CRM im E-Commerce und warum es scheinbar so oft scheitert

Olga Walter
Olga Walter

Olga Walter hat bis Mai 2015 das CRM bei windeln.de erfolgreich mit aufgebaut und ist nun als CRM Specialist freiberuflich bzw. beratend für verschiedene Unternehmen tätig. Daneben lehrt sie an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg die Schwerpunkte CRM, E-Mail-Marketing und E-Commerce. Im Dezember erscheint ihr Buch „CRM für Online-Shops“ im mitp Verlag.

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CRM – in aller Munde und doch irgendwie totgeschwiegen. Große Erfolgsgeschichten aus Deutschland sind kaum bekannt, stattdessen misst man sich an amerikanischen Vorbildern und Erfolgskennzahlen, die von CRM-Tool-Anbietern veröffentlicht werden. Ist es um das CRM hierzulande aber tatsächlich so schlecht bestellt oder werden Erfolge einfach nur falsch bewertet. Ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung ist die Änderung der Betrachtungsweise. Inwiefern und was die häufigsten Fehler dabei sind, lesen Sie hier.

CRM, Customer Relationship Management, ist als Thema irgendwie in aller Munde und doch spricht niemand wirklich darüber. Nahezu jedes E-Commerce-Unternehmen beschäftigt zwar einen dafür zuständigen Manager oder hat ganz oben auf der Agenda, das Thema „CRM jetzt endlich mal angehen zu wollen“, und dennoch findet CRM in der Öffentlichkeit, auf Konferenzen, Messen und online kaum statt. Das Einzige, was Google auf die Suchanfrage „CRM“ ausspuckt, sind Anbieter großer CRM-Tools. Guter Content jedoch, hinter dem kein Anbieter steckt? Erfahrungsaustausch? Fehlanzeige. Was bedeutet das aber für ein Thema, wenn es nicht stattfindet?

Wenn etwas nicht thematisiert wird, gibt es meist nur zwei Gründe dafür: Der eine ist, dass es niemanden interessiert (was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist), der andere besteht in der Meinung, ein Thema sei so trivial, dass es gar keinen Redebedarf gebe, weil ja eh schon jeder wisse, wie es geht. Im Falle des CRM ist das zwar keineswegs so, eher im Gegenteil, jedoch hat sich durch das Nicht-Thematisieren tendenziell eine solche Wahrnehmung etabliert.

Was öffentlich jedoch stets zu vernehmen ist, sind Erfolgsstorys aus den USA, bei denen es riesigen Einzelhandelsketten schon fast gelingt, die Schwangerschaft einer Kundin vorherzusagen, bevor sie selbst etwas davon weiß. Oder aber es sind die Anbieter scheinbar übermächtiger CRM-Tools, die mit Conversion-Steigerungen von 50 %, 60 % oder 70 % prahlen. Und der CR-Manager im eigenen Unternehmen sitzt da und schämt sich ein wenig, Vergleichbares noch nicht geschafft zu haben.

Auch das ist dem Fakt, öffentlich mehr darüber zu sprechen, natürlich nicht gerade zuträglich. Es bleibt also eine absolut verquere Sichtweise auf das Thema CRM, die geprägt ist von illusorischen Erwartungshaltungen zusammen mit der latenten Wahrnehmung: „Alle anderen können es doch auch.“ Um die Verwirrung komplett zu machen, weicht das CRM-Verständnis von Unternehmen zum Teil extrem voneinander ab, ein bisschen frei nach dem Motto: „Ich mal’ mir die Welt ...“ Für den einen ist der Anspruch an CRM erfüllt, wenn der Newsletter nach Männlein und Weiblein getrennt ist und vielleicht noch eine E-Mail zum Geburtstag verschickt wird, für den anderen ist das maximal der erste kleine Schritt in die richtige Richtung. Es scheitert also bereits bei der gemeinsamen Vorstellung vom Thema.

CRM wird in seiner Komplexität deutlich unterschätzt und ist hinsichtlich seiner Wirkung mit illusorischen Erwartungshaltungen beinahe vorbelastet. Das ist selten eine gute Kombination und führt dazu, dass Erfolge als solche nicht erkannt werden.

