Wer sich als Website-Betreiber zum ersten Mal mit digitaler Barrierefreiheit beschäftigt, hat meist viele Fragen. Was ist digitale Barrierefreiheit und warum wird sie für den Erfolg der eigenen Website immer wichtiger? Welche Kriterien gibt es und wer ist für deren Umsetzung zuständig? Diese und viele weitere Fragen werden im Beitrag von Saskia Bader ausführlich und praxisnah beantwortet. Und die Autorin weiß durch ihre Sehbehinderung mehr als viele Experten zu diesem Thema, weil sie selbst direkt betroffen ist.
Digitale Barrierefreiheit
ein wichtiger Erfolgsfaktor für Websites
Gibt es eine Möglichkeit, den Erfolg der eigenen Website zu steigern und gleichzeitig zu mehr Inklusion und Chancengleichheit beizutragen? Ja, die gibt es. Wird die eigene Website für digitale Barrierefreiheit optimiert, kann sie sich besser in Google positionieren und mehr aktive Nutzer gewinnen und hilft gleichzeitig dabei mit, die digitale Welt für Menschen mit einer Behinderung zugänglicher zu machen. In diesem Artikel soll es darum gehen, was digitale Barrierefreiheit ist, warum Website-Betreiber davon profitieren und wer auf welche Weise dazu beitragen kann.
Was ist digitale Barrierefreiheit?
Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen auf die Inhalte und Funktionen digitaler Angebote zugreifen können. Das ist wichtig, da in der heutigen Zeit so viele Aspekte unseres Lebens digital stattfinden. Wer aufgrund technischer Barrieren davon ausgeschlossen ist, hat im Job, Studium oder Privatleben weniger Möglichkeiten. Unternehmen, die Websites betreiben, haben hier eine gesellschaftliche Verantwortung. Dieser sind aber nicht viele Anbieter gerecht geworden, weshalb sie ab 2025 gesetzlich dazu verpflichtet sind, ein Grundmaß an Barrierefreiheit zu gewährleisten. Bisher waren Richtlinien zur digitalen Barrierefreiheit nur für öffentliche Einrichtungen verbindlich.
Wann gilt eine Website als barrierefrei?
Es gibt verschiedene Stellen, die Richtlinien für digitale Barrierefreiheit herausgeben. Diese Richtlinien dienen als Kriterien, anhand derer geprüft werden kann, wie barrierefrei eine Website ist.
International WCAG (Web Content Accessibility Guidelines)
Vom World Wide Web Consortium (W3C) stammen die „Barrierefreiheits-Richtlinien für Webinhalte“. Die Einhaltung dieser Richtlinien ist für keinen Website-Betreiber verpflichtend. Die Richtlinien sollen als Unterstützung und Orientierung dienen und sind in drei Kategorien eingeteilt. Es gibt A-, AA- und AAA-Kriterien. So können Website-Anbieter selbst entscheiden, ob nur grundlegende Richtlinien (Kategorie A) oder alle Spezialfälle (Kategorie AA und AAA) abgedeckt werden sollen.
Europaweit: EU-Norm EN 301 549
Diese Norm enthält Richtlinien für die Barrierefreiheit von IT-Systemen aller Art. Nationale Gesetze und Verordnungen (wie zum Beispiel die unten beschriebene BITV in Deutschland) können sich darauf beziehen. Für Website-Betreiber ist neben den allgemeinen Erklärungen hauptsächlich der Abschnitt 9 namens „Web“ relevant. Dieser enthält genaue Anforderungen für die Barrierefreiheit von Webinhalten. Diese werden in die Kategorien Wahrnehmbarkeit, Adaptierbarkeit, Unterscheidbarkeit, Bedienbarkeit, Navigierbarkeit und Verständlichkeit unterteilt und verweisen an vielen Stellen an die oben genannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG).
Deutschlandweit: BITV und BFSG
In Deutschland gibt es die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung. Diese ist für öffentliche Einrichtungen verpflichtend umzusetzen. Anwendbar ist diese Verordnung nicht nur auf Websites, sondern auf alle Arten von Informationstechnologie. Früher enthielt sie selbst konkrete Richtlinien, seit einiger Zeit verweist sie aber auf die Kriterien der oben genannten EU-Verordnung.
