Nach wie vor sieht sich die Affiliate-Marketing-Branche mit überholten Pauschalisierungen und verallgemeinernden Unwahrheiten, Falschaussagen und Mythen konfrontiert. Trotz der Tatsache, dass die Affiliate-Branche auch 2019 wieder im zweistelligen Prozent-Bereich wuchs und bei vielen Unternehmen wie Telekom, Telefonica oder Otto zu den wichtigsten Wachstumstreibern gehört, sagen manche Experten ihr schon das Ende voraus. Die Autoren dieses Artikels sehen das allerdings anders und versuchen, einige der häufigsten Mythen zu entkräften.
Affiliate-Marketing in neuem Glanz
Wie sich eine Branche von ihren Mythen verabschiedet
Im November 2019 feierte das Affiliate-Marketing als wohl älteste Form im Online-Marketing sein 25-jähriges Jubiläum. Das gilt zumindest, wenn man William Tobins Unternehmen „PC Flowers and Gifts“ oder „CD Now“, einen Online-Shop für CDs aus dem Jahr 1994, als erste Affiliate-Programme sieht.
Wie in vielen Bereichen, wo sich neue Technologien entwickeln oder Arbitrage-Möglichkeiten ergeben, versuchen findige Unternehmer, Profit aus ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten zu schlagen. So haben sich auch in den Anfangsjahren des Affiliate-Marketings so manche Praktiken entwickelt, die nicht immer im Interesse des Advertisers waren. Jedoch wurden diese Kinderkrankheiten über die Jahre geheilt. In einem professionell betreuten Affiliate-Programm sind kriminelle Machenschaften nicht mehr möglich.
Aus diesem Grund gehen wir im folgenden Artikel den häufigsten Mythen auf den Grund und versuchen, diese zu bewerten.
Mythos 1: Im Affiliate-Marketing wird nur der Sale abgegriffen und es kommt selten zu inkrementellen Abschlüssen.
Im Kampf um Reichweite gibt es im Internet zahlreiche Player, die um die Aufmerksamkeit eines möglicherweise abschlusswilligen Users kämpfen. Auch verschwimmen die Grenzen zwischen Entscheidungsfindung, Warenkorbabbrecher und dem tatsächlichen Neukunden. Die Frage, wann, wie und wo der entscheidende Kaufimpuls geweckt wurde, kann auch mittels Customer-Journey-Analysen nicht zweifelsfrei beantwortet werden.
Vielmehr geht es doch darum, dass ein Online-Shop oder Dienstleister möglichst überall präsent ist und die Chance auf seinen Abschluss maximiert. Zudem kann eine fehlende Positionierung im Affiliate-Marketing auch dazu führen, dass die fast erfolgte Konversion dann doch noch an den Wettbewerber geht, was man aktuell sehr gut bei Amazon-Platzierungen beobachten kann. Hier gilt die neueste Devise: „Rette den Sale vor Amazon, wer kann!”
Affiliates bieten sehr wichtige Dienstleistungen (Vergleiche, Testsieger-Auszeichnungen etc.) für den Endverbraucher und helfen bei der Suche (z. B. Gutscheine). Gerade selbstständige Unternehmer, die mit Leidenschaft eine Website betreiben und eine Community aufbauen, nehmen sich oftmals mehr Zeit und Muße für einen Fachartikel als ein angestellter Journalist eines großen Medienhauses.
Und ja, im Affiliate-Marketing kann es auch zu Mitnahmeeffekten kommen. Vor allem dann, wenn der Partnerprogramm-Betreiber keine Gesamtstrategie verfolgt und gezielte Anreize fehlen, um inkrementelle Neukunden zu gewinnen, z. B. Abverkauf zum Saison-Ende.
Wir warnen jedoch davor, aufgrund dieses Mythos kein Affiliate-Marketing zu betreiben, da man seinem Online-Vertrieb dadurch eher schaden und seine Wettbewerber stärken wird. Als gutes Beispiel sei hier Zalando genannt, die bei Schließung ihres Affiliate-Programms sicherlich die Marken von Otto/About You gestärkt haben und nun mit Zalando Lounge wieder im Affiliate-Marketing vertreten sind.
