Die Übernahme fremder Online-Datenbanken: Erlaubt oder verboten?

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Die SEO-Branche ist bekanntermaßen auf der ständigen Suche nach neuen, frischen Inhalten. Es ist daher keine Seltenheit, dass der Blick auf bereits vorhandene Datenbanken fällt, z. B. auf Datensätze aus dem Telefonbuch, auf User-Bewertungen der Online-Plattform X oder auf die Wetterdaten des Anbieters Y.

In welchem Umfang ist es juristisch erlaubt, diesen fremden Inhalt zu übernehmen und zu eigenen Zwecken einzusetzen?

Beispiel: Die Firma X betreibt eine Online-Plattform, auf der Patienten ihre Ärzte bewerten können. Insgesamt sind etwa 3.500 Bewertungen durch Patienten für 800 Ärzte vorhanden.
Der findige SEO Y, der ebenfalls eine Webseite für Ärzte-Bewertungen betreibt, übernimmt nun 350 dieser Bewertungen ungefragt und stellt sie auf die eigene Online-Seite ein.
X ist erbost und will gegen Y vorgehen. Mit Erfolg?

1. Kein urheberrechtlich geschütztes Werk

Bei der ungefragten Übernahme von Inhalten wird häufig das Urheberrecht nicht berücksichtigt. Es wird einfach davon ausgegangen, dass öffentliche Inhalte auch frei verwendbar sind. Dies ist nicht richtig. Sowohl vertragliche als auch gesetzliche Gründe sprechen in aller Regel dagegen, sich einfach frei bedienen zu können.

Bei Datenbanken besteht nun aber die Besonderheit, dass diese so gut wie nie eine persönliche schöpferische Leistung beinhalten. Vielmehr handelt es sich um reine Datensätze mit bestimmten Informationen.

Beispiele:

Eine Datenbank, die die täglichen Wetterdaten der letzten 100 Jahre beinhaltet.
Eine Datenbank, die die Lottozahlen der letzten 50 Jahre zum Abruf bereithält.
Eine Datenbank mit allen Gewerbetreibenden aus deutschen Großstädten.

Alle diese genannten Datenbanken haben eine Gemeinsamkeit: Es handelt sich um bloße Informationen, die zusammengetragen wurden. Die Inhalte bestehen nicht aus irgendwelchen kreativen Schöpfungen wie Aufsätzen, Gedichten oder Kurzgeschichten. Vielmehr stehen hier nur die reinen Datensätze zur Verfügung, ohne dass irgendjemand eine kreative oder gar schöpferische Leistung erbracht hat.

Solche reinen Informationsansammlungen fallen somit nicht unter den Schutz des urheberrechtlichen Werkes i. S. d. § 2 UrhG.

2. Datenbankschutz

Dieser fehlende originäre Schutz darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Informationen gleichwohl urheberrechtlich geschützt sein können, und zwar über das Recht der Datenbanken nach §§ 87 a ff. UrhG. Danach können auch solche Daten geschützt sein, die isoliert nicht die urheberrechtliche Schöpfungshöhe erreichen.

Entscheidend ist die Norm nach § 87 b Abs. 1 UrhG:

Der Datenbankhersteller hat das ausschließliche Recht, die Datenbank insgesamt oder einen nach Art oder Umfang wesentlichen Teil der Datenbank zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Der Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe eines nach Art oder Umfang wesentlichen Teils der Datenbank steht die wiederholte und systematische Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe von nach Art und Umfang unwesentlichen Teilen der Datenbank gleich, sofern diese Handlungen einer normalen Auswertung der Datenbank zuwiderlaufen oder die berechtigten Interessen des Datenbankherstellers unzumutbar beeinträchtigen.

Die Regelung stellt somit zwei Verbote auf:

a) Die vollständige Übernahme einer Datenbank oder zumindest die Übernahme in wesentlichen Teilen und
b) die wiederholte und systematische Übernahme, wenn sie über die normale Nutzung hinausgeht.

