Neuromarketing 2.0

Psychotherapie für Websites und Marketing

Thomas Kaiser
Thomas Kaiser

Thomas Kaiser entwickelte an der TU München den ersten MPEG-Videocodierer für Windows und 1997 die erste deutsche SEO-Software. Er gründete 1997 die cyberpromote GmbH, einen Pionier im Bereich SEO, SEA und Usability, und ist seit Anfang 2021 CEO bei der +Pluswerk AG. Er schreibt Bücher, Fachartikel, ist bekannter Speaker und hält Workshops in der Google-Zukunftswerkstatt.

Mehr von diesem AutorArtikel als PDF laden

Neuromarketing war vor zwölf Jahren ein typisches Buzzword, das sich wie viele weitere nicht lange gehalten hat. Dennoch ist der Grundgedanke absolut richtig: Kenntnisse der Psychologie für das Marketing, für Texte, für Websites nutzen. Allein in den letzten zwölf Jahren hat die Gehirnforschung viele neue Erkenntnisse gewonnen, die Neuromarketing noch viel weiter führen. Der Einsatz von Emotionen und Storytelling waren die Hauptaussagen im Neuromarketing. Dies ist heute weithin bekannt, doch die Möglichkeiten sind gewaltig, dabei gibt es deutlich mehr Chancen als Risiken.

Es ist noch gar nicht so lange her, als Neuromarketing die erste Revolution im Marketing in Gang setzte. Ziel war es damals, die Werbemaßnahmen, Broschüren und Markenführung mit psychologischen Methoden zu messen, zu bewerten und zu optimieren. Dabei wurden neurowissenschaftliche Methoden wie MRT, EEG und Eyetracking eingesetzt. Im dritten Teil gibt es einen erweiterten Blick von den Themen der Psychologie, Neurologie und Therapie zur Praxis bezüglich Websites und Marketing. Denn es gibt erstaunliche Verknüpfungspunkte bei Prozessen und Methoden zu entdecken.

Zur Hochzeit des Neuromarketings im Jahr 2012 war die Gehirnforschung noch nicht so weit wie heute. Daher gab es zu den Aussagen im Neuromarketing immer wieder Kritik. Aber auch die Gefahr, dass potenzielle Kunden manipuliert werden, wurde ins Feld geführt.

Man weiß heute, dass diese Methoden schon lange eingesetzt werden, ob man will oder nicht. Mittels Priming und Framing sind Manipulationen möglich. Letztlich möchten alle Unternehmen ihre Kunden beeinflussen. Und in den meisten Fällen merken Kunden das nicht und empfinden es nicht als Manipulation. Seit 2012 sind die Suchanfragen nach „Neuromarketing“ rückläufig, wie die Abbildung 1 zeigt. Es ist also Zeit, die nächste Stufe zu starten.

Zugänge ins Gehirn

Die Erkenntnisse des Neuromarketings haben noch heute gültige Grundsätze aufgestellt. Demnach gibt es vier Zugänge zum Gehirn: Sensorik, Episodik, Symbolik und Sprache. Zwar wurde dies zunächst für Marken definiert, aber man weiß heute, dass man dies grundsätzlich auf jede Form der Kommunikation anwenden kann und sollte. Diese vier Zugänge werden wie folgt beschrieben:

Sensorik

  • Farben
  • Formen
  • Geräusche
  • Typografie
  • Lichtverhältnisse

Episodik

  • Geschichten (Text und Bild)
  • Emotionale Bindung

Symbolik

  • Logos
  • Figuren
  • Handlungsorte

Sprache

  • Claims und Slogans
  • Sprechweise, Intonation, Prosodie
  • Schlagworte

Es fällt auf, dass die Sinne Geruch, Geschmack, Tasten und Fühlen (Haptik) hier fehlen. Diese spielen auch extrem selten eine Rolle im Marketing und bei Websites. Sie sollten aber nicht ignoriert werden, wenn diese einsetzbar sind, beispielsweise bei Produkten.