Mythos 2: Mit dem Ende der Third-Party-Cookies endet auch das Affiliate-Marketing.
Eher neu ist die Diskussion, ob mit dem Ableben der Third-Party-Cookies und Browser- sowie DSGVO-Regulierungen auch das Affiliate-Marketing ein Ende nehmen wird. Dabei betreffen die Themen Datenschutz und Tracking doch alle Bereiche des Online-Marketings. Wer wird noch bereit sein, große Marketingbudgets weiterhin an Google oder Amazon zu überweisen, wenn diese nicht halbwegs glaubhaft nachweisen können, dass der Erfolg über ihren Kanal kam? Zuerst erledigen sich die Themen Re- und Pre-Targeting und auch große Medienhäuser werden ihre TKP-Angebote wohl nicht mehr rechtfertigen können. Wenn man die Kausalkette also ordentlich analysieren würde, dann käme eher die Erkenntnis auf, dass Affiliate-Marketing als Letzter das sinkende Schiff verlassen wird.
Die Verschärfung der Cookie-Regeln und das Ende des Third-Party-Cookies basiert auf vorauseilendem Gehorsam der gängigen Browser-Anbieter. Die DSGVO verlangt nämlich, dass Website-User darüber informiert werden, welche personenbezogenen Daten an Dritte weitergegeben und verarbeitet werden, und fordert sogar ein sogenanntes Opt-in. Das wiederum beeinflusst die Tracking-Methoden, die zukünftig noch einsetzbar sind. Der Gesetzgeber unterscheidet sehr deutlich zwischen „technisch notwendigem” Tracking und Informationen, die von Dritten weiterverarbeitet werden, wie beispielsweise im Fall von Google.
Tatsächlich arbeitet man gerade im Affiliate-Marketing sehr intensiv an Lösungen für dieses Problem. Erst im Januar erschien im BVDW der Leitfaden „Datenschutzkonformes Affiliate-Marketing“. Dieser beschreibt vor dem Hintergrund der aktuellen DSGVO-Diskussionen eine rechtliche Einordnung zur Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten in Bezug auf das Setzen von Cookies zum Betreiben eines Affiliate-Systems. Auch technische Lösungen wie das „Server-to-Server-Tracking“ haben sich als Reaktion bereits schnell in der Affiliate-Welt etabliert.
Die Regulierungen im Sinne des Datenschutzes waren längst überfällig. Das Affiliate-Marketing wird dadurch eher gestärkt.
Mythos 3: Affiliate-Marketing besteht nur aus Fraud.
Ganz schrecklich klingt die Pauschalisierung, dass Affiliates „alles Gauner” sind, was zuletzt in Fachmedien wieder öfter zu lesen war. Zur Richtigstellung sei als Erstes erwähnt, dass sich in Deutschland alle relevanten Player im Affiliate-Marketing dem „Code of Conduct Affiliate Marketing“ des BVDW verpflichtet haben. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Selbstverpflichtung zu Branchen-Standards sowie die aktive Unterstützung eines unabhängigen Beschwerdeausschusses.
Zweitens müssen sich Agenturen, Netzwerke und Affiliates, die in Deutschland Affiliate-Marketing betreiben, auch an deutsche Gesetze halten. Auch wenn das Internet liebevoll von manchen noch Neuland genannt wird, hat der Gesetzgeber seine Hausaufgaben gemacht. Deutsche Gesetze wie das Strafgesetzbuch oder das Handelsgesetzbuch gelten natürlich auch fürs Internet, wie zahlreiche Urteile belegen. Auch hat sich ein sogenanntes Internet-Recht entwickelt, z. B. das Telekommunikationsgesetz oder das Telemediengesetz. Wer im Internet betrügt, macht sich straffällig; das gilt natürlich auch für das Affiliate-Marketing.