Im Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Dieses gilt für viele Arten von IT-Produkten und digitalen Dienstleistungen. Auch Website-Betreiber sind davon betroffen.
„Banken, Personenbeförderungs-Dienstleister und Mediendienste müssen ihre Websites mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auf jeden Fall barrierefrei gestalten; das Gleiche gilt außerdem für alle Unternehmen, die Online-Handel betreiben, also über ihre Website Produkte oder Dienstleistungen verkaufen – auch dann, wenn diese Güter selbst nicht in den Geltungsbereich des BFSG fallen.“
– Quelle: verdure.de
Wer also seine Website nutzt, um dort etwas zu verkaufen – egal was –, muss dieses Gesetz ab dem Stichtag befolgen. Das BFSG bezieht sich auf die EU-Richtlinie 2019/882, die selbst konkrete Barrierefreiheitsanforderungen enthält.
Warum ist digitale Barrierefreiheit wichtig für den Website-Erfolg?
Es gibt viele Gründe, warum digitale Barrierefreiheit nicht nur Menschen mit einer Behinderung nützt, sondern auch Website-Betreibern. Eine Studie von AccessibilityChecker hat herausgefunden, dass barrierefreie Websites im Durchschnitt 12 % mehr Besucher haben als Websites, die nicht für Barrierefreiheit optimiert sind. Das liegt unter anderem auch daran, dass Suchmaschinen die Barrierefreiheit einer Website mehr und mehr als Bewertungskriterium für Platzierungen in Suchergebnissen heranziehen. Außerdem können Menschen ja nur auf der eigenen Website einkaufen und Dienstleistungen anfragen, wenn sie die Website bedienen können. Wer als Erstes in einem Bereich eine barrierefreie Website anbietet, hat einen großen Wettbewerbsvorteil.
Zudem tritt schon in weniger als zwei Jahren das oben genauer beschriebene Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Wer sich schon jetzt um dessen Umsetzung kümmert, genießt mehr Rechtssicherheit und muss seine Website nicht kurz vor dem Stichtag hektisch anpassen.
Wer kann wie zu digitaler Barrierefreiheit beitragen?
In Unternehmen mit digitalen Angeboten gibt es meist keine dedizierte Stelle als Experte für digitale Barrierefreiheit. Die Verantwortung und Mitgestaltungsmöglichkeiten teilen sich daher auf verschiedene Rollen auf. Jeder, der an einem Website-Projekt beteiligt ist, kann etwas zur Barrierefreiheit beitragen. Hier liegt der Fokus speziell auf den Rollen der verantwortlichen Person für eine Website sowie auf Online-Marketern oder -Redakteuren, die eine Website mit Inhalten bestücken.
Verantwortliche eines Webprojekts
Projekt- oder Produktmanager von Websites und webbasierten Anwendungen haben einen großen Einfluss darauf, wie barrierearm die Anwendung am Ende sein wird. Mitarbeiter in diesen Positionen können zum Beispiel folgende Maßnahmen ergreifen:
Kunden oder interne Auftraggeber vom Wert digitaler Barrierefreiheit überzeugen:
Kunden und Auftraggeber haben vom Thema der digitalen Barrierefreiheit oft noch nie gehört und sich bisher keine Gedanken darüber gemacht. Mit Argumenten aus dem zweiten Abschnitt dieses Artikels können Projektleiter oder Produktentwickler den Kunden davon überzeugen, Geld oder Personalressourcen in diesen Aspekt des Projekts zu investieren.
Barrierefreiheit im Zeitplan und -budget berücksichtigen:
Einige Entscheidungsträger und IT-Manager sehen digitale Barrierefreiheit als nettes Bonusfeature. Dieses solle zum Schluss angegangen werden – wenn vor der Deadline noch etwas Zeit übrig sei. Das ist aber keine sinnvolle Planung – denn sehr selten ist kurz vor Projektabschluss noch Zeit, etwas Neues anzufangen. Außerdem müssten dann einige Programmierungen und Designs angepasst werden, statt sie von Anfang an barrierefrei auszugestalten. All das kann vermieden werden, wenn die Planung genug Zeit für die Konzeption und Umsetzung barrierefreier Designs und Funktionen enthält.
