SEO (Un-)Sinn: Weg von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und hin zu echten Ergebnissen

Stephan Czysch
Stephan Czysch

Stephan ist strategischer Online-Marketingberater. Er hilft Unternehmen dabei, bessere Websites zu erstellen und Online-Marketing kanalübergreifend anzugehen. Er spricht regelmäßig auf Konferenzen, hält (Inhouse-)Schulungen und entwickelt SEO-Tools wie getindexed.io zur schnelleren (Neu-)Indexierung von Webseiten bei Google und searchanalyzer.io für eine datengestützte Optimierung mithilfe der Google Search Console.

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Der SEO-Community gehen nicht die Themen aus: Ob neue APIs, neue Dashboards oder das allgegenwärtige Thema KI. Besonders im letztgenannten Bereich tut sich jeden Tag etwas Neues. Hier ein neues Tool, da eine mögliche Abkürzung für den ganz großen SEO-Erfolg. Oh, und was ist diese „Insert Fancy Name“-Strategie, die laut dem Autor 450 % Wachstum verspricht? Einfach mal kommentieren und den großen Geheimnissen unserer Zeit auf die Spur kommen!

Ganz nach dem Motto: „Endlich schlägt meine SEO-Stunde, ab sofort geht es richtig nach oben“! Ah, und hier die Möglichkeit, gegen einen Kommentar „die ultimative SEO-Prompt-Liste für ChatGPT“ zu bekommen. Und ein E-Book – welch schöne neue Welt! Doch muss jedem „SEO-Trend“ gefolgt werden? Ist das strategisches Arbeiten? Oder einfach nur erratisches Handeln um des Handelns willen?

Stephan Czysch macht sich in diesem Beitrag einmal laut Gedanken über die richtige Ausrichtung von SEO-Maßnahmen.

Eine brutale Wahrheit der Suchmaschinenoptimierung gleich vorneweg: Ein Großteil der Seiten einer Website wird nie über Google besucht. Das glaubst du nicht? Dann wirf einmal einen Blick in die Google Search Console und vergleiche die Anzahl der Seiten mit mindestens einem Klick (oder einer Impression) mit der Anzahl der indexierten Seiten.

Doch auch ohne Zugriff auf die Google Search Console ist eine solche Analyse möglich. Laut dem Sistrix-Sichtbarkeitsindex ist zalando.de eine der aktuell 20 sichtbarsten Websites in Deutschland. Während eine site:zalando.de-Abfrage bei Google ungefähr 3,58 Millionen indexierte Seiten ausspuckt, sind laut Sistrix knapp 314.000 Seiten in den Top 100 gefunden worden.

Natürlich haben beide Abfragemethoden Unschärfen. So ist die für eine site:-Abfrage genannte Anzahl von „ungefähr 3.580.000 Ergebnisse(n)“ sehr grob und kann sich je nach Abfragezeitpunkt ändern. Hinzu kommt, dass sich Google in der Websuche sowieso nicht mehr als 1.000 tatsächliche Ergebnisse pro Suchanfrage entlocken lässt. Und bei site:-Abfragen ist häufig schon deutlich früher Schluss. Die Google Search Console ist die bessere Anlaufstelle für die Anzahl der indexierten Seiten einer Domain, wenngleich auch nicht zu 100 % akkurat.

Die Sichtbarkeit bzw. die Anzahl der mindestens einmal in den Top 100 gefundenen URLs laut Sistrix ist von den überprüften Suchanfragen abhängig. Sprich, es können Seiten für Suchanfragen gefunden werden, die weder Sistrix noch andere SEO-Tools wie SEMrush oder ahrefs.com überprüfen. Auch die Tools untereinander überwachen unterschiedliche Keywords.

Wenn wir die beiden Unschärfen mangels Zugriff auf Search Console sowie Webanalyse-Daten von Zalando akzeptieren, dann stehen den ungefähr 3,58 Millionen indexierten Seiten knapp 314.000 Seiten mit mindestens einem Top-100-Ranking bei Sistrix gegenüber. Das bedeutet, dass nur 11,4 % der Seiten über Google auffindbar sind. Oder anders formuliert: 88,6 % der URLs sind gemäß den Sistrix-Daten in Google unsichtbar.

Wird die Analyse mit „echten Daten“ durchgeführt, dann sind in der Regel mehr Seiten in der unbezahlten Websuche sichtbar, aber die Kernaussage bleibt korrekt: Im Durchschnitt erhält ein Großteil der Seiten einer Website keine organischen Zugriffe in Ermanglung eines Rankings oder aufgrund fehlender Nachfrage.

