Brauchen Agenturen ein Zertifikat als Bestätigung für die Seriosität ihrer Arbeit? Warum ist es wichtig, dass der Bundesverband Digitale Wirtschaft e. V. (BVDW) Jahr für Jahr zur Zertifizierungsrunde SEO/SEA aufruft? Wer entscheidet überhaupt über Qualität von SEO-Leistungen? Christian Vollmert, Vorsitzender der Fokusgruppe Search beim BVDW, erklärt, wie eine Zertifizierung dort abläuft und wofür dieses Siegel steht.
Brauchen SEOs ein Gütesiegel?
Gütesiegel gibt es jede Menge. Für alles und für jede noch so spannende Erfindung, für Branchen, Initiativen, für Verbraucherschutz. Und immer ist das mit den Qualitätsnachweisen und Prüfsiegeln so eine Sache. Können die wirklich alles bewerten und was bringt uns das überhaupt?
Gerade in einer Branche wie SEO, die ja in den Augen vieler doch eher noch leicht „fuzzy“ ist und nicht so eindeutig zu bewerten ist wie ein TÜV-reifer Golf, bleibt die große Frage, ob ein Gütesiegel hier was taugen kann und wie sich die SEO-Arbeit überhaupt bewerten lässt.
Vorweg – die Antwort ist klar und eindeutig: Ja, es taugt was. Denn gerade weil das Themenfeld so komplex, diffus und oftmals verschwommen erscheint, ist ein Zertifikat so wichtig und hilfreich.
Natürlich nicht irgendein Zertifikat. Es muss klare Regeln haben und ständig an die aktuell relevanten SEO-Entwicklungen angepasst sein, ansonsten genügt es nicht zur nötigen Ausdifferenzierung. Natürlich gibt es auch Gütesiegel, die zwar gut aussehen, aber primär dazu da sind, Geld in die Taschen ihrer Herausgeber zu spülen. Um diese soll es hier aber nicht gehen.
Auch wenn SEOs oft meinen, ihre Arbeit verstehe sich von selbst und es sei unnötig, diese neutral bewerten zu lassen – der Kunde und der Markt brauchen Verlässlichkeit und Bestätigung. Wer einmal an jemanden gerät, der SEO unseriös betreibt und erklärt, dass er das Unternehmen zur Nummer 1 bei Google macht, der legt das Thema SEO sicherlich erst mal ad acta, der ist frustriert und wird so schnell keine andere Agentur mehr anfragen.
Darum geht es doch – die noch recht junge SEO-Branche insgesamt weiter nach vorn zu bringen, um Wachstum, Weiterentwicklung. Agenturen und SEO-Experten wollen Kunden gewinnen und von ihren Leistungen überzeugen, wollen Vertrauen aufbauen – nur so ist Investment, sind gutes Business und eine weitere Professionalisierung möglich.
Wer sich also als Suchmaschinenoptimierer fragt, was ihm ein Gütesiegel bringt, der wird ziemlich schnell auf zwei Antworten kommen: Seine Kunden profitieren definitiv! Und nur so bekommt man auch den Blick, die „Challenge“, von außen. Zudem ist es die Bestätigung, dass man sich am Markt weiterentwickelt, nicht stehenbleibt, den Markt aktuell kennt, versteht und umsetzt. Google entwickelt sich laufend weiter – die Agenturen müssen das auch.
Was hat der potenzielle Kunde und Interessent an Auswahlkriterien oder Bewertungsmöglichkeiten, wenn er sich auf dem breiten SEO-Markt umschaut und umhört?
Er kann sich die Website ansehen, Referenzen ausmachen, prüfen, inwieweit die Experten selbst im Thema aktiv sind, ggf. mit Fachbeiträgen oder Fachartikeln. Aber so weit sind viele der Interessenten noch gar nicht. Viele der potenziellen Kunden wissen doch gar nicht, nach welchen Kriterien sie auswählen sollen und wer ihnen die Leistungen bietet, die sie auch wirklich brauchen und die sinnvoll für sie sind. Genau das will das Gütesiegel des BVDW leisten: Orientierung, Qualität und Transparenz auf dem SEO-Markt schaffen. Das Zertifikat ist eine Qualitätsprüfung für Agenturen, um die professionelle und seriöse Arbeitsweise neutral bewertet zu wissen.
Natürlich stellen auch die an der steten Weiterentwicklung des Zertifikats beteiligten Experten viele kritische Fragen und wissen um das Für und Wider. Auch der Verband wird seinerseits oftmals in die Kritik genommen; tage- und nächtelange Diskussionen sind keine Seltenheit. Doch alle sind sich einig, dass genau hier der richtige Ansatz liegt:
Nur ein neutraler Verband der digitalen Wirtschaft, der neben fachlichen auch juristische Aspekte berücksichtigen kann, ist der geeignete Herausgeber für ein Gütesiegel, das dem Markt nützt und ihn weiter voranbringen kann.