Projektmitarbeiter schulen und sensibilisieren:
Alle involvierten Entwickler, Designer, Tester und Webredakteure können ihre Arbeit besser an die Kriterien digitaler Barrierefreiheit anpassen, wenn sie zuvor darüber informiert wurden. Dies ist mit Schulungen, Besuchen von Konferenzen, Teilnahmen an Onlinekursen und ähnlichen Weiterbildungsmaßnahmen möglich. Auch ein eigenes Firmenevent kann sinnvoll sein, bei dem Mitarbeiter abteilungs- oder unternehmensweit durch einen Vortrag für das Thema sensibilisiert werden.
Tests für die Barrierefreiheit in die Qualitätssicherung einbinden:
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die eigenen digitalen Produkte während der Entwicklung oder auch danach auf Barrierefreiheit zu testen. Dazu zählen manuelle Tests, bei denen ein Mitarbeiter oder ein Team alle Richtlinien für digitale Barrierefreiheit nacheinander durchgeht und die Website oder App darauf überprüft. Viele der Richtlinien können aber auch mit automatisierten Tools getestet werden. Eine weitere Möglichkeit sind Tests, bei denen Nutzer mit verschiedenen Beeinträchtigungen eingeladen werden, das digitale Produkt zu testen und Feedback zu geben. Projektverantwortliche können dafür sorgen, dass Tests der Barrierefreiheit in den Testprozess der Software eingebunden sind.
Designer
Designer haben einen großen Einfluss auf die Barrierefreiheit einer Website, App oder Software. Sie gestalten die visuelle Darstellung der Benutzeroberfläche. Ihre Designentscheidungen sind gemeinsam mit der Programmierung ausschlaggebend dafür, wie gut und einfach die Interaktion zwischen Nutzer und System gelingt. Hier einige Aspekte dar Barrierefreiheit, die Designer beeinflussen können.
Schriftart und Schriftgröße:
Schriftart und Schriftgröße bestimmen darüber, wie einfach der Text zu lesen ist. Schriftarten, bei denen Buchstaben sehr eng beieinanderliegen oder bestimmte Buchstaben (zum Beispiel l und i, n und m) sehr ähnlich aussehen, bereiten Menschen mit einer Leseschwäche große Probleme.
Navigation:
Designer gestalten die Navigation und haben deshalb sehr großen Einfluss darauf, wie gut sich Nutzer auf der Website zurechtfinden. Gerade für kognitiv beeinträchtigte oder technisch unterfahrene Nutzer ist eine einheitliche und gut strukturierte Navigation wichtig. Die Navigation sollte auf jeder Seite des Webauftritts gleich aussehen und an der gleichen Stelle zu finden sein.
Animationen:
Bei Animationen ist wichtig, dass diese nicht blinken oder flackern, weil das bei Nutzern mit Epilepsie das Auftreten eines Anfalls begünstigt. Sollte ein Flackern oder Blinken nicht vermeidbar sein, muss der Designer eine Schaltfläche vorsehen, mit der Nutzer die Animation schnell ausschalten bzw. anhalten können.
Kontrast und Farben:
Systemhinweise (wie zum Beispiel nicht ausgefüllte Formularfelder) sollten nicht nur durch farbliche Hervorhebung kommuniziert werden, da farbenblinde Nutzer diese möglicherweise nicht klar deuten können. Designer müssen sich deshalb überlegen, wie Fehler- oder Hinweismeldungen aussehen sollen, die von allen Nutzern problemlos wahrgenommen werden können. Auch ist der Kontrast zwischen Text und Hintergrundfarbe sehr wichtig, damit Nutzer mit verschiedenen Augenleiden den Text leicht entziffern können.
