Hey Du! Wie schaut‘s aus? Personalisierung im Web

Teil 1/3

André Morys
André Morys

André Morys gründete 1996 die auf Conversion-Optimierung spezialisierte Agentur Web Arts AG, später konversionsKRAFT. Er ist Dozent für Usability und Betreiber des Blogs konversionsKRAFT.de. Web Arts beschäftigt 35 Mitarbeiter und ist mit einem betreuten Retail- /Leadvolumen von über 3 Milliarden Euro Deutschlands führende Adresse für Conversion-Optimierung.

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Personalisierung ist seit Jahren eine Art Buzzword-Dauerbrenner. Aber was steckt wirklich dahinter, wie funktioniert es und was bringt es am Ende tatsächlich? In dieser dreiteiligen Serie geht Usabilityexperte André Morys auf die Hintergründe und Zusammenhänge zum Thema Personalisierung im Internet ein. Im ersten Teil werden die Hintergründe und die unterschiedlichen Arten der Personalisierung herausgestellt und verdeutlicht.

Personalisierung ist kein Buzzword.Aus dem „realen Leben“ sind die Wirkmechanismen sehr gut bekannt. In einem guten Geschäft wissen zum Beispiel gute Verkäufer, wonach ihre Kunden suchen. Manchmal wissen sie es sogar besser. Dieses Wissen basiert auf jahrelanger Erfahrung im Beobachten von Menschen und in einem messerscharfen Verständnis dafür, welche Kundentypen welche Wünsche haben. Gut geschultes Personal an einer Hotelrezeption spricht den Kunden bei der ersten Möglichkeit mit dem Namen an. „Schön, dass Sie wieder hier sind, Herr Morys.“ Dazu weiß der erfahrene Rezeptionist auch zusätzlich blitzschnell, ob ich bereits in dem Hotel war – oder auch nicht. Selbst an der Supermarktkasse sorgen clevere Unternehmen bereits dafür, dass mit Karte zahlende Kunden persönlich mit Namen angesprochen werden.

Warum das alles? Weil es dem Kunden ein gutes Gefühl gibt, eine positive „Customer Experience“. Passende Inhalte und Produkte steigern die Relevanz und damit die Akzeptanz. Kunden hören gern ihren eigenen Namen – dieses „Schmeicheln“ erhöht nachweislich die Kundenzufriedenheit. Wir können also den Begriff „Personalisierung“ auch übersetzen in ein uraltes Prinzip, den „Tante-Emma-Effekt“, schließlich waren es vor einigen Jahrzenten die kleinen regionalen Läden, die ihre Kunden und deren Einkaufsgewohnheiten (zwangsläufig) sehr gut kannten.

Personalisierung im Web: Anwendungsbeispiele

Im E-Commerce findet sich in fast jedem Shop ein personalisiertes Element: die Recommendation Engine. Die dort gezeigten Empfehlungen („Andere Kunden kauften auch …“) basieren im Idealfall auf den bereits angeschauten Produkten und stellen damit ein individuelles und damit personalisiertes Stück Inhalt dar. Etwas weniger verbreitet – aber ebenso sinnvoll – sind dynamische Inhalte auf Landingpages, die auf Basis des angeklickten Werbemittels entsprechende Inhalte austauschen. Manche Shops zeigen mithilfe eines Auto-Logins bereits bestehenden Kunden auf der Startseite weitere spezifische Inhalte an.

Am meisten bietet sich Personalisierung natürlich dort an, wo bereits zahlreiche Daten und Informationen über den Kunden bekannt sind. Das Business-Netzwerk LinkedIn sendet zum Beispiel jährlich eine stark personalisierte E-Mail mit spezifischen Informationen an seine Mitglieder.

In diesem Fall soll den zahlenden Premium-Nutzern kurz vor Erneuerung des nächsten Abrechnungszeitraums klar gemacht werden, wie stark sie von dem Service profitiert haben. Das Ziel ist eine Optimierung des Churn-Verhaltens, das heißt, dass Kündigungen – die meist kurz vor dem Ende der Kündigungsfrist kommen – vorgebeugt werden soll. Da LinkedIn ein sehr datenorientiertes Unternehmen ist, kann von der Wirksamkeit dieser Maßnahme ausgegangen werden. 

