Dynamisierung – das kontextbezogene Performance-Marketing von morgen

Sven Dreißigacker
Sven Dreißigacker

Sven Dreißigacker ist Geschäftsführer der UserMind GmbH und beschäftigt sich insbesondere mit den Themenkomplexen Usability, UX und Conversion-Optimierung. Die Nutzer der Online-Welt bei Entscheidern in den Fokus zu rücken und die Online-Erfahrung immer weiter zu verbessern, ist ihm hierbei ein besonderes Anliegen.

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Im Offline-Segment ist es schon gang und gäbe, und das seit Menschengedenken. In der Steinzeit hat der smarte Verkäufer Tok dasselbe Stück Fell der Jungfrau TackaTu als aufreizenden Lendenschurz verkauft und dem starken TukTuk als heroischen Kriegsumhang. Der Verkäufer hat den Kontext unterschiedlich bewertet und somit das jeweils beste Ergebnis erzielt. Dieses Prinzip der kontextbezogenen „Ansprache” zieht sich durch alle Epochen, bis hin ins digitale Zeitalter. Wie aber kann ein und derselbe digitale Verkäufer (die Landingpage) diese unterschiedlichsten Intentionen dynamisch bedienen?

Von der Steinzeit in das digitale Jetzt

Tok hat vorgemacht, was auch im digitalen Umfeld ein immer relevanterer Hebel ist. Steigende Technologiestandards offerieren immer bessere Tools. Traffic-Kanäle stoßen ab einem gewissen Punkt an ihre Grenzen und sind nur noch mit sinkendem ROI skalierbar. Dadurch werden ergänzende Themen wie die Dynamisierung von Landingpages für Wachstumsstrategien immer interessanter. Ziel ist es, zur jeweiligen Anzeigenausrichtung passende Landingpage-Varianten zu kreieren (Abb. 1). Diese sind viel passgenauer auf die Suchintention, das Anzeigenversprechen und somit die Erwartungshaltung des Besuchers getrimmt. Weit besser als die Standard-Landingpage, welche es allen Besuchern recht machen muss.

Das zugrunde liegende Problem

Die Anzahl möglicher Conversions ist demnach limitiert, da die jeweilige Landingpage nicht kontextbezogen an die unterschiedlichen Performance-Marketing-Kampagnen angepasst werden kann. Marketer haben in der Regel auch nicht die nötigen Programmierkenntnisse, Budgets und Zeitkontingente, um entsprechende Landingpage-Varianten selbst zu erstellen. Wie kann der Marketer von morgen den Hebel der Dynamisierung dennoch erfolgreich nutzen? Anlässlich der Beta-Phase einer neuen SaaS-Lösung in dem Segment widmet sich der Artikel einem möglichen Dynamisierungs-Prozess im Bereich des Performance-Marketings unter Zuhilfenahme von Varify.io.

Disclaimer: Varify.io verspricht, Marketern ein Tool an die Hand zu geben, welches ohne tief greifende Programmierkenntnisse auskommt und Landingpages auf unterschiedliche Kontexte hin dynamisieren kann. Anders als bei herkömmlichen A/B-Testing-Tools (z. B. Optimizely, VWO etc.) ist es möglich, eine unbegrenzte Anzahl an Varianten einer Landingpage zu erstellen und diese ohne Traffic-Limit auszuspielen.

Die D-Pyramide – Framework zum Kreieren von Dynamisierungs-Clustern

Bevor es aber an das Eingemachte geht, braucht es eine Strategie. Das Ziel dieser sollte es sein, eine Liste sinnvoller Varianten einer Landingpage zu sichten, welche es im Nachgang zu kreieren gilt. Die dynamisierten Facetten der Landingpage werden dann mit entsprechend ausgerichteten Anzeigen angesteuert. Als Ideenfindungsprozess kann zum Beispiel eine Keywordrecherche oder ein kreativer Prozess dienen, beispielsweise mithilfe der D-Pyramide (Abb. 2).