In Abbildung 2 ist die Grafik aus dem letzten Heft 74 angepasst und erweitert worden. Grundsätzlich erfolgt das Verarbeiten von Inhalten einer Website, dem Marketing und von Sprache und Videos durch visuelle Wahrnehmung. Das Hören ist eher selten Teil der Informationsaufnahme, beispielsweise bei Videos, Fernsehwerbung und Podcasts, die auch zunehmend Audiowerbung enthalten.

Wie Informationen im Gehirn fließen

Zunächst gelangen Sinneseindrücke in den Thalamus und werden dort verarbeitet und auch gefiltert. So kann sich der Mensch mit einer anderen Person unterhalten, wenn viele andere sprechende Personen und Lärm vorherrschen, weil solche Umgebungsgeräusche gefiltert werden können.

Der Geruchssinn hat die kürzeste und direkte Verbindung zum Paläocortex, dem ältesten Teil des Gehirns, in dem der Geruch verarbeitet wird. Der Geruchssinn wird auch beim Schlafen nicht abgeschaltet. Als Warngeber ist unser Geruchssinn allerdings weniger einsetzbar als bei Hunden. Aber womöglich konnte unser Geruchssinn in der Urzeit deutlich mehr leisten.

Zunächst werden die Informationen im Unterbewusstsein verarbeitet und auf Gefahren hin überprüft (siehe hierzu das Beispiel zum Trusted-Shops-Logo im Heft 73). Die Verarbeitung von Informationen setzt deren Wahrnehmung voraus. Das wird häufig falsch eingeschätzt. Wer Texte schreibt, Grafiken erstellt und an Formulierungen feilt, setzt stets voraus, dass diese auch gelesen werden. Die Realität sieht aber anders aus. Das Beispiel der Aufmerksamkeitsanalyse im Heft 73 zeigt, dass das Auge eine Seite scannt und auf Relevanz prüft und dann entscheidet, wo das Auge fixiert (im Schnitt nach knapp drei Sekunden), um dann Informationen aufzunehmen (Text, Bild etc.).

Doch Nutzer lesen nicht alles brav so, wie es da steht. Sie überspringen Absätze, brechen den Lesevorgang auch mal ab, je nachdem wie der Inhalt bewertet (ist das für mich relevant?) und beurteilt wird (lohnt es sich, zu bleiben und weiterzulesen?). Einen Teil der Nutzer oder potenziellen Kunden verliert man also schon bei der Aufmerksamkeit, da diese das höchste und wichtigste Gut im Marketing ist (siehe ebenfalls dazu Heft 73).

Neben der Relevanz sollte der Nutzer mit dem Inhalt „schwingen“, eine Resonanz sollte entstehen. Solange es kognitiv leicht ist, hat man gute Chancen, dass der Nutzer bleibt. Damit man aber auch später in Erinnerung bleibt, gibt es die drei Möglichkeiten (siehe Abbildung 2): Emotionen, Relevanz für die Zukunft und Assoziationen (siehe dazu Heft 74). Diese Methoden können natürlich auch kombiniert werden, um sich zu verstärken.

Der siebte Sinn

Der sogenannte siebte Sinn fehlt neben dem Riechen ebenfalls in der Liste der Zugänge ins Gehirn. Natürlich ist der siebte Sinn kein tatsächliches Sinnesorgan. Man verbindet diesen „fiktiven“ Sinn mit der Intuition und dem Bauchgefühl. Tatsächlich spielt dieser fiktive Sinn eine zentrale Rolle im Neuromarketing, in der Neurorhetorik und grundsätzlich bei der Wahrnehmung, der Beurteilung bis hin zur Entscheidung. Heute kann man sagen, dass der siebte Sinn eher ein Teil unseres Gehirns beschreibt, bei dem Entscheidungen intuitiv, schnell, aber auch fehleranfällig getroffen werden. In Abbildung 2 ist der siebte Sinn entsprechend abgebildet.

