Personalisierung ist seit Jahren eine Art Buzzword-Dauerbrenner. Was steckt dahinter, wie funktioniert es und was bringt es? In dieser dreiteiligen Serie geht André Morys auf die Hintergründe und Zusammenhänge zum Thema Personalisierung im Internet ein. Im ersten Teil wurden die Hintergründe und die unterschiedlichen Arten der Personalisierung verdeutlicht und im zweiten Teil ein Framework zur Bildung von Personalisierungsmaßnahmen vorgestellt. Im vorliegenden dritten und abschließenden Teil wird anhand eines anschaulichen Fallbeispiels gezeigt, was Personalisierung in der Praxis tatsächlich bringt.
Hey Du! Wie schaut´s aus?
Personalisierung im Web – Teil 3/3
Personalisierung bedeutet, nicht jeden Kunden gleichzubehandeln. Das macht nicht nur viel Sinn – in der Realität sehen wir auch viele Beispiele, in denen Personalisierung erfolgreich angewandt wird. Jeder gute Verkäufer stellt sich auf seinen Kunden ein und verwendet spezifische Inhalte, um ein Verkaufsgespräch möglichst optimal zu gestalten.
Was bisher geschah: Im ersten Teil dieser dreiteiligen Serie wurden die theoretischen Hintergründe und Arten der Personalisierung vorgestellt. Im Kern stand das Modell der vier Wirkungsprinzipien, das von einfachen Recommendation-Engines bis hin zu dynamischen Echzeit-Inhalten reicht. Der zweite Teil stellte ein einfaches Framework vor, das über die Fragen „Welche Kundentypen gibt es auf meiner Website?“ und „In welchen Kaufphasen befinden sie sich?“ einen Katalog für Personalisierungsmaßnahmen erzeugt.
In diesem dritten und letzten Teil schauen wir uns ein Fallbeispiel an, bei dem auf Basis dieses Frameworks gearbeitet wurde. Alles beginnt mit der Kernfrage:
„Wie lassen sich Kundentypen erkennen?“
Das Beispiel des Autoverkäufers zeigt, wie effektiv sich gute Personalisierungsideen auf Basis von Kundentypen erstellen lassen. Der erfahrene Autoverkäufer erkennt anhand äußerer Merkmale in wenigen Millisekunden, um welchen Kundentyp es sich handeln könnte, und stellt seine Inhalte darauf ein. Doch wie erkennen wir Kundentypen auf Websites? Uns fehlt schließlich der erste visuelle Eindruck. Die Antwort auf diese Frage liegt nahe: Wir erkennen Kundentypen anhand der Daten, die sie erzeugen.
Die Kundentypen von computeruniverse.net
Um das Prinzip besser verstehen zu können, schauen wir uns das Fallbeispiel an und gehen einen Schritt zurück: Alles beginnt mit der Entwicklung von Personas. Personas sind archetypische Kunden – so gibt es bei Computeruniverse (genau wie bei vielen anderen Online-Shops auch) den Typ des aggressiven Preisvergleichers. Diese Persona ist einer von insgesamt fünf verschiedenen Typen.
Viele Personas fristen in Unternehmen ein ungeliebtes Dasein – meist, weil sie nicht konkret genug ausgearbeitet wurden. Daher entwickelten wir die Personas von Computeruniverse in Bezug auf zwei Aspekte deutlich weiter, als dies sonst üblich ist:
- Verknüpfung mit Limbic®Types: Im ersten Teil wurden die Vorteile dieser Verknüpfung bereits detailliert beschrieben – Personas werden „brauchbarer“, wenn ihnen ein empirisch abgesichertes Wertemodell zugrunde liegt.
- Verknüpfung mit CRM-Daten: Wer seine Personas gut entwickelt hat, der sieht sofort Eigenschaften, die sich auch in Kundendaten wiederfinden müssen.
Im Fall Computeruniverse wurde eine Clusteranalyse der CRM-Daten durchgeführt und es zeigte sich eine hohe Passgenauigkeit zwischen den Personas und den Datenclustern.
Bestimmte Daten geben Hinweise auf den Kundentyp
Im Fall des aggressiven Preisvergleichers Jörg wurde schnell klar, dass es recht viele Daten gibt, die Indikatoren für den Typ sein könnten, z. B.:
- Herkunft/Kampagne: Handelt es sich um ein (Preis)Vergleichsportal, ist die Wahrscheinlichkeit für diesen Typ höher.
