Karl Kratz meint, wenn man sich den Black Friday wie ein verkatertes Monster vorstellt, das nach der Erfolgs-Suff-Party vom letzten Jahr den Hintern kratzend aus seiner müffelnden Höhle torkelt, um erneut den Menschen eine unheilige Mischung aus Verlustangst und Gier bei der Rattenhatz nach billigen Produkten einzupflanzen, wirkt es eigentlich schon gar nicht mehr so schrecklich und grausam, wie es wirklich ist. Für viele Händler sind Sonderaktionen wie der schwarze Freitag ein wahrer Umsatzsegen. Und gerade im Handel ist eine der wichtigsten Steuerungsgrößen eben der Umsatz. Da zwischen Umsatz und Gewinn aber noch die Kosten stehen, sollten diese gerade bei Sonderaktionen gesondert berücksichtigt werden. Fällt nämlich intern dafür ein nennenswerter Aufwand an und verschwindet dieser bei der Berechnung in den Gemeinkosten und wird einfach auf „alles“ umgelegt, können sich nicht nur grobe Verzerrungen ergeben, sondern unter dem Strich sogar Verluste bei ebensolchen Sonderaktionen. Da aber alle mitmachen und die Käufer an solchen Tagen oft in einen wahren Kaufrausch verfallen, schaut man sich oft nur die steigenden Umsatzkurven an und feiert das intern als Erfolg. Kratz legt wie immer einen dicken Finger in eine Wunde, die von vielen noch gar nicht als solche wahrgenommen wurde. Und: Wie gut tut unserer Umwelt der punktuelle Bestellwahn? Ob Sie wohl beim Lesen nachdenklich werden?
VantaBlackFriday
Die etwas andere Meinung zum Nachdenken
Der Black Friday scheint ein echter Segen: Er ist einer der größten Einkaufstage des Jahres. Ein immens großer Anteil der Unternehmen in Deutschland nutzt diese Gelegenheit, um Umsätze zu steigern, indem Konsumierende mit einer warmen Geschenkedusche aus Rabatten und Sonderangeboten beglückt werden.
Gleichzeitig gewinnen die meisten Unternehmen viele neue Kundinnen und Kunden und erhöhen die Chance, dass bestehende Kundschaft wiederkehrt. Und der Black Friday ist ein exzellentes Mittel, um die Sichtbarkeit und Bekanntheit des Unternehmens zu steigern!
Das Gute daran: Das Interesse der Bevölkerung scheint jedes Jahr erneut hoch zu sein. Google Trends spricht hierzu zumindest vordergründig eine eindeutige Sprache: Und auch alle Handelsverbände sind sich einig: Nächstes Jahr wird wieder zweistellig zugelegt!
Und es ist nicht nur der Black Friday. Mindestens zehnmal im Jahr verwandelt sich Deutschland in einen irren Affenzirkus: an Valentinstag, Ostern, Muttertag, Amazon Prime Day, Sommerschlussverkauf, Singles Day, Black Friday, Cyber Monday, Nikolaus, Weihnachten.
Jedes Mal bricht innerhalb kürzester Zeit eine mächtige Stress-Schockwelle übers Land herein: In jedem Unternehmen, das sich beteiligt, wollen digitale Kampagnen geplant und umgesetzt werden, Rabattaktionen berechnet, Websites umgebaut, Prozesse modifiziert, Systeme skaliert, Werbemittel gestaltet, Budgets im aggressiven Auktionskampf gegen die vermeintlichen Konkurrenten verpulvert werden.
Alles läuft in dieser Zeit am Anschlag: Die Lagerhallen sind an ihren Umschlagsgrenzen, die Warenlogistik ist regelmäßig überlastet, Serversysteme und Netzwerke müssen grundsätzlich hochskaliert werden, weil sie selten für einen derartigen Ansturm ausgelegt sind. Die Mitarbeitenden in den Unternehmen sind ohnehin meist mit dem Tagesgeschäft bereits am Limit – und sollen jetzt noch zusätzliche Kampagnen erzeugen, Agenturen briefen und überwachen, Transaktionen managen, dann auf die Retourenflut warten und diese noch zusätzlich abarbeiten.