Die D-Pyramide ist ein Framework zum Kreieren von Dynamisierungs-Clustern. Je höher in der Pyramide geklettert wird, desto komplexer werden zwar die Varianten und das Targeting, aber umso zielgerichteter wird die Kommunikation. Wenn Ebene 1 noch das aktuelle Standardvorgehen spiegelt (eine Landingpage für ein Hauptthema wie z. B. Jogginghosen), taucht Ebene 4 schon sehr tief in den Facetten-Kosmos ein. Ein Beispiel gefällig? Ein Online-Shop möchte die Rentabilität von Dynamisierungs-Maßnahmen testen und beauftragt den Marketingverantwortlichen damit. Dieser ermittelt zunächst die trafficstärkste Kategorie (Jogginghose) und beginnt im nächsten Schritt mittels D-Pyramide zu clustern:

Ebene 1 - Top-Cluster: Jogginghose
Ebene 2 - Kontext-Cluster: im Sommer, Training/Sport, gemütlich, cool, schick, Marken, ...
Ebene 3 - soziodemografische Daten: Kinder, Herren, Damen, Jugendliche, ...
Ebene 4 - Persönlichkeit: sportbegeistert, Hip-Hop-Fans, Promi-Interessierte, Hipster, Unternehmer, …

Um mögliche Varianten zu erschließen, werden die vier Ebenen jetzt verkettet. Neben Verkettungen, die wenig Sinn ergeben, wurden nach einer Priorisierungs-Runde und der Überprüfung von Suchvolumina folgende Ideen ausgewählt:

  • Gemütliche Damen-Jogginghosen
  • Marken-Jogginghose für jugendliche Sportbegeisterte
  • Herren-Jogginghosen für den Sommer
  • Coole Kinder-Jogginghosen
  • Schicke Jogginghosen für Unternehmer

Der Marketingverantwortliche ist jetzt im Besitz einer Liste an verschiedenen Kontexten, die in unterschiedlichen Variationen der Standard-Landingpage realisiert werden sollen. Dazu überlegt er sich zu jeder ausgewählten Idee ein tragfähiges Konzept und geht zum Erstellen der Varianten über.

Dynamisierung der Standard-Landingpage mit einem WYSIWYG-Editor

Varify.io bietet ähnlich wie gängige A/B-Testing-Tools einen WYSIWYG-Editor (What You See Is What You Get). Dieser ermöglicht es, die gewünschten Landingpages einfach an die eigenen Vorstellungen anzupassen. Mithilfe des Editors können zum Beispiel Texte und Bilder ersetzt, Inhalte komplett ausgeblendet oder Styles abgeändert (Abb. 3) werden. Auch tief greifende Änderungen an HTML, CSS oder JS-Elementen sind möglich. Mithilfe des Editors wird nun begonnen, die Standard-Landingpage auf das Thema „gemütliche Damen-Jogginghosen” zu trimmen. Dazu werden Bilder, Texte und weitere Elemente angepasst, bis das Ergebnis das jeweilige Thema der Landingpage widerspiegelt oder, besser, einem zuvor erarbeiten Konzept entspricht. Abschließend wird die optimierte Variante (Abb. 4) der Standard-Landingpage abgespeichert. Der vergebene Variantenname (z. B. gemuetliche_damen_jogginghosen) ist der Identifikator, mittels dessen die dynamisierte Version der Standard-Landingpage später aufgerufen werden kann. Dieser Vorgang wird jetzt für alle zuvor ausgearbeiteten Szenarien wiederholt. Die erstellten Varianten werden auf dem eigenen oder einem Varify-Server „geparkt” und geladen, sobald der Variantenname über folgenden Parameter ?varify={Variantenname} aufgerufen wird. Dazu muss lediglich ein Script im Head-Bereich (ähnlich Google Analytics, Facebook-Pixel etc.) eingefügt werden.