- Herkunft/URL: Handelt es sich sogar um Websites, wie z. B. „Geizhals“, ist die Wahrscheinlichkeit noch höher.
- Sortiment: Aus der Clusteranalyse wissen wir, dass bestimmte Sortimente für Preisvergleicher relevanter sind als andere – also erhöht das Betrachten dieser Sortimente ebenfalls die Wahrscheinlichkeit.
- Etc.
Diese Überlegungen verdeutlichen, dass es nicht das Ziel ist, jeden Kundentyp mit 100%iger Validität zu erkennen. Es geht vielmehr darum, eine gewisse Treffergenauigkeit zu erreichen, die signifikant besser ist, als keinen der Kundentypen zu erkennen. Wenn bereits 20 % der Typen richtig erkannt werden, ist dies besser, als überhaupt keine Erkennung zu erreichen.
Ähnlich wie beim A/B-Testing muss daher klar sein, dass diese Überlegungen bisher noch unvalidierte Hypothesen sind. Es gibt unterschiedliche Methoden, um eine Validierung durchzuführen:
- Nutzer befragen: Dies macht z. B. der SaaS-Software-Anbieter Hubspot. Sobald Nutzer auf der Website ein Formular ausfüllen, werden sie gefragt, welchem „Kundentyp“ sie sich zuordnen würden. Auch weitere Fragen können eingearbeitet werden, die Aufschluss über den Typus geben können.
- Persönlichkeitstest: Je nachdem, welches Typenmodell zum Einsatz kommt, lassen sich Tests zur Identifikation des individuellen Typus einflechten, z. B. in Form von Gewinnspielen oder auch als redaktioneller Content etc.
- Honeypot-Strategie: Auf der Website können klickbare Elemente und Inhalte eingerichtet werden, die das Ziel haben, für bestimmte Typen relevanter zu sein als für andere. Die Klicks auf diese Elemente erzeugen Daten, die Aufschluss über den Typ geben.
- Machine-Learning: Jede der ersten drei genannten Methoden erzeugt zusätzliche Daten, die per Software generierte Modelle zur Vorhersage von Typen ermöglichen.
Letztlich ist egal, welche Form der Validierung mithilfe von Daten genutzt wird. Es sollte eine praktikable und zum Produkt und Unternehmen passende Form sein. Mittelfristig werden sich bei jeder Personalisierungsstrategie die Möglichkeiten im Laufe der Zeit verbessern und damit wird sich das System im Idealfall selbst optimieren.
Nur 20 % besser schätzen bringt viel mehr als nichts tun
„Das Bessere ist des Guten Feind“ lautet ein Zitat des französischen Philosophen Voltaire. Damit ist gemeint, dass der Status quo ständig durch Verbesserungen bedroht ist – und auch bedroht sein sollte. Das ist gut so, es bedeutet aber auch, dass eine erste gute Idee nicht umgesetzt wird, weil es ja schließlich noch besser ginge.
Das hier dargestellte Fallbeispiel von computerunivese.net soll zeigen, dass man auch mit einer ersten pragmatischen Version gute Uplifts erzeugen kann. Die erste Version dieses Projekt erforderte weniger als 70 PT Projektarbeit und verursachte keine Kosten für Hadoop-Cluster oder Ähnliches. Das Ziel dieses Projekts war es, ca. 20 % der auf der Website befindlichen Kundentypen zu erkennen – am Ende waren es deutlich mehr.
Erste Personalisierungsideen
Auf Basis des in Teil 2 gezeigten Frameworks wurden mithilfe der Personas Personalisierungsideen entwickelt. Diese Vorschläge waren primär typbasiert, es gab jedoch auch einige wenige typenübergreifende Ergebnisse. Alle Ideen wurden in einem zweitägigen Workshop entwickelt und anschließend mit den Resultaten aus der Datenanalyse verknüpft. Es entstanden Ideen wie z. B.:
- Unterschiedliche Typen sehen unterschiedliche Vorteile in einem Login.
- Für alle Typen wird das Abholen in einem Store nur relevant, wenn sie in der Nähe sind.
- Unterschiedliche Typen haben unterschiedliche Gründe, auf CrossSelling-Elemente zu klicken.