Erfolgsbesoffen fabulieren dann gestandene Online-Marketing-Verantwortliche auf LinkedIn, Facebook und Online-Marketing-Konferenzen, wie sie „mit einem irren Budget für kurze Zeit den ROAS auf über 20 hochgeknallt haben“ oder 600.000 Pakete in wenigen Tagen durch Prozesse geprügelt haben, die eigentlich nur für 10.000 Pakete am Tag ausgelegt sind. „Ja, es war stressig, aber das waren halt auch kurz einfach mal zwölf Millionen Euro mehr Umsatz!“
Eine Erfolgsmeldung jagt die nächste und wird frenetisch von der Online-Marketing-Community abgefeiert: „Hell yeah, so sieht ECHTER ERFOLG aus!“
12.000.000 Euro mehr Umsatz. Das klingt gut. Und erscheint viel für ein mittelständisches Handelsunternehmen. Doch was bleibt? Nimmt man eine durchschnittliche Handelsspanne von 10 % an, sind das zunächst 120.000 Euro. Zieht man davon dann sehr, sehr ehrlich alle Rabatte, Retouren, Werbebudgets, Kampagnenkosten, zusätzliche Kosten für Website- und Prozessumbauten, Kosten für Leistungserhöhungen, Überstunden etc. ab, kommt regelmäßig ein negativer Reingewinn heraus, sprich ein Verlust.
Natürlich behaupten viele, sie würden satte Gewinne einfahren. Und für manche Unternehmen stimmt das auch. Die meisten Unternehmen blenden jedoch etliche reale Kosten einfach aus: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“
Und dann werden Menschen sehr schnell hochgradig erfinderisch, wenn es darum geht, mehr oder weniger offensichtlichen Verlusten eine plausible Umdeutung zuzuordnen: Die Gewinnung neuer Kundinnen und Kunden stand im Vordergrund. Oder die Wiederkaufsquote wird bestimmt toll werden. Oder es werden reale Kosten einfach unter den Tisch gekehrt.
Und wenn alles nichts hilft, wird es lapidar unter „Brand“ verbucht – allgemeine Kosten, die auf die Marke einzahlen.
Wenn man hinter den Kulissen länger mit den Verantwortlichen spricht, in Excel die Kostenblöcke zusammenträgt, keine faden Erklärungen mehr zulässt, kommt in der Regel eine Flut von Ausweichlogiken, die immer auf ähnliche Aussagen hinauslaufen – dann wird irgendwann zugegeben, nur deshalb mitzumachen ...
- „weil es sonst die anderen machen.“
- „weil es alle anderen auch machen.“
- „weil die Kundinnen und Kunden das erwarten.“
- „weil Kundinnen und Kunden ihre Wünsche bis zu diesem Ereignis zurückstellen, um dann günstiger kaufen zu können.“
Ernsthaft?
„Weil es sonst die anderen machen“ ist eine sehr infantile, unerwachsene Reaktion. Das ist kein Argument, das ist die blanke Angst, „von der ach so feindlichen Welt eventuell übervorteilt zu werden und das Nachsehen zu haben“.
Man könnte ketzerisch fragen: „Auf der gesamten Welt machen unentwegt alle möglichen Firmen gerade alles Mögliche, was dein Unternehmen nicht macht – willst du DAS auch noch alles machen, damit es die anderen nicht machen?“
Wer die Welt auf diese Weise grundsätzlich als Aggressionspunkt sieht und sich dauerhaft in einen ängstlich-aggressiven Konkurrenzkampf mit ihr stellt, erzeugt genau die Situation, die man doch eigentlich zu vermeiden versucht. Wer sich hingegen darauf besinnt, dass wir als Menschen in erster Linie kooperative, responsive und assoziative Wesen sind, könnte unter Umständen auch zu folgendem Gedanken kommen:
„Es gibt viele ängstliche, aggressive und gierige Menschen, die mit ihren Unternehmen versuchen, Märkte und Ökosysteme zu dominieren und regelrecht auszunehmen. Und diese Unternehmen erzeugen eine Atmosphäre der Angst und der Gier.