Tipp

Dynamisierung über zuvor definierte Landingpage-Varianten kann auch für Informationsseiten und Blogs sinnvoll eingesetzt werden. Beispielsweise können drei Abstufungen im Schwierigkeitsgrad präpariert werden. In diesen können Fachtermini, Länge und erwartetes Vorwissen unterschiedlich ausgeprägt sein. Über einen Switch kann der Leser dann zwischen „Anfänger”, „Fortgeschrittener” und „Experte” wählen. Die Landingpage wird daraufhin entsprechend dynamisiert.

Targeting über Google Ads

Die nötige Infrastruktur ist kreiert und bereit für das Targeting. Dynamisierung im Performance-Marketing bedarf einer entsprechenden Anzeigenausrichtung, sodass auch die relevanten Nutzergruppen, entsprechend den Suchintentionen und dem Anzeigenversprechen, auf die richtige Landingpage-Variante navigiert werden. Zunächst wird eine Suchnetzwerk-Kampagne angelegt oder eine bestehende angepasst. Eine Kampagne mit dem Beispielnamen „Dynamic Landingpage-Ads” wurde angelegt. Nun werden unterschiedliche Anzeigengruppen erstellt, zu jeder Landingpage-Variante eine. Mithilfe des Suffix-Parameters (Abb. 5) kann der mit Varify generierte Parameter auf Anzeigengruppenebene definiert werden. Für die Variante „gemütliche Damen-Jogginghosen” wäre das zum Beispiel varify=gemuetliche_damen_jogginghosen.

 

Die dafür hinterlegte Variante wird über den URL-Parameter identifiziert und somit an alle Nutzer ausgespielt (Abb. 6), die Anzeigen aus dieser Anzeigengruppe klicken. Wer noch tiefer eintauchen möchte, kann mittels ValueTrack-Parameter zum Beispiel auch nach Device und Keyword-Ausrichtung unterschiedliche Inhalte anzeigen. An dieser Stelle sind kaum Grenzen gesetzt. Es besteht allerdings auch die Gefahr, vom Hundertstel ins Tausendstel zu driften und sich nicht mehr im Rahmen eines lukrativen Arbeitsprozesses zu bewegen. In einem vorletzten Schritt werden entsprechende Anzeigen kreiert, die ein zur Landingpage-Variante passendes Anzeigenversprechen transportieren und die erste Anlaufstelle für einen zielgerichteten Kommunikationsprozess darstellen. Schließlich werden noch entsprechende Keywords eingebucht, welche die passenden Suchintentionen bedienen und dafür sorgen, dass die erstellten Anzeigen auch für die richtigen Suchanfragen ausgespielt werden. Der Marketingverantwortliche hinterlegt Budget, aktiviert die Kampagne und wartet gespannt auf erste Zahlen.

Tipp

Targeting über Facebook-Kampagnen hat den Vorteil, dass zur Verfügung stehende Interessen der Nutzer (Abb. 7) herangezogen werden können, was eine maximal emotionalisierende Ausrichtung der Landingpage-Variante ermöglicht. Dieses Vorgehen fokussiert stark auf die vierte Ebene der D-Pyramide, wodurch ein sehr zielgerichteter Kommunikationsfluss erreicht werden kann.

Chancen heute und morgen

Der Marketingverantwortliche hat jetzt also die Möglichkeit, einen Dynamisierungsprozess innerhalb seiner Performance-Marketing-Strategie zu nutzen. Er ist in der Lage, Besucher seiner Seiten zielgerichtet abzuholen und nach Intentionen, soziodemografischen Daten oder sogar Interessen auf entsprechend präparierte Landingpage-Varianten zu lenken. Das generelle Vorgehen wird smarter und vor allem Nutzer-fokussierter. Tok aber ist noch nicht zufrieden und schwelgt in Gedanken an weitere Möglichkeiten.

