Jeder ist steuerbar, wenn man es richtig anstellt. Dabei ist es immer ein schmaler Grat, inwiefern bzw. wie stark man seine Besucher bei ihren Entscheidungen aktiv beeinflusst. Kognitive Verzerrungen können daher eine mächtige Waffe im Kampf um Kunden sein. Während in der Offline-Welt solche Instrumente zur Steuerung von Aufmerksamkeit seit Langem bekannt sind, nutzen bisher nur wenig Online-Verantwortliche dieses Repertoire der Kognitionspsychologie. Online-Expertin und Psychologin Sarah Weitnauer erklärt, wie man Priming-Effekte in Websites integriert, die nicht nur die Aufmerksamkeit der Kunden gezielt lenken, sondern auch den Verkauf nachweislich pushen.
PRIMING – DIE ELEGANTE FORM DER KUNDENBEEINFLUSSUNG Websiteoptimierung mit Köpfchen
Was macht Primes so besonders?
Primes sind sinnvoll, weil sie Conversions boosten, die Markenbildung und -bindung steigern, das Image aufwerten und den Umsatz in die Höhe treiben – kurz, weil es unter allen wirtschaftlichen Aspekten sinnvoll ist, diese Form der psychologischen Beeinflussung auf Webseiten anzuwenden. Die Priming-Effekte sind ganz klar monetär quantifizierbar. Darüber hinaus kann im Online-Marketing die Wirksamkeit an diversen KPIs wie zum Beispiel Verweildauer und Conversions gemessen werden. Dadurch sind Priming-Effekte im E-Commerce skalierbar.
Deshalb sollte mit Primes gearbeitet werden:
Wenn beim Superbowl ein Werbeclip von 30 Sekunden Dauer zu sehen ist und fünf Millionen Euro kostet, liegt es auf der Hand, dass alle Register gezogen werden müssen. Priming-Effekte und Trigger werden genutzt, um eine klar vorhersagbare Reaktion hervorzurufen – schließlich muss das aufgewendete Budget hereingespielt werden. Alle großen internationalen Webseiten mit hohen Besucherzahlen nutzen Priming. Dass im deutschsprachigen Raum der E-Commerce noch nicht nachgezogen hat, ist seltsam. Priming ist ein mächtiges Werkzeug. Zusätzlich wird jeder, der sich Gedanken über Primes macht, weniger versehentlich eingebaute negative Primes und Assoziationen auf seiner Website haben. Dadurch wird jede Seite besser performen.
Gleichzeitig können Primes dazu genutzt werden, die Kunden auf eine vom Seitenbetreiber gewünschte Art und Weise durch die Seite zu führen. Ähnlich wie im Supermarkt, wo Käufer geschickt an Produkten, die nicht auf ihrem Einkaufszettel stehen, vorbeigeleitet werden, bis sie zu den Alltagsprodukten wie Gemüse, Kaffee oder Milch gelangen.
Was ist ein Prime?
Ein Prime kann ein Bild, ein Wort, eine Farbe oder bereits das Design sein. Primes beeinflussen das Einkaufsverhalten. Ein potenzieller Käufer würde ohne Prime die Waren A, B, C in den Einkaufswagen legen, wohingegen ein durch einen Prime ausgerichteter Käufer die Waren X, Y, Z auswählt.
Priming ist eine Form von Voraktivierung. Ein Prime bedeutet Beeinflussung der Wahrnehmung und Reaktion auf einen Reiz B durch einen vorhergehenden Reiz A. Ein Prime wirkt sich auf das implizite Gedächtnis aus – also auf das, was unbewusst da jedoch nicht greifbar ist – und benutzt dieses, um eine veränderte Reaktion auf einen anderen, bald darauffolgenden Reiz zu bewirken.
Ein klassisches Beispiel für einen Prime und die darauffolgende Handlungsveränderung zeigt die Studie von Rind und Bordia (Rind, B., & Bordia, P. (1996). Effect on restaurant tipping of male and female servers drawing a happy, smiling face on the backs of customers‘ checks. Journal of Applied Social Psychology, 26, 218-225).