Wenn ich mit meinem Unternehmen Klarheit über den tatsächlichen Bedarf habe, Kooperationen aufbaue und mich aufmerksam und freundlich in das Ökosystem integriere, entspannt sich auch mein Umfeld, weil von mir keine nennenswerte Gefahr mehr ausgeht. Wenn ich mich dazu auch noch empathisch und fair verhalte, kann sich mein Umfeld noch mehr entspannen.
Und je mehr Menschen bzw. Unternehmen sich entspannen können, weil der Markt eben nicht aggressiv sein muss – das ist ein künstliches Konstrukt, eine sauber getarnte Idee des Kapitalismus –, können wir auch 2023 immer wieder kleine Wunder erleben.“
Gestandene BWLer und Kapitalismus-Ideologen mögen einem bei solchen Gedanken kindliche Naivität vorwerfen, schließlich „funktioniere die Welt so nicht“. In diesem Fall sei jedoch die Gegenfrage erlaubt, wann der Kapitalismus denn gedenke, die unentwegt versprochene bessere Welt zu liefern, der die Menschheit seit jeher hinterherhetzt? Vielleicht ist jetzt eine gute Zeit, um den Kapitalismus daran zu erinnern, dass er eben auch nicht besonders gut funktioniert.
Übrigens: Es gibt viele Unternehmen, die ganz bewusst seit Dekaden keine aggressive Wachstums- bzw. Vermarktungsstrategie fahren. Dahinter stecken meist Menschen, die für sich selbst klar und transparent definiert haben, was sie für ein gelingendes Leben brauchen – und was nicht. Wenn man sich mit diesen Menschen unterhält, fällt zu keinem einzigen Zeitpunkt eine Aussage wie „Wir haben uns jetzt am Black Friday nur deshalb beteiligt, weil sonst ein anderes Unternehmen die ganzen Kundinnen und Kunden sowie Umsätze bekommt“. Man hört eher Sätze wie „Es ist schön, zu wissen, dass wir für die Menschen, die unsere Angebote kaufen, seit 20 Jahren eine freudvolle Konstante im Leben sind“.
Und seltsamerweise werden diese – aus kapitalistischer Sicht – „naiven“ Unternehmen eben nicht unentwegt von Marktbegleitern ausgenommen und aufgefressen. Im Gegenteil: In der Regel können sie in Ruhe schalten und walten und genauso ihr Geld verdienen wie alle anderen auch; nur etwas entspannter und vielleicht besser am realen Bedarf der Menschen orientiert.
„Weil es alle anderen auch machen“ ist eine ebenso befremdliche Aussage. Ja, sehr viele Firmen nehmen an diesem kollektiven Konsumwahn teil, das ist richtig. Mittlerweile scheint das eine Tradition zu sein, so fühlt es sich zumindest an. Für Tradition gibt es übrigens eine schöne Definition:
Tradition = Peer pressure from dead people.
Nur weil es viele gemacht haben und viele aktuell machen, muss es nicht richtig oder sinnvoll sein.
Ist es nicht spannend, dass ausgerechnet all die Unternehmen, die sonst ein riesiges Brimborium um ihre Unverwechselbarkeit, ihre Einzigartigkeit, ihre Individualität machen, ausgerechnet bei einer geistigen Tieffliegerstrategie wie dem Black Friday in einen globalen Gruppenzwang kippen?
Und jedes dieser einzigartigen Unternehmen versucht, den Markt mit ein- und derselben Taktik für sich zu gewinnen: Mit Rabatten? Und jedes dieser individuellen Unternehmen spielt auf denselben Plattformen: Google, Facebook, Amazon, TikTok, LinkedIn?
