Man möchte meinen, dass die Studierenden der führenden amerikanischen Universitäten clever genug seien, um sich nicht manipulieren zu lassen. Doch die bekannten Psychologen Kahnemann und Tversky bewiesen das Gegenteil: Sie ließen Studierende an einem simplen Glücksrad mit verschieden hohen Zahlen drehen. Kurz danach sollten die Probanden in einem anderen Raum die Anzahl der UNO-Mitgliedsstaaten auf dem afrikanischen Kontinent schätzen. Das Ergebnis: Die beim Glücksrad erdrehte Zahl wirkte sich nachweislich auf die Schätzung der Staaten aus. Je höher die Zahl war, desto höher wurde die Anzahl der Staaten geschätzt. Und: Es funktionierte immer und immer wieder auch bei anderen Experimenten.
Der Ankereffekt: so simpel, so mächtig
Die Rede ist vom „Ankereffekt“: Ohne dass wir es merken, orientiert sich unser Gehirn bei einer Entscheidungsfindung an momentan vorhandenen Umgebungsinformationen beziehungsweise an kurz zuvor wahrgenommenen Zahlen oder Werten. Das tut es blitzschnell und selbst dann, wenn das Wahrgenommene für die tatsächliche Entscheidung vollkommen irrelevant ist – so wie bei der Glücksradzahl und den afrikanischen Staaten. Zwischen beiden Aspekten besteht keinerlei Kontext.
Wissenschaftlich reden wir über einen stark eingeschränkten mentalen Spielraum – ähnlich wie bei einem Boot, das nur im Radius seines abgelassenen Ankers kreisen kann. Wird eine bestimmte Zahl wahrgenommen und verarbeitet, wird sie kurzfristig zum kognitiven Anker und alle unmittelbar danach auftauchenden Zahlen werden unbewusst an diesem Anker gemessen.
Bei uns im Marketing ist der Ankereffekt besonders in Sachen Preisempfinden spannend. Denn mit cleveren und einprägsamen Ankern lässt sich relativ einfach steuern, ob danach dargestellte Preise für Produkte, Dienstleistungen oder Abos tendenziell als teuer oder preiswert empfunden werden. Natürlich ist das nicht allein verkaufsentscheidend, erhöht aber ganz klar die Conversion-Wahrscheinlichkeit.
Ein Seminar beispielsweise, das 790 Euro kostet, kann tendenziell preiswerter und attraktiver erscheinen, wenn Interessierte zuvor eine höhere Zahl wahrgenommen und verarbeitet haben – beispielsweise, dass schon über 2.800 Menschen an dem Seminar teilgenommen haben. Das wäre ein Klassiker – und obendrauf noch ein vertrauensstärkendes Element. Im Endeffekt kann aber jede Zahl als Anker wirken. Selbst so und so viele Tassen Kaffee oder die bloße Jahreszahl 2024. Das bedeutet aber auch, dass gänzlich andere Zahlen als Anker wirken können, die das gar nicht sollen. Es geht also nicht nur darum, clevere Anker zu setzen, sondern auch darum, negativ wirkende Anker zu erkennen und zu entfernen.
Psyketing-Take-aways:
- Selbst komplett zufällig erscheinende Zahlen können einen enormen Einfluss auf die Preiswahrnehmung und Kaufentscheidung haben.
- Durch das gezielte Setzen von positiven Preisankern lässt sich das Kaufverhalten der Kundinnen und Kunden in eine bestimmte Richtung lenken.
- Auch das Entfernen negativer Preisanker hat Auswirkungen.