Ein und derselbe Kellner setzt auf die Rechnung verschiedener Restaurantgäste entweder ein stilisiertes Gesicht :-) oder überbringt die Rechnung ohne Modifikation. Der Kellner erhält für Rechnungen mit Smiley signifikant mehr Trinkgeld. Das Betrachten des Lächelns und sein Effekt auf die Gehirnaktivierung wirken sich auf die Spendabilität der Gäste aus. Übertragen in den Online-Bereich bedeutet das: Lachende Gesichter auf Webseiten wirken über die Spiegelneuronen als positiver Prime. Das zeigt sich zum Beispiel in höheren Verweilzeiten und in der Anzahl der Klicks. In Anwendung kommt es zum Beispiel im Logo von Geschenke24.de.
Primes sollten sorgfältig gewählt werden. Für manche Webseiten sind Smileys oder lachende Gesichter nicht geeignet, weil sie das Seitenthema nicht stützen. Das ist offensichtlich, wird jedoch in der Realität häufig nicht umgesetzt.
Sind Primes wirklich verhaltenswirksam?
„Nur weil ich etwas lese, ändert sich doch nicht mein Verhalten!“, denken viele. Zugleich ist die Beeinflussbarkeit wissenschaftlich belegt.
Im Experiment lasen Personen Wörter, die sich klar auf Stereotype älterer Menschen bezogen, wie zum Beispiel verwirrt, einsam, grau und Rente. Alle Wörter, die sich auf die Geschwindigkeit von Körperbewegungen im Alter bezogen, wurden gezielt ausgeklammert. Allein das Öffnen des Denkschemas „alt“ führte in diesem Versuch dazu, dass sich die Personen nach dem Lesen mit langsamerer Schrittfolge über einen Korridor bewegten. Der Clou an der Sache: Keine der Versuchspersonen war sich über dieses Verhalten im Klaren. Ebenso wenig sind sich Website-Besucher einer subtilen Steuerung durch Priming bewusst. Deshalb können Primes sowohl in Überschriften als auch dem Textkörper oder in Bildunterschriften genutzt werden (Bargh, J. A., Chen, M., & Burrows, L. (1996). Automaticity of social behavior: Direct effects of trait construct and stereotype activation on action. Journal of Personality and Social Psychology, 71(2), 230-244).
Priming ist eine Form von Websiteoptimierung:
- Negative Primes werden eliminiert
- Wahrnehmung der Kunden gezielt
auf bestimmte Bereiche lenken
- Stimmung und Emotion beeinflussen
- Gezieltes Öffnen von impliziten Gedächtnisinhalten,
um Conversions zu erhöhen
Als Beispiel eines Primes wurde auf dieser Website im Hintergrund die Kuhweide ausgespielt. Alle anderen Faktoren wie Bilder, Texte und Anordnungen blieben gleich. Interessanterweise sind die Tiere nicht einmal scharf erkennbar und wirkten dennoch als Prime für BIO. Zeitgleich mit der Ausspielung stiegen die Anfragen, ob es sich hier um eine Bio-Metzgerei handle, signifikant. Allein das Einblenden des Bildes öffnet als Prime ein Gedächtnisschema und ändert das Verhalten.
Fällt Priming den Kunden auf?
Viele Menschen fragen, wenn sie etwas über Primes erfahren: „Aber fällt Priming nicht auf? Ich nehme ja bewusst wahr, dass es so was wie Primes gibt.“
Die gute Nachricht: Es fällt niemandem auf und Primes sind immer wirksam.
Die schlechte Nachricht: Keiner ist vor Beeinflussung durch Priming gefeit, weder in der Online-Kampagne, der Offline-Werbung noch in der Politik oder in zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn Priming auffällt, wurde meistens Reverse Priming (siehe unten) gezielt eingesetzt.
