Vor Kurzem hat Amazon den Dash-Button für Deutschland freigegeben. Amazon-Prime-Mitglieder können daher ab sofort für ausgewählte Produkte einfach per Knopfdruck Nachbestellungen per WLAN und ohne Computer auslösen. Mittlerweile ist – wie üblich und immer – auch in sozialen Medien eine intensive Diskussion ausgebrochen, wie nützlich oder gar gefährlich das neue Knöpfchen ist. Verbraucher schwärmen ob der neuen Einfachheit des elektronischen Einkaufens und Datenschützer warnen und rufen laut, das ginge ja wohl gar nicht. Ein Versuch, laut nachzudenken …
Amazon Dash. Bähmmm! Bähmmm?
O. k., gebähmmmt hat die Meldung über Amazon Dash hier in Deutschland niemand mehr, denn viele Informierte kannten die kleinen Druckknopf-E-Commerce-Nupsies ja bereits von den Ankündigungen in den USA. Und weil ich von einigen Vorträgen der letzten Wochen weiß, dass es trotzdem viele Branchenmenschen gibt, die es noch nicht mitbekommen haben, folgt erst mal eine kurze Erklärung.
Amazon Dash sind kleine, streichholzschachtelgroße Plastikteilchen (siehe Abbildung 1) mit einem Markenaufdruck und einem Button. Die Rückseite hat eine Klebefläche und damit lassen sich die kleinen jetzt nur noch Halber-Klick-Bestellermöglicher dort aufkleben, wo man ständig Nachkaufbedarf hat. An der Waschmaschine für Waschpulver, am Kühlschrank für Bier oder an der Bettkannte für Kondome. Ein Klick und man löst eine entsprechende Bestellung für das bei der Einrichtung angegebene Wunschprodukt bei Amazon aus. Einfach und per WLAN. Natürlich gibt es Sicherungsmechanismen für Missbrauch, falls z. B. Kinder unkontrolliert auf dem bunten Kästchenbutton rumkauen oder fiese Freunde nach dem Abendessen auf der Toilette versuchen, dem Gastgeber einen Einkaufsrekord für Klopapier zu bescheren. Man bekommt eine Nachricht auf das Smartphone und Fehlbestellungen können so einfach gestoppt werden. Auch eine „Bestellschutz“ genannte Option bietet Amazon an. Die gedrückten Bestellungen bleiben einfach bis zur nächsten Bestellung im Warenkorb liegen. Eine automatische Auslösung gibt es dann nicht. Zudem zeigt eine kleine LED direkt auf dem Dash den Bestellstatus an.
Für die One-Touch-Bestellerleicherung verlangt Amazon eine Schutzgebühr von je 4,99 Euro, die man aber bei der ersten Bestellung des entsprechenden Produkts wieder gutgeschrieben bekommt. Insofern ist die Hardware prinzipiell umsonst.
Wofür könnte ich diese Dinger brauchen? Klar, für Druckerpapier und Patronen, Kaffeekapseln, Hundefutter, eine neue Staffel „Modern Family“, Pflanzendünger, Grillkohle und Räucherchips, Batterien, Mineralwasser, Fruchtzwerge (nicht wirklich), den guten Botucal-Rum, Duschgel und Shampoo, Adressaufkleber, Zahnbürste, -seide und -paste, Küchentücher, Tesafilm, Cornflakes, Rasierklingen und -schaum, Teelichte, Schuhcreme und, und, und. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir ein. Über zwei Dutzend Drückerle würden nun schon in meinem Haus kleben und leben, das für Kondome nicht mitgezählt. Im Endausbau würden es bei mir als Technikfan am Ende sicher deutlich mehr als 50 werden und wahrscheinlich würde jede Woche noch eine Handvoll dazu kommen. Und schon überlege ich, wie viele IP-Adressen bzw. Geräte meine Fritzbox überhaupt verwalten kann.
Soll ich das jetzt gut finden? Ich bin noch … unsicher. Zum einen finde ich Dash eine geniale Idee von Amazon, das Nachbestellen einfacher zu machen und Kunden noch stärker an die Plattform zu binden. Auch für ältere Leute kann das durchaus praktisch sein – das Einkaufen lästiger Dinge fällt schwerer und man spart sich auch das Problem, den Computer hochzufahren und die Kinder oder Enkel nachts per Anruf zu nerven, weil man schon wieder nicht in dieses Internetz kommt, nur weil man das Passwort an falschen Stellen oder zu oft falsch eingegeben hat.
