Sind SEO-Verträge wirklich immer Werkverträge?

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Vor Kurzem geisterte eine wilde Behauptung durch die SEO-Landschaft: Das LG Amberg hätte entschieden, dass SEO-Verträge immer Werkverträge seien. Und dadurch sei jetzt Schluss mit lustig: Auf die SEO-Landschaft kämen massive Änderungen zu!!!

Der Artikel belegt, dass diese Aussage nicht das Papier wert ist, auf dem sie steht. Es handelt sich vielmehr um das übliche Sommerloch.

A. Das Problem:

Neulich, bei einem Gespräch zwischen zwei SEO-Spezialisten:

Frage: Findet auf SEO-Verträge eigentlich immer Werkvertragsrecht Anwendung?

Antwort: Aber ja doch. SEO-Verträge sind immer Werkverträge. Die Rechtsprechung ist gekippt. Erst neulich hat das Landgericht Amberg das so entschieden – eine Tendenz, die sich dauerhaft durchsetzen wird. Diese Beurteilung wird ganz erhebliche Konsequenzen für alle SEO-Anbieter haben.

Was wir von diesem Gespräch und insbesondere der Antwort halten?

Ehrlich gesagt: Rein gar nichts, denn die Antwort ist grundlegend falsch. Die Äußerung ist nicht das Papier wert, auf der sie steht. Es handelt sich um nichts weiter als um die übliche Sommerloch-Ente.

B. Der Unterschied zwischen Werkvertrag und Dienstvertrag:

Aber beginnen wir mit dem Anfang: Hier sollte die Frage stehen, ob und welchen Unterschied es macht, wenn ein Vertrag als Werkvertrag (§ 631 BGB) oder als Dienstvertrag (§ 611 BGB) ausgestaltet ist.

In der Praxis schreiben die Parteien häufig in ihre Verträge, dass es sich um einen Werkvertrag oder einen Dienstvertrag handelt. Dies ist aus juristischer Sicht eigentlich überflüssig. Entscheidend ist allein die objektive Sachlage, d. h., wie der Vertrag aus Sicht eines unbeteiligten Dritten zu bewerten ist. Es ist vollkommen unerheblich, was die Parteien subjektiv wollten. Auch wenn SEO-Agentur und Kunde davon ausgingen, dass ihr Vertrag ein Dienstvertrag ist, kann er objektiv ein Werkvertrag sein.

Worin bestehen nun die Unterschiede?

Dies soll die nachfolgende Tabelle kurz skizzieren:

Werkvertragsrecht Dienstvertragsrecht
Vergütung nur, wenn - Kunde Werk abgenommen hat und - wenn vereinbarter Erfolg eingetreten ist Vergütungsanspruch bereits bei „redlichem Bemühen“
Gewährleistung für Erfolg Keine Gewährleistung für Erfolg
Vorzeitige Kündigungsmöglichkeit, vertraglich teilweise abdingbar Vorzeitige Kündigungsmöglichkeit, vertraglich aber abdingbar

Der entscheidendste Unterschied zwischen Werkvertrag und Dienstvertrag ist also derjenige, dass im ersten Fall ein Erfolg geschuldet wird, im zweiten Fall hingegen nur „redliches Bemühen“. Tritt bei einem Werkvertrag der geschuldete Erfolg nicht ein, dann kann der Kunde die Bezahlung verweigern und hat möglicherweise zudem noch Gewährleistungsansprüche.

Zur Verdeutlichung nachfolgendes Beispiel:

Der A möchte den B verklagen und geht deswegen zum Anwalt Z. Der Z informiert den A darüber, dass die Chancen der Klage bei 50:50 liegen, da es sehr stark auf die Aussage eines Zeugen ankommt. Diese Zeugenaussage ist kaum im Vorwege prognostizierbar.
Der A verklagt den B, verliert jedoch den Prozess, weil der Zeuge zu seinen Ungunsten aussagt. Als der Anwalt Z seine Rechnung schickt, verweigert der A die Bezahlung, da die Klage doch verloren ging.

Der Anwalt Z hat einen Anspruch auf Vergütung, denn es handelt sich bei dem Anwaltsvertrag zwischen dem A und dem Z um einen Dienstvertrag. Es war also nur redliches Bemühen geschuldet und nicht ein Erfolg, d. h. der Gewinn des Gerichtsverfahrens.

Die Bewertung dieses Beispiels dürfte jedem einleuchten: Da der Anwalt Z nicht die Unwägbarkeiten vor Gericht verantwortet, kann er für den Erfolg auch nicht eintreten. Es wäre unbillig, hier die Unsicherheiten vor Gericht dem Anwalt aufzubürden.

C. Bedeutung für den SEO-Bereich:

Würden SEO-Verträge nun durchgehend als Werkverträge eingestuft, hätte dies tatsächlich weitreichende Folgen für SEO-Agenturen: Dann würden diese nämlich jeden Vergütungsanspruch verlieren, wenn der neueste Google-Algorithmus den Kunden auf die hinteren Ränge verbannt, obwohl die SEO-Firma in der Vergangenheit alles richtig gemacht hatte. Wer weiß heute schon, wie der Google-Algorithmus von morgen aussieht?

Ein Blick auf die geltende Rechtslage offenbart aber schnell, dass die Aussage „SEO-Verträge sind grundsätzlich Werkverträge“ an juristischer Dummheit nicht zu überbieten ist. Denn den SEO-Vertrag gibt in der Praxis gar nicht. Vielmehr wird in diesen Verträgen eine Vielzahl unterschiedlicher Leistungen vereinbart, wie z. B.