Was ist ein Ankereffekt? Oder wie aus 20 $ 123 $ werden
Der allseits bekannte Daniel Kahnemann führte ein klassisches Ankerexperiment durch. Er fragte Personen, wie viel Geld sie bei einer Ölpest für Seevögel zu spenden bereit wären.
Gruppe A erhielt die Frage: „Wären sie bereit, 5 $ zu geben?“ Diese Versuchspersonen kamen auf einen durchschnittlichen Spendenwert von 20 $.
Gruppe B wurde gefragt: „Wären sie bereit, 400 $ zu geben?“ Hier wären pro Versuchsperson durchschnittlich 123 $ gespendet worden – ein Vielfaches des Spendendurchschnitts der Gruppe A.
Die willkürliche, von den Wissenschaftlern vorgegebene Zahl hatte sich in den Köpfen der Leute verankert und sich direkt auf das Ergebnis ausgewirkt.
Menschen orientieren sich instinktiv an den momentan vorhandenen Umgebungsinformationen, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst wird. Interessanterweise haben diese Informationen selbst dann einen Einfluss, wenn sie für die Entscheidung keinerlei Relevanz haben. Ob das die selbst gedrehte Zahl am Glücksrad ist oder eine durch eine andere Person vorgegebene Zahl, spielt keine Rolle. Anker sind willkürlich, können aber gezielt getriggert werden.
Ankereffekte zur Conversion-Erhöhung
Ein Anker hält wie die Leine das Boot. Dieses ist durch den Anker fest an einen bestimmten Punkt gebunden und kann sich ausschließlich in einem begrenzten Umkreis bewegen. Analoges dazu geschieht im menschlichen Gehirn. Der eingeimpfte Gedanke an eine Zahl, die jedoch nichts mit der Sache per se zu tun hat, hat ungeahnte Auswirkungen. Der Handlungsraum schrumpft durch den Anker auf einen begrenzten Kreis von Werten, ohne dass wir Menschen uns dessen bewusst sind. Als unbewusste Suggestion aktiviert der Anker vorhersehbare Assoziationen, welche über den oben erklärten Mechanismus des Priming die darauffolgende Handlung beeinflussen.
Auf der Website Geschenke.24.de wurden Ankereffekte eingesetzt, um die Conversions zu erhöhen. Das getestete Produkt ist eine kleine Holzkiste, die üblicherweise dazu genutzt wird, Geldgeschenke zu verpacken. Dazu wurde das ursprüngliche Produktbild durch ein anderes ersetzt. Jeder der vier neuen Varianten lag die gleiche Box zugrunde. Allerdings wurden im Gegensatz zur Originalvariante diverse Geldscheine deutlich unterteilt gezeigt. Zusätzlich wurde die Jahreszahl aktualisiert und als Namen die häufigsten Modevornamen der 90er verwendet.
Es ergaben sich hier als signifikanter Effekt höhere Conversions.
Welche der beiden Formen heißt Maluma?
Die signifikante Mehrheit der Befragten entscheidet sich immer wieder für die linke Form. Die Form wirkt, wie hier deutlich wird, auf die Erwartungshaltung. Menschen haben Schubladen im Kopf, je nachdem, was wir zu einer Sache oder Situation mal gespeichert haben, ploppt die nächste Gehirnschublade auf. Fast wie bei der Post, wenn mehrere Päckchen in der Packstation abholt werden und, sobald das eine Fach geöffnet und wieder geschlossen wurde, gleich das nächste aufspringt und so weiter.
Durch einen Prime wird also eine bestimmte Abfolge von Gedanken und Handlungen ausgelöst. Dies führt zu:
- Schnellerer Wahrnehmung
- Leichterer Merkfähigkeit
- Höherer Relevanz
Diese aufploppenden Assoziationen heißen Schemata. Sie sind eine Art von strukturierten Daten des Gehirns.
