OXD – Online Expert Days

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

Mehr von diesem AutorArtikel als PDF laden

Die Online Expert Days umfassen die beiden bekannten Fachkonferenzen OMX und SEOkomm und fanden unter strengsten 2G-Corona-Auflagen Mitte November in Salzburg statt. Und fast hätten die Veranstalter sie wenige Tage vor dem Beginn noch absagen müssen, da sich bekanntlich in Österreich in diesem Zeitraum die Situation schlagartig (zumindest in der Wahrnehmung der Politik) verschlechterte. Oliver und Uschi Hauser und ihr Orgateam leisteten daher Unmenschliches, damit das Branchentreffen doch noch vor Ort in der Brandboxx allen Anreisewilligen zwei erfolgreiche Tage bescheren konnte. Innerhalb weniger Tage beschaffte man ein komplettes Videoteam und einen monströsen Maschinenpark und bot somit das Streaming aller drei Sessions zusätzlich an. So konnten auch alle Zuhausegebliebenen an dem abgefeuerten Know-how-Feuerwerk teilnehmen. Die OMX wird oft als die Konferenz mit Herzblut bezeichnet. Dieses Jahr zeigte sich, dass dies fast noch als eine Untertreibung gesehen werden müsste. Das vorsorgliche und detaillierte Kümmern um angereiste Fachreferierende und auch das Publikum war vorbildlich und die notwendig strikten Vorgaben wurden bereitwillig eingehalten. Dem Networking abseits der Vorträge tat dies keinen Abbruch. Website Boosting hat sich für Sie auf der OMX umgesehen und wie immer subjektiv einige Perlen herausgefischt aus dem diesjährigen frischen Know-how.

Eigentlich hatte Karl Kratz Keynotes vor einigen Jahren abgeschworen, aber für die OMX machte er eine ganz besondere Ausnahme, deren Grund dem teilnehmenden Fachpublikum vorbehalten bleiben soll. Mit Mönchskutte und der „Kunst der digitalen Verbindung“ faszinierte er die Zuhörerinnen und Zuhörer. Wie kann man als Unternehmen eine dauerhafte, beständige und verlässliche Verbindung zu Kunden aufbauen? Damit tun sich viele offenbar noch immer relativ schwer. Geschielt wird auf den Zuwachs an Neukunden, und um den als Gral des Erfolgs zu pushen, gibt man immer mehr Geld bei der Akquisition aus, anstatt den bestehenden Besucherstrom effektiver und effizienter zu nutzen. In Kratz-typischer Weise visualisierte er mit einem drastischen Vergleich diese Art der Geldverschwendung. Ein Teilnehmer bekam ein Funkgerät, das auf Kanal 8-1 eingestellt war, symbolisch für z. B. eine bestimmte Social-Media-Plattform, auf der er sich gerade aufhält. Eine andere Teilnehmerin bekam ebenfalls ein Funkgerät, dessen Kanal allerdings nicht auf das andere Gerät eingestellt war. Die Teilnehmerin musste nach jedem Funkversuch (Werbebotschaft) die Frequenz wechseln und es erneut versuchen. Während dieser Zeit warf Kratz symbolisch alle paar Sekunden je einen zehn Zehn-Euro-Schein in die Luft – Puffff … weg. Es gelang während der Phase, wo noch Geld da war, nicht, den Teilnehmer zu erreichen.    

„Bloggen ist wie Mist an die Wand werfen und hoffen, dass etwas davon kleben bleibt“; Karl Kratz

Wenn man Kunden erreichen möchte, sollte man auf jeden Fall versuchen, diesen Vorgang zu emotionalisieren. Das sog. sequenzielle Publizieren, sprich „Bloggen“, ist mittlerweile zu einer nicht mehr auf Sinnhaftigkeit hinterfragten Tätigkeit bei vielen Unternehmen geworden. Man frage sich, so Kratz, was man heute publizieren könnte, und schreibt einen Blogbeitrag. Das beruhigt das Gewissen und erzeugt einen ständig nachwachsenden Strom an Content. Vermeintlich. Die wenigsten Besucher „stöbern“ begeistert in Unternehmensblogs und das Ranking bei Google und Co kann selbst bei einem – äußerst selten anzutreffenden – sehr guten Content in der Regel nicht funktionieren, da zu einem Thema am Ende zu viele zersplitterte Seiten entstehen. Und nicht nur das, durch eine leider bei Blogsystemen immanente falsche automatische Verlinkung über „Themen-Tags“ erzeugt man ungewollt weitere, für Google verwässernde Signale. Das hier angeführte, natürlich provokante Zitat über das Bloggen erzeugte in sozialen Medien erwartbar unterschiedliche Reaktionen. Vielleicht liegt hier auch ein nicht unerheblicher Grund für das Nicht-Ändern der Anwendung falscher Methoden oder das ineffektive Nutzen von Tools „out of the box“. Das eigene Tun wird nicht mehr hinterfragt, Störinformationen werden pauschal ausgeblendet oder einfach als Unsinn abgetan. So einfach sollte und darf man es sich allerdings nicht machen.