Wie funktioniert nun der Zertifizierungsprozess?
Bevor die kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Punkten folgt, hier kurz skizziert der Vergabeprozess:
Die SEO-Agentur bewirbt sich in der Zertifizierungsphase beim BVDW. Mit Einreichen der umfangreichen Unterlagen erfolgt die Prüfung anhand verschiedener Kriterien, die unterschiedlich gewichtet werden. In jedem Bereich müssen mehr als 80 % der Punkte erreicht werden.
Im Bereich „Erfahrung“ (Gewichtung 20 %) wird geprüft, ob die Agentur SEO als eigenständigen Unternehmensgegenstand führt und wie hoch der Anteil von SEO am Gesamtumsatz ist. Hier fließen u. a. die Anzahl der Projekte und Kunden ein. Die aktuelle Untergrenze des BVDW für den SEO-Umsatz der sich bewerbenden Agentur liegt bei 250.000 Euro im Jahr.
Mit „Engagement am Markt“ (Gewichtung 10 %) wird geprüft, inwieweit die Agentur in der Branche aktiv ist – seien es Fachvorträge, Fachartikel, Publikationen wie Whitepaper oder die Teilnahme bei Veranstaltungen (Kongresse, Messen, Tagungen etc.).
Für die Bewertung der „Kundenzufriedenheit“ (Gewichtung 30 %) benennt die Agentur fünf Ansprechpartner von Unternehmen, deren SEO-Projekte sie betreut. Diese werden dann persönlich vom BVDW-Prüfungsgremium, bestehend aus einem hauptamtlichen BVDW-Mitarbeiter und dem Erstprüfer aus der Gremiumleitung der BVDW-Fokusgruppe Search, nach ihrer Zufriedenheit mit der Arbeit und den Leistungen der Agentur befragt.
Der Bereich „Arbeitsweise“ (Gewichtung 40 %) ist das Herzstück der Prüfung. Hierfür reichen die Agenturen mindestens drei ausgewählte Kunden-Cases ein, in denen sie ihre Arbeitsweise und Ergebnisse aufzeigen. Diese werden anonymisiert von einem SEO-Experten geprüft und bewertet; das heißt, der Experte sieht den Kunden-Case, kann diesen aber keiner Agentur zuordnen. Wichtig ist, dass jeder Case dabei von einem anderen Experten geprüft wird.
Der Expertenrat setzt sich aus drei Vertretern der BVDW-Fokusgruppe Search, drei externen SEO-Experten und drei Inhouse-SEOs aus Unternehmen zusammen.
Aktuell besetzen den Expertenrat:
Andre Alpar (PerformicsAKM3), Jens Fauldrath (takevalue Consulting GmbH), Tobias Jungcurt (Blue Summit Media GmbH), Stephanie Kanitz (uniquedigital GmbH), Arthur Mai (idealo internet GmbH), Jan Schweder (Construktiv GmbH), Christian Paavo Spieker (One Advertising AG), Marcus Tandler (OnPage.org GmbH), Torsten Tromm (Pixelhouse GmbH), Christian Vollmert (luna-park GmbH), Johannes Bornewasser (RP Digital GmbH), Norman Nielsen (Zalando SE) und Anke Probst (Xing AG). Der Expertenrat ist zudem so aufgestellt, dass es bei personellen Ausfällen Vertretungen gibt, sodass die Bewertung immer gleichwertig erfolgen kann.
Code of Conduct
Zusätzlich zu den vier Bewertungsbereichen muss die Agentur, die sich bewirbt, den Code of Conduct Suchmaschinenoptimierung unterzeichnen.
Dieser wurde 2013 erstmalig eingeführt und erfährt ebenso wie das Zertifikat eine stete Weiterentwicklung (zuletzt wurden in diesem Sommer durch die Fokusgruppe Search einige Überarbeitungen hinsichtlich Einsatz, Verwendung und Darstellung vorgenommen).
Wer den Code unterzeichnet hat, verpflichtet sich zu einer transparenten Arbeitsweise, berücksichtigt die Vorgaben von Suchmaschinen (Google & Bing) und klärt den Kunden klar und eindeutig über seine Arbeitsweise auf.
Erreichen des Zertifikats
Hat die Agentur die Selbstverpflichtung unterschrieben und die Prüfung der vier Bereiche mit jeweils mindestens 80 % erfolgreich abgeschlossen, erhält sie ein Siegel, das sie ein Jahr tragen darf. Die Prüfung erfolgt jeweils zum Jahresende.
