Webanalyse: Wie aus Daten Taten folgen, Teil IV

Tom Alby
Tom Alby

Seit seinem Scheitern als Profimusiker widmet sich Tom Alby seit 1994 dem damals gerade entstandenen Web. Sein Studium finanzierte er mit der Erstellung von Webseiten und der technischen Entwicklung einer der ersten Suchmaschinen. Seitdem treibt der von der „brand eins“ als „Datenfreak” bezeichnete Digitalexperte Innovationen bei Unternehmen wie Google, Bertelsmann und BBDO voran. Seit 2018 ist er Chief Digital Transformation Officer bei Euler Hermes.Tom Alby ist Autor mehrerer Bücher, zertifizierter Projektmanager (PMP) des Project Management Institutes und Lehrbeauftragter für Datenanalyse an der HAW Hamburg.

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In diesem letzten der vier Teile geht es um die korrekte und wirkungsvolle Präsentation von Analyseergebnissen. Nutzlose Berichte vergeuden Lebenszeit und Geld, sowohl beim Ersteller als auch beim Empfänger. Selbst wenn aus einer fundierten Analyse wertvolle handlungsrelevante Erkenntnisse gewonnen wurden, kann die Umsetzung noch durch suboptimales Reporting vereitelt werden.

Von den 5 Schritten der Analyse bleibt zuletzt die Präsentation der Analyseergebnisse zu beleuchten. Wer hat nicht schon mal einen Bericht erstellt, der entweder nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hat oder von dem man vermutet, dass er vom Empfänger gar nicht gelesen wurde? Oder wer hat nicht schon mal einen Bericht gelesen und war entweder nach kurzer Zeit gelangweilt und hat sich gefragt, was man damit jetzt eigentlich anfangen soll?

Vermutlich wird ein nicht geringer Teil der Produktivität in der Wirtschaft allein dadurch vergeudet, dass viel Zeit für Berichte investiert wird, die entweder nicht gelesen werden oder aus denen keine Aktionen abgeleitet werden können. Meistens bedingt das eine das andere: Ein Bericht wird nicht gelesen, weil man in der Vergangenheit nichts daraus ziehen konnte. Hat sich diese anfängliche Enttäuschung erst einmal manifestiert, so ist es schwer, die Empfänger wieder für Analyse-Berichte zu begeistern. Oft sagt aber auch kein Empfänger etwas, weil sich nicht jeder im Umgang mit Daten wohl fühlt und den Fehler dahr bei sich selbst sucht, frei nach dem Motto „Wenn die das rumschicken, dann hat das sicherlich seine Bedeutung, und wenn ich jetzt nachfrage, dann gebe ich mich als Versager zu erkennen.“

Der Autor dieses Artikels hat sich mehr als einmal den Spaß erlaubt, in einem zigseitigen Report, der ausdrücklich so von Kunden gewünscht war, eine Seite mit einem Gutschein für einen Muffin unterzubringen. Auch nach Wochen hatte sich meist niemand gemeldet, um den Gutschein einzulösen, anscheinend war kaum jemand so weit in den Bericht vorgedrungen. Ein guter Ausgangspunkt, um mit Empfängern darüber zu diskutieren, ob es wirklich sinnvoll ist, diesen Bericht weiter zu erstellen, nur weil er schon seit Jahren so erstellt wurde. Oder, um es noch deutlicher zu sagen: Nur weil Daten existieren, heißt das noch lange nicht, dass sie auch relevant und interessant sind, und man muss den Mut haben, sich von Daten zu trennen, auch wenn sie vom Analyse-Tool so zur Verfügung gestellt werden.