Digitale Wut

Ingrid Brodnig, ihres Zeichens Journalistin und Autorin, berichtete über die digitale Wut. Sie erklärte eingängig, wie Hasskommentare überhaupt entstehen und wie man als Unternehmen darauf am besten reagiert. Für eine österreichische Schokomanufaktur brach ein Shitstorm los, als man Schokonikoläuse mit Mundschutz angeboten hatte. Der Handwerker wurde von den wütenden Gegnern und deren Boykottaufrufen völlig überrascht.

„Wenn der Kotz-Smiley kommt, wird es schlimm“; Ingrid Brodnig

Wie Viralität im Netz entsteht, ist mittlerweile vergleichsweise gut erforscht. Wut ist bekanntlich eine der emotionalsten Stimmungen und Empörung lässt sich vor allem gut in den eigenen Peer-Groups zu teilen. Mit anderen Worten, so Brodnig, holt ein „Entdecker“ einer ihm nicht genehmen Aussage oft Hilfe aus der eigenen Filterblase, es wird eine URL geteilt und so strömen zehn, Hunderte oder gar Tausende der „Gegner“ in einen Thread bzw. eine Unterhaltung und fluten diese mit bösen Kommentaren, die gerne auch mit Drohungen gegen Leib und Leben enden. Und genau genommen gibt es mittlerweile Beispiele, wo verbale Beleidigungen in Tätlichkeiten endeten. Der virtuelle Mob peitscht sich auf und packt Mistgabel und Fackel aus.   

Typische Kampfthemen wären natürlich aktuell Corona, aber auch Tierschutz oder z. B. alle Auto-/Radfahrthemen, erklärte Brodnig. Eine Künstlerin, die für den Tierschutz aus dem Fell ihrer verstorbenen (geliebten!) Katze eine Handtasche machte und damit darauf hinweisen wollte, dass wir aus anderen Tieren völlig sorglos Handtaschen machen, erhielt sogar ernst zu nehmende offene Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Selbst über einen Kachelofen zu schreiben, kann heute schon einen Shitstorm erzeugen. In dem berichteten Fall wurde der bekannte Jörg Kachelmann darauf aufmerksam und heizte seine Follower deswegen an, weil Kachelöfen seiner Meinung nach schlecht für die Umwelt und damit „asozial“ wären. Aber auch falsche Reaktionen auf einen Shitstorm können diesen noch stärker anheizen. So erging es dem Wäschehersteller Palmers, der an Ostern ein Foto von sechs Frauen im Slip als „Osterhöschen“ als Werbung publizierte. Auf die aufkeimende Kritik reagierte der männliche CEO mit den Worten: „Wir distanzieren uns ganz bewusst von sozialen Stigmata, die von der Gesellschaft Frauen aufoktroyiert werden … die beschreiben, welche Rolle Frauen in der Gesellschaft zu spielen oder wie sie sich zu kleiden haben … Wir möchten allen Frauen vermitteln, dass Palmers eine stigmafreie Umgebung darstellt, in der jede Frau ihren persönlichen Look kreieren kann. Wir glauben fest daran, dass es eine Kunst ist, eine Frau zu sein.“ Da fragt man sich, was eigentlich noch alles schiefgehen kann.