Die Betrachtung lässt sich auch umdrehen: Wie viele (oder wie wenige) Seiten sorgen eigentlich für den Großteil meines Traffics? Konkret bedeutet das womöglich ein Klumpenrisiko: Rauschen diese Top-X Seiten im Ranking ab, hat das einen signifikanten Einfluss auf die organischen Zugriffe.

Auch hierzu gibt es bei Sistrix für die vom Tool überwachten Keywords eine entsprechende Funktion. Laut dieser Daten sind bei meiner privaten Website zehn Seiten für rund 74 % der organischen Zugriffe verantwortlich. Das kommt tatsächlich der Wahrheit sehr nah, denn laut der Google Search Console ist der Anteil dieser zehn Seiten sogar noch etwas größer.

Das sind spannende Daten. Denn wenn du dich fragst, um welche Seiten du dich besonders kümmern solltest: Diese liegen mit einer solchen schnellen Analyse auf dem Silbertablett vor dir.

Vielleicht fragst du dich jetzt, ob es hier einen „richtigen“ oder erstrebenswerten Wert gibt. Nein, den gibt es nicht. Und wie die Verteilung aussieht, ist sehr stark von der Website und den bedienten Themen (vulgo „Keywords“) abhängig. Haben einzelne Themen deutlich mehr Suchnachfrage als andere, dann ist die Verteilung entsprechend kopflastig.

Was man aber als grundsätzliche SEO-Maxime auf den Weg geben kann: Alle Seiten, die keine relevante (Such-)Nachfrage bedienen, müssen nicht in den Google-Index. Denn was keiner sucht, das muss auch nicht auffindbar sein.

Hand aufs Herz: Weißt du, worauf optimiert werden soll?

Eine kleine Anekdote aus meinem Alltag als ehemaliger Agenturgründer: Ein potenzieller Neukunde meldet sich und fragt nach einem SEO-Audit. Oder nach einem Audit für einen anderen Kanal, total egal.

Auf die Frage, was nach dem Audit denn besser sein soll, auf welche Themen der Kunde optimiert (ergo: Für welche Themen soll der Traffic gesteigert werden?) und woran der Erfolg gemessen wird, kommt in der Vielzahl der Fälle, Trommelwirbel: nichts. Der potenzielle Kunde/Ansprechpartner weiß es einfach nicht, möchte (gerade) aber mehr in [Kanalname] machen.

Denn für [Kanalname] gibt es gerade ein Momentum in der Organisation, das muss genutzt werden! Deshalb jetzt bitte fix ein Audit! Ganz nach dem Motto „einfach mal draufschauen und sagen, was gut und schlecht läuft“. Auch hier die traurige Wahrheit: Das Geld kann (häufig) direkt angezündet werden. Oder besser: gespendet.

Fachlich kommen richtige Analysen heraus, aber diese sind eben nicht auf die Unternehmensziele abgestimmt. Und mit der „Information“, dass der CLS-Wert mit 0,345 zu hoch ist, bei 1.234 Seiten keine Meta Description vorhanden ist, 28 doppelte Alt-Texte gefunden wurden, 189 interne Links nicht funktionieren und ein (!) interner nofollow Link mit höchster Priorität geändert werden muss (Heureka!), kann der Kunde nichts anfangen. Es gibt viele Dinge, die man optimieren kann – aber viele haben keinen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis.

Von daher: Nur wenn klar ist, wofür mehr Traffic (und aus welchem Grund) erreicht werden soll, hat Online-Marketing (in Kanal X) überhaupt erst Sinn. Hand aufs Herz: Ist dir das für deine Website klar? Oder wird einfach nur fortgeschrieben, was aus irgendwelchen Gründen in der Vergangenheit funktioniert hat?

Wer kümmert sich eigentlich um die Website, wenn sich alle vor allem um die Distribution kümmern?

Nach wie vor nehme ich viele Online-Marketingmaßnahmen als lose bis vollständig unverbundene Aktivitäten wahr. Jeder Kanal versucht, die Kanalziele zu erreichen, die in irgendeinem stillen Kämmerlein erdacht wurden. Dann gibt es fest definierte Budgets (Bitte gleich verteilt, bloß nicht im Jahresverlauf, also z. B. vor Messen, schwanken! Wir brauchen Planbarkeit!) – und schon geht es los. Dass die meisten Budgets nur Ausgabenziele sind, macht das Ganze noch schlimmer. Ganz nach dem Motto: Wenn ihr das Budget nicht ausgebt, dann gibt es nächstes Jahr weniger. Basta!