3. Hohe Praxis-Relevanz:

Das Thema hat eine hohe Praxis-Relevanz, wie zahlreiche Gerichtsentscheidungen aus jüngster Zeit zeigen.

a. AUTOBINGOO/autoscout24:

Bei der Klägerin in diesem Verfahren handelte es sich um die Online-Automobilbörse "autoscout24.de". Auf der Internetseite konnten Verkaufsanzeigen für Kraftfahrzeuge eingestellt werden. Die Suchergebnisse erhielt der Nutzer, wenn er über eine Eingabemaske seine Suchkriterien angegeben hatte. Die Beklagte bot die Software "AUTOBINGOO" an, mittels derer die Daten mehrerer Online-Autobörsen gleichzeitig ausgelesen werden konnten. Über bestimmte Voreinstellungen zu Zeitintervallen und Suchkriterien wurden die Ergebnisse dem User angezeigt.
Die Klägerin war der Auffassung, dass ihre Datenbank unzulässigerweise vervielfältigt und ihre Rechte daran verletzt würden.

Das OLG Hamburg entschied mehrfach, 1 dass keine Rechtsverletzung vorliege. Zwar handle es sich bei den online abrufbaren Informationen unzweifelhaft um eine urheberrechtlich geschützte Datenbank. Eine Rechtsverletzung finde aber nur dann statt, wenn ein wesentlicher Teil vervielfältigt werde. Dabei sei nicht auf die Gesamtheit aller User abzustellen, sondern vielmehr sei nur relevant, in welchem Umfang der einzelne Nutzer die Datenbank verwende. Und dieses Zugreifen durch den einzelnen Verwender geschehe grundsätzlich nicht in einem solchen Umfang, dass wesentliche Teile der Datenbank kopiert würden. Vielmehr würde immer nur ein unerheblicher Bereich ausgelesen.

b. InterRes/easyJet:

Bei der Klägerin in diesem Verfahren handelte es sich die Fluggesellschaft easyJet, die ihre Tickets fast ausschließlich über das Internet verkaufte. Auf ihren Servern hielt sie Informationen zu ihren Flügen bereit, damit die Kunden in Echtzeit Ticketpreise, Flugzeiten und Sitzplatzkontingente vergleichen konnten. Verschiedene Anbieter durften gegen Zahlung einer Gebühr auf die Daten der Klägerin zugreifen.

Die beklagte Firma, das Software-Haus InterRes, entwickelte und vertrieb eine Flugbuchungs-Programm, mit dessen Hilfe die Webseiten diverser Reiseanbieter zeitgleich nach verfügbaren Flügen kostenlos durchsucht werden konnten, auch die der Firma easyJet. Die Fluggesellschaft hielt dies für rechtswidrig und klagte.

Das LG Hamburg 2 lehnte die Klage ab. Es finde keine unerlaubte Datenbanknutzung statt, da nicht ein wesentlicher Teil vervielfältigt oder vertrieben werde. Da keine großen Datenmengen geschickt würden, sondern immer nur einzelne Abfragen erfolgten, könne auch von einer unerlaubten, systematischen Datenentnahme keine Rede sein. Es würden stets konkrete, einzelne Suchanfragen abgearbeitet werden.

c. bettercom/eBay:

In einem schon etwas länger zurückliegenden Fall stritten sich die Bewertungs-Analyse-Seite bettercom und das Online-Auktionshaus eBay, denn bettercom hatte zahlreiche Informationen von eBay-Usern (Artikelbezeichnung, aktuelle Gebotspreise, Anzahl der Gebote, Restlaufzeit der Gebote usw.) auf die eigene Seite übernommen.

Das LG Berlin 3 hielt dies für eine Rechtsverletzung des Datenbankrechts von eBay und verurteilte bettercom zur Unterlassung.

4. Grundlagen-Entscheidung des BGH im Dezember 2010:

Nun hat der BGH im Dezember 2010 eine Grundlagen-Entscheidung 4 getroffen. Inhaltlich ging es, wie in unserem Ausgangsbeispiel ganz zu Beginn, um die ungefragte Übernahme von etwa 10 % der Bewertungen einer Online-Plattform.

a. "10 % klauen ist ok", oder: keine wesentliche Übernahme

Nach Meinung der Karlsruher Richter ist die Übernahme von 10 % einer fremden Datenbank keine wesentliche Übernahme und somit nicht verboten.