Webentwickler
Webentwickler setzen Internetpräsenzen technisch um und können viel tun, um die Barrierefreiheit der Website sicherzustellen. Ihre Programmierung entscheidet in vielen Situationen darüber, wie einfach oder schwer die Website für bestimmte Nutzergruppen zu bedienen ist.
Bedienbarkeit per Tastatur:
Einige Nutzer verwenden den Computer ohne Maus. Sei es, weil sie den Mauszeiger nicht sehen können oder weil sie eine Mobilitätseinschränkung am Klicken hindert. Deswegen sollten Entwickler sicherstellen, dass alle Funktionen und Bereiche per Tastatur erreicht werden können. Gerade bei räumlichen Inhalten wie eingebundenen Landkarten, 3-D-Rundgängen oder Online-Whiteboards stellt die Tastaturbedienbarkeit eine große Herausforderung dar.
Kennzeichnung von Schaltflächen:
Wenn eine Schaltfläche bzw. ein interaktives Element nur aus einem Symbol besteht und auch nicht durch einen Title-Tag gekennzeichnet ist, führt das zu Problemen. Nutzern mit einem Screenreader wird dieses Element dann als „Anklickbares Element“ oder „Schaltfläche“ vorgelesen – ohne Information darüber, welche Funktion es hat. Deswegen sollten interaktive Elemente entweder Text enthalten oder im Code eine Bezeichnung erhalten, die von Screenreadern ausgelesen werden kann.
Darstellung von Hinweismeldungen:
Manche Nutzer brauchen länger, um eine Fehler- oder Hinweismeldung zu lesen. Deshalb sollten solche Meldungen nicht automatisch nach wenigen Sekunden verschwinden. Auch sollten sie nicht in einer Ecke versteckt, sondern schnell auffindbar sein.
Webredakteuere und Inhaltsersteller
Ob Redakteur eines Unternehmensblogs oder Erstellerin des Inhalts einer Verkaufsseite – jeder, der Inhalte beiträgt, kann diese barrierefrei gestalten. Hier geht es vor allem darum, Texte verständlich zu formulieren und Medieninhalte für alle zugänglich zu machen.
Leichte Sprache:
Texte sollten so formuliert sein, dass sie von allen Nutzern verstanden werden können – auch von solchen, die eine kognitive Beeinträchtigung haben oder die im Thema der Website noch keinerlei Vorkenntnisse haben. Deswegen sollten Fachbegriffe und Fremdworte vermieden oder zumindest gut erklärt werden. Zwischenüberschriften und eine einfache Satzstruktur erleichtern zudem die Orientierung im Text.
Alternativtexte:
Für blinde Nutzer, die ein Bildschirmvorleseprogramm (Screenreader) verwenden, sind Bild-Alternativtexte wichtig. Diese können Webredakteure meist direkt nach dem Hochladen eines Bilds hinzufügen. Der Alternativtext sollte beschreiben, was auf dem Bild zu sehen ist. Nicht nötig sind Alternativtexte bei Grafiken, die rein zur Dekoration hinzugefügt wurden und keinen inhaltlichen Informationsgehalt haben. Textalternativen können auch für Audioinhalte sinnvoll sein, damit gehörlose Website-Besucher diese Inhalte trotzdem nutzen können.
Untertitel:
Wer Videos hochlädt, in denen gesprochen wird, sollte die Untertitel beachten. Diese helfen nicht nur Nutzern mit einer Hörbehinderung, sondern auch Menschen, die das Video aus technischen Gründen ohne Ton ansehen. Videodienste wie YouTube generieren automatisch Untertitel, diese sind aber nicht immer korrekt und sollten gegebenenfalls überarbeitet werden.
Fazit
Digitale Barrierefreiheit ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Chancengleichheit und Inklusion in unserer digitalisierten Informationsgesellschaft. Außerdem profitieren Anbieter digitaler Produkte davon, ihre Angebote barrierefrei zu machen. Sie erschließen so neue Zielgruppen, steigern im Fall von Websites ihre Besucherzahlen und erhöhen die allgemeine Benutzerfreundlichkeit. Jeder, der in ein digitales Projekt eingebunden ist, hat die Möglichkeit, zu mehr digitaler Barrierefreiheit beizutragen.