Beim Thema Fraud im Online-Marketing handelt es sich nicht um ein affiliatespezifisches Problem, sondern es betrifft die gesamte globale Online-Marketing-Branche. Daher haben sich in den letzten Jahren sehr viele Überwachungs-Tools etabliert, die fraudulentes Verhalten im Netz aufspüren und aufdecken. Auch sind Agenturen und Netzwerke im Affiliate-Marketing sehr darauf bedacht, ausschließlich mit sauber agierenden Partnern zu arbeiten, um ihren eigenen Ruf nicht zu schädigen. Tatsächlich müssen gerade erfolgreiche Affiliates ihre Aktivitäten sehr transparent darstellen, um langfristig bestehen zu bleiben. Ein mögliches Fehlverhalten eines Marktteilnehmers wird somit schnell aufgedeckt und führt dann zwangsläufig zu dessen Ausschluss. Bei einigen Tools werden sogar Blacklisten geführt, um Fraud bereits im Vorfeld zu vermeiden.
Ein weiterer Vorteil im Affiliate-Marketing liegt darin, dass Vertriebsprovisionen erst nach einer Widerrufsfrist und nach Prüfung der „Sale-Transaktion” bezahlt oder eben auch storniert werden können, was in anderen Online-Marketing-Disziplinen nicht so einfach möglich ist, wenn man beispielsweise pro Klick bezahlt.
Mythos 4: 90 % der Sales werden über Gutschein-Publisher generiert.
Ein weiterer sich hartnäckig haltender pauschaler Vorwurf lautet, dass 90 % der Sales im Affiliate-Marketing über Gutscheine generiert werden. Wer das allerdings behauptet, der hat entweder nicht das nötige Hintergrundwissen oder es fehlt generell an einer nachhaltigen Online-Marketing-Strategie. Sicherlich haben Gutschein- und Schnäppchen-Portale per se eine große Reichweite und genauso gibt es Advertiser, die generell Gutscheine als Marketinginstrument sowohl offline, z. B. als Paketbeilage, als auch online über verschiedene Partnerschaften sehr aktiv nutzen.
Allerdings besteht ein Affiliate-Programm in der Regel aus sehr unterschiedlichen Partnerschaften. Dazu gehören Affiliates mit Blogs und Content-Seiten, Social-Media-Affiliates auf Facebook, Instagram oder YouTube sowie Preissuchmaschinen, Vergleichsportale, Display- oder E-Mail-Publisher.
Falls man sich dazu entscheidet, Gutscheine auch den Affiliate-Partnern anzubieten, sollte man wie für jeden anderen Online-Marketing-Kanal hierzu eine Strategie haben. Zum einen sollte man nur mit einer Closed-Group an Gutschein-Partnern zusammenarbeiten, die einem auch einen entsprechenden Mehrwert bieten, z. B. in Form von Neukunden oder höheren Warenkörben. Das erreicht man natürlich nicht, indem der Brand-Name in Verbindung mit dem Keyword „Gutschein“ bei Google gefunden wird, sondern indem die Produkte über die Startseiten der Social Media-Community oder den Newsletter-Verteiler der Gutschein-Partner beworben werden.
Mit so einer Strategie konnte beispielsweise die Affiliate-Agentur xpose360 gemeinsam mit l’tur Touristik den MII Award gewinnen. Dabei wurde eine Gutschein-Kampagne über ausgewählte Partnerschaften beworben. Zudem wurde ein technischer Basket Freeze im Warenkorb integriert, um keine Mitnahme-Gutscheine zu vergüten und keine anderen Affiliates zu überschreiben. In einem A/B-Test wurden dann in einem fünfwöchigen Test unterschiedliche Gutscheine getestet, um herauszufinden, welcher am besten funktioniert. Das Ergebnis war dann ein inkrementelles Buchungswachstum von 53 % und ein Umsatzwachstum um 46 %.
Insgesamt sollte allerdings die Verteilung der Affiliates ausgewogen sein, um nicht von einem Affiliate-Modell wie Gutscheinseiten oder Preissuchmaschinen abhängig zu sein. Und in der Regel ist das bei professionell betreuten Partnerprogrammen auch der Fall.
Mythos 5: Affiliate-Marketing wächst nicht mehr.
Falls der Umsatz einzelner Partnerprogramme nicht wächst, sollte man sich die Frage stellen, ob man dem Affiliate-Kanal auch wirklich die notwendige Aufmerksamkeit und ausreichend Ressourcen widmet. Denn ohne eine gezielte Aktionsstrategie, ohne ein kontinuierliches Partner-Scouting, ohne Partner-Reaktivierung und ohne den ständigen Austausch mit den bestehenden Affiliates kann es auch kein nachhaltiges Wachstum geben.