Die hohe Kunst besteht darin, personalisierte Inhalte und Leistungen zum Kern des Angebots zu machen. Diese dynamischen und vollautomatisierten Inhalte finden sich zum Beispiel bei spotify in Form der „Discover Weekly“-Playlist. Hinter diesem einfach aussehenden Feature stecken Terrabyte an Daten, die pro Sekunde bei spotify eingehen und aus denen sich lesen lässt, welche neue Musik für einen Nutzer wirklich relevant ist.

Zu viel Personalisierung kann auch schaden

Eine Sache bremst jedoch die Euphorie der Personalisierungs-Fans: Der Grad der Personalisierung ist nicht beliebig veränderbar. Theoretisch ließen sich zum Beispiel die Inhalte von Suchergebnissen in Online-Shops auf das vergangene Surf-Verhalten anpassen, um die Relevanz der Resultate zu erhöhen. Ganze Shop-Layouts ließen sich sogar verändern. Dem steht jedoch ein negativer Effekt gegenüber: Zu viel Veränderung sorgt bei Nutzern für Verunsicherung. Stellen wir uns vor, ein bestimmter Begriff führt zu einem gewünschten Suchergebnis. Der Nutzer weiß, dass er nach Eingabe des Begriffs auf seinem Rechner an dritter Stelle der Ergebnisse den gewünschten Artikel findet. Wenn er jedoch am Abend auf dem Sofa mit einem Tablet zum gleichen Ergebnis kommen will, klappt es nicht mehr. Auf dem anderen Gerät sorgen andere Daten für ein deutlich anderes Suchergebnis – der morgens gefundene Artikel ist am Abend auf dem anderen Gerät nicht mehr auffindbar.

Zusätzlich gibt es aufseiten der Verbraucher Vorurteile bezüglich des Datenschutzes: Laut einer Befragung von 4.300 Internetnutzern durch Fittkau & Maaß im Jahr 2014 lehnen 40,7 % der Studienteilnehmer Personalisierung ab. Über die Hälfte der Befragten gaben sogar an, dass sie den Besuch eines Online-Shops mit personalisiertem Angebot mit Überwachung assoziieren. Auch dies legt nahe, dass Personalisierungsmaßnehmen im Kern möglichst relevant und nützlich für den Nutzer sein müssen.

Die vier Wirkungsprinzipien der Personalisierung

Jeder, der eine höhere Wirksamkeit erreichen möchte, ohne dabei die Nutzer mit einer inkonsistenten User Experience zu verunsichern, muss also darauf achten, dass die Veränderungen relevant sind und an der richtigen Stelle erfolgen. Dies möchte ich in dem folgenden Modell verdeutlichen, das vier unterschiedliche Wirkungsprinzipien aufweist. Prinzipiell kann Personalisierung in unterschiedlichen Komplexitätsgraden betrieben werden. Das Ziel ist es, eine höhere Wirksamkeit durch maximalen Kontrast und erhöhte Relevanz bei gleichzeitig konsistenter User Experience zu erreichen. Dabei kann mit relativ einfachen Mitteln begonnen werden. Die Wirksamkeit dieser im folgenden Modell als „Must-haves“ bezeichneten Änderungen ist jedoch nicht unbedingt besonders groß.

Die Must-haves

Ähnlich wie in der Disziplin der Usabilityforschung auch gibt es auch für das Themengebiet der Personalisierung einige Hygienefaktoren. Dazu zählen Faktoren, deren Nicht-Erfüllung negativ wahrgenommen wird, während die Erfüllung eher als Standard gilt. Die meisten dieser Möglichkeiten sind streng genommen noch keine echten Personalisierungs-Funktionen, da sie nicht auf dem individuellen Verhalten oder auf den Daten des jeweiligen Nutzers beruhen, sondern eher dynamische Inhalte auf Basis der Daten aller Nutzer sind. Dazu zählen unter anderem:

  • Recommendation Engines: Kaufempfehlungen auf Basis des Kaufverhaltens aller Nutzer, z. B. „Andere Kunden kauften auch …“, „Andere Kunden schauten sich an …“ etc. als Navigations- /Beratungs-Element
  • Landingpages mit Keyword-Insertion: Die Wiederholung von Keyword/Anzeigen-Headline und das Aufgreifen anderer Inhalte erhöht die Relevanz
  • Fehlertolerante Suche/Suchempfehlungen: Vorschläge bei falsch eingegebenen Suchbegriffen bzw. alternative Suchbegriffe zur Verbesserung der Resultate

Wirkprinzip 1: Daten- und regelbasierte Personalisierung

Wer das Thema Personalisierung aus der Tool- bzw. Anbietersicht untersucht, der findet neben den Recommendation Engines hauptsächlich Anbieter, die auf Basis von Daten und Regeln die User Experience beeinflussen. Dazu können in den Tools im Idealfall beliebige Datenquellen angezapft werden – manche Anbieter haben bereits zusätzliche Datenquellen (wie z. B. regionale Wetterdaten) integriert.

