Trio Conferenciale!

Tobias Aubele
Tobias Aubele

Dr. Tobias Aubele ist Professor für E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und Berater für Webcontrolling (u. a. „Deutschlands bester Conversion Optimierer 2018“ sowie „CRO Practitioner of the year 2020“). Er lehrt das Themenumfeld Conversion-Optimierung, Usability und Webanalytics im Studiengang E-Commerce. Zuvor war er viele Jahre in einem internationalen Multi-Channel-Unternehmen in diversen Führungspositionen tätig, zuletzt als Bereichsleiter E-Commerce.

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Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Wissen mit Tiefgang – das wurde den über 500 Teilnehmern der drei gleichzeitig im größten Konferenzzentrum Europas in Berlin stattfindenden Konferenzen, der Conversion Conference, der eMetrics und der Predictive Analytics World, versprochen – und schlussendlich auch gehalten. Renommierte nationale und internationale Redner präsentierten in über 50 Sessions diverse Ansätze der quantitativen Datenanalyse bzw. -prognose sowie qualitativer Forschung, mit dem Ziel, den Unternehmenserfolg zu steigern. Website Boosting hörte gut zu und fasst für Sie wichtige Key Learnings zusammen.

Eine Website muss responsive sein. Das ist ein Mythos, sagt Tim Ash! 

Tim Ash, passionierter Konversionsoptimierer und Buchautor, eröffnete die Conversion Conference in der Rolle eines MythBusters. Der erste Mythos „We need a responsive website“ ignoriert nach seiner Meinung den Kontext des Besuchers. Der Inhalt sollte nicht lediglich neu angeordnet, sondern konkret auf die Nutzersituation abgestimmt werden. In der Freizeit, d. h. in einer mobilen Nutzung, stehen Funktionen wie „Click-to-call“ im Vordergrund, während umfassende Formulare hinderlich sind und ggf. auf ein stationäres Endgerät zugeschnitten sein sollten. Ashs Empfehlung ist eine dedizierte Smartphone-Variante und eine Tablet-/Desktop-Variante, wobei es nicht darum geht, identische Informationen unterschiedlich zu präsentieren, sondern die jeweilige Nutzungssituation zu berücksichtigen, um damit schlussendlich die User-Experience zu steigern.

„Most responsive websites are infinitely scrolling pieces of crap.“ Richard Banfield, Fresh Tilled Soil

Der zweite Mythos „Tactical testing is the answer to everything“ zielte auf den Trugschluss, dass Konversionsoptimierung = Testing bedeutet. Ash plädierte für einen sinnvollen Einsatz von Testing, bei dem Qualität vor Quantität steht. Durch eine Vielzahl an Tests kann ein lokales Optimum erzielt werden, was jedoch im Sinne einer Profitsteigerung nicht die beste Lösung sein muss.

Websites nicht von Designern entwerfen lassen

Designer sind Künstler und sie sehen eine Website meist aus ästhetischen Gesichtspunkten, erläuterte Ash. Dieser Ansatz kann durchaus den Usabilityansprüchen und Bedürfnissen der Besucher entgegenstehen. Unternehmen sollen einen Designprozess aufsetzen (Zieldefinition, User-Szenarien, funktionale Wireframes), der stringent auf die Konversion zielt. Daher können „einfache und langweilige“ Designs schlussendlich die effektivsten und besten sein. Der Boss im Unternehmen ist sicher gut im Führen eines Unternehmens, bei finanziellen Angelegenheiten oder der strategischen Planung. Aber ist er auch ein Spezialist in der Beurteilung von Farbwirkungen? „Visual opinion is like an ashole – everyone has one“, brachte Ash das auf seine Weise auf den Punkt.

„Only aesthetic of designers is considered – not needs of your visitors.“ Tim Ash

Gabriel Beck von Web Arts zeigte die berühmtesten Ausreden von Unternehmen, nichts an der Website ändern zu müssen. Dabei brachte er auch bekannte Beispiele von Unternehmen, die der Meinung waren, bei ihnen liefe alles bestens, alles könne so bleiben – und wie diese innerhalb kürzester Zeit von reinen Online-Newcomern überholt wurden. Er plädierte dafür, statt in großen Abständen unnötige Relaunches vorzunehmen, besser ständig in kleinen Schritten Verbesserungen auszutesten und eine Site damit kontinuierlich zu ändern bzw. zu optimieren. Dies wäre in jedem Fall besser, als in die „Relaunch-Insolvenz“ zu geraten. Die Abwehrausreden „Wir machen bald einen Relaunch“ und „Wir haben gerade einen Relaunch gemacht“ wechseln sich dabei nicht selten geschickt ab.