„Sogar ein Kachelofen ist mittlerweile ein Kampfthema!“

Man muss und sollte in jedem Fall prüfen, ob es die eigenen Kunden sind, die das Unternehmen bewerfen. Meist ist das nämlich gar nicht so, wusste Brodnig. Oft sind es „herbeigerufene“ Störer, die in gegenseitiger Solidarität verbal hart reagieren. In diesen Fällen hat man meist auch gute Chancen, solche Postings löschen zu lassen. Im Fall des Zuckerbäckers ging der Shitstorm jedoch zumindest wirtschaftlich gut aus. Nachdem die Medien auf den Shitstorm aufmerksam wurden und sogar Bild und Der Spiegel berichteten, entstand eine Gegenbewegung, die mit Solidarität alle Bestände leerkaufte. Nach einem überstandenen Sturm sollte man nicht vergessen, nach einigen Wochen zu prüfen, was davon noch öffentlich sichtbar ist, wenn man nach dem Unternehmensnamen oder der Marke sucht.

Instagram mit Update-Feuerwerk

Bei Instagram kommen fast im Wochentakt News und neue Funktionen, so Social-Media-Experte Felix Beilharz. Er zeigte auf, was in diesem Jahr an wesentlichen Neuerungen zu beachten war. So werden beispielsweise bereits KI-generierte Bildbeschreibungen erzeugt. Live-Rooms lassen sich jetzt mit vier statt nur zwei Teilnehmern einrichten. Diese Räume werden dann auch allen vier Teilnehmern angezeigt. Beilharz hatte sogar Tests mit Werbung in fremden Stories entdeckt bzw. gezeigt. Ob man bei Instagram die Nutzer mit diesen „Feature“ durch einen weltweiten Roll-out vergraulen möchte, ist bisher allerdings nicht bekannt.

Die Zukunft von SEO

Action replay – alles auf Anfang, so der Titel der Keynote der SEOkomm, diesmal gehalten von Bastian Grimm. In der kürzlich vergangenen konferenzlosen Zeit passierte bei Google sehr viel, erklärte er den Zuhörern. Es gab so viele Updates wie noch nie, die teilweise wohl auch noch ineinander verschränkt wurden, damit die Analyse der Auswirkungen praktisch unmöglich wird. Content, da künftig wohl automatisch durch Maschinen erzeugt, und technisches SEO würden bald keine dominante Rolle mehr spielen. Machine Learning bei Google wird die bisher immer wieder bemühten „über 200 Rankingfaktoren“ ablösen. Eine isolierte Betrachtung wird nicht mehr möglich sein. Dies ist mit MUM (siehe den Titelbeitrag in dieser Ausgabe) bereits sichtbar. Wenn eine Suchanfrage z. B. auch über ein fotografiertes Bild gemacht werden kann, wird traditionelles SEO vielleicht auf den Kopf gestellt. Grimm wies auch darauf hin, dass laut einer Studie von The Markup analysis angeblich bereits 41 % der Inhalte der ersten Suchergebnisseite von Google-eigenen Produkten „belegt“ werden.

„TensorFlow erlaubt über 300 Mio. Vorhersagen/Berechnungen – pro Sekunde.“

Sein Stichwort waren Learning-to-Rank-Modelle mittels Keras für TensorFlow 2. Dabei handelt es sich, vereinfacht gesprochen, um vergleichsweise leicht zu nutzende und zu implementierende Bibliotheken für neuronale Netze. Mit diesen können die Search Engineers deutlich schneller Optimierungen an den Suchergebnissen vornehmen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist, dass die aufgestellten Modelle funktionell transparent und nachvollziehbar sind. Daher wird die Update-Frequenz nach Grimms Vermutung künftig sogar aller Wahrscheinlichkeit nach weiter steigen. Und wer die Nutzung solcher Systeme als noch zu langsam kennt, dem sei Zemanta zur Analyse empfohlen. Dort nutzt man das TensorFlow-Framework für die Demand-Side-Plattform (DSP) und schafft derzeit über 300 Mio. Vorhersagen – pro Sekunde!

Und Google möchte noch einen Schritt weiter gehen und Fragen beantworten, noch bevor sie überhaupt gestellt wurden. Google Discover zeigt dies bereits heute in Ansätzen. Mittels MUM und der übergreifenden Medienerkennung (Text, Bild, Video und Audio) kann Google über das Crawlen von etwa drei Mrd. Webseiten auf enormes Wissen zugreifen. BERT wurde mit „nur” 56 Mio. Beiträgen aus Wikipedia trainiert.

„My team and I spend a great deal of time providing high-quality answers to questions that haven´t even been asked yet”; Prabhakar Raghavan, Google

In einem Gedankenspiel erklärte Grimm, was wohl wäre, wenn Google Content und Kontext bereits perfekt verstünde. Ein Ranking zu ermitteln wäre dann schwierig, wenn die Seiten in Qualität und Relevanz in etwa gleich dastünden, u. a., weil ihr Content ebenfalls maschinell erzeugt wurde. In diesem Fall würden wohl die Nutzererfahrungen der entscheidende Faktor.