Fehler No. 1: Die falsche Erwartungshaltung

Manager, Geschäftsführer, CEOs, Marketers und alle übrigen, die sich berufen fühlen, das Unternehmen voranzubringen, hören die eingangs genannten Erfolgsgeschichten und Kennzahlen und denken sofort: „Das will ich auch!“ Kurzerhand wird entweder einem Mitarbeiter oder Kollegen das Thema übertragen oder es wird ein CR-Manager akquiriert. Ab dann läuft die Zeit, es wird auf die Uhr gesehen und gewartet, bis Conversion-Rate und Umsätze explodieren und das Kaufverhalten der Kunden nun endlich mal valide vorhergesagt werden kann. Als Nächstes folgt in den meisten Fällen aber nicht die Party, die diese Erfolge feiert, sondern die große Ernüchterung darüber, dass weder Conversions noch Umsätze in den überirdischen Bereich gestiegen sind, und darüber, dass es immer noch nicht möglich ist vorherzusagen, was der Kunde tatsächlich als Nächstes kaufen wird. Noch größer ist die Enttäuschung, wenn direkt zu Beginn in ein budget- und ressourcenintensives System-Set-up investiert wurde. Dieser Tag der Ernüchterung ist dann auch zugleich der Tag, an dem das Customer Relationship Management vom hochgejubelten Heilsbringer zum „Nice To Have“ degradiert wird. „Schön, dass wir CRM jetzt haben (alle anderen haben es ja schließlich auch), aber lasst uns wieder auf die Kanäle fokussieren, die wirklich Geld bringen.“ Und damit verflüchtigt sich dann auch jegliches Selbstvertrauen samt Motivation des hauseigenen CRM-Experten und das Thema hat so gut wie keine Chance mehr.

Metaphorisch ähnelt dieser Werdegang ein bisschen einem kleinen Kind, das sich nichts mehr zu Weihnachten wünscht als ein „Star Wars“-Laserschwert, um dann festzustellen, dass Selbiges doch nur aus Plastik ist. Enttäuscht landet das vermeintliche Laserschwert in der Ecke und der kleine Junge geht zurück zu seiner PlayStation.

Aber ist das wirklich richtig? Liegt es wirklich am Laserschwert (oder in der Natur des CRM), dass es gelangweilt in eine Ecke verbannt wird? Oder liegt es nicht vielleicht vielmehr an der falschen Erwartungshaltung, die man an das Laserschwert (oder an das CRM) hatte?

Worum geht es im CRM eigentlich?

CRM bedeutet die kompromisslose Orientierung aller Geschäftsprozesse und Werbemaßnahmen am Kunden, wobei sich das CRM durch die Marketingbrille zunächst stark bzw. fast ausschließlich auf die Werbemaßnahmen fokussiert. Ziel ist es, durch eine dauerhafte Kundenbegeisterung eine Kundenloyalität zu generieren und so den Wert der Kunden über den gesamten Lebenszyklus der Geschäftsbeziehung hinweg besser auszuschöpfen. Neben der Optimierung des Customer Lifetime Values geht es außerdem um die Optimierung der Customer Lifetime an sich, sodass der Wert möglichst lange von jedem einzelnen Kunden abgeschöpft werden kann. Genaugenommen muss also jeder einzelne Kunde bzw. – effizienter gedacht – jede einzelne Kundengruppe, die ähnliche Kunden umfasst, hinsichtlich Kundenlebenszeit und Kundenwert optimiert werden, und zwar konsequent datengestützt und ohne Einflussnahme des allseits beliebten Bauchgefühls. Dabei geht es aber nicht darum, den Wert jeder Kundengruppe um 40 %, 50 % und 60 % zu steigern. Lässt sich die Conversion einer jeden Kundengruppe nur um ein bis zwei Prozentpunkte steigern und über lange Zeit halten, so mag das im Moment der Betrachtung pro Kampagne und Gruppe gering erscheinen, ist aber über alle Kunden hinweg und bei einem größeren Betrachtungszeitraum ein großartiger Erfolg. Um den Erfolg des CRM also zu bewerten, darf nie nur eine einzelne Kampagne isoliert betrachtet werden, sondern es müssen immer das Gesamtbild, die Summe aller Kampagnen, die stets potenziellen Skalierungseffekte und die nachhaltige Entwicklung der Kunden im Blick behalten werden. Wie hoch der ROI am Ende sein wird, kann im Vorfeld aber niemand sagen, das hängt davon ab, was man von den Kunden lernt und ob daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden. Der ROI im CRM ist so individuell wie die Kunden selbst.