Unser Ausgangsbeispiel:
Die ungefragte Übernahme der 350 Bewertungen durch den findigen SEO Y stellt keine vollständige oder wesentliche Übernahme dar und ist somit rechtlich nicht verboten.

b. Wiederholte und systematische Übernahme

Die BGH-Richter wollten die Datenbankhersteller jedoch nicht ganz schutzlos im Regen stehen lassen. Sie stellten daher fest, dass eine Datenbankverletzung ausnahmsweise auch dann vorliegen könne, wenn zwar nicht ein wesentlicher Teil übernommen werde, jedoch die Entnahme von vornherein in einer Weise geschehe, die erkennen lasse, dass beabsichtigt sei, wesentliche Teile zu entnehmen. Dies sei insbesondere dann der Fall, so die Robenträger, wenn das Auslesen der Daten in einer Weise geschehe, die über das normale Maß hinausgehe, also z. B. durch automatisierte Skript-Aufrufe.

Unser Ausgangsbeispiel:
Hat der findige SEO Y die Daten der Firma X z. B. durch automatisiertes Auslesen übernommen, so liegt darin eine wiederholte und systematische Übernahme, die verboten ist. Die Webseite der Firma X dient nämlich normalerweise nur dazu, dass sich User die Bewertungen zu einzelnen Ärzten anschauen. Das mehrfache oder gar umfangreiche Abrufen ist gerade nicht Nutzungszweck.

Somit kann die Verletzung einer Datenbank auch dann vorliegen, wenn weniger als 10 % der Daten übernommen werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine wiederholte und systematische Übernahme stattfindet, die darauf abzielt, letzten Endes irgendwann einmal einen wesentlichen Teil zu übernehmen.

5. Tipp für die Praxis

Wie Sie aus den vorgenannten Zeilen entnehmen können, hängt es sehr von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab, ob nun eine Rechtsverletzung vorliegt oder nicht.

Sie sollten in jedem Fall aber die finanziellen Folgen berücksichtigen, wenn Sie fremde Datenbanken übernehmen. Der in solchen Fällen zu leistende Schadensersatz ist in aller Regel erheblich und liegt nicht selten im sechs- oder siebenstelligen Bereich. Aus juristischer Sicht kann daher nur eindringlich davon abgeraten werden, fremde Datenbanken zu übernehmen. Auch wenn die aktuelle BGH-Entscheidung zumindest die teilweise Entnahme erlaubt, falls keine langfristige wesentliche Übernahme beabsichtigt ist, sollten Sie sich nicht zu sicher sein.

An dieser Stelle gilt es auch, mit einem alten Irrglauben aufzuräumen: Viele Nutzer denken, dass sie mit den Inhalten einer Datenbank machen dürfen, was sie möchten, wenn sie sie käuflich erworben haben.

Beispiel:
SEO Y kauft eine Telefonbuch-DVD für 14,95 EUR. In beiden Fällen ist vertraglich in den AGB nicht ausdrücklich die gewerbliche Nutzung für fremde, nicht eigene Zwecke des Käufers ausgeschlossen. Der Y freut sich und meint, er könne die Daten nun auf der eigenen Webseite platzieren.

Hier irrt der SEO. Wenn vertraglich nichts geregelt ist, so gilt der sogenannte Zweckübertragungs-Grundsatz (§ 31 Abs. 5 UrhG). Es wird nur das übertragen, was für die Erfüllung des geschlossenen Vertrages zwingend erforderlich ist. Alles andere bleibt beim Rechteinhaber. Dazu gehört eben nicht die gewerbliche Fremdnutzung der Telefonbuch-DVD, sondern nur die private Eigennutzung.


1 OLG Hamburg, Urt. v. 16.04.2009 - Az.: 5 U 101/08; Urt. v. 18.08.2010 - Az.: 5 U 62/09  (nicht rechtskräftig).

2 LG Hamburg, Urt. v. 01.10.2010 - Az.: 308 O 162/09.

3 LG Berlin, Urt. v. 22.12.2005 - Az.: 16 O 743/05.

4 BGH, Urt. v. 01.12.2010 - Az.: I ZR 196/08.