Mit Bedacht kombinierte Effekte können sich hervorragend ergänzen. Sie einzeln zu sehen, wäre wie den Geschmack einer Mozartkugel allein am Fett und Zuckergehalt festzumachen. Denn auch hier gilt: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile (Köhler, W. (1929). Gestalt psychology. Oxford, England: Liveright).
Welche Primes existieren und welche davon spielen fürs OM eine Rolle?
- Semantisches Priming:
Die Bedeutung von Bildern oder Worten beeinflusst spätere Gedanken und folgendes Verhalten:
LÖWE triggert TIGER und vice versa. Priming bei der Sprachverarbeitung ist also ein lokaler und kurzfristiger Kontexteffekt.
- Nicht-assoziatives semantisches Priming:
Eng verwandte Konzepte, bei denen es eine eindeutige Schubrichtung gibt. Der Gedanke A triggert zwar den Gedanken B, Gedanke B allerdings nicht A, sondern einen ganz anderen Gedanken C. Es funktioniert also nicht in beide Richtungen.
Beispiel:WELTALL triggert SONNE, SONNE triggert weniger das WELTALL, sondern eher diverse Planeten wie MARS, dieser triggert weniger die SONNE als einen bekannten Schokoriegel.
- Perzeptives Priming:
Durch miteinander logisch verbundene oder verwandte Reize wird ein bestimmtes Verhalten innerhalb der Website nahegelegt. Zum Beispiel: Ein Produkt wird angeklickt, weil es vorher im Header getriggert wurde.
- Konzeptuelles Priming:
Verwandte Konzepte werden hier verwendet, um die Antwort zu primen.
Zum Beispiel: LÖWE -> AFRIKA
- Phonologisches Priming:
Wörter, die ähnlich klingen oder sich reimen. Beispiel: LÖWE triggert MÖwE.
- Assoziatives Priming:
Primt auf eine Idee. Das Wort KAFFEE primt den Gedanken an KUCHEN.
- Maskiertes Priming:
Hier wird ein Wort oder ein Bild unterhalb der Wahrnehmungsgrenze gezeigt, durch die unbewusste Wahrnehmung werden bestimmte Schemata geöffnet. Diese ermöglichen später ein schnelleres Erkennen und eine leichtere Einordnung in die eigene Gedankenwelt.
- Repetitives Priming:
Stetige Wiederholung eines Wortes, eines Bildes oder eines ganzen Satzes wird spätere Gedankengänge beeinflussen. Hierzu gehören unter anderem Slogans.
- Rückwärtsgerichtetes Priming:
Menschen, die bemerken, dass sie gesteuert werden, reagieren meist mit einer überdeutlichen Reaktion in die gegensätzliche Richtung. Diese halten sich dann oft für besonders schlau und gehen dem Prime trotzdem auf den Leim.
Fazit
In der Online-Welt werden die Synergieeffekte von Psychologie und Marketing noch kaum genutzt. Dabei schlummert hier ein riesiges Potenzial, das im E-Commerce verschenkt wird. Durch das gezielte Setzen von Primes kann das Verhalten in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Priming im Webdesign und der Produktpräsentation fußt auf den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie. Im E-Commerce können Kunden direkt auf der Website mit Primes für Produkte empfänglich gemacht werden. Allerdings sollte nur das schmackhaft gemacht werden, was auch für den Kunden sinnvoll ist. Sonst muss im schlimmsten Fall mit Retouren gerechnet werden.
Im Web wirken Primes nicht nur direkt bei der Conversion, sondern oft schon viel früher. Ob Rezension, Bewertung oder Empfehlung, alles kann mit impliziten Verführungen, den Primes, angereichert werden, um den Gedanken die gewünschte Richtung zu bahnen. Priming kann auf der gesamten Klaviatur des Online-Marketings genutzt werden. Wer jetzt noch nicht die Psychologie fürs Web entdeckt hat, sollte sich sputen, denn mit der Zeit ist nicht der Zeit voraus. Noch haben die Ersten, die Primes einsetzten, am Markt wertvolle Vorteile.