Im Heft 74 wurden im Artikel „Neurorhetorik: Das Schweizer Messer für Websites“ bereits wichtige Kernaussagen getroffen. Das Problem der weiter schwindenden Aufmerksamkeit, der Blickverlauf des Auges beim Betrachten einer Website (Aufmerksamkeitsanalyse bzw. Attention Analytics) und das Prinzip der kognitiven Leichtigkeit wurden dort erläutert.

Zudem wurden dort die beiden Bereiche des Gehirns beschrieben. Ein Gehirnbereich ist faul, intuitiv, schnell, aber auch fehleranfällig. Man sollte versuchen, in der Kommunikation nur diesen Bereich zu aktivieren, dann wird mit „kognitiver Leichtigkeit“ kommuniziert. Der Leser, der Zuhörer, also der Empfänger von Botschaften und Bildern, empfindet dies als nicht anstrengend, einfach, verständlich und nachvollziehbar. Dieser Teil des Gehirns ist im Unterbewusstsein, das natürlich noch viel mehr umfasst. Dort ist also auch der siebte Sinn lokalisiert. Obwohl der Mensch glaubt, stets bewusst und rational zu entscheiden, sieht die Realität anders aus.

Die Prozesskette

In der Didaktik und für Lernprozesse werden Vorgänge nach der 4-B-Regel definiert:
Beobachten – Beurteilen – Beraten – Bewerten

In der Verhaltenstherapie werden Vorgänge nach folgender Regel gegliedert:
Beobachten – Beurteilen – Überprüfen – Bewerten

In der Didaktik steht ein Lehrer als Berater zur Verfügung. In der Psychotherapie ist der Therapeut kein Berater, sondern er soll Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen. Der Klient soll also seine Wahrnehmung und Beurteilung selbst überprüfen und erst dann bewerten.

Viele Störungsbilder werden in der Verhaltenstherapie dadurch therapiert, dass der Klient lernt, seine falsche Beurteilung einer Situation durch eine Überprüfung zu korrigieren. Eine Angststörung kann also beispielsweise dadurch behoben werden, dass der Klient lernt, dass bestimmte Situationen gar keine tatsächliche Gefahr darstellen.

Zudem spielt die vom Klienten unterstellte Bewertung Dritter oftmals eine Rolle, die in der Therapie infrage gestellt, überprüft und korrigiert werden muss. Diese Überprüfung durch Dritte findet auch bei potenziellen Kunden statt. Es werden Produktbewertungen, Tests und Erfahrungsberichte gesucht und Freunde und Bekannte befragt, um das eigene Urteil zu überprüfen.

Letztlich könnte man die Kette noch zu Beginn um die Bedürfnisse oder den Leidensdruck der potenziellen Kunden erweitern, denn die müssen verstanden und angesprochen werden. Am Ende kommt nach der Aktion natürlich die Kundenbindung und die subjektive Bewertung („Joy of use“). Schließlich kann sich der Kreis wieder schließen, wenn Kunden wieder und auch regelmäßig kaufen (z. B. Druckerpatronen), oder nicht, wenn dies sehr schwer oder unwahrscheinlich ist (z. B. Eheringe). Hier kommt der Customer Livetime Value ins Spiel. Der Fokus soll hier aber bei der Wahrnehmung und Verarbeitung liegen.

Schematherapie

Die noch junge Schematherapie in der Psychotherapie bietet hier interessante Verknüpfungen. Sie ist eine Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie. Und die Kognition, sprich alle Prozesse, die mit der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen zu tun haben, ist eine zentrale Fragestellung im Neuromarketing und in der Neurorhetorik.

Automatisierte Abläufe, sogenannte Schemen, spielen sich ganz automatisch ab. Beim Laufen, Lesen, Autofahren, Essen – alle Abläufe unseres Alltags sind bei uns ebenfalls dort abgespeichert, wo auch unbewusst Informationen verarbeitet werden. All das geschieht in der Regel mit kognitiver Leichtigkeit. Wenn Abläufe uns aber belasten oder gar Leidensdruck erzeugen wie bei Angststörungen, Panikattacken oder Depression, sollte man sich Hilfe holen. Auch Bindungsstörungen in der frühkindlichen Entwicklung zeigen sich durch abgespeicherte, ablaufende Schemen. Es gibt natürlich auch Schemen, die keinen Leidensdruck bei der betroffenen Person auslösen müssen, aber bei anderen wie z. B. Narzissmus und Kaufsucht.