Dynamisierung nach Konsumverhalten (Customizing)

Tok war schon immer ein Vordenker. Er weiß, dass das Verhalten seiner Kunden während des „Stöberns” in seiner Höhle Aufschluss über Bedürfnisse und Vorlieben gibt. Er ist also aufmerksam und registriert folgende Daten:

» angeschaute Produkte und dazugehörige Produktkategorien
» ist bereits Stammkunde mit Kaufhistorie
» gesehene Produkte ohne Interaktion
» Zeit beim Begutachten von Produkt x
» Zeit in Kategorie x

Nach ausgiebiger Beobachtung hat sich Tok ein umfassendes Bild über Vorlieben und Interessen seiner Kunden gemacht. Alle Interaktionen zwischen Verkäufer und Nutzer sind jetzt auf Basis des „Stöberns” personalisiert. Die für den Nutzer relevantesten Produkte sind nun auch die bei anderen Käufern Beliebtesten und, wie der Zufall es will, auch aktuell im Sonderangebot. Der digitale Verkäufer spielt sinnvolle Ergänzungen an den Nutzer aus, offeriert die besten Angebote aus Kategorie x und informiert über Neuheiten aus passenden Produktsegmenten. Kurzum, der Nutzer bekommt genau das, was er sucht, auf einem Silbertablett präsentiert.

Dynamisierung nach Persönlichkeitstyp (Neurotargeting)

Tok ist ein wirklich eifriger Verkäufer. Ihm reicht es nicht, nur auf Basis von Kundenverhalten in Bezug auf seine Produkte zu unterscheiden. Er weiß, der größte Hebel sind die Charaktereigenschaften seines Kunden. Er geht also den wohl raffiniertesten, aber zugleich auch komplexesten Weg: die Live-Einschätzung auf Basis von Nutzerverhalten mit Hinblick auf den daraus resultierenden Persönlichkeitstyp. Zuvor definierte Entscheidungskriterien werden mit einem Framework zur Einschätzung von Persönlichkeitstypen (Lymbic Typs, DISG, Big Five etc.) in Einklang gebracht und validiert. Es entsteht ein Scoringsystem, das auf Basis definierter Metriken Persönlichkeitstypen zuordnen kann. Kriterien können zum Beispiel sein:

» Mausgeschwindigkeit
» Aktivität (wie viel Prozent der Zeit die Maus wurde auf der Seite bewegt)
» Klickanzahl
» zur Verfügung stehende soziodemografische Daten
» Daten eingeloggter Nutzer mit Account

Der Verkäufer Tok (beziehungsweise das definierte Scoringsystem) fängt nun also an, den Interessenten mit Beginn des Verkaufsprozesses zu beobachten, und lässt dabei – soweit vorhanden – bereits Bekanntes mit einfließen. Nach einer gewissen Zeit kann Tok mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erwartungskonformer auf den potenziellen Käufer reagieren, was letztendlich die Verkaufsrate (Conversion-Rate) erhöht.

Ein Beispiel: Nutzer y, der auf Basis hoher Aktivität und Mausgeschwindigkeit sowie weiterer erhobener Daten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit der Persönlichkeitsausrichtung „Performer” entspricht, bekommt nun ein Audi-Banner anstatt eines Smart-Banners angezeigt. Weiterhin können alle weiteren an den Nutzer ausgespielten Seiten speziell auf diese Ausrichtung hin getrimmt ausgegeben werden. Zum Beispiel auf Bedürfnisse wie Status, Leistung, Effizienz oder Funktionalität.

Und was jetzt?

Zugegebenermaßen kommt das Thema Dynamisierung sehr komplex verpackt daher. Obgleich es für die meisten noch am Anfang steht und zukünftige Technologien sich aus einem aktuellen Blickwinkel nur im Ansatz erahnen lassen, gibt es auch jetzt schon sehr interessante Möglichkeiten, diesen vielversprechenden Ansatz zu nutzen. Auch ohne großen technischen Background kann bereits jetzt daran gearbeitet werden, Nutzer in den Fokus zu rücken und als das zu behandeln, was sie sind – Individuen. Mit einer gut durchdachten Strategie und den richtigen Tools wird auf diese Weise die Conversion-Schraube in die richtige Richtung gedreht und letztendlich der Wettbewerbsvorteil gesichert. Tok war schließlich nicht von ungefähr der erfolgreichste Verkäufer seines Clans, wenn nicht gar seiner Epoche.