Bewerben kann sich jede Agentur mit einem Geschäftsbereich SEO, sowohl BVDW-Mitglieder als auch Nicht-Mitglieder. Die Kosten für die Zertifizierung (im Falle des Bestehens) liegen bei 1.500,- (Mitglied) und 2.799,- Euro (Nicht-Mitglied) für ein Jahr.
Kritische Betrachtung
Nun folgt natürlich der durchaus berechtigte Blick auf einzelne Faktoren des Zertifizierungsprozesses:
Privileg der Branchen-Größen?
Die Höhe des SEO-Umsatzvolumens kann den Eindruck erwecken, das Zertifikat sei ein Privileg der Branchen-Größen und kleinere, seriöse und transparent arbeitende Agenturen seien ohnehin ausgeschlossen.
Sicherlich ist das Zertifikat erst ab einer gewissen Agenturgröße sinnvoll. Das steht außer Frage und dessen ist man sich auch bewusst. Als Richtwert sieht die Gremienleitung der Fokusgruppe Search hier eine Agentur mit mindestens fünf bis sechs Mitarbeitern. Und es wird auch bereits über die Senkung der Mindesthonorargrenze nachgedacht. Dennoch muss man auch bedenken, dass der aktuelle Zertifizierungsprozess sehr aufwendig ist, dass es eine gewisse Tiefe und einen bestimmten Umfang an Material und Ergebnissen geben muss. Das ist in kleineren Agenturen nicht unbedingt so gegeben.
Die SEO-Experten aus dem Vorsitz der Fokusgruppe haben allerdings genau aufgrund dieses Einwandes den Code of Conduct initiiert. Jeder, der sich zu Transparenz und Qualität in seiner SEO-Arbeit verpflichtet, kann diesen unterzeichnen und nachweisen, auch ohne weitere Zertifizierung.
Dies muss ein Anreiz für alle SEOs sein, die an einer sauberen und seriösen Branche interessiert sind. Denn was passiert, wenn ein Kunde plötzlich irritiert ist und seine Anforderungen nicht erfüllt sieht? Er hat mit dem BVDW eine Institution, an die er sich wenden kann.
Beschwerderat & Aberkennung
Wer falsche Versprechungen macht oder Kunden täuscht, wer Leistungen falsch anbietet oder nicht erfüllt, der muss auch mit einer Aberkennung des Codes bzw. des Zertifikates rechnen. Hier ist der BVDW als neutraler Verband auch juristisch aufgestellt. Und Unternehmen haben erstmals eine geeignete Anlaufstelle und müssen nicht alleine auf ihrem Ärger und ihren Kosten sitzen bleiben. Sie erhalten Unterstützung durch den BVDW.
Neutrale Bewertung – geht das überhaupt?
Diejenigen, die sich zu Recht kritisch mit der Zertifizierung auseinandersetzen, fragen sich auch: Lässt sich SEO-Qualität denn überhaupt neutral bewerten?
Diese Frage könnte unter Experten schon ins Philosophische abwandern. Als das Gütesiegel vor fast zehn Jahren eingeführt wurde, ging es zunächst mehr um die Unterscheidung von seriöser und unseriöser Arbeitsweise. Das hat sich über die Jahre weiterentwickelt, sodass der Fokus heute verstärkt auf sauberer, transparenter und qualitativer Arbeitsweise liegt.
SEO-Qualität neutral zu bewerten, ist natürlich nicht leicht, besonders weil je nach Website, Thema und Wettbewerb verschiedene SEO-Maßnahmen für eine erfolgreiche Platzierung greifen können. Zudem ist es auch immer abhängig davon, was bei der Website und beim Kunden überhaupt umgesetzt werden kann.
Dennoch gibt es bestimmte Punkte, die man bei qualitativer SEO-Arbeit einer Agentur voraussetzen sollte, wodurch dann auch eine neutrale Bewertung im weiteren Sinne möglich ist. Der Prozess beim BVDW ist sehr robust gegenüber Irrtümern, und allein das ist in diesem Business schon eine ganze Menge. Jede Agentur wird sechsmal getrennt bewertet: jedes Projekt von mindestens zwei Prüfern. Die Streuung ist dabei nicht allzu groß. Bei einer anonymen Bewertung haben also mehrere Fachleute die gleiche Meinung.
Es geht ja auch nicht darum, sich im letzten Detail zu verlieren, sondern das Thema SEO am Markt zu professionalisieren, transparenter und letzten Endes auch seriöser zu machen.
Gut vs. sinnvoll?