- Unterschiedliche Typen legen Wert auf unterschiedliche Value Propositions des Anbieters.
Insgesamt wurden für einen ersten Test 18 verschiedene Personalisierungsideen in Form von Kampagnen umgesetzt, die allesamt über ein A/B-Testing-Tool ausgespielt wurden. Dies hat den Vorteil, dass signifikant schlechte Ideen sofort angepasst oder deaktiviert werden können (ohne IT-Aufwand) und dass die Performance der Kampagnen in Echtzeit gemessen werden kann.
Vier Personalisierungskampagnen und deren Resultate
Beispiel 1: Vorteile des Log-ins
Die Nutzung des Log-ins ist ein zentraler Faktor für Personalisierung – schließlich stehen nach einem Log-in deutlich mehr Daten als vorher zur Verführung, um die Nutzer einem bestimmten Typ zuzuordnen. Im ersten Beispiel wurden daher Vorteile für das Log-in auf Basis der bisherigen Daten typspezifisch ausgespielt – eine deutlich günstigere Maßnahme, als jedem Nutzer einen 5-€-Gutschein für das Newsletter-Abo anzubieten.
Die Varianten zielten spezifisch auf Personas ab, die Dank des Limbic®Type-Modells auch mit einem bestimmten Wertesystem verknüpft sind. Daher lassen sich die Value Propositions auf den entsprechenden Typ abstimmen.
Beispiel 2: Promotion der Abholmöglichkeit bei entsprechender Nähe (Geo-Targeting)
Es ist sinnvoll, die Selbstabholungsoption nur bei Nutzern anzubieten, die auch in der Nähe einer Abholstation sind. Entsprechend wurde ein auffälliges Promo eingeblendet, sobald sich ein Nutzer in der Nähe befand. Leider erzielte ausgerechnet diese klassische regelbasierte Kampagne keinen signifikanten Uplift.
Beispiel 3: Typabhängige Promotion des Cross-Selling
Unzählige A/B-Tests zeigten bereits, wie wichtig die Position und die richtige Headline für das Cross-Selling-Modul sind. In dieser Personalisierungskampagne wurde daher eine Ansprache getestet, die auf dem Nutzertyp beruhte. Bei allen Varianten unterschied sich nur die Headline – der Algorithmus für die Auswahl der dargestellten Produkte war unverändert. Dennoch war das Ergebnis – gemessen an der Add-to-Cart-Rate der angezeigten Produkte – erstaunlich:
Beispiel 4: Typabhängige Vorteilskommunikation des Shops
Jeder Online-Shop versucht, sich mithilfe einer entsprechenden Vorteilskommunikation („Value Propositions“) möglichst gut darzustellen. Dabei werden in der Regel immer die gleichen Vorteile genannt. In diesem Versuch wurden je nach Nutzertyp unterschiedliche Value Propositions angezeigt. Anders als bei den bisher gezeigten Kampagnen gab es bei diesem Test nur eine Unterscheidung in Dominanz- und Balance-Typen.
Das Resultat zeigt deutlich, dass diese Art der Personalisierung einer der größten Hebel ist und der einfachen regelbasierten Personalisierung überlegen ist.
Fazit und Ausblick
Die gewonnenen Erkenntnisse über Nutzertypen und die Validität der Resultate übertrafen die Erwartungen deutlich – dabei befinden sich noch über 30 Kampagnenideen in der Pipeline und die gezeigten Resultate sind „nur“ jeweils der allererste Wurf. Personalisierung ist mehr als ein Hype oder ein Buzzword – wenn mithilfe der richtigen Methoden auch die richtigen Hebel gefunden werden. Die Modelle rund um die Limbic®Map und Limbic®Types erweisen sich dabei als hilfreiche Instrumente, um auch in der Datenanalyse nach den richtigen Dingen zu suchen.
Die Resultate aus Personalisierungskampagnen werden in Zukunft genutzt werden, um Kunden auch offline (z. B. bei Verpackung, Rechnungsbeilegern oder in Support-Fällen) richtig anzusprechen. Weitere Datenquellen werden angeschlossen werden und die Qualität der Prognosen zum Nutzertyp wird steigen. Wer sich heute bereits die richtigen Gedanken macht, wird es in Zukunft einfacher haben.