Die Dinge so zu machen, wie sie alle machen, ist in der Praxis oft mit einem hohen Preis verbunden.
„Weil die Kundinnen und Kunden das erwarten“ ist eine weitere seltsame Sicht auf die Welt: Die allermeisten E-Commerce-Unternehmen scheren sich überhaupt nicht darum, was die Kundschaft erwartet – zum Beispiel wenn es um einen leicht erreichbaren Support geht. Oder eine Telefonnummer für Fragen. Oder einen Rückrufservice. Oder eine transparente Datenschutz-Policy.
Und ausgerechnet am Black Friday sollen die Erwartungen der werten Kundschaft plötzlich in das Zentrum allen Handelns rücken?
Abgesehen davon: Kundinnen und Kunden erwarten so ziemlich alles Mögliche und vor allem auch sehr unmögliche Dinge – viele E-Commerce-Unternehmen berichten in geschlossenen Foren von den absurden Wünschen der Menschen und regen sich darüber auf.
Die Aussage „viele Kundinnen und Kunden stellen ihre Wünsche zurück und warten auf den Black Friday“ trifft in der Regel auf einen sehr kleinen Prozentsatz der Menschen zu; hier findet in der Regel eine große Wahrnehmungsverzerrung statt.
Enttäuschung inklusive
Wer kennt das nicht: Man schließt zum Beispiel einen Telekommunikationsvertrag ab, bleibt viele Jahre dem Anbieter treu und muss dabei zusehen, wie neue Kundinnen und Kunden grundsätzlich bessere Konditionen erhalten – bis einem die Hutschnur platzt, man seinen Vertrag kündigt und auch bei diesem irren Spiel mitspielt.
Offensichtlich fühlen wir uns als Menschen ungerecht behandelt, wenn andere plötzlich bessere Konditionen erhalten. Und wenn das auch noch willkürlich und nicht begründet geschieht, wird dieses Gefühl auch noch stärker.
Wie ist das dann erst bei Rabattschlachten wie am Black Friday? Wie fühlen sich denn all die Kundinnen und Kunden, die einige Tage vor bzw. nach dem Event eine Leistung gekauft haben – eventuell verärgert und ungerecht behandelt, weil sie 5 %, 10 %, vielleicht 30 % oder gar 50 % mehr bezahlt haben als andere?
Natürlich kann man diese Sorge einfach vom Tisch wischen, denn: Alles, was nicht gemessen wird, hat auch keine Konsequenz. Zumindest nicht in den Köpfen vieler Online-Marketing-Verantwortlicher.
Zusätzlich zum großen Potenzial, bestehende Kundinnen und Kunden zu verärgern und zu enttäuschen, kommt noch eine ganze Reihe anderer konsumpsychologischer Effekte dazu:
Anstatt nach Bedarf zu kaufen, wird zum Black Friday vieles ohne Sinn und Verstand gekauft. Das ist eine direkte Konsequenz aus jahrelanger Konversionsoptimierung, gepaart mit einer Vielzahl an konsumpsychologischen Tricks und Kniffen: Schließlich SOLLEN die Menschen ja weitgehend ohne Sinn und Verstand so viel wie möglich kaufen!
Das kann zu einem schlechten Konsumverhalten führen, insbesondere bei Menschen mit geringem Einkommen. Auch wenn die meisten Menschen versuchen, sich beim Kauf an ihr Budget zu halten, gibt es immer noch viele, die deutlich mehr kaufen, als sie sich leisten können. Das wiederum kann zu Schulden und finanziellen Schwierigkeiten führen, was sich auf die psychische Gesundheit auswirken kann.
Viele Menschen bereuen derartige Käufe ohnehin mit einer hohen Wahrscheinlichkeit – und dazu gesellen sich dann auch noch finanzielle Konsequenzen.