Drei einfache Fragen

Mit nur drei Kernfragen kann jeder Bericht zur Wertschöpfung beitragen:

  • Worum geht es hier? Oder: Welche Frage wird hier beantwortet? Der Konsument eines Berichts muss sofort verstehen können, was die Aussage ist.
  • Warum ist es relevant? Idealerweise existiert ein Bezug des Berichts zu einem Ziel oder zu einem anderen interessanten Datenpunkt, denn ohne einen Bezug ist jede Zahl sinnfrei.
  • Was ist der nächste Schritt? Auch hier gilt die Dreifaltigkeit der Datenanalyse, die im ersten Teil dieser Serie vorgestellt wurde: Daten, Information und Aktion. Kann keine Aktion abgeleitet werden, so ist der Nutzen eines Berichts nicht vorhanden oder zumindest schwer erfassbar.

Ein schönes Beispiel ist ein Bericht über das Verhältnis von Mobil- zu Desktopgeräten auf der Website. Interessant, oder? Aber was macht man nun genau damit? Zu schade, um es wegzulassen, schließlich ist Mobil doch total wichtig. Aber ist es „actionable“? Wüsste man zum Beispiel, dass der mobile Traffic im Vergleich zu ähnlichen Seiten unterrepräsentiert ist und neue Kunden brächte, so ergäbe sich aus diesem Datenpunkt zusammen mit der Information aus dem Benchmark tatsächlich eine Aktion.

Visualisierung ist einfach – oder doch nicht?

Zunächst aber geht es um die Frage wie man sicherstellt, dass dem Empfänger eines Berichts sofort klar wird, worum es geht. Da Tabellen oft als dröge wahrgenommen werden, wird schnell zu Diagrammen gegriffen. Tatsächlich sagt ein Bild mehr als 1.000 Worte, doch man darf auch die Frage stellen, welches von den 1.000 dann gemeint ist. Und nicht immer ist eine Visualisierung das richtige Mittel.

Erst Zeit in die Aussage einer Visualisierung investieren, danach in die Ästhetik.

Fast jedes Tool bietet aber ästhetisch ansprechende Visualisierungsmöglichkeiten, doch nur weil eine Grafik gut aussieht, heißt das noch lange nicht, dass sie fachlich richtig und überhaupt sinnvoll ist. Oft wird deutlich mehr Zeit darin investiert, eine Grafik gut aussehen zu lassen als dafür zu sorgen, dass sie die richtige Aussage trifft. Dabei sollte das der Mehrwert sein.

Egal wohin man schaut, viele Menschen haben wenig Zeit sich auf einen Sachverhalt zu fokussieren. Denken ist anstrengend, lange Berichte zu lesen und darüber nachzudenken, was jetzt der nächste Schritt ist, erst recht. Es ist keine akademische Aufgabe, sondern tatsächlich eine notwendige Dienstleistung, die Informationsaufnahme für den Empfänger so einfach wie möglich zu gestalten. Das gilt übrigens nicht nur für andere Konsumenten eines Berichts, sondern auch für einen selber, denn spätestens nach drei Wochen hat man vergessen, was das Ergebnis der eigenen Analyse war.

Ein Beispiel, wie es nicht gemacht werden sollte, liefert Google Analytics selbst. In Abbildung 1 ist ein Tortendiagramm zu sehen, das auf dem Dashboard installiert ist, welches viele Jahre gleich nach dem Einloggen zu sehen war.

In diesem Tortendiagramm ist ein Denkfehler eingebettet, der selbst manchen Analytics-Experten zum Staunen bringt. Ein Tortendiagramm wird dann genutzt, wenn es darum geht, sich gegenseitig ausschließende Kategorien in ihren Verhältnissen abzubilden. Entweder man ist in der einen Gruppe oder in der anderen. Nicht bei Google Analytics. Entweder ein Nutzer kommt von einem Destop-Rechner oder von einem Mobil-Gerät. Beides zusammen geht nicht. Bei Google Analytics schon, in diesem Fall für neue und wiederkehrende Nutzer. Denn eine Nutzer kann in einem Monat sowohl das allererste Mal auf einer Seite sein und gleichzeitig danach noch einmal wiederkommen und damit in beiden Teilen des Tortendiagramms gezählt worden sein.