Die Idee ist eigentlich so einfach, dass es einen wundern muss, wieso noch niemand außer Amazon darauf gekommen ist. Letztlich muss ja nur eine ID zusammen mit einer Nutzerkennung ins Netz übertragen werden. Ein kleines WLAN-Modul, eine Batterie und ein Gehäuse. Klar, das Entwicklungsteufelchen sitzt im Detail, das wissen wir alle, und so leicht, wie ich hier tue, ist der Bau eines kompakten Bestellerchens sicher nicht. Umgekehrt ist es aber auch kein technisches Hexenwerk und besteht letztlich aus Standardkomponenten mit etwas Software-Klebstoff. Da wundert es vielleicht dann doch, warum die Industrie, die Hersteller von Nachkaufprodukten nicht selbst darauf gekommen sind. Oder sich zusammengetan haben, um gemeinsam wenigstens einen Standard zu entwickeln? Initiiert oder zumindest koordiniert von einem der ganzen Digitalverbände? Und dann letztlich vielleicht offen bezüglich der Plattform oder des Shops, bei dem man bestellen möchte? Eine gemeinsame Schnittstelle würde doch genügen? Müssen sich die wirklich großen Industrieunternehmen wieder in Sachen E-Commerce so vorführen lassen? Oder war die Abhängigkeit von Amazon gewollt? Man mag es durchaus glauben, denn dem Vernehmen nach drängt man Amazon derzeit massiv dazu, für die eigenen Produkte Dashs anzubieten. Klar – muss auch. Wenn man Ariel beknopfdrücken kann, dann auch Persil und alle anderen Ultra-Perlen-Fullcolor-Waschmittel.
War früher immer eine gewisse Piefigkeit bei innovativen Ideen gerade bei größeren Unternehmen zu verspüren, das sog. „Not-invented-here”-Syndrom als eine Art Abwehrmechanismus für nicht selbst in Auftrag Gegebenes, so hechelt man in Sachen Digitaleritis mittlerweile anderen, hier eben Amazon, hinterher. Nach einer tragfähigen Strategie sieht das für mich persönlich nicht unbedingt aus. Vielleicht ist es leichter, fertige fremde Standards zu übernehmen als eigene zu entwickeln, noch dazu in (lästiger) Kooperation mit anderen?
Fragen wir uns, ob es Konzernen wie z. B. Otto gelungen wäre, so ein Dashlein auf den Weg, sprich in den Markt zu bringen? Vielleicht – zumindest bei einem Teil ihrer Stammkunden. Oder? Was könnte hier fehlen? Die Bereitschaft des typischen Otto-Kunden, solche innovativen Wege zu nutzen? Eine wirklich breite Bühne, das schnell bekannt zu machen und mit entsprechender Aufmerksamkeit zu versehen? Wenn wir ehrlich sind, schafft so was wahrscheinlich nur noch Amazon. Und die können bringen und machen was sie wollen – es klappt. Sie haben den Zugriff auf den Kunden – auf fast alle Kunden. Man baut alles um den Kunden herum und ist nicht eben gerade unkreativ, wie man alles jeden Tag noch ein wenig einfacher oder besser machen kann.
Aber was haben die Datenschützer denn jetzt wieder zu bemängeln? Naja, man macht sich mit seinem Einkaufsverhalten transparent. Das macht man allerdings bei jeder (erneuten) elektronischen Bestellung auf einer Plattform. Aber jetzt gibt man halt auch noch seine Präferenzen für bestimmte Produkte preis. Solange man aber nicht mehr nachbestellt als bisher, kann ich noch kein echtes Problem erkennen. Viel gravierender sind allerdings die rechtlichen Aspekte. Nach deutschem und hartem E-Commerce-Recht müssen bestimmte Voraussetzungen vorhanden sein, damit rechtlich überhaupt ein Kaufvertrag zustande kommt. Da der Button keinen Kaufpreis anzeigt und die Bestellung automatisiert durchläuft, kommt nach meinem laienhaften juristischen Verständnis kein Kaufvertrag zustande. Ebenso ist beim Druck auf den Button nicht klar, was man denn überhaupt genau bestellt. Das hat man zwar vorher selbst konfiguriert, aber für einen Kaufvertrag muss bei jedem Kaufvorgang natürlich ein spezifiziertes Produkt genannt werden. Es ist ja auch nicht auszuschließen, dass man nach einiger Zeit vergessen hat, was man konfiguriert hat, oder dass eben auch andere Personen im Haushalt drücken – und vielleicht gar nicht wissen, was sie da ordern. Wenn dem so ist, würde auch die Widerspruchsfrist nicht greifen, weil eine wirksame Widerrufsbelehrung fehlt. Für Verbraucher kritisch dürfte dabei tatsächlich sein, dass nicht klar ist, zu welchem Preis man bestellt. Zum günstigsten Preis – oder zum aktuellen Amazon-Tagesverkaufspreis. Müsste genau genommen der Button nicht sogar den Aufdruck „Zahlungspflichtig bestellen“ tragen?