Neues vom Frosch

Wer den Screaming Frog schon im Einsatz hat, aber noch nicht bis in die Tiefen aller nützlichen Funktionen durchgedrungen ist, für den hatte Stephan Czysch gute Tipps im Gepäck. Allen voran empfahl er die neue „Change Detection“ wärmstens. Dabei kann man zwei ausgewählte unterschiedliche Datenbestände nach dem Crawlen miteinander vergleichen und gezielt die Änderungen hervorheben. Das spart sehr viel manuelle Sucharbeit. Kombiniert man das noch mit dem automatischen Crawl nach Zeitvorgaben, erhält man eine perfekte Überwachung der eigenen oder im Bedarf natürlich auch anderer Domains. Wer Probleme mit Duplicate Content hat, sollte sich ansehen, wie man verschiedene Schwellwerte in der Content Area definiert.

Search Console API-Daten ohne Programmierkenntnisse

Auch Stefan Fischerländer zielte auf ein bekanntes und sogar kostenloses SEO-Tool ab, die Google Search Console. Er stellte u. a. ein von ihm programmiertes Tool vor, mit dem jedermann umfangreiche Abfragen bei Google machen kann – ohne eigene Programmierkenntnisse. Das Tool steht samt Beschreibung unter fischerlaender.de/gsc frei zur Verfügung. Als besonderen Tipp erklärte er, wie man mittels RegEx-Formulierungen gezielt sog. W-Fragen aus der Search Console ziehen kann. Und auch er empfahl, die Daten möglichst umfassend in zeitlich engen Zyklen zu sichern für spätere eigene Analysen.

Das Web-Core-Vitals-Chaos

Mario Fischer zeigte auf, wie die Web Core Vitals von Google eigentlich genau ermittelt/berechnet werden, wie sie zusammenhängen und wie man mit nur wenig Aufwand die meisten Probleme, die oft in der Praxis auftreten, beheben kann. Er erläuterte, dass die Rankingdaten nicht auf den z. B. von Lighthouse errechneten Leistungsscores (Lab-Data) beruhen, sondern nur auf den sog. Field-Data. Das bedeutet, dass Google nach eigener Aussage die über Chrome gemessenen Werte für das Ranking verwendet und diese Rankingfaktoren mittlerweile mehr als nur „Tie-Breaker“ darstellen. Zudem wies er auf den Umstand hin, dass Google derzeit

  1. betont, nicht für alle Seiten genügend Nutzermetriken zu haben, insbesondere für Seiten mit wenig Traffic oder auch neue Seiten, und
  2. gleichzeitig erklärt, dass diese Daten für das Ranking herangezogen werden.

Dieser Widerspruch konnte bisher noch nicht aufgelöst werden. Trotzdem hält Fischer die vorgestellten Metriken für sehr wichtig, da sie – richtig gelesen – zeigen, wie die Menschen „draußen“ vor den Bildschirmen die eigenen Seiten erleben. Zu langsam (LCP), zu ruckelig oder zappelig (CSL) oder zu träge auf Reaktionen (FID). Fischer entdeckte weitere Widersprüche in den Dokumentationen bei Google und den dortigen Erklärungen, wie die Metriken ermittelt und dargestellt würden. Das ist unschön für alle engagierten Webmaster, die sich direkt bei Google informieren möchten. Das Content-Team bei Google kommt offenbar dem eignen Speed der Engineers nicht mehr hinterher oder weiß ggf. noch nicht, was gerade aktuell ist. Da verwundert es auch nicht, dass viele Google-Seiten den eigenen Qualitätskriterien, die man von Webseitenbetreibern fordert, teils mit dramatischen Abweichungen nicht genügen.  

Fazit

Viele Besucher waren sich einig, dass die Informationsdichte der Vorträge an beiden Tagen deutlich höher war, als man das bisher von Konferenzen gewohnt ist. Das hat sicherlich zum einen mit der Coronapause zu tun und andererseits mit ganz besonders motivierten Speakern, die es alle sichtlich genossen, sich endlich wieder vor real anwesenden Menschen präsentieren zu dürfen. Und dies gerade noch rechtzeitig – nur wenige Tage danach ging Österreich in den Lockdown!