- Beratungs- und Schulungsleistungen
- On-Page-Optimierungen
-  Linkbuilding
- SEM-Marketing
- Content-Verkauf

Schon diese kurze Auswahl zeigt, dass es somit immer auf den Einzelfall ankommt: Was haben SEO-Agentur und Kunde vereinbart? Eine allgemeine Leistung oder einen bestimmten Erfolg?

Zur Verdeutlichung kommen wir noch einmal auf unser Anwalts-Beispiel zurück:

Der A geht wieder zum Anwalt Z. Diesmal will er jedoch keine Klage einreichen, sondern  neue Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) erstellt haben. Drei Monate, nachdem ihm der Z die neuen AGB geliefert hat, wird der A abgemahnt, weil der Anwalt einen Fehler gemacht hat und eine Klausel nicht rechtskonform ist. Dies hätte der Z bei AGB-Erstellung auch schon wissen können.

Auf diesen Vertrag findet – anders als bei der Klage – Werkvertragsrecht Anwendung. Da hier ein konkreter Erfolg geschuldet ist, wurde der Vertrag nur mangelhaft erfüllt.

 

Dieses Beispiel zeigt uns: Auch der Vertrag mit einem Anwalt ist weder immer Werkvertrag noch immer Dienstvertrag. Vielmehr kommt es – wie zuvor erläutert – immer auf den konkreten Einzelfall an. Für die Fälle, bei denen der Erfolg der Leistung ausschließlich vom Anwalt abhängt, ist Werkvertragsrecht anzuwenden, bei allen anderen Fällen hingegen Dienstvertragsrecht.

Auf den SEO-Bereich übertragen bedeutet dies: Reine Beratungsleistungen sind grundsätzlich als Dienstverträge einzustufen, während Linkbuilding-Verträge hingegen (möglicherweise eher) Werkvertrags-Charakter haben.

D. Die Entscheidung des LG Amberg:

Kommen wir nun zur Entscheidung des LG Amberg (Urt. v. 22.08.2012 - 14 O 417/12), bei der anfänglich manche behauptet hatten, sie würde die Ansicht zementieren, SEO-Verträge seien stets Werkverträge. Schaut man sich – mit dem Wissen des zuvor Erläuterten im Hinterkopf – das Urteil einmal näher an, handelt es sich bei dem, was das Gericht da äußert, nun um kein Hexenwerk mehr.

Der Kläger, ein Unternehmer, schloss mit dem Beklagten einen Linkbuilding-Vertrag ab. Es sollten über eine Laufzeit von drei Monaten je 228 Backlinks zu einem Preis von 177,- EUR gesetzt werden. Es wurden innerhalb der Vertragszeit jedoch nur 335 Backlinks platziert, die restlichen erst danach. Zudem versah der Beklagte die Backlinks in Blogs mit ausgedachten Kommentaren des Klägers. Dies war vertraglich so nicht vereinbart worden. Nachdem der Kläger den Beklagten deswegen abgemahnt hatte, gab der SEO-Dienstleister eine entsprechende Unterlassungserklärung ab. Der Kläger verlangte daraufhin das gezahlte Entgelt zurück, weil er meinte, die Leistung sei nicht ordnungsgemäß erbracht worden. Insbesondere habe der Beklagte für die Backlinks Webseiten ausgesucht, die nicht themenrelevant seien.

Das LG Amberg wies die Klage weitgehend ab. Grundsätzlich stünde dem Kläger nur ein Beseitigungsanspruch hinsichtlich der ausgedachten Kommentare zu, da diese den Unternehmer in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigten. Die übrigen SEO-Leistungen, insbesondere die Platzierung der Backlinks, seien hingegen ordnungsgemäß erbracht worden. Es sei zum einen unschädlich, dass ein Teil der Links erst zeitlich später gesetzt worden sei, denn der Kläger habe vor vollständiger Leistungserbringung keine entsprechenden Gewährleistungsmängel, wie z. B. eine Kündigung, geltend gemacht. Zum anderen sei die Frage der Themenrelevanz vertraglich nicht explizit vereinbart worden. Angesichts der Geringe der Vergütung könne der Kläger nicht eine solch hohe Qualität erwarten, dass bei jedem Link eine 100%ige Themenüberschneidung bestehe.

Wie ist diese Entscheidung nun zu beurteilen?

Erstens: Es fällt auf, dass die Entscheidung ausschließlich einen Linkbuilding-Vertrag betraf und eben nicht den oben erwähnten klassischen SEO-Vertrag.

Zweitens: In diesem Linkbuilding-Vertrag war eine genaue Anzahl von Backlinks in einem bestimmten Zeitraum vertraglich vereinbart. Es dürfte also niemanden verwundern, dass hier das Gericht von einem Werkvertrag ausging.

Drittens: Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die erste Entscheidung zur Abgrenzung von Werk- und Dienstverträgen bei SEO-Kontrakten. Es fehlt jedes weitere Urteil, von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung ganz zu schweigen.

E. Zusammenfassung:

Das LG Amberg wendet in dem zu beurteilenden Fall zutreffend Werkvertragsrecht an. Dies ist aber allein der Tatsache geschuldet, dass die Parteien einen Linkbuilding-Vertrag mit konkreten inhaltlichen Leistungspflichten vereinbart hatten.

Hieraus nun den Schluss ziehen zu wollen, dass deutsche Gerichte bei SEO-Leistungen generell Werkvertragsrecht annehmen, ist juristischer Humbug. Vielmehr ist jeder Einzelfall individuell zu beurteilen.

Lassen Sie sich also nicht beunruhigen, wenn Sie, lieber Leser, irgendwo den Satz „SEO – ab jetzt ein Werkvertrag“ oder Ähnliches lesen. Eine solche Äußerung taugt höchstens als Überbrückung für das Sommerloch – mehr aber auch nicht.