Warum ist das relevant? Betrachtet man nochmals die genannten Zugänge zum Gehirn, ist klar, dass die Wahrnehmung der Sensorik, Episodik, Symbolik und Sprache sehr viele erlernte Schemen anspricht. Die entwickelte Limbic Map versucht beispielsweise, Farben bestimmten Emotionen zuzuordnen. Dies deckt aber von den genannten Zugängen nur einen sehr kleinen Teil ab. Zudem verallgemeinert dieses Modell diese Zuordnung für alle Menschen. Tatsächlich gibt es natürlich Schemen, die bei allen Menschen weitgehend gleich sind, es gibt aber natürlich in den Zielgruppen abweichende Schemen und bei jedem Menschen individuelle Schemen.

Assoziationen sind wie bereits gesagt eine von drei Methoden, um in das Langzeitgedächtnis zu gelangen. Dabei ist anzumerken, dass die Gehirnforschung weiß, dass Assoziationen auch im Schlaf geknüpft werden. Dies erfolgt meistens in der Nacht nach der Aufnahme von Informationen, je nach der Assoziation kann dies auch später passieren. Das assoziative Erinnern ist deswegen wichtig, da ein Unternehmen Produkte, Logos, Slogans, Botschaften und Inhalte bei den potenziellen Kunden durch Auslöser in Erinnerung bringen kann.

Auch die bereits genannten Schemen werden durch Auslöser in Gang gesetzt. Doch soll kein negatives Schema ausgelöst werden, sondern die Assoziation mit den Angeboten des eigenen Unternehmens. Daher ist es auch wichtig, zu verstehen, wie solche Auslöser funktionieren. Zudem sollte man vermeiden, negative Assoziationen oder gar Schemen auszulösen. Das geschieht meistens unbewusst und unbeabsichtigt. Jeder hat das aber sicherlich schon erlebt, dass ein Satz, eine E-Mail beim Empfänger eine unerwartete, negative Reaktion ausgelöst hat. Dies lässt sich vermeiden (siehe Perspektivwechsel weiter unten), man kann aber auch positive Reaktionen in Form von Assoziationen beim Empfänger auslösen.

Persönlichkeitsmodelle

Wer sich mit Persönlichkeitsmodellen wie DISG befasst, versucht, Menschen besser zu verstehen, was bei der Mitarbeiterauswahl, der Unternehmenskommunikation und dem Verkaufen von Vorteil ist. Diese Modelle basieren auf Erkenntnissen der Psychologie und der Gehirnforschung.

Verkäufer versuchen, die Person, mit der man spricht, anhand dieser Persönlichkeitsmodelle einzuordnen, um die richtige Ansprache, Wortwahl und Gesprächsform zu wählen. Natürlich ist kein Mensch beim DISG-Modell nur einer Kategorie zuzuordnen, aber in der Regel ist einer der vier Typen stärker ausgeprägt.

Dabei darf man nicht vergessen: Die Psychologie benennt vier Grundbedürfnisse des Menschen: Bindung, Kontrolle und Autonomie, Selbstwerterhöhung und Lust (Spaß, Freude). Man erkennt recht schnell, dass sich sowohl in den Persönlichkeitsmodellen als auch dem Verhalten von Menschen auf Websites und im Marketing Verknüpfungen ergeben. Gute Verkäufer sind geschult darauf, all das intuitiv in der Kommunikation bestmöglich zu „verpacken“. In Zukunft wird eine deutlich klarere Aufschlüsselung der Zusammenhänge die Chancen systematisch und verständlich vermitteln. Das geht über Emotionen und Storytelling weit hinaus. Der Verkäufer kann den „Berater“ und die „Überprüfung“ in diesen Vorgängen bewusst und geschickt steuern und beeinflussen.