Insgesamt wuchs die Affiliate-Branche 2019 erneut im zweistelligen Prozent-Bereich. Auch im größten Affiliate-Netzwerk Awin stiegen die Umsätze 2019 um 5,8 % auf 193,7 Mio. Euro. Das bereinigte EBITDA wuchs sogar um 39,4 %. Auch Tradedoubler konnte eigenen Angaben zufolge im Jahr 2019 den Warenkorbumsatz seiner Partnerprogramme um mehr als 20 % steigern. Und weitere Netzwerke wie Webgains oder Adcell vermeldeten öffentlich für 2019 neue Rekordumsätze.
Auch die Merchants und Affiliates konnten 2019 ihre Umsätze weiter ausbauen. Laut der Affiliate-Trend-Umfrage unter 1.100 Teilnehmern im Affiliateblog.de verzeichnen 61 % der Merchants und 74 % der Affiliates im vergangenen Jahr steigende Umsätze über den Affiliate-Kanal. Bei den Agenturen und Netzwerken waren es sogar 90 %.
Aufgrund der positiven Entwicklung und Prognosen planen laut einer Studie von Rakuten Marketing drei Viertel der deutschen Marketer, ihre Budgets für 2020 zu erhöhen.
Das bestätigt die Affiliate-Trend-Umfrage ebenfalls. 78 % der Merchants rechnen für das Jahr 2020 mit steigenden Umsätzen. Die Affiliates, Agenturen und Netzwerke sind dabei allerdings etwas zurückhaltender. 61 % der Affiliates erwarten für 2020 ein Umsatzwachstum. 2019 waren es noch 76 %. Bei den Agenturen und Netzwerken rechnen 59 % mit einem Umsatzwachstum.
In einer Umfrage unter Werbetreibenden, die mit dem Affiliate-Netzwerk Tradedoubler arbeiten, haben zwei Drittel alle Befragten ausgesagt, dass sie im Affiliate-Marketing größere Wachstumschancen sehen als in anderen digitalen Marketing-Disziplinen, da diese zu einem großen Teil schon ausgereizt und zu Ende optimiert seien, während Affiliate Marketing laufend neue Möglichkeiten biete.
Fazit
Branchen-Insidern dabei zuzuhören, wie sie ihr eigenes Handwerk in Schutz nehmen, mag skurril wirken. Aber tatsächlich hat sich in den letzten Jahren sehr viel zum Positiven verändert. Affiliate-Marketing unterliegt wie jeder andere Kanal einer Evolution, bei der sich die Akteure mitentwickeln. Affiliate-Marketing besteht aus Tausenden von Webseiten unterschiedlichster Couleur und diese waren auch immer Inkubatoren für neue Ideen und Beschleuniger neuer Entwicklungen. Denn nicht nur die technologischen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen ändern sich kontinuierlich, sondern auch der Konsument. Mit perfekt auf die Zielgruppe und Zielsetzung abgestimmten Aktionen beweist Affiliate-Marketing immer wieder, wie es sich sinnvoll einsetzen lässt und wie wichtig es ist, Partnerschaften aufzubauen, die sich ergänzen und auch für den Endverbraucher einen Mehrwert liefern.
Deswegen macht es im Online-Marketing-Mix auch keinen Sinn, die einzelnen Kanäle getrennt voneinander zu betrachten. Jeder Kanal hat seine Vor- und Nachteile und die oben genannten Mythen gelten genauso oder sogar erst recht für das SEO- und SEA-Marketing. Man geht die Gefahr ein, dass man dem Wettbewerb ein freies Feld und damit Umsätze überlässt, wenn man sich nicht aktiv im Affiliate-Marketing positioniert.
Schlussendlich geht es um Reichweite und Abschluss-Generierung und darum, wie viel man dafür bezahlt. Und im Gegensatz zu anderen Marketingkanälen bietet Affiliate-Marketing immer noch den Vorteil einer rein performancebasierten Vergütung und stellt damit ein eher risikoloses Geschäftsmodell dar. Die aktive Betreuung der eigenen Dienstleister und ein gesundes Fraud-Management sind dafür natürlich auch wichtige Voraussetzungen.