„Natürlich ist unser Internetauftritt für mobile Besucher angepasst – damit man unsere Firmen-Homepage auch von unterwegs auf dem Handy anschauen kann! Dafür hat die Agentur extra ein Template programmieren müssen!“
Abgekratzt …
Seit dem Jahr 2007 folgen immer mehr Menschen einem neuen, einem noch nie da gewesenen Ritual: Keine Religion, kein politisches System und keine „höhere Ordnung“ hatte jemals die Macht, eine derart bedeutsame Gewohnheit in über 2,7 Milliarden Menschen dauerhaft zu installieren …
… und so kommt es, dass wir uns alle seit über einer Dekade dutzend-, ja hundertfach am Tag vor unserem kleinen mobilen Altar verneigen, in der beständigen Illusion einer tiefen Verbindung in die ganze Welt.
Wir nehmen unseren kleinen mobilen Altar überall mit hin: auf die Toilette, ins Meeting, zum Sex, in die Straßenbahn und sogar zur Arbeit. Und wir gewöhnen uns daran, immer mehr mobil zu machen: Tickets buchen, Reisen planen, Preise vergleichen, einkaufen, kommunizieren.
Alles, was auf dem kleinen mobilen Altar gemacht werden kann, wird auch gemacht. Und je einfacher es ist, umso eher wird es gemacht.
Ein Beispiel: Bei einem bestimmten Versicherungsanbieter lässt sich eine Haftpflichtversicherung mit sehr wenigen Eingaben direkt am Handy mobil abschließen. Im Praxistest dauerte der verbindliche Abschluss knapp zwei Minuten – mit einer 3G-Verbindung, von der Toilette aus.
Der Anbieter macht vieles richtig: Das Angebot ist einfach verständlich. Der Preis ist günstig. Das „Kleingedruckte“ ist liebevoll und eingängig aufbereitet. Jede Fingerbewegung löst ein Gefühl kognitiver Leichtigkeit aus. Es macht regelrecht süchtig, bei diesem Unternehmen Verträge abzuschließen.
Das Unternehmen wird von seinen Kunden für diese Einfachheit auf allen Ebenen geliebt und gefeiert.
Das Besondere an diesem Fall ist, dass das Unternehmen derzeit alleine auf weiter Flur steht. Es ist der reinste Graus, bei den Wettbewerbern eine Haftpflichtversicherung über das Smartphone abzuschließen:
Einige Websites sind auch im Jahr 2019 nicht für Mobilgeräte optimiert. Viele Versicherungsunternehmen bieten lediglich die Erstellung eines Angebots an. Und die Online-Systeme, bei denen man tatsächlich einen echten Abschluss durchführen kann, fühlen sich „knetig“, „formularig“, sperrig-kompliziert und sehr „deutsch“ an.
Dieses Phänomen zieht sich durch alle Branchen, Unternehmensgrößen und Arten von Angeboten.
Die Online-Marketing-Branche tut währenddessen weitgehend so, als hätte sie seit Jahren verstanden, „dass der kleine mobile Altar wichtig sei“. Es wird viel von Konzepten wie „mobile first“ und „user centricity“ geredet.
In der Praxis sieht es anders aus: „Usability fails“, wohin das Auge reicht. Responsive Texte? Fehlanzeige. Stark vereinfachte Prozesse, die dem Medium „Smartphone“ gerecht werden? Selten.
Die Situation scheint verfahren: Online-Marketing-Agenturen beklagen die mangelnde Flexibilität der Unternehmen – vor allem bei der Um- und Neugestaltung von Prozessen. Unternehmen beklagen die mangelnde Innovationskraft und fehlendes technologisches Wissen der Agenturen.
Wer gewinnt dieses Spiel? In der Regel Unternehmen, die frei von Ballast und Historie einfache und wertschöpfende digitale Prozesse erstellen und optimieren.
Und die Kunden? Die gehen dorthin, wo sie mit ihrem kleinen mobilen Altar genau das machen können, was sie gerade machen möchten. Und das möglichst einfach. Und zwar schon seit 2007.