Nach Monaten des Beta-Testing hat am 14.10.2020 endlich Google Analytics 4 offiziell das Licht der Welt erblickt. Es findet damit (endlich) die Vereinigung von Web- und App-Tracking als neuer Standard statt. Weiterhin hat sich die Philosophie von Google Analytics geändert, der Fokus liegt nunmehr auf Ereignissen und Nutzerinteraktionen anstelle von Pageviews und Sitzungen – User First! Obwohl weiterhin das bisherige Universal Analytics unverändert genutzt werden kann, werden im folgenden Beitrag von Tobias Aubele Antworten auf die folgenden Fragen geliefert: Lohnt sich heute bereits ein Wechsel bzw. eine Erweiterung auf die neue Version und welche Vorteile ergeben sich überhaupt beim Umstieg auf das neue Google Analytics 4?
Google Analytics 4 – der neue Standard
Raus aus der Beta, rein ins neue Tracking!
Gleich zu Beginn die gute Nachricht: Es ist kein Upgrade im Sinne von „die alte Version wird ersetzt, alles ist anders“, sondern für Google Analytics 4 (GA4) wird typischerweise ein zusätzliches Tracking (Dual Tagging) in Form einer zweiten Property aufgebaut. Das heißt, zum bestehenden, unveränderten Universal-Analytics-Tracking wird parallel eine weitere Dateninstanz für plattformübergreifende Analysen implementiert. Damit bleiben die historischen Daten mit entsprechenden Vergleichsmöglichkeiten erst mal erhalten und parallel muss eine neue Historie aufgebaut werden.
Es ist empfehlenswert, direkt mit der (zusätzlichen) Datenerhebung durch GA4 zu beginnen, da davon ausgegangen werden darf, dass das alte Analytics funktional nicht weiterentwickelt wird. Google hat das neue Analytics am 14.10.2020 offiziell angekündigt (http://einfach.st/newga1) und zum neuen Standard erklärt, d. h., bei einer Neuanlage wird GA4 per Default ausgewählt. Nur mittels eines Buttons „Erweiterte Optionen einblenden“ kann weiterhin das bekannte Universal Analytics bei einer Neuanlage verwendet werden. Keine Bange, eine komplette Ablösung des bestehenden Universal Analytics ist erst in weiter Ferne realistisch, wird aber auf jeden Fall geschehen.
Wie funktioniert das „Upgrade“?
In der Verwaltung des Analytics-Kontos findet sich der Hinweis auf das Upgrade auf Google Analytics 4 (siehe Abb. 1). Hier kann entweder eine neue, zusätzliche GA4-Property angelegt werden oder auf eine bestehende Google-App und Web-Property (sofern die Beta-Version von GA4 bereits getestet wurde) zurückgegriffen werden.
Nach Anlage der GA4-Property (in der Beta „App + Web-Property“ genannt) verweist ein Set-up-Assistent auf die entsprechenden Einstellungen im Interface und die notwendigen Anpassungen im Trackingcode (siehe Abb. 2). Das Spannendste am neuen Datenmodell von Google Analytics ist, dass über diverse Datenstreams (einen für Ihre Android-App, einen für die iOS-App und einen für die Website) Nutzerdaten in einem einzigen Datenpool zusammengeführt werden (siehe Abb. 3) und sowohl gemeinsam als auch getrennt analysiert werden können.
Der Set-up-Assistent listet die grundlegenden Bereiche der Konfiguration der neuen Property auf. Dabei wird sofort deutlich, dass die bislang typischen eigens konfigurierten Erweiterungen in Universal Analytics zum Standard von GA4 gehören. Durch die Aktivierung der Schaltfläche „Optimierte Analysen“ werden neben den Seitenaufrufen (Pageviews), Scrollaktivität, Klicks auf externe Links, interne Suchen, Videotracking sowie Dateidownloads (bspw. PDF, xlsx, docx etc.) automatisch gemessen (siehe Abb. 3). Dabei können für jede dieser Analysen eigene Einstellungen getroffen bzw. einzeln deaktiviert werden. Das ging bzw. geht bereits im bisherigen Analytics, musste jedoch über Events selbst konfiguriert werden. Sofern diese Erweiterungen im aktuellen Universal Analytics noch nicht umgesetzt wurden, unbedingt integrieren. Die Information über externe Klicks sowie der Aufruf von PDFs sind als Interaktionen für das Nutzerverhalten sehr wertvoll.