Von einem integrierten Ansatz ist hier keine Spur zu finden. Spiegelt Abbildung 3 eventuell den Aufbau des (Online-)Marketing-Teams bei deinem Arbeitgeber wider?

Dabei kann es auch anders gehen und können sich die verschiedenen Expertisen und Kanäle gegenseitig unterstützen. Ein möglicher Ansatz ist dieser:

  1. Die übergeordnete und auf das Unternehmensziel ausgerichtete Marketing-Strategie (samt -Ziel) wurde definiert.
  2. Daraus leiten sich Themen ab, über die das Ziel und damit die Zielgruppe erreicht werden soll.
  3. Es gibt ein gemeinsames Ziel (pro Thema) für das gesamte Marketing-Team. Dieses Ziel muss im Zusammenspiel der Kanäle erreicht werden.
  4. Für die unterschiedlichen Themen werden „Assets“ erstellt (Video, Bild, Text etc.), die über unterschiedliche Kanäle distribuiert werden.
  5. Die Marketing-Teams schauen gemeinsam, inwieweit das gemeinsame Marketing-Ziel erreicht wird und was weiter verbessert werden kann.
  6. Punktuell wird externer Input hinzugenommen, um zusätzliche Impulse zu erhalten.

Aus meiner Sicht ist die Distribution nicht der (entscheidende) Erfolgsfaktor, sondern die Inhalte sind es. Deshalb sollten diese als „Werte“ (englisch: Assets) betrachtet und mit viel Liebe erstellt und gepflegt werden. Denn es sind die Inhalte, die am Ende über die Qualität und den Erfolg des Unternehmens entscheiden. Wer austauschbar ist, weil er einfach nur das Gleiche bietet wie alle anderen, der hat es zunehmend schwer.

Mit der Fokussierung auf die Inhalte entsteht eine deutlich größere Wertschätzung für die Website und Nutzer. Letztere sind nicht (mehr) die reinen Melkkühe, die mal eben schnell irgendwas kaufen sollen, sondern sie bekommen eine möglichst gute Nutzererfahrung samt exzellenter Inhalte.

Auch die Großen sind nicht perfekt

Schauen wir uns einmal beispielhaft das Keyword „Wohnzimmerstuhl“ und das Snippet von otto.de an – welch wunderbare Wohnzimmerstühle da doch zu finden sind. Das macht direkt Lust auf mehr! Jemand Lust auf ein Bürostuhlrennen?

Dass im Snippet eigentlich eher als „Gamingstühle“ zu klassifizierende Produkte angezeigt werden, liegt zum einen an bezahlten Produktanzeigen auf otto.de, aber auch an einer zu „breiten“ Klassifizierung der Produkte. Denn auch abseits von Werbeplatzierungen sind Büro- und Gamingstühle der Kategorie „Wohnzimmerstühle“ zugeordnet.

Doch schauen wir auch einmal auf die Google-Suchvorschläge („Google Suggest“), die ebenfalls in Abbildung 4 zu sehen sind. Ganz oben steht dort:

  • Wohnzimmerstuhl drehbar
  • Wohnzimmerstuhl mit Armlehne
  • Wohnzimmerstuhl leder

Offensichtlich gehören diese Produktmerkmale zu den wichtigsten Eigenschaften für Wohnzimmerstühle (PS: Mit meinem Browser-Plug-in „SERP Keyword Extractor“ lassen sich solche Suchvorschläge mit einem Klick bei Google auslesen). Das ist ein starker Hinweis, dass es diese Eigenschaften als Filterungsmöglichkeit auf der Zielseite geben sollte.

Doch wirft man einen Blick auf die Filter auf otto.de, dann ist zwar unter „Bezug“ die Filterung nach „Leder“ zu finden, aber nach drehbaren Wohnzimmerstühlen oder solchen „mit Armlehne“ schaut man sich vergeblich um. Vermutlich ist deshalb der Gamingstuhl so beliebt

Okay, dann einfach mal nach den entsprechenden Keywords über die interne Suche Ausschau halten. Und siehe da: negativ im ersten Viewport, da es wieder irrelevante Werbeanzeigen ganz nach oben schaffen. Zumindest die weiteren Produkte sind relevant(er).