Im Fall von Websites und Marketing ist stets entscheidend, wie der jeweilige Nutzer die Information bewertet. Hier gibt es keinen Berater, und eine Überprüfung findet auch nicht statt, zumindest nicht auf der Website selbst. Für die Betrachtung hier sind statt „Beobachten“ die Begriffe „Aufmerksamkeit“ und „Wahrnehmung“ besser geeignet. Denn bevor Nutzer etwas wahrnehmen, muss man deren Aufmerksamkeit erhalten. Somit ergibt sich folgende Prozesskette:
Aufmerksamkeit – Wahrnehmung – Verarbeitung – Beurteilung – (Überprüfung) – Bewertung – Entscheidung

Sobald man also in einem Gespräch ist, sei es am Telefon, persönlich oder per Videokonferenz, kann man die Bewertung in der Kommunikation beeinflussen und die Überprüfung steuern. Beim Lesen, Hören und Erfassen von Inhalten wie auf Websites oder in der Werbung fehlt aber eine Überprüfung. Es fehlt auch die Körpersprache, Mimik und Gestik, wenn man nur Texte und Bilder wahrnimmt.

No Brainer

Der neue Bestseller „Noise“ von Prof. Kahnemann möchte uns vermitteln, das Bewusstsein als Berater hinzuzuziehen, wenn man eine Entscheidung trifft. Das Durchdenken im Kopf, das Hinterfragen ist für das Gehirn anstrengend. Aber mit dieser Überprüfung trifft man bessere Entscheidungen. Unser Bauchgefühl und unsere Intuition treffen leider nicht zu selten Fehlentscheidungen. Kahnemann nennt diese intuitiven Entscheidungen auch „kognitive Heuristiken“. Faustregeln, Bauchgefühl oder der siebte Sinn führen leider häufiger, als man denkt, zu falschen Entscheidungen.

Unternehmen und Verkäufer möchten den potenziellen Kunden gerne ein „No Brainer“-Angebot unterbreiten. Damit ist die mögliche Gefahr der falschen Entscheidung schon im Wort enthalten. Eine Nacht darüber zu schlafen, kann da tatsächlich hilfreich sein, weil unser Gehirn tatsächlich in der Nacht Informationen verarbeitet und Assoziationen mit vorhandenem Wissen erzeugt und speichert.

Der siebte Sinn beschreibt recht gut das Beurteilen und Bewerten in unserem Gehirn, allerdings nur durch den Teil des Gehirns, der Teil des Unterbewusstseins ist. Die Vorgänge geschehen also unbewusst und daher entsprechend „kognitiv leicht“.

Im Heft 74 gab es auch folgende Tabelle, die jetzt in Abbildung 3 um die genannten Vorgänge und Prozesse erweitert wird. Sie sollte im Prinzip bei der Erstellung jeder Webseite bedacht werden. Aber auch jeder Text oder jedes Video unterliegt diesen Prozessen. In der Spalte „Relevante Kognitionsprozesse“ werden die Fähigkeiten der Kognition (siehe de.wikipedia.org/wiki/Kognition) des Menschen aufgelistet.

Ablauf

Dauer im Mittel ca.

Zugänge ins Gehirn

Messung / Tools /Methoden

Relevante Kognitionsprozesse

Ladezeit

1-5 Sek

Farben / Formen

Core Web Vitals, Pagespeed, Lighthouse, etc.

Aufmerksamkeit

Wahrnehmung (Scannen, Blickverlauf)

ca. 3 Sekunden

Farben / Formen / Typographie
Logos / Figuren
Schlagworte

Attention Analytics (Aufmerksamkeitsanalyse), z.B. Eyequant

Wahrnehmung

Fixation des Auges

 

 

 

 

Informationsaufnahme und Verarbeitung






Beurteilung

Mehrere Sekunden bis Minuten
(je Webseite)




Minuten bis Stunden

Farben / Formen / Typographie / (Video)
Logos / Figuren / Handlungsorte
Schlagworte / Claims / Slogans
Geschichten (Text, Bild, Video)
(Geräusche)

 
 

Heuristische User Experience, A/B-Tests, Mouse-Tracking, Auswertung von Webanalytics Daten, Befragung, usw.