Für an den Amazon-Marketplace angeschlossene Händler könnte es sogar noch schlimmer kommen. Würde über einen Dashdruck eine Bestellung bei ihnen ausgelöst, weil das Produkt z. B. aktuell nicht bei Amazon selbst verfügbar ist und ein Händler automatisch „nachrückt“, gehen natürlich alle rechtlichen Verpflichtungen des strengen Verbraucherschutzes in Deutschland auf diesen Händler über. Die Abmahnanwälte können sich in diesem Fall vielleicht schon mal in Vorfreude die Hände reiben, weil die Händler z. B. ungewollt nötige Pflichtangaben der Produkte nicht angegeben haben. Dass sie dies gar nicht können, bleibt juristisch unbedeutend. In diesem Zusammenhang ist für die betroffenen Händler sicherlich der in dieser Ausgabe enthaltene Beitrag des Rechtsanwalts Dr. Bahr „Risiken und Nebenwirkungen: Der Amazon-Verkäufer haftet immer und überall“ hochinteressant. In einfachen Worten gesagt, kann man sich nicht damit aus der Klemme bringen, in dem man darauf verweist, dass Produkt- und Preisangaben sowie alle Abläufe von Amazon festgelegt werden und man selbst keinerlei Einfluss darauf hätte. Somit kann einem schnell eine Abmahnung ins Haus flattern. Spannend wird es aber dann erst richtig für den (ungewollten und ggf. nicht vermeidbaren) Wiederholungsfall: Dann kann es richtig teuer werden, wenn die entsprechenden Vertragsstrafen für die abgegebenen Unterlassungserklärungen fällig werden. Wie soll man etwas unterlassen, auf das man keinen Einfluss hat? Den obersten Richtern war dieses Argument offenbar schnurz. Das könnte beim einen oder anderen Händlern ganz schnell an die finanzielle Substanz gehen. Man darf gespannt sein, wie diese rechtliche Herausforderung von Amazon in Deutschland gemeistert werden wird.
Und jetzt hab ich wieder das Déjà-vu mit dem berühmten Privatdetektiv Tomas Magnum: „Ich weiß, was Sie denken!“ Klar, da haben wir mal wieder eine tolle Innovation im E-Commerce und jetzt kommen die Juristen und machen wieder alles putt. Hab ich auch zuerst gedacht. Sie müssen allerdings bedenken, dass Sie als Online-Experte in einer Wissens- und Know-how-Blase leben. Ihnen ist die Funktionsweise des Dashs völlig klar und letztlich ist es ja nur eine Bestellerleichterung. Aber es gibt natürlich auch viele, sehr viele Verbraucher, denen dieses Wissen fehlt. Stellen Sie sich einfach einen Hartz-IV-Empfänger vor, der sich die Wohnung mit Dash-Buttons vollklebt. Ob der noch jederzeit den Überblick behält, was und für wie viel Geld er eingekauft hat? Möchte der einfach aus einem harten Sparzwang nicht immer das wirklich günstigste Angebot haben? Gibt er mit dem Dash vielleicht auch mehr Geld aus, als er sollte oder wirklich will? Der deutsche Verbraucher-„Schutz“ ist eben auch für die schwächsten Käufer gemacht und soll genau diese „schützen“. Insofern darf man diese gute Absicht bzw. diesen Zweck eben auch nie aus den Augen verlieren.
Verstehen Sie jetzt, warum ich mich noch nicht so richtig entscheiden kann, ob ich den Dash in diesem größeren Zusammenhang nun gut finde oder eben nicht. Trotzdem werde ich dem Charme der einfachen Bestellung über diese kleinen Dinger wahrscheinlich schnell erliegen. Nach einem oder zwei Jahren der Nutzung kommen dann aber sicher noch mindestens zwei Dashs für die Fans dazu. Einer zur Nachbestellung frischer Kopfzellenbatterien und einer für irgendein Baldrian-Beruhigungskraut, weil man dann vielleicht hundert solcher Batterien auswechseln muss?