Ein kleiner Fun Fact am Rande: In den internen Suchvorschlägen taucht „mit Armlehne“ auf. Nimmt man das (quasi) Synonym „Esszimmerstuhl“, dann tauchen sogar beide Eigenschaften auf.

Solche Erfahrungen sind auf vielen Websites zu machen und obwohl das (SEO-)Team von otto.de-Team in der Summe einen super Job macht, gibt es auf der Detailebene das ein oder andere zu verbessern. Vermutlich ist das Problem bekannt, kann aber im Rahmen der technischen Möglichkeiten nicht so ohne Weiteres angepasst werden.

Wie kanalübergreifende Zusammenarbeit zu besserer Nutzererfahrung führt

Zu selten schauen sich Marketing-Teams die Websites mit den Augen der Zielgruppe an. Das liegt (mit) daran, dass die Ziele der Teams „außen“, und damit nicht auf der Website, liegen. Es muss ja Budget X in Werbekanal Y gepumpt werden, um Umsatzziel Z und damit die Beförderung zu erreichen. Der Blick auf das, was vermarktet wird, kommt leider häufig zu kurz.

Ändern lässt sich das, wenn der Blick nicht auf Kanäle, sondern auf Themen liegt. Denn dann wird überlegt, über welche Kanäle „Thema 1“ distribuiert werden kann. Dazu machen sich verschiedene Expertisen des Teams Gedanken, welche Inhalte (oder noch besser: Nutzererfahrung) es für eine möglichst gewinnbringende Distribution braucht, und wie die einzelnen Kanäle zusammenspielen.

In der Folge werden die Nutzererfahrung und Inhalte immer besser, was zu Gewinnern auf beiden Seiten führt. Kunden finden das, was für sie relevant ist, und die Akquisitionskosten für Unternehmen sinken.

Und jetzt alle so: AI-Texte!

Was hat das Ganze jetzt mit (SEO-)Trends zu tun? Häufig stimmen die Grundlagen nicht, der Fokus liegt aber auf der Kirsche auf der Torte. Ja, es ist spannend, über z. B. KI-Tools und deren Möglichkeiten, das zusätzliche E in E-E-A-T und wie Google dies messen könnte, die Abschaffung von Google Search Console Reports oder Ähnliches zu diskutieren. Nur: Es ändert nichts. Das ist nicht die Baustelle, an der der Großteil der Websites auch heute arbeiten müsste. Und ein maximal mittelmäßiges Produkt mit automatisiert betexteten Inhalten, KI-generierten Videos und mehr zu versehen, macht daraus auch keinen Sportwagen.

Wer den Fokus auf wirklich gute Nutzererfahrung legt, der stellt sich nicht zuerst die Frage, ob bei einem automatisiert erstellten Text noch 3, 16 oder gar 63 % manuelle Änderungen notwendig sind. Der würde nämlich im Zweifelsfall alles automatisch Erstellte komplett überarbeiten – und dann noch die Extrameile gehen. In der Regel zielen Überlegungen zu „Wie nutzen wir jetzt KI-Texterstellung?“ darauf ab, in Masse Durchschnittliches ein bisschen besser zu machen. Zumindest für Google, da Google dann „mehr Futter“ bekommt. Durchschnitt wird mittelfristig nicht reichen.

So unsexy es klingt: Bevor die Grundlagen unbearbeitet sind, sind SEO-Trends komplett egal. An welcher Stelle dieser Reise stehst du? Sollte dein Fokus erst mal auf den Grundlagen liegen? Würdest du selbst bei dir kaufen? Oder dir deinen eigenen Artikel durchlesen? Kurzum: Bietest du die Nutzererfahrung, die du selbst finden möchtest?

SEO ist keine 0/1-Logik, bei der es einfach nur darum geht, ob etwas zu einem Thema vorhanden ist oder nicht. Es geht mehr und mehr darum, dass der bestmögliche Inhalt angeboten wird. Das erfordert einen gesamtheitlichen Blick auf die einzelnen Seiten. Welche Produkte sind zu sehen? In welchen Farben? Von welchen Marken? Welche Filter werden angezeigt? Welche Verlinkungen angezeigt? Wie ist die Bildsprache? Welche nervenden Pop-ups erscheinen? Und noch vieles mehr.

Erinnere dich daran: Die meisten deiner Inhalte ranken schon heute nicht. Was machst du, um das zu ändern?