Wichtige Urteile im Jahr 2022: Quick & Dirty

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Normalerweise widmen wir uns in unserer Rubrik immer einem bestimmten Einzelthema und stellen dieses ausführlicher vor. Dabei wird jährlich eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen veröffentlicht, auf die wir nicht näher eingehen können. Heute ist dies einmal anders: Wir nutzen den Jahresanfang, um die wichtigsten Urteile aus 2022 in einem Quick-&-Dirty-Format zu präsentieren. Die Auswahl ist natürlich nicht vollständig, bietet aber einen sehr guten Überblick über die wichtigsten Entscheidungen, die für die Leser der WSB von Bedeutung sind. Der Inhalt ist nach Schlagworten sortiert.

E-Commerce:
 

Online-Bewertungsportal muss Vertragsschluss bzw. Nutzung nachweisen

Ein Online-Portal, auf dem anonyme Bewertungen zu Hotels veröffentlicht werden, muss den Vertragsschluss bzw. den Hotelbesuch nachweisen. Bestreitet das bewertete Unternehmen diesen Umstand, ist das Portal in der Nachweispflicht (BGH, Urt. v. 09.08.2022 – Az.: VI ZR 1244/20).

Speicherung von Kundendaten auf externem Server nur vorübergehend zulässig

Auch ohne Zustimmung dürfen Kundendaten bei einer Serverstörung vorübergehend in eine externe Datenbank verlagert werden. Die Daten sind jedoch zu löschen, sobald die Störung beseitigt wurde (EuGH, Urt. v. 20.10.2022 – Az.: C‑77/21).

Begrenzte Pflicht von Internethändlern, über Herstellergarantien zu informieren

Ein Internethändler muss nur dann über Herstellergarantien für ein angebotenes Produkt informieren, wenn die Garantie ein zentrales Merkmal seines Angebots (z. B. bei seiner Werbung) ist (BGH, Urt. v. 10.11.2022 – Az.: I ZR 241/19).

eBay-Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ ist zulässige Meinungsäußerung

Die negative eBay-Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ ist eine zulässige Meinungsäußerung und somit rechtlich nicht zu beanstanden (BGH, Urt. v. 28.09.2022 – Az.: VIII ZR 319/20).

Unternehmereigenschaft bei planmäßigem An- und Verkauf von Waren über die Internetplattform eBay

Eine Privatperson, die jährlich durch mehrere Hundert Auktionen Waren über eBay veräußert, erbringt eine steuerpflichtige Tätigkeit (BFH, Urt. v. 12.05.2022 – Az.: V R 19/20).

Keine Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Streitigkeiten um Amazon-Kindle-Account

Wehrt sich ein Vertragspartner von Amazon gegen die Sperrung seines Kindle-E-Book-Accounts, sind deutsche Gerichte für die rechtliche Auseinandersetzung nicht zuständig (OLG Hamburg, Beschl. v. 04.04.2022 – Az.: 15 W 18/22).

Bei Online-Kündigungsbutton darf Passwortabfrage nicht verpflichtend sein

Bei dem gesetzlich vorgeschriebenen Online-Kündigungsbutton darf die Abfrage des Passworts nicht verpflichtend sein (LG Köln, Beschl. v. 29.07.2022 – Az.: 33 O 255/22).

Dating-Plattform muss bereits in seiner Werbung deutlich auf Fake-Profile hinweisen

Der Betreiber einer Online-Dating-Plattform muss deutlich auf von ihm künstlich erzeugte Profile hinweisen, wenn es sich bei sämtlichen Charakteren um fiktive handelt. Dieser Hinweis muss bereits im Rahmen der Werbung erfolgen (LG Flensburg, Urt. v. 04.05.2022 – Az.: 8 O 8/22).

Der Betreiber eines Online-Dating-Portals muss deutlich auf von ihm künstlich erzeugte Profile hinweisen. Es reicht nicht aus, diesen Umstand lediglich in den AGB zu erwähnen (LG Berlin, Urt. v. 17.02.2022 – Az.: 16 O 62/21).

Online-Pflichtangabe von „Herr“ oder „Frau“ ist Verletzung nicht binärer Geschlechtsidentität und begründet Schadensersatz in Höhe von 1.000 Euro

Gibt es in einem Online-Bestellformular nur die Auswahl „Herr“ oder „Frau“, ist dies eine Diskriminierung von Personen mit nicht binärer Geschlechtsidentität und begründet einen Schadensersatz in Höhe von 1.000 Euro (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 21.06.2022 – Az.: 9 U 92/20).