Remarketing, Trustmarks,
Testimonials,

Microconversions messen

Verarbeitung: Wahrnehmung, Lernen, Orientierung





Orientierung, Glauben, Wille, Planen

Überprüfung (optional)

Sekunden bis Monate

Alle

Remarketing, Bewertungen, Vergleich, Kollegen, Vorgesetzte

Microconversions messen

Alle

Bewertung
 

Sekunden bis Stunden

keine

 

Erinnerung, Orientierung, Argumentation, Problemlösen


Abb. 3: Tabelle zu Abläufen, Zugängen und Vorgängen

 

Im Heft 74 wurden im Artikel „Neurorhetorik: Das Schweizer Messer für Websites“ bereits wichtige Kernaussagen getroffen. Das Problem der weiter schwindenden Aufmerksamkeit, der Blickverlauf des Auges beim Betrachten einer Website (Aufmerksamkeitsanalyse bzw. Attention Analytics) und das Prinzip der kognitiven Leichtigkeit wurden dort erläutert. Diese finden sich ebenfalls in der Tabelle.

Der (notwendige) Perspektivwechsel

Wie betrachten Verantwortliche im Unternehmen für Marketing, Produkte und Vertrieb ihre Maßnahmen und Ergebnisse? Sie betrachten die Angebote, Maßnahmen und die Website aus ihrer (Unternehmens-)Sicht. Personas und Zielgruppen helfen dabei, Nutzerbedürfnisse zu verstehen. Als Autor mit nun 25 Jahren Erfahrung gibt es einen entscheidenden Unterschied bei der Betrachtungsweise, der einem klar wird, wenn man wie ein Therapeut den Sachverhalt von außen betrachtet.

Abbildung 4 zeigt, dass Sie (1) im Unternehmen konditioniert sind, Ihr Marketing, Ihre Website aus Unternehmenssicht zu betrachten. KPIs wie Umsatz, Marge, Eigenschaften, ROAS etc. erschweren den Blick, der eigentlich notwendig ist. Überlegen Sie mal, in wie vielen Gesprächen und Meetings im Unternehmen es tatsächlich darum geht, alles aus der Sicht der Zielgruppe zu sehen. Selbst die Analyse der Nutzer erfolgt primär aus Unternehmenssicht und deren relevanten Kennzahlen wie Conversion-Rate, Umsatz, Besucherzahlen etc.

Eine Veränderung erkennt man an neuen Kennzahlen wie „Engagement“. Google Analytics 4 verfolgt auch einen nutzerzentrierteren Ansatz. Dennoch ist es für Unternehmen erstaunlich schwer, deren potenzielle Kunden wirklich zu verstehen. Ein Perspektivwechsel (in Abb. 4 Punkt 3) ist erforderlich, der wie dieser Artikel primär den potenziellen Kunden in den Fokus nimmt. Genau das ist eigentlich der Job von Dienstleistern im Bereich Online-Marketing, Usability oder Webdesign. Tatsächlich aber werden schon beim Design oft Fehler gemacht. Ob eine Website gut aussieht oder schick ist, ist vielleicht noch für die Marke relevant. Aber viel zu oft geht es hier schon am Nutzerbedürfnis vorbei.

Hinzu kommt: Fragen Sie weitere Experten (in Abb. 4 Punkt 2), ob interne oder externe, werden Sie vermutlich verschiedene Sichtweisen und Ergebnisse erhalten. Das erschwert das Ganze enorm. Daher ein Tipp: Es ist zwar aufwendig, aber hilfreich, wenn man mehreren Kollegen (intern oder bei externen Dienstleistern) die gleiche Aufgabe gibt und dann die Ergebnisse abgleicht. Eine SEO- oder Usability-Analyse wird selbst bei Mitarbeitern in demselben Büro unterschiedliche Ergebnisse bringen. Beim Vergleichen der Ergebnisse gibt es Überschneidungen und Abweichungen. Von denen können alle lernen und ihre Vorgehensweisen anpassen und optimieren.