Abbildung 2 belegt diese Aussage, denn die Anzahl der Nutzer ist kleiner als die Summe der neuen und der wiederkehrenden Nutzer. Wie viel Sinn aber ergibt dann das Tortendiagramm? Tatsächlich ist schon die Antwort auf die erste Frage, worum geht es, hier nicht korrekt beantwortet. Zwar kann der Nutzer erfassen, worum es eigentlich gehen soll, aber leider wird er gleich auf den falschen Weg geleitet.

Doch selbst wenn sich die Kategorien ausschließen würden, so wäre ein Tortendiagramm nicht die richtige Wahl (kleiner Tipp: Ein Tortendiagramm ist fast nie die richtige Wahl). Denn welche Frage könnte man mit dem Verhältnis von neuen zu wiederkehrenden Nutzern beantworten? Ganz abgesehen davon, dass ohne Login eh nur Browser gemessen werden und somit Cross-Device-Effekte gar nicht berücksichtigt werden, gäbe es wahrscheinlich nur zwei Fragen, die tatsächlich handlungsrelevant wären, aber durch das Tortendiagramm nicht beantwortet werden können:

  • Wie viele Nutzer kommen nur ein einziges Mal und was könnte der Grund dafür sein?
  • Wie viele Nutzer wurden neu gewonnen (Neukunden, Abonnenten, etc)?

Eine Visualisierung soll die Aufnahme von Informationen erleichtern. Sie ist kein Beiwerk à la „Lass uns noch eine „fancy“ Grafik neben die Tabelle packen, sonst ist das langweilig.“ Sie muss eine Frage beantworten können und gleichzeitig den Sachverhalt richtig wiedergeben.  Klingt einfach, wird aber nicht so häufig richtig gemacht wie man denkt.

Sag mir wie Dein Projekt beginnt und ich sage Dir wie es aufhört

Diese alte Weisheit aus dem Projektmanagement kann auch in der Analyse angewandt werden. Denn wenn gleich zu Beginn eines Analyse-Projekts Ziele festgelegt worden sind, so sind auch die Analyse-Ergebnisse viel einfacher zu interpretieren. Idealerweise können die im ersten Schritt der Analyse festgehaltenen Ziele einfach für ein Dashboard übernommen werden. Viele Kunden wollen stattdessen aber nur KPIs, die sie gar nicht benötigen, zum Beispiel weil sie ja schon so vom Tool ausgespuckt werden. Und dann wissen sie nichts mit den Ergebnissen anzufangen (siehe Mobil- versus Desktop-Nutzer).

Noch einmal zurück zu dem Tortendiagramm aus dem vorherigen Abschnitt. Das Ziel fast jeder Website ist ein Beitrag zum Gewinn eines Unternehmens. Geht man nun von einem Online-Shop aus, so sind wiederkehrende Nutzer interessant, weil sie eventuell wiederholt kaufen und kein Marketinggeld in die Hand genommen werden musste, damit sie wieder auf die Seite kommen. Neue Nutzer dagegen sind interessant, weil sie eventuell zusätzliche Käufer werden. Es ergeben sich also zwei Fragen daraus:

  • Wie kann ich bestehende Nutzer (Käufer) dazu bewegen, dass sie wieder kaufen?
  • Wie bekomme ich neue Nutzer, die auch bei mir kaufen wollen?

Es kann eine Gutschein-Kampagne via E-Mail für bestehende Kunden gefahren werden und das SEA-Budget erhöht werden, um neue Kunden zu gewinnen. Werden durch eine Erhöhung des SEA-Budgets kurzfristig viele neue Nutzer auf die Website gespült, so geht der Anteil der bestehenden Nutzer runter, obwohl sich die absolute Zahl gar nicht geändert hat. Wieder ein Argument gegen ein Tortendiagramm. Stattdessen wäre ein Liniendiagramm mit der Entwicklung der absoluten Zahlen viel interessanter, allerdings auch nur, wenn es Annotationen enthält, wann welche Kampagne gefahren wurde, um die  Veränderungen in den Zahlen zu erklären. Neben einer deskriptiven Aufgabe ist hier also auch eine diagnostische zu leisten.