Bei der Bewertung der Kundenprojekte stellt sich sicher auch die Frage, ob abschließend mit „gut“ bewertet wird, was seriöse Suchmaschinenoptimierung ausmacht und was sauber ist. Entscheidend ist, und darum geht es ja in der Branche, sinnvolle Optimierung durchzuführen: Zu erkennen, was der Kunde wirklich braucht, ob sich bestimmte Maßnahmen überhaupt eignen und ob manchmal weniger nicht auch mehr sein könnte.
Abhängig von Kunde, Website und Budget müssen die Optimierungsmöglichkeiten umgesetzt werden. Sicherlich ist es erst einmal wichtig, alle sinnvollen Optimierungen durchzuführen und sich im Anschluss daran um weitere SEO-Potenziale zu kümmern. Beim Bewertungsprozess wird daher zuerst auf die Optimierungsempfehlungen seitens der Agentur geschaut und dann geprüft, ob und inwieweit diese umgesetzt wurden. Darüber hinaus betrachten die Experten die Website auch aus dem generellen SEO-Fokus und klären, ob irgendwelche Ungereimtheiten auffallen.
Andre Alpar, stellvertretender Gremienvorsitzender, beschreibt sein Vorgehen bei der Bewertung so: „Ich versuche eigentlich, bei der Bewertung auf zwei Dinge zu achten bzw. drei Leitfragen zu beantworten: Wurde sauber gearbeitet, sodass der Kunde keine Abstrafungen befürchten muss? Gibt es einen nachweislichen Fortschritt? Ist das Investment in die Agentur für den Kunden gut?“
Hand aufs Herz: Sind die Experten überzeugt, dass das BVDW-Zertifikat wirklich Transparenz und Orientierung in die deutsche SEO-Landschaft bringt?
Was da in den letzten Jahren auf die Beine gestellt wurde, ist von der Vorgehensweise und den Inhalten sehr gut. Alle Prozesse werden kontinuierlich weiterentwickelt und durch den Expertenbeirat aus unabhängigen Fachleuten von Agentur, Kunden und Verbandsvorsitz wurde ein sehr intensiver und guter Austausch etabliert. Allen involvierten Personen liegt der SEO-Markt sehr nahe und sie möchten ihn weiterentwickeln. Der BVDW bietet hier eine hervorragende Plattform. Von außen betrachtet, kann sicher vieles kritisch und negativ gesehen werden. Viele SEOs wollen sich ja auch bewusst aus Verbänden und Organisationen heraushalten. Doch wer sich einmal genauer mit dem Zertifikat und dem Prüfprozess beschäftigt, der wird von der Tiefe und Qualität der Vorgehensweise überrascht sein.
Alle sind sich einig, dass es, so wie es aufgesetzt ist und gelebt wird, einen großen Mehrwert für die SEO-Branche darstellt. Einziger Wermutstropfen ist aktuell die ausbaufähige Bekanntheit und der Grad der Aufklärung. Hier sehen sich die Gremienleiter als Vorbild, sind jedoch auch auf alle Mitglieder und den Verband angewiesen, weiter verstärkt Aufklärungsarbeit zu leisten.
Wenn auf Agentur- und zugleich auf Kundenseite verstanden wird, worum es geht und dass es keine Beweihräucherung innerhalb einer Branche ist, sondern mit dem Ziel von Qualität und sauberer Arbeit einhergeht, ist viel gewonnen.
Fazit
„Wertvolle Zertifikate für Agenturen und Kunden sind solche, die klare Regeln haben und einem starken Prüfungsprozess unterzogen werden: Diese ermöglichen die saubere Ausdifferenzierung einer komplexen Branche. Zum Beispiel das SEO-Qualitätszertifikat des BVDW ist in dieser Hinsicht ein Leuchtturm in der Online-Marketing-Branche.“ – Andre Alpar
Der Leuchtturm bietet Schutz und Sicherheit, gibt Warnhinweise. Er hat Vorbildfunktion und er hat Feuer. Eine mehr als gelungene Metapher also, derer sich Andre Alpar hier bedient. Und es ist auf den Punkt gebracht.
Der Leuchtturm funktioniert allerdings nur dann, wenn ihn alle kennen und anerkennen, wenn sie sich im Klaren darüber sind, welche Vorteile er ihnen bietet. Kein Gütesiegel, keine Qualitätsnachweis kann allumfassend alle grauen Seiten aufdecken. Der Golf fährt sicher auch noch ein paar Jahre ohne TÜV … Aber wenn ein Unfall passiert, ist es oft schon zu spät. Das unabhängige, neutrale Verbandszertifikat ist eine große Chance für die Agenturen und für die Kunden. Das sollte sich die Branche bewusst machen.