Für Unternehmen kann es sinnvoll sein, solche Perspektivwechsel in einem Workshop aktiv durchzuführen. Also nicht gemeinsam die Ergebnisse und Erkenntnisse zu besprechen, sondern auch den Prozess. Das ist zwar aufwendiger, ermöglicht aber, diesen Perspektivwechsel besser zu verstehen und anzuwenden.

Tatsächlich ist das auch ein Ansatz in der Verhaltenstherapie: Der Therapeut hat, nach Herstellung des notwendigen Vertrauensverhältnisses, die Aufgabe, dass der Klient durch geschickte Fragestellung und Kommunikation selbst zur Lösung kommt. Er unterstützt auch den Patienten, diesen Perspektivwechsel zu vollziehen, um sein falsches oder unangepasstes Verhalten richtig zu bewerten und dann auch zu ändern. Denn gespeicherte Schemen im Kopf sind unglaublich schwer zu korrigieren.

In Workshops und Besprechungen geht es nicht darum, Verhalten zu verändern (zumindest selten, sinnvoll wäre das natürlich dennoch manchmal). Erkenntnisse zu vermitteln, ist wichtig. Aber wenn auch der Prozess dargelegt wird, wie man zu diesen Erkenntnissen gelangt, könnte das einen gemeinsamen Perspektivwechsel anstoßen. Dies würde die Zusammenarbeit für gemeinsame Ziele, mehr Erfolg im Marketing und für Websites nur befruchten und stärken. So könnten auch ganz neue Ideen und kreative Prozesse angestoßen werden!

Fazit

Die Ansätze, Erkenntnisse aus Psychologie, Neurologie und Gehirnforschung anzuwenden, zeigen das Potenzial auf. Spannend sind Methoden der Psychotherapie in der konkreten Anwendung des Perspektivwechsels im Unternehmen oder in der Arbeit mit externen Dienstleistern. Das dürfte nicht nur im Marketing denkbar sein. Dies ist aber gerade bei der Anpassung und Optimierung im Marketing, der Kommunikation und von Websites an das kognitive Verhalten der Zielgruppe und Nutzer sehr hilfreich. Interessant ist auch die Nutzung dieser Methodiken für Stellenanzeigen.

Die neuen Ansätze im Neuromarketing 2.0 und in der Neurorhetorik schenken einem viele Aha-Erlebnisse. Unter www.cyberpromote.de/neurorhetorik/ werden laufend Experimente, Videos und Literatur ergänzt für alle, die das Thema interessiert. Am Ende vielleicht nur der Hinweis, dass sogenannte Feel-Good-Manager bereits heute aktiv solche Verfahren und Techniken zum Wohle der Mitarbeiter, des Arbeitsklimas und des Unternehmens anwenden. Die Stärke liegt in diesem Job weniger im Organisatorischen, sondern bei der Kommunikation mit und zwischen den Mitarbeitern und den Vorgesetzten.

Die eingangs erwähnten Methoden wie MRT und EEG sind heute umfassender in der Wissenschaft einsetzbar. Eyetracking lässt sich heute per Mausklick einsetzen und steht daher jedem Unternehmen zur Verfügung. Letztlich werden Unternehmen und Mitarbeiter erfolgreicher sein, die diesen spannenden Ansätzen folgen, diese mit Leben befüllen und umsetzen.

Wenn Sie bei diesem Text Assoziationen feststellen konnten (ggf. sind diese erst morgen bei Ihnen im Gehirn abrufbar) und relevante Informationen für die Zukunft erfahren haben, sollten Sie sich zumindest an einen Bruchteil der Inhalte auch in Wochen oder Monaten erinnern. Emotional war der Text zwar nicht, aber hoffentlich lehrreich!