Gekaufte Kundenbewertungen auf Amazon wettbewerbswidrig

Gekaufte Kundenbewertungen, die Anbieter auf der Online-Plattform Amazon veröffentlichen, sind wettbewerbswidrig, wenn nicht darauf hingewiesen wird, dass der Rezensent einen finanziellen Vorteil erhalten hat (LG Hamburg, Urt. v. 07.10.2021 – Az.: 327 O 407/19).

E-Mails/Newsletter/Telefonwerbung:

E-Mail-Zugang bereits dann, wenn abrufbereit auf Mailserver

Der BGH hat festgestellt, dass für den juristischen Zugang einer E-Mail allein die Abrufbarkeit auf dem Mailserver des Empfängers innerhalb der üblichen Geschäftszeiten entscheidend ist. Wann der Empfänger hingegen die elektronische Nachricht tatsächlich gelesen hat, ist irrelevant (BGH, Urt. v. 06.10.2022 – Az.: VII ZR 895/21).

Inbox Advertising ist ohne ausdrückliche Zustimmung des Users wettbewerbswidrig

Ohne ausdrückliche Zustimmung des Users ist Werbung im Mail-Eingangsordner eines kostenlosen E-Mail-Providers (= Inbox Advertising) wettbewerbswidrig. Insbesondere ergibt sich die Erlaubnis nicht aus einer pauschalen Zustimmung, Werbeeinblendungen zu erhalten, um kein Entgelt für die Nutzung des E-Mail-Dienstes zahlen zu müssen (BGH, Urt. v. 13.01.2022 – Az.: I ZR 25/19).

Anforderungen an Kennzeichnung von Werbung im Newsletter von Computerbild

Wird per E-Mail ein Newsletter verschickt, müssen die redaktionellen Inhalte und die Werbung durch entsprechende optische Hinweise deutlich voneinander getrennt sein (LG Berlin, Urt. v. 28.06.2022 – Az.: 102 O 61/22).

Adresshandelsvertrag über Verkauf rechtswidriger Opt-ins ist nichtig

Vereinbaren die Parteien die Beschaffung von Adressdaten für potenzielle Immobilienverkäufer, müssen die erteilten Opt-ins der geltenden Rechtslage entsprechen. Ignoriert die vertragliche Vereinbarung die datenschutzrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Vorgaben und dient vorrangig dem Zweck, die Kontaktaufnahme zu ermöglichen, ist der Kontrakt nichtig (OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2021 – Az.: 18 U 110/21).

Streitwert für unerlaubte E-Mail-Werbung deutlich reduziert – „nur“ noch bei 3.000 Euro

Das KG Berlin (Beschl. v. 17.01.2022 – Az.: 5 W 152721) hat den Streitwert für unerlaubte E-Mail-Werbung deutlich reduziert, nämlich auf „nur“ noch 3.000 Euro.

Check-Mail beim DOI-Verfahren ist kein unerlaubter Spam

Die Zusendung einer bloßen Check-Mail im Rahmen eines Double-Opt-in-Prozesses (DOI-Verfahren) für den Online-Bezug eines Newsletters ist keine unerlaubte Werbezusendung und kann rechtlich nicht verfolgt werden (AG Kassel, Urt. v. 26.04.2022 – Az.: 435 C 1051/21).

Bereits dann unerlaubte E-Mail-Werbung, wenn lediglich Zweizeiler im Footer

Eine E-Mail wird bereits dann zu einer unerlaubten E-Mail-Werbung, wenn die elektronische Nachricht lediglich im Footer einen kurzen Zweizeiler mit einer Werbeansprache enthält (KG Berlin, Urt. v. 25.09.2021 – Az.: 5 U 35/20).

Beweis für den Zugang einer E-Mail

Den Absender einer E-Mail trifft gemäß § 130 BGB die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die E-Mail dem Empfänger zugegangen ist. Ihm kommt keine Beweiserleichterung zugute, wenn er nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhält (LAG Köln, Urt. v. 11.01.2022 – Az.: 4 Sa 316/21).

Markenrechte/Urheberrechte:

Markeninhaber hat keinen Auskunftsanspruch gegen Google Ads auf Zeitpunkt, Anzahl der Klicks und den gezahlten Preis

Schaltet ein Dritter Google-Ads-Werbung und verletzt damit Kennzeichenrechte, hat der Markeninhaber gegen Google nur einen begrenzten Auskunftsanspruch. Nicht umfasst vom Auskunftsanspruch sind der Zeitpunkt der Anzeige, die Anzahl der Klicks und die Klickpreise (BGH, Urt. v. 14.07.2022 – Az.: I ZR 121/21).