Die unrealistischen Erwartungen und Verlockungen des Black Friday können auch dazu führen, dass Menschen sich emotional unter Druck gesetzt fühlen. Der Wunsch nach dem perfekten Geschenk oder dem bestmöglichen Preis kann so viel Stress hervorrufen, dass man sich am Ende überhaupt nicht mehr entspannen kann – und häufig Fehlentscheidungen trifft.
Ein weiteres Problem: Viele Menschen vergleichen sich ständig mit anderen, um herauszufinden, wer die besten Schnäppchen gemacht oder die teuersten Geschenke gekauft hat. Dies verursacht oft Neid und Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und kann ebenfalls starke negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.
Wenn man sich tief in die Materie hineinarbeitet, kommt man immer und immer wieder an ein und derselben Stelle heraus:
Digitales Marketing funktioniert auf seiner fundamentalsten Ebene nach der Logik, dass das Beziehungsbegehren, die Sehnsucht der Menschen nach Verbindung, Sicherheit und Bestätigung in ein möglichst einfach begreifbares Objektbegehren übersetzt wird.
Das schürt in Menschen die Vorstellung, sie müssten sich einfach dieses und jenes Angebot kaufen und dann würden sie sich davon erfüllt fühlen.
Wer das Marketingspiel gut beherrscht, balanciert Systeme, Prozesse und Angebote so aus, dass die Erfüllung und Zufriedenstellung nie im erhofften Maß eintritt – denn dann geht das Spiel immer so weiter. Endlich ein Grund, sich dafür wieder einmal für den Erfolg abfeiern zu lassen!
Der Retourensohn ist tot – hoch lebe der Retourensohn!
Deutsche Konsumentinnen und Konsumenten bestellen gerne online – und sie schicken regelmäßig ein Viertel davon auch wieder zurück.
Eine Untersuchung durch die Universität Bamberg bei 411 Händlern mit einem Umsatz von 60 Milliarden Euro kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland etwa 25 % aller bei Online-Händlern getätigten Einkäufe wieder zurückgeschickt werden. In absoluten Zahlen sind das hochgerechnet 530 Millionen Retourensendungen, in denen der Kauf von 1,3 Milliarden einzelner Produkte rückabgewickelt wird.
Laut der Forschungsgruppe „Retourenmanagement“ entstanden durch Retouren in Deutschland 2022 circa 795.000 Tonnen CO2. Das entspricht 5,3 Milliarden Pkw-Kilometern – eine kaum vorstellbare Zahl.
Eine ganz ordentliche Zahl dieser Retouren und der damit verbundenen Kosten und Konsequenzen gehen aufs Konto des Black Friday (und der neun anderen „Peak-Events“). Das Thema „Retouren“ ist immens komplex und es gibt eine ganze Wissenschaft dazu. Für eine grundsätzliche Überlegung braucht es jedoch kaum Wissenschaft:
Jedes nicht unnötig verkaufte Angebot senkt die Wahrscheinlichkeit einer Retoure – und schont damit die Umwelt, logistische Kapazitäten und die Nerven der Menschen.
Der Black Friday ist ein schädliches Phänomen unserer Konsumgesellschaft
Der Black Friday erscheint wie ein gefräßiges, gieriges Monster, das jedes Jahr aus seiner Höhle gekrochen kommt, um mit einem großen Happs globale Ressourcen zu verschlingen und die Menschen mit Stress, Unsicherheit, Angst und Gier zu überschütten.
Ebendiese hetzen dann – brachial orchestriert von Hunderttausenden von Online-Marketing-Verantwortlichen – von Webshop zu Webshop, um die angeblich besten Schnäppchen zu erhaschen, deren Preise ohnehin im Vorfeld über Monate unbemerkt angehoben wurden.
Die Konsumentinnen und Konsumenten werfen dabei in der Regel alles in ihre Einkaufswagen, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu vergeuden, woher all diese Dinge kommen und wie und durch wen sie hergestellt wurden.
Fast alles, was Menschen produzieren, verkaufen und kaufen, ist auf irgendeine Weise belastend für die Umwelt. Die Herstellung von Konsumgütern verbraucht immense Energie und Ressourcen und verursacht Emissionen. Der Transport von Waren über die ganze Welt hinweg verschärft das Problem noch weiter.