Ein Bericht, in dem Leistungswerte ohne Bezug auf die Zielwerte dargestellt werden, verschwendet die Zeit des Empfängers.

Als Geschäftsführer eines Unternehmens interessiert dann aber vor allem, wie der Beitrag der Kampagnen zum Umsatzziel aussieht. Es ist schön, wenn neue Nutzer auf die Seite kommen, aber am Ende des Tages zählt nur, wie viel Geld eingenommen wurde. Man muss den Konsumenten eines Berichts also da abholen, wo er steht. Und das wird nicht bei der Anzahl der Seitenaufrufe sein. Der Mehrwert kann um ein Vielfaches gesteigert werden, wenn nicht nur in die Vergangenheit geschaut, sondern auch noch eine Prognose für die Zukunft abgegeben wird. Neben der deskriptiven und diagnostischen Arbeit wird hier also noch eine prädiktive Komponente hinzugefügt.

Abbildung 3 zeigt eine solche Grafik: Neben einem Umsatzzielwert werden auch die bisher erreichten Werte geplottet und zusätzlich eine Trendlinie. Dem Empfänger dieses Berichts ist somit mit einem Blick sofort klar, dass, wenn alles so weitergeht wie bisher, nicht einmal 2/3 des Ziels erreicht werden. Die Frage, die sich beim Anblick dieser Visualisierung geradezu aufdrängt, ist, was muss getan werden, damit das Ziel doch noch erreicht werden kann?

Was ist die Intention?

Die dritte Frage, was ist der nächste Schritt, ist der Teil der Analyse, der für ein Unternehmen eine echte Wertschöpfung bedeuten kann. In einer idealen Welt kann eine Grafik bereits aussagen, was man tun könnte, um die Zielerreichungswerte zu verbessern.

Abbildung 4 zeigt das vorherige Beispiel mit einer Handlungsempfehlung: „Wie sähe es aus, wenn wir mehr SEA fahren würden?“ Eine solche Handlungsempfehlung kommt beim Management immer besser an als einfach nur ein Problem abzuladen. Seitenaufrufe in einem Bericht haben nur sekundär mit dem Umsatz eines Unternehmens zu tun, ein solcher Bericht, der die relevanten Website-Parameter aber übersetzen kann, führt zur gewünschten Aktion. Der Sender eines Berichts muss sich also vorher überlegen, was erreicht werden soll, natürlich im Sinne des Unternehmens. Und manchmal darf ein Bericht auch weh tun, wenn Ziele nicht erreicht werden.

Natürlich kann diese Vorgehensweise auch zur Manipulation verwendet werden. Indem Skalen verändert werden, kann eine geringfügige Entwicklung zu einer bedrohlichen Gefahr aufgebauscht werden. Oder es werden Daten weggelassen, so dass ein neuer Zusammenhang entsteht, der ansonsten nicht da ist. Somit gilt für die Konsumenten eines Berichts, sich genau anzusehen, ob eine Datenvisualisierung manipulativ gestaltet wurde.

Fazit

Einer der wichtigsten Punkte dieser Serie ist, dass, wenn man nicht versteht, wie ein Tool funktioniert, besser nicht damit arbeiten sollte. „A fool with a tool ist still a fool” ist heute wichtiger denn je, denn kein Analyse-Tool kann das eigene Gehirn ersetzen. Noch nicht. Es lohnt sich daher ein gesundes Misstrauen gegenüber jedem Tool zu haben, auch wenn es von einer Firma kommt, die unter den Vorreitern der Weiterentwicklung Künstlicher Intelligenz ist. Denn kein Analytics-Tool ist ein Werkzeug, das aus dem Regal genommen ohne eigenen Gehirnschmalz eingesetzt werden kann.

Der andere zentrale Punkt dieser Serie ist die Handlungsrelevanz von Daten. Was genau macht man mit einer Information? Diese Frage so deutlich und klar wie möglich zu beantworten ist eine wichtige Aufgabe der Datenanalyse. Ansonsten ist die beste Analyse vergeblich.