„Braver Hund!“ Letzte Worte eines Briefträgers

Der Blog conversionxl.com/blog/ ist eine hervorragende Quelle rund um das Thema Konversionsoptimierung. Peep Laja, dessen geistiger Schöpfer, brannte in seinem Vortrag „How to find where your site is leaking money“ ein Feuerwerk an praktischen Tipps und Tricks ab. Um „Lecks der Website“ zu finden, sollten Betreiber u. a. folgende Tests durchführen:

  • Heuristische Analyse einer Seite, bspw. basierend auf dem 7-E-Modell der Konversion von Web Arts (http://einfach.st/kk55) oder dem LIFT-Modell von WiderFunnel (http://einfach.st/wf55)
     
  • Quantitative Analysen:
    • Analysen stets basierend auf Segmenten („Der Durchschnitt lügt!“)
    • Site-Speed-Analyse (Wie kann die Seite schneller werden?)
    • Prüfung Konversionen je Browser und Device (Hat ein Browser ein Darstellungsproblem?)
    • Analyse von Seiten mit hohen Bounce-Raten
    • Untersuchung des typischen Nutzerflusses auf der Site (Finden sich die Besucher zurecht oder kommen sie immer wieder auf eine Seite zurück?)
    • Analyse der Bildschirmauflösung in Abhängigkeit von der Konversionsrate (Sind wichtige Elemente ggf. außerhalb des sichtbaren Bereiches?)
    • Nutzung der internen Suche (Wie kann die Nutzung forciert werden, da Suchende meist besser konvertieren?)
       
  • Qualitative Analysen:
    • Interviews mit Webseitenbesuchern
    • Umfragen (bspw. beim Verlassen der Website)
    • Erfahrungen des eigenen Kundenservice einbringen
    • User-Testing (konkrete Aufgaben im Shop lösen)
       
  • Prüfung der korrekten Implementierung von Tracking („Google-Analytics-Gesundheitscheck“, d. h. Fehlerprüfung wie bspw. Code doppelt integriert, eigene Domain als referrer etc.)

Tipp

Peep Laja bietet eine Zusammenfassung seines Blog in einem E-Book (408 Seiten, Englisch) für 4,95 $ in diversen Formaten an (Infos unter conversionxl.com/about/).

Der Psychologe Bart Schutz zeigte anhand eines sympathischen Vergleichs seines niederländischen Königspaares Willem-Alexander und Maxima die Funktionsweise des menschlichen Gehirns und wie das Verhalten der Menschen dadurch beeinflusst wird. Obwohl nach außen rational geleitet (symbolisiert durch den rationalen Willem-Alexander), ist das menschliche Handeln sehr stark durch Emotionen und Unterbewusstem getrieben (versinnbildlicht durch die emotionale, permanent aktive Maxima).

Zu großen Teil ist das Handeln dadurch nicht rational, sondern wird im Nachhinein rationalisiert. Die kognitive Leistungsfähigkeit des Gehirns ermüdet sehr schnell, wodurch der Mensch stark auf die automatischen Prozesse zurückgreift. Diesen Umstand kann sich ein Webseitenbetreiber zunutze machen, wenn dem unterbewussten, emotionalen System bspw. triviale Entscheidungen angeboten werden. Die zusätzliche Möglichkeit „Auf den Wunschzettel“ nahe dem „In-den-Warenkorb“-Button hatte einen Uplift von 16 % zur Folge, da das freiheitsliebende Unterbewusstsein eine vermeintliche Wahl hatte.

„Willem ist ein fauler Lügner!“

Sein Credo war die Überzeugung bzw. Beeinflussung der Menschen unter Zuhilfenahme bzw. Kenntnis der beiden parallel arbeitenden Systeme im Gehirn. Dies belegte er mittels diverser A/B-Tests, die jeweils einen spezifischen Aspekt des Gehirns zielgerichtet ansprachen. Anhand weiterer Beispiele zeigte er den Besuchern auf, dass Menschen nur bedingt Informationen aufnehmen und nur einen Teil der Realität sehen. Der Rest des Verhaltens wird unterbewusst und automatisch gesteuert. Eine erweiterte Präsentation inkl. Erläuterung der psychologischen Prinzipien kann unter http://persuasion.tips/ kostenfrei heruntergeladen werden.

Tipp: Schauen Sie sich das Video „Whodunnit?“ auf Youtube an und beweisen Sie Ihre kriminalistischen Eigenschaften. Über das Ergebnis werden Sie verwundert sein: einfach.st/whodunnit.

Data-Driven-Marketing: Was bringt es und wie geht es?

Für die Analyse sind immer mehr Tools auf dem Markt, doch wie steuert man das Marketing effektiv und braucht man diese Tools wirklich? Dr. Boris Blechschmidt bot die entsprechende Antwort aus Sicht von Mister Spex, des nach eigenen Angaben führenden Online-Optikers. Die datengetriebene, kundenorientierte und agile Steuerung sei die Grundlage für den effektiven und effizienten Einsatz der Marketingmaßnahmen. Die Fokussierung auf Daten ermöglicht eine Indikation, welche Auswirkung bzw. Nutzen eine Kampagne letztendlich hat. Komplexe Fragestellungen wie bspw. ein Attributionsmodell können ggf. vereinfacht werden, denn „einfach und aktiv genutzt ist besser als komplex und nicht verstanden“. So liefert das Badewannenprinzip (bspw. 40-20-40-Verteilung der Deckungsbeiträge auf die einzelnen Touchpoints in der Customer Journey) eine sehr gute Einschätzung über eine mögliche Übervorteilung von anderen Kanälen wie z. B. Affiliate. Die Fokussierung auf den Kunden spiegelt sich in diversen Analysen wider. Kohortenanalysen, Churn-Verhalten, Neukundenraten, Cross-Selling-Verhalten etc. sind wichtige Indikatoren, wie nachhaltig und effektiv einzelne Marketingkampagnen letztendlich sind und welchen Deckungsbeitrag auf längere Sicht die Kampagnen bringen. Auch hier gilt wieder: Bestimme einen Customer Lifetime Value, der einfach ist und genutzt wird. In all der quantitativen Welt dürfen qualitative Daten nicht fehlen. Welche Bedürfnisse haben die Kunden? Was ist der USP? Wo bestehen Stärken und Schwächen bei den Mitbewerbern? Welches Image hat unsere Marke? Damit die PS möglichst schnell auf die Straße kommen, empfiehlt Blechschmidt einen agilen Ansatz der Steuerung, der als iterativer Prozess bzw. Kreislauf verankert ist:

