG.
Auch im Fall des Landgerichts Hamburg wandte der Kläger dies ein, denn die Leistung bezog sich ja darauf, erfolgreich im Internet mit Print on demand zu sein. Also eine klar unternehmerische Tätigkeit.
Dies war jedoch für das Gericht vollkommen unerheblich:
„Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für die Anwendbarkeit des FernUSG zudem weder darauf an, ob der Beklagte bei Vertragsschluss als Verbraucher oder Unternehmer gehandelt hat, noch darauf, ob er sich durch seine Aussagen als Unternehmerin gerierte (vgl. OLG Celle 3. Zivilsenat, Urteil vom 01. März 2023 – 3 U 85/22 – noch nicht rechtskräftig).
Der Wortlaut des FernUSG macht seine Anwendbarkeit nämlich an keiner Stelle von der Verbrauchereigenschaft des Lernenden abhängig.“
2. Rechtsfolgen bei Verstoß
Verfügt der Online-Kurs über keine staatliche Zulassung, hat dies zwei wichtige Rechtsfolgen.
Erstens, der Vertrag ist zwingend unwirksam. Der Teilnehmer, der bereits eine Zahlung geleistet hat, kann diese vom Anbieter zurückfordern. Dies gilt auch für den Fall, dass der Teilnehmer bereits sämtliche Online-Coaches erhalten und genutzt hat. Quasi ein Freifahrtschein für einen Widerruf.
Und zweitens kann die zuständige Behörde ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro verhängen.
3. Praktische Konsequenzen
Noch ist es natürlich erst ein vereinzeltes Urteil – und zudem eines aus der ersten Instanz.
Die Reichweite dieses neuen Urteils ist, wie gesagt, jedoch kaum zu unterschätzen, denn das Gesetz gilt praktisch für alle Online-Coaching-Verträge, die sich da draußen in den Weiten des Internets so tummeln.
Insbesondere wenn Sie selbst Kurse gegen Entgelt anbieten, sollten Sie nunmehr hellhörig geworden sein und sich entsprechend informieren. Die Website der ZFU3bietet dazu einen ersten guten Einstieg. Weitergehende Fragen sollten Sie mit dem Anwalt Ihres Vertrauens besprechen.
Sollte sich diese Rechtsansicht auch in den höheren Instanzen durchsetzen, dürfte sich über kurz oder lang an dieser Stelle die Spreu vom Weizen trennen. Denn nicht alle Anbieter werden bereit sein, diese Gebühren zu entrichten.
1 LG Hamburg, Urt. v. 19.07.2023 – Az.: 304 O 277/22.
2 https://www.zfu.de/suche/.
3 https://www.zfu.de