Events, Events – alles ist zukünftig ein Event!
Als weiteres Highlight gibt es in Abhängigkeit von der Branche ein von Google empfohlenes und vordefiniertes Set an Events (Übersicht siehe einfach.st/newga2). Für E-Commerce-Unternehmen werden bspw. die Events add_to_card, begin_checkout, view_item etc. angeboten, welche die grundlegenden Prozesse und Nutzerinteraktionen einer Verkaufsseite abbilden. Die weiterführenden Analysen leben somit von der Definition von Events – da alles ein Event ist, muss entsprechend konzeptionelle Arbeit in das Set-up von GA4 einfließen (wichtige Details zu E-Commerce-Tracking siehe einfach.st/newga3).
Damit die Webdaten zusätzlich zur bestehenden Universal-Property (hat die Kennung UA-XXXXX-XX) gemessen werden, muss entweder ein zusätzliches Tag implementiert oder das bestehende Tag auf der Seite erweitert werden. Da das bestehende Tag typischerweise über gtag.js oder mittels Tagmanager implementiert wird, bestehen zur Erweiterung ebenfalls diese beiden Möglichkeiten. 1. Wenn gtag.js bereits für eine andere Google-Analytics-Property auf Ihrer Seite eingerichtet ist, müssen Website-Tags verbunden werden (Menüpunkt „Tracking-Code“ in den Tracking-Informationen der Property, verbundene Website-Tags). 2. Implementieren eines neuen Tags unter Berücksichtigung der entsprechenden Mess-ID (siehe Abb. 4). Für die Datenintegration von App-Daten wird ein Firebase-Projekt zur App benötigt.
Die IP-Anonymisierung ist in GA4 bereits standardmäßig aktiviert (weitere Details zu den Implementierungsmethoden siehe einfach.st/newga4).
Damit ist die Datenerfassung eines Webstreams abgeschlossen. Es können weitere Webstreams, d. h. weitere Websites, integriert werden und damit gleichzeitig mehrere Websites (bspw. Blog und Shop als Subdomain) gemeinsam analysiert werden. Nach Abschluss des Set-ups ist auffällig, dass es keine Datenansichten, Filter etc. mehr gibt. Interne Nutzer müssen demnach in den Analysen herausgefiltert werden und können nicht per Filter bereits ausgeschlossen (oder in einer eigenen Property getrackt) werden. Weiterhin sind die Verwaltungsmöglichkeiten im Vergleich zu Universal Analytics ebenfalls reduziert (siehe Abb. 5). Die entsprechenden Berichtsfilter bzw. Vergleiche ersetzen die Datenansichten.
Google Analytics + BigQuery = Analysepower²
Tipp: Alle Rohereignisse aus App + Web-Properties lassen sich nach BigQuery exportieren. Dort besteht die Möglichkeit, die Daten mithilfe einer SQL-ähnlichen Syntax abzufragen oder in einen externen Speicher zu exportieren. Außerdem können weitere externe Daten in BigQuery importiert werden, um sie mit Analytics-Daten zu kombinieren. Das alleine ist schon ein Grund für die zusätzliche Trackingkonfiguration nach GA4-Standard. Selbstverständlich gibt es für Data Studio einen GA4-Connector, der die entsprechenden Dimensionen und Metriken in die Berichte integrieren kann. Damit steht neben BigQuery eine weitere visuelle Datenanalysemöglichkeit unmittelbar zur Verfügung.
Nach Abschluss der initialen Konfiguration steht GA4 unmittelbar zur Verfügung. Die Menüpunkte wurden komplett überarbeitet, der Fokus der Berichte bzw. der Analyse liegt unweigerlich auf dem Nutzer und seinem Verhalten (siehe Abb. 6). Bereits die Startseite gibt einen guten Überblick über die Nutzerherkunft, -aktivitäten und Ergebnisse. Segmente und Zielgruppen sind intuitiv konfigurierbar, Vergleiche flexibel einzustellen. Die Daten sind über alle Datenströme hinweg analysierbar, d. h., diverse Apps und Websites können miteinander ausgewertet werden. Sofern die Website User-IDs zuordnen kann (bspw. über ein Log-in), sind die Analysen auf Userebene durchführbar (Achtung: Vor Einsatz von User-IDs unbedingt Datenschutz prüfen).