Wie lässt sich der Wert einzelner Kundengruppen steigern?

Indem man zunächst einmal versteht, was die Kunden denn überhaupt vom jeweiligen Online-Shop oder -Portal benötigen. Welchen Bedarf haben sie? Wann tritt der Bedarf auf? Welchen Service benötigen sie? Sind sie zufrieden mit dem, was ihnen Stand heute geboten wird? … Die Frageliste ist endlos. Im ersten Schritt herausgefunden, wie der Kunde tickt, geht es im zweiten Schritt darum zu lernen, was der Kunde wann von einem Webshop benötigt, damit er möglichst oft (die richtigen Dinge) kauft und möglichst lange Kunde bleibt.

Es ist entscheidend, sich die Zeit zu nehmen, um von den Kunden zu lernen, worauf sie reagieren. Welche Maßnahmen funktionieren? Welche Promotions konvertieren bei welchen Kundengruppen. Welche Gutscheine holen die guten Kunden ins Haus, welche ziehen die Schnäppchenjäger an. Zu welcher Zeit benötigt der Kunde den Anstoß zum nächsten Kauf und ab wann kauft er freiwillig wieder. Funktionieren segmentierte Kampagnen tatsächlich besser als der Einheitsbrei aus der Gießkanne? Und wenn ja, um wie viel eigentlich? Hilft Content der Conversion? Was bringt eine gezielte Ansprache? Alles das sind Dinge, die ein guter CRM-Marketer nicht wissen kann, sondern erst durch strukturiertes und konsequentes Testing herausfindet.

Dass dies jedoch nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist, sollte klar sein. Womit wir beim zweiten Fehler sind.

Fehler No. 2: Die Zeit

Zeit ist Geld und online noch viel wichtiger als in jeder anderen Branche. Zeit heißt Geschwindigkeit und wer schnell (und gut) ist, gewinnt. Verwöhnt von der Geschwindigkeit im PPC oder nahezu jedem anderen E-Commerce-Bereich, in dem man heute einen Test erstellt und ein paar Tage später mit relativer Gewissheit dessen Ergebnis kennt, hat sich bei den Onlinern eine allgemeine Ungeduld eingeschlichen. Das hat zur Folge, dass der Erfolg oder eben Nicht-Erfolg von CRM-Kampagnen häufig viel zu früh final – und damit falsch – bewertet wird. Dass eine Content-Kampagne, die den Nutzer zu einem Produkt beraten und damit beim Kauf unterstützen soll, kaum direkte Conversions, und damit weder relevanten Umsatz noch relevante Marge erzeugt, sollte niemanden verwundern. Und dass eine Content-Kampagne noch nicht die Welt verändert und einen herkömmlichen Kunden zum treuen Fan macht, auch nicht. Im Falle von Content-Kampagnen also muss zunächst – abgesehen vom aufwendigeren Erstellungsprozess – die Zeit abgewartet werden, bis Kunden eine nennenswerte Anzahl an entsprechenden Kampagnen erhalten haben, und es muss die Zeitspanne abgewartet werden, in der der Kunde realistischerweise die Möglichkeit hatte, einen oder mehrere Käufe zu tätigen. Gleiches trifft bei Reaktivierungskampagnen zu. Um zu ermitteln, ob ein Reaktivierungsgutschein tatsächlich auch gute Kunden reaktiviert oder nur den ungeliebten Schnäppchenkäufer anzieht, muss mindestens der Zeitraum abgewartet werden, in dem der Kunde die Chance hatte, ein weiteres Mal einzukaufen. Wann dieser Zeitpunkt ist, hängt maßgeblich vom Kaufzyklus ab, den der Webshop bzw. das angebotene Produkt ermöglicht. Dieser ist bei einem Online-Lebensmittel-Shop wesentlich kürzer (ein Top-Kunde könnte dort durchaus ein- bis dreimal pro Woche einkaufen) als beispielsweise bei einem Online-Möbel-Shop, in dem die Kunden wohl eher ein- bis dreimal pro Jahr einkaufen. Um also zu testen, ob Content-, Reaktivierungs- oder sonstige CRM­Kampagnen den gewünschten Erfolg bringen, benötigt der Lebensmittel-Shop ein paar Wochen, der Möbel-Shop durchaus mal ein ganzes Jahr. CRM ist eben kein Ad-hoc-Thema, um das Umsatzziel für den endenden Monat doch noch zu erreichen, sondern zielt auf eine nachhaltige, kontinuierliche monetäre Ausschöpfung des Kundenwerts ab. Kleiner Trost: Tesco, eine britische Supermarktkette und der gefeierte CRM-Champion, hat bereits Ende der 1990er mit intensivem CRM begonnen und bis heute nicht damit aufgehört.