Benutzung eines Domain-Namens kann markenrechtlichen Kennzeichenschutz begründen

Die Benutzung eines Namens als Domain-Name kann markenrechtlichen Kennzeichenschutz begründen, wenn der Verkehr darin einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sieht (BGH, Beschl. v. 02.06.2022 – Az.: I ZR 154/21)

Online-Shop darf Markennamen für fremdes Ersatzteil benutzen

Ein Online-Shop darf die geschützte Marke eines Herstellers benutzen, wenn er Ersatzteile für das Gerät (hier: Rasierscherkopf) anbietet (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 03.05.2022 – Az.: 6 W 28/22).

Java-Scripts sind als Computerprogramme urheberrechtlich geschützt

Java-Scripts können als Computerprogramme urheberrechtlich geschützt sein, wenn sie die entsprechende Schöpfungshöhe aufweisen (OLG Köln, Urt. v. 29.04.2022 – Az.: 6 U 243/18).

Bei Online-Urheberrechtsverletzung kein hinreichender Inlandsbezug bei ausländischer Top-Level-Domain + fremder Sprache

Bei ausländischen Top-Level-Domains (hier: RU und UA), die überwiegend in kyrillischer Schrift gehalten sind, weisen etwaige Online-Urheberrechtsverletzungen keinen ausreichenden Sachbezug zur deutschen Rechtsordnung auf (LG Hamburg, Urt. v. 16.09.2022 – Az.: 310 O 442/20).

Suchmaschinen:

Google muss Suchtreffer löschen, wenn verlinkte Website offensichtlich unrichtige Inhalte enthält (Recht auf Vergessen)

Google muss die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen auslisten, wenn der Antragsteller nachweist, dass sie offensichtlich unrichtig sind. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich dieser Nachweis aus einer gerichtlichen Entscheidung ergibt, die gegen den Herausgeber der Website erwirkt wurde (EuGH, Urt. v. 08.12.2022 – Az.: C-460/20).

Unterlassungserklärung darf nicht Cache von Suchmaschinen ausschließen

Eine Unterlassungserklärung ist nur dann wirksam und schließt die Wiederholungsgefahr aus, wenn sie auch den Cache von Suchmaschinen erfasst. Wird in der Erklärung dieser Bereich explizit ausgenommen, ist dies unzureichend (LG München I, Beschl. v. 02.12.2021 – Az.: 37 O 12256/21).

(Verbotene) Online-Werbung:

Fernsehsender haftet für Ausstrahlung von verbotener Glücksspielwerbung

Strahlt ein Fernsehsender Werbung für ein rechtswidriges Online-Casino aus, kann er auf Unterlassung haften. Auf sein Medienprivileg kann sich der Sender nicht berufen (OLG Köln, Urt. v. 30.06.2022 – Az.: 6 U 47/20).

Tinder-Auftritt einer Bundeswehrkommandeurin muss entsprechend zurückhaltend sein

Bundeswehrsoldaten in besonders repräsentativen Funktionen müssen auch bei privaten Internetauftritten bei der Form ihres Auftretens Zurückhaltung üben (BVerwG, Beschl. v. 25.05.2022 – Az.: 2 WRB 2.21).

Vermischtes:

Wer Siri oder Alexa heißt, darf wegen der bekannten Sprachassistenten seinen Vornamen ändern

Wer den Namen eines bekannten Sprachassistenten trägt, hat einen Anspruch auf Änderung seines Vornamens (VG Göttingen, Urt. v. 21.06.2022 – Az.: 4 A 79/21).

Bloßes Liken eines fremden Facebook-Posts kann strafbare Handlung sein

Wer ein fremdes Facebook-Posting likt, kann sich nach Auffassung des LG Meiningen strafbar machen (LG Meiningen, Beschl. v. 05.08.2022 – Az.: 6 Qs 146/22).

Prüfpflichten eines Host-Providers bei Beanstandung einer Internetbewertung

Ein Host-Provider ist grundsätzlich nicht zu weiteren Prüfungsmaßnahmen verpflichtet, wenn die Internetbewertung eines Dritten beanstandet wird und zwei sich widersprechende Behauptungen vorliegen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 09.09.2022 – Az.: 5 U 117/21).

Verzicht auf Urheberbenennung in AGB eines Microstock-Portals ist wirksam

Ein Verzicht des Urhebers auf Namensnennung in den AGB eines Microstock-Portals (hier: Fotolia) ist rechtmäßig (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 29.09.2022 – Az.: 11 U 94/21).