1. Hypothesen aufstellen, 2. Design/Prototyping durchführen, 3. Implementierung, 4. messen und evaluieren.

Es muss, so Blechschmidt, nicht immer die letzte Nachkommastelle eines Modells stimmen, sondern es geht vielmehr darum, die Daten bzw. das Messmodell zu verstehen, um sie zielgerichtet interpretieren zu können.

50 % der „Best Practices“ funktionieren, nur welche?

Diese Aussage untermauerte Pepe Laja mit der bekannten Seite www.lingscars.com, die entgegen allen Best-Practice-Ansätzen 80 Millionen $ im Jahr 2012 generierte (siehe Abbildung 5). Was bei einem Shop funktioniert, muss somit nicht bei einem anderen ein Erfolg werden.

Aus seiner Sicht sollten deshalb die sechs klassischen Seitentypen eines Shops systematisch nach ihren spezifischen Aufgaben untersucht werden:

  • Homepage (Wertversprechen, Start des Funnel)
  • Kategorie/Suche (unterstützen, etwas zu finden, was man benötigt bzw. liebt)
  • Produktdetail (Produkt in den Warenkorb legen)
  • Content (informieren, überzeugen)
  • Warenkorb (mit dem Kauf fortfahren)
  • Check-out (bezahlen)

Basierend auf Optimierungs-Hypothesen für diese Seitentypen sollten entsprechende Tests aufgesetzt werden, erforscht werden, was User konkret tun, und Experten einbezogen werden. Der Mythos „Best Practice“ bzw. Generalisierung der Testergebnisse wurde anschaulich demonstriert: Erzeugte die Vergrößerung der Produktbilder in der Listendarstellung bei einer Website (Schuhe) einen Uplift von 25 %, so hatte die Änderung bei einer anderen Website keine Auswirkung. Die Änderung der Standardsortierung der Produkte in der Listenansicht (von „Relevanz“ zu „Preis aufsteigend“) hatte in einem Test einen positiven Effekt und könnte damit für den eigenen Shop interessant sein. Auf Produktdetailebene werden insbesondere Tabs (bspw. Kundenbewertungen zum Produkt) schlecht geklickt, daher könnte die direkte Anzeige dieser Inhalte ebenfalls vorteilhaft sein. Garantien für die Vorteile eines Best Practice gibt es jedoch nicht. Als Tool zur Messung empfahl er Heap Analytics (https://heapanalytics.com/). Im Check-out gibt es lt. seinen Erfahrungen sehr viel Potenzial für Verbesserungen.

Einen nützlichen Tipp gab André Morys: Man fingiert einfach einen Dialog in einem Rollenspiel. Einer ist die Website, der andere der Kunde. Jetzt begrüßt man den Kunden mit den Worten der Startseite: „Herzlich Willkommen auf unserer Website …“, und so weiter. Hier wird dann schnell klar, so Morys, wie diese geföhnten „Blabla“-Texte in der Realität wirken.

Kai Radanitsch hielt einen herausragenden Vortrag über Storytelling. Er zeigte auf, dass man von den Plots aus Fernsehfilmen auch sehr viel für das Betexten von Produkten lernen kann. Man solle dem Kunden am Anfang gezielt Dinge erzählen, die er schon kennt, und daran anknüpfen. Gut ist, so Radanitsch, wenn man in die Story noch einen Konflikt und eine Komplikation einbaut, die sich am Ende durch die Nutzung bzw. den Kauf des Produkts lösen. Für ein schnelles Contentaudit empfahl er u. a. die Punkte Reading, Scanning und Skimming zu prüfen.  

Alles im allem war in Berlin nur eines ärgerlich – die Auswahl treffen zu müssen, zu welchem Vortrag auf welcher Konferenz man gehen sollte. Durch die thematische Breite war für jede fachliche Ausrichtung etwas Interessantes dabei und die hervorragend ausgesuchten Speaker gaben den Besuchern jede Menge Tipps und Handlungsempfehlungen mit auf den Weg. Das Konferenztrio gehört definitiv auf die Merkliste derjenigen, die aus ihrer Website oder ihrem Shop mehr als bisher herausholen wollen.