Fehler No. 3 – Selbstüberschätzung

CRM ist großartig? Ja. CRM kann unglaublich viel? Ja. Mit dem richtigen CRM kann man jedem Kunden alles verkaufen? Nein. Und trotzdem herrscht landläufig oft genau diese Meinung vor. An dieser Stelle ein klares Veto. Denn auch wenn ein CRM-Verantwortlicher tagtäglich mit Zahlen, Daten, Analysen und Auswertungen jongliert, sind es am Ende nicht die Zahlen, mit denen er arbeitet, sondern die Menschen dahinter. Und diese Menschen sind in der Regel keine Kleinkinder mehr, die erzogen werden wollen, sondern mündige Mitbürger, die im Grunde sehr genau wissen, was sie wann wollen. Nach einem ersten, zweiten und dritten (erfolglosen) Versuch noch immer weiter daran zu arbeiten, den Kunden vom beliebten, aber margenschwachen Markenprodukt abzubringen und ihm stattdessen die margenstarke No-Name-Variante anzudrehen, ist vergebene Mühe. Und das ist weder ein Versagen noch ein Misserfolg im CRM. Das ist der Kunde und das ist o. k.

In diesem Zusammenhang wird ein weiterer Grundsatz des CRM deutlich. Der Versuch, allein mit CRM-Maßnahmen die Erfolgskennzahlen für das eigene Unternehmen aufzupolieren, ist zum Scheitern verurteilt. Nur wer bei der Konzeption von CRM-Maßnahmen und -Kampagnen den Kundennutzen in den Fokus stellt und damit einen echten Mehrwert für die Kunden erschafft, wird im CRM erfolgreich sein und so auch nachhaltig den Wert für das Unternehmen steigern. CRM kann nur bilateral funktionieren.

Fehler No. 4: Maschine statt Mensch

Der vierte, aber dafür nicht weniger folgenreiche Fehler im CRM ist, dass das Thema direkt zu Beginn damit angegangen wird, eine hochkarätige CRM-Software oder ein aufwendiges Tool zu integrieren, welches dem CRM-Marketer zur rechten Zeit ausspuckt, welche Kundengruppe eine Affinität zu welchem Produkt hat und wer als Nächster eine Kampagne erhalten sollte, damit er nicht abwandert. An sich eine bequeme Angelegenheit, und solange der Output der Kampagnen zufriedenstellend ist, lässt sich dagegen auch gar nichts sagen. Problematisch wird es erst dann – aber dann richtig – wenn die gewünschten KPI nicht (mehr) erreicht werden. Dann herrscht erneut die große Ratlosigkeit, weil mit Integration der Software jegliches Verständnis für die Kunden und jegliches Know-how über die Kunden und wie sie funktionieren an das Tool outgesourct wurde. Der Handlungsspielraum ist dann extrem klein und der Schaden im Hinblick auf die initiale Investition extrem groß. Anstelle der direkten Integration ist es ratsamer, zunächst selbst, auf manuellem Wege, Analysen und Tests durchzuführen, um herauszufinden, welche Maßnahme wann für welche Kunden wie gut funktioniert. Ist das gelungen und wurden die entsprechenden Stellschrauben identifiziert, kann und muss als nächster logischer Schritt an der Erweiterung des technischen Set-ups gearbeitet werden. Erst zu diesem Zeitpunkt weiß man aber auch tatsächlich, welche Anforderungen sich an das Tool ergeben und welcher Anbieter sich dafür eignet. Ebenfalls erst dann ist klar bzw. kann auf valider Grundlage der vergangenen Testergebnisse kalkuliert werden, wie hoch der ROI der CRM-Maßnahmen sein wird und welche Investition sich daher lohnt. 

Es gilt also, die grundlegende Herangehensweise an das Thema CRM zu überdenken und die Erwartungshaltungen gerade zu rücken. Wenn die Erfolge zur richtigen Zeit richtig bewertet werden und das Thema konsequent und nachhaltig vorangetrieben wird, werden Erfolgsgeschichten nicht mehr lange auf sich warten lassen.