Machine Learning als zusätzliches Helferlein
Die „alte“ Denkweise in Pageviews und Sitzungen wurde konsequent in den Hintergrund gestellt. Der klassische Pageview ist nunmehr eines der vielen Ereignisse, die automatisiert gemessen werden. Weiterhin sind diverse Machine-Learning-Algorithmen implementiert, welche Aspekte des Nutzerverhaltens analysieren und an den Anwender kommunizieren – deviceübergreifend. Anomalien im Nutzerverhalten können ebenfalls durch Analytics überwacht und per Mail berichtet werden (siehe Abb. 7).
Neue Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten
Apropos Analyse: Dieser Bereich wurde komplett neu gestaltet mit dem Ergebnis einer „gefühlten“ Kombination bisheriger benutzerdefinierter Berichte aus Analytics, Pivot-Tabellen à la Excel und Google Data Studio (siehe Abb. 8). Neue Visualisierungsmöglichkeiten mit diversen Tabellenblättern sorgen für Abwechslung in der Analyse und Darstellung – so kann Data Storytelling endlich auch im Standard aufflammen. Neben Pfadanalysen können Features aus Google Analytics 360 wie benutzerdefinierte Trichteranalysen jetzt auch in der kostenlosen Variante durchgeführt werden. Das Ganze kann sogar bis auf individuelle Aktionen eines Nutzers in der Nutzer-Explorer-Analyse näher beleuchtet werden. Über diese Möglichkeiten sind weiterführende Einblicke in der Analyse eröffnet.
Segmente – des Analysten bester Freund
Das „Salz in jeder Analysesuppe“ sind die Segmente. Ohne Segmente sind Analysen nicht zielführend, der Durchschnitt ist der Feind jeder Analyse. Dieses sensible Thema wird in GA4 visuell verbessert aufbereitet. Neben der Definition von harten Fakten wie Gerätegruppe und Kampagnen können Nutzungssequenzen (Bedingungsgruppen) und ausschließende Kriterien definiert werden (siehe Abb. 9). Das Ganze in Kombination bzw. als Ziel mit Remarketing in Google Ads (als Zielgruppe) verringert etwaige Streuverluste. Das Thema Zielgruppe und die entsprechende Verbindung zu Google Ads ist damit nochmals präsenter dargestellt und findet hoffentlich (endlich) Anwendung in der Praxis. Unpassende Werbung nervt und kostet Geld. Zielgruppen können die Werbung, basierend auf dem bisherigen Nutzungsverhalten, relevanter gestalten und damit die Grundlage für die finale Conversion schaffen.
Die Logik bzw. Kraft der Segmente zeigt sich daran, dass es im neuen Analytics keine Datenansichten mehr benötigt. Alles kann über Segmente und Vergleiche sowie benutzerdefinierte Ereignisse erzeugt werden, die Anlage von Filtern zur Limitierung der Daten ist nicht mehr notwendig. Sofern die Daten aus der iOS-App getrennt angeschaut werden sollen, ist hierfür eine Bezugnahme auf ein Segment notwendig, was die Datenanalyse (auch rückwirkend) sehr flexibel macht.
Dateneliminierung und Manipulation bei Fehlern
Ein weiteres echtes Highlight ist die Möglichkeit der Löschung punktueller Daten aus Analytics. In Abhängigkeit von Datum und diversen Parametern können die bestehenden historischen Daten rückwirkend verändert werden. So können bspw. interne Testbestellungen, fehlerhafte Parameter (wie personenbezogene Daten) aus dem Account entfernt werden. Dazu wird ein Löschauftrag erstellt, der nach sieben Tagen greift (siehe Abb. 10). Es wurde dadurch eine zusätzliche Rückversicherung eingebaut, welche den Anwendern nochmals sieben Tage Bedenkzeit einräumt, ehe die Daten final gelöscht werden.
Fazit
Bei all den positiven Worten zum neuen Google Analytics 4 ist dennoch anzumerken, dass man merkt, dass es gerade erst aus der Beta genommen ist – so ist der ein oder andere Prozess noch nicht ganz ausgereift. Dennoch sollte keine Zeit verloren werden, um weitere bzw. neue Einblicke in das Nutzerverhalten zu gewinnen.
In diesem Sinne: Dual Tagging und Dual Tracking sollten ab jetzt starten. Nutzen Sie auch in Zukunft das bestehende Universal Analytics und bauen Sie sich parallel dazu Google Analytics 4 auf. Die neuen Möglichkeiten machen Freude in der Anwendung und so wird hoffentlich auch bei Ihnen GA4 mittelfristig zum neuen Standard werden.