„Ich werde nie etwas über einen Sprach-Assistenten bestellen“ ist das neue „Mehr als 640 Kilobyte Speicher braucht kein Mensch!“ Kann es sein, dass ausgerechnet an der Online-Marketing-Branche gerade ein wichtiger Trend vorbeizieht?
Abgekratzt …
Etwas Neues bedroht den traditionellen und klassisch wehrlosen Einzelhändler: der gemeine Sprach-Assistent.
Mittlerweile hat es sich sogar schon in der Offline-Welt herumgesprochen, dass Sprachsuchsysteme wie z. B. Alexa gar keine große Auswahl an unterschiedlichen Optionen anbietet, wenn nach einem Produkt gefragt wird. Stattdessen wird in der Regel der aktuelle Bestseller oder ein Produkt aus einem intern bevorzugten Programm angeboten. Das war es auch schon. Mehr kommt nicht. Wer nicht Platz #1 (oder in Ausnahmefällen Platz #2) ist, taucht in dieser Form des E-Commerce nicht auf.
Sprach-Assistenten bevölkern derzeit in klitzekleinen, unaufhaltsamen Tippelschritten die Wohnzimmer, Hotels, Krankenhäuser, Autos, Smartphones und Computer: Das ist auch kein Wunder, immerhin ist die Sprache eines der natürlichsten Interfaces, die uns zur Verfügung stehen. Und Sprach-Assistenten erschließen mit Leichtigkeit komplett neue Zielgruppen: Menschen, die (noch) nicht lesen und schreiben können bzw. Menschen mit körperlichen Einschränkungen.
„Alexa wird zum Schrecken der Händler“, titelt sogar das Handelsblatt und berichtet davon, dass Amazon, Google & Co. den wichtigen Kontakt zum Kunden abschneiden.
Der Schrecken besteht zu Recht: Wer Alexa damit beauftragt, „Batterien, Spülmittel und Taschentücher“ zu bestellen, bekommt drei Produkte vorgeschlagen, die allesamt Eigenmarken von Amazon sind. Der Kunde hat ohnehin keine Alternative vor Augen und stimmt einfach zu. Wenn man den aktuellen Studien trauen darf, verhalten sich derzeit 85 % der Menschen wie beschrieben. Dieses Verhalten wird natürlich die Art und Weise verändern, wie Produkte (und sicher später auch Dienstleistungen) gekauft und erneut gekauft werden.
Gleichzeitig entscheidet die Logik hinter den Sprach-Assistenten, welche Produkte von welchen Händlern (bevorzugt) bestellt werden. Diese Strategie wird langfristige Auswirkungen haben und vermutlich zu keiner besonders großen Diversifikation beitragen – eher das Gegenteil ist der Fall.
In solchen Szenarien ist in der Tat kaum noch Platz für traditionelle Einzelhändler, die nun erschrocken fragen: „Ja, und was ist mit uns?“
Es braucht Mut, Ressourcen und Innovationsbereitschaft, um in diesem neuen und vor allem zukunftsträchtigen Kanal mitzuspielen. Also in erster Linie Dinge, die beim traditionellen Einzelhandel leider nicht vorhanden sind.
Blickt man in die aktuell bestehende E-Commerce- bzw. Online-Marketing-Agenturlandschaft, scheint es dort leider auch recht wenig Hilfe auf Hoffnung zu geben: Linkbuilding, Content-Marketing, Google-SEO und Adwords stehen nach wie vor hoch im Kurs. „Dieser neumodische Sprach-Schnick-Schnack wird sich ohnehin nicht durchsetzen, die Menschen wollen ihre Einkäufe am Bildschirm sehen!“, lautet die eingängige Meinung. Es wird schüchtern darauf gewartet, „dass es jetzt losgeht, mit diesem Voice-Commerce“, die Branche wartet auf Cases und Best-Practice-Beispiele, die unmissverständlich belegen sollen, dass das Thema jetzt wirklich wichtig ist.
Vermutlich wird es diese „Cases“ und Beispiele erst einmal nicht geben: Die Pioniere haben sehr schnell dazugelernt und sind nicht unbedingt gewillt, ihr wertvolles Wissen mit einer großen Zahl an Menschen zu teilen.
Es bleibt spannend, wann sich sowohl die Agenturwelt als auch die kleinen und mittleren Marktteilnehmer um dieses neue und wichtige Zukunftsthema kümmern – oder ob es unterschätzt und verschlafen wird.