All das ist bereits im „Normalzustand“ auf einem kritischen Niveau. Events wie der Black Friday eskalieren diesen Zustand noch weiter. Und das alles für ein bisschen mehr Umsatz. Ist das nicht verrückt?
Manche Händler zucken angesichts all dieser Umstände mit den Schultern und wälzen die Verantwortung gerne auf die Konsumierenden ab: „Die müssen selbst wissen, wie sie handeln.“
Ob das funktioniert, hat die Firma djoon Dattelpralinen ausprobiert: Das Unternehmen gab den Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, entweder 10 % auf den Einkauf zu sparen oder 15 % an die Kakaokooperation in Kolumbien zu spenden: „Das sind 120 biologisch arbeitende Kleinbauern-Familien, die durch ihre Arbeit den Erhalt des Chuncho Urkakaos und der ursprünglichen natürlichen Flora & Fauna sichern.“ (einfach.st/djoon)
Hat es funktioniert? Kaum! 80 % der Kundinnen und Kunden wollten lieber sparen. Ein netter Versuch, gibt es doch ausreichend konsumpsychologische Studien, dass Menschen im Durchschnitt nur dann zu einer Spende bereit sind, wenn ihnen kein persönlicher Verlust entsteht. Und selbst dann sieht es oft mau aus ...
Mit der Produktion, dem Verkauf, dem Kauf, dem Transport und den Retouren ist die Geschichte ja noch nicht zu Ende: Wenn wir die Dinge, die wir am Black Friday kaufen, schließlich entsorgen, landen sie häufig auf Mülldeponien, wo sie Jahre brauchen, um zu verrotten. Und während sie verrotten, setzen sie dabei noch munter weiter Schadstoffe frei und belasten die Umwelt erneut. Und wie gerne ersetzen wir mit großer Regelmäßigkeit Geräte, die wir am Black Friday gekauft haben, gegen Altgeräte, die ebenfalls entsorgt werden müssen.
Der Black Friday mag zwar ein Tag sein, an dem Menschen etwas Geld sparen können. Und andere verdienen etwas Geld. Aber wir alle zahlen dafür einen hohen Preis in Form von Umweltverschmutzung und -zerstörung.
Wir sollten uns eines bewusst machen: Jeder einzelne Kauf ist eine Entscheidung – in der Regel gegen die Umwelt. Und wir sollten uns bewusst machen, dass wir die Verantwortung tragen, für eine nachhaltigere Zukunft zu sorgen.
Eine rein monetäre Betrachtung als Argument für den Black Friday soll, kann und darf einfach nicht zulässig sein: Die Welt, die Umwelt, unsere soziale Gemeinschaft – all das sind hochkomplexe Systeme mit kaum prognostizierbaren Wechselwirkungen. Mit Blick auf die bevorstehenden klimatischen Veränderungen sollte uns allesamt klar werden, dass man weder das Klima noch die Natur noch das menschliche Überleben mit Geld kaufen kann.
Eigentlich müsste ich in diesem Artikel jetzt noch all die Gegenbewegungen aufführen: Hier eine Green Week, dort ein Secondhand-Day und irgendwo pflanzt irgendjemand für jedes gekaufte Angebot einen Baum.
Aber das möchte ich nicht tun: Denn das würde den Anschein erwecken, dass doch schon jemand dabei ist, etwas Gutes zu tun. Der Schein trügt jedoch: Alle diese Maßnahmen verhindern nicht, dass am Black Friday und seinen neun weiteren kleinen Monstern jedes Jahr die blanke, angsterfüllte Gier das Hirn frisst: sowohl von Konsumierenden als auch von ganzen Unternehmen.
Wir sind als Online-Marketing-Verantwortliche die Brandbeschleuniger für unser globales Ökosystem. Wenn es einen Hebel gibt, dann liegt dieser bei uns – wir sollten ihn nutzen.