Die Anwendungsfälle sind aufgrund der Flexibilität extrem weit gestreut, typische Einsatzgebiete sind z. B.:

  • Einblenden bestimmter Störer/Elemente/Badges auf Basis von Daten (z. B. Herkunft, Häufigkeit des Besuchs)
  • Anpassen von Texten auf Basis bestimmter Daten (Apple-Nutzer bekommen einen anderen Text auf der Log-in-Seite als Windows-Nutzer)
  • Hervorheben bestimmter Elemente, z. B. Teaser, je nach Herkunft des Nutzers (Kampagnendaten – Klicks aus einer SALE-E-Mail bekommen spezielle SALE-Banner angezeigt)
  • Veränderung von Elementen je nach Surfverhalten – das Besuchen bestimmter Seiten oder Kategorien führt zur Anzeige bestimmter Werbemittel im Shop
  • Retargeting: Stehen gelassene Warenkörbe werden beim nächsten Besuch aufmerksamkeitsstark angezeigt

Wirkprinzip 2: Typbasierte Personalisierung

Jeder Mensch hat bestimmte Präferenzen auf Basis seiner Werte und Einstellungen. Konsumpsychologische Modelle wie z. B. die Sinus Milleus oder die Limbic®Types clustern solche Wertewelten auf Basis gemeinsamer Vorstellungen. Dies prägt auch das Einkaufsverhalten von Konsumenten. Unabhängig von Marken und Unternehmen sorgen auch bestimmte Worte oder implizite, d. h. unterbewusst wahrgenommene, Signale für eine subjektiv höhere Übereinstimmung von Werten und damit für mehr Relevanz. Mithilfe von Daten und Modellen können Nutzertypen identifiziert werden. Bei Eintreten bestimmter Voraussetzungen kann der Shop oder die Website entsprechend dem Nutzertyp angepasst werden.

Mögliche Anwendungsgebiete:

  • Anpassen von Wordings, z. B. von Nutzenversprechen je nach Nutzertyp
  • Darstellen von Teasern, die auf Basis des Nutzertyps mit passenden impliziten Codes ausgestattet sind
  • Verändern von Seitenhintergründen und anderen Off-Canvas-Bereichen
  • Versenden unterschiedlicher Newsletter-Segmente je nach Nutzer-/Kundentyp

Auch wenn die beispielhaft genannten Anwendungen denen aus Bereich 1) ähnlich sind, so macht es doch im Sinne der Relevanz einen großen Unterschied, ob die Personalisierung auf der Daten-Ebene (z. B. „Erstbesucher“ versus „Folgebesucher“) bleibt, oder ob die persönlichen Wertepräferenzen des Nutzertyps (z. B. „Performer“ versus „Harmoniser“) bekannt sind.

Wirkprinzip 3: Dynamische Personalisierung

Während das Wirkprinzip auf Ebene 2) ein statisches Modell voraus setzt, das aus Nutzer-/CRM-Daten eine Vorhersage über den Typ ausspuckt, so liegt der Mehrwert dynamischer Modelle darin, dass in Echtzeit auf Basis bestehender Daten eine Vorhersage über den Nutzertyp gemacht wird. Derartige Modelle werden von Experten aus dem Bereich Maschine Learning entwickelt. Dazu braucht es eine ausreichende Menge an Daten, die dann in ihrer Kombination interpretiert werden. Aus den Erfolgen lernt das System, wie gut die Vorhersagequalität war. Die Anwendungsgebiete schließen alle oben genannten Anwendungen ein – beruhen jedoch auf in Echtzeit errechneten Prognosen über den Nutzertyp und seine persönlichen Präferenzen. Eine Recommendation Engine, die auf Basis des persönlichen Surf- und Kaufverhaltens eine einmalige, typbasierte Empfehlung ausspricht, wäre diesem Wirkprinzip zuzuordnen.

Ausblick

Im zweiten Teil dieser Artikelserie wird der Autor einen konkreten Ablauf schildern, mit dessen Hilfe jeder Website- und Online-Shop-Betreiber erste Erfahrungen mit regel- und typbasierter Personalisierung machen kann.