Frische Lebensmittel zum Wunschtermin nach Hause bestellen, die Liebe des Lebens finden, das Auto oder Luxusfahrzeuge ersteigern: Gefühlt lässt sich alles digital ordern. Eine der ganz wenigen Ausnahmen sind Immobilien. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind ein Grund, die Trägheit der Branche ein anderer. Dass sich „Immobilienshopping” im Web erfolgreich umsetzen lässt, haben Pilotprojekte gezeigt.
Immobilienshopping im Web
Seit 2009 erlebt die Immobilienbranche einen wahren Boom: Getrieben von den fallenden Zinsen suchen Investoren händeringend nach Anlagemöglichkeiten mit langfristiger Rendite. Auch für Eigennutzer ist der Kauf von Wohneigentum eine äußerst attraktive Alternative zum Mieterdasein.
Mit der zu erwartenden Abkühlung des wirtschaftlichen Klimas und steigenden Zinsen wird der Druck zur Innovation in diesem Sektor deutlich spürbar werden. Start-ups stellen bereits innovative digitale Lösungen für diesen Milliardenmarkt zur Verfügung. Die Angebote beschränken sich aktuell allerdings fast ausschließlich auf die Herstellung selbst, den Handel mit Baumaterialien, auf die Verwaltung oder die Vermietung der Immobilien. An den logischen nächsten Schritt, nämlich den kostenintensiven Vertrieb vollumfänglich zu digitalisieren, wagt sich bislang kein Anbieter.
Großer Hebel bei der Reduzierung der Vertriebskosten
Dabei ist das Potenzial enorm: Branchenübliche Vertriebskosten liegen – in Abhängigkeit vom angebotenen Objekt – bei 5 bis 7 Prozent des Verkaufspreises. Eine nur teilweise Senkung dieses enormen Kostenblocks ist somit entsprechend attraktiv. Die zu erwartenden Einspareffekte durch eine vollständige Digitalisierung der Vertriebsprozesse sind vor allem bei großvolumigen Bauprojekten beachtlich.
Ideal geeignet für eine vollständige Digitalisierung der Customer Journey sind vor allem Immobilienobjekte als Kapitalanlage mit vergleichsweise überschaubaren Investitionsvolumen. Ein Aspekt ist hier entscheidend: Die emotionale Komponente spielt beim Kauf des Objekts – anders als bei der Eigennutzung – eine eher untergeordnete Rolle. Klassische Beispiele hierfür sind Mikroapartments in Pflegeeinrichtungen oder in Studentenwohnheimen. Die Parameter für die Entscheidung sind vorwiegend rationaler Natur. Staatliche Unterstützungen in Form von zinsvergünstigten Krediten, Tilgungszuschüssen und steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten erhöhen die Kalkulierbarkeit und rücken diese Art des Immobilieninvestments in die Nähe klassischer Kapitalanlagen. Die Bereitschaft, die Customer Journey bis zur verbindlichen Notariatsbeauftragung rein digital zu durchlaufen, nimmt dadurch zu.
Digitalisierung des Vertriebs aus Sicht eines Projektentwicklers
Bei einer vollumfänglichen Digitalisierung des Vertriebs steht der eigene „Immo-Shop“ als der wichtigste Distributionskanal im Zentrum des Interesses. Dabei stellen sich andere Herausforderungen, als dies bei einem klassischen Online-Shop der Fall ist. Abgesehen von den gesetzlich vorgeschriebenen bzw. zur Absicherung gebotenen formalen Rahmenbedingungen, verlangt besonders eine Eigenheit das Hauptaugenmerk: Jedes Produkt im Immo-Shop steht genau einmal zur Verfügung. Die Eckwohnung im 2. Stock Südseite mit Balkon ist nicht reproduzierbar.
Im realen Vertriebsprozess wird dieses einzigartige Produkt gleichzeitig über mehrere digitale sowie analoge Kanäle angeboten. Werden auf ImmobilienSout24, Immowelt und Immonet Objekte ausgespielt, die nicht mehr verfügbar sind, führt dies beim Interessenten sicherlich nicht zu einem positiven Erlebnis, wird von den Betroffenen allerdings meist klaglos akzeptiert. Unangenehmer sind Situationen im analogen Vertrieb mit mehreren parallel arbeitenden Vertriebsstrukturen: Durch mangelnde Transparenz über die Verfügbarkeit des einzelnen Objektes ist eine ärgerliche Doppelreservierung keine Seltenheit.
Die Digitalisierung des Vertriebsprozesses muss in erster Linie als notwendige Basis die Transparenz über die Verfügbarkeit der Objekte schaffen. Nur so ist eine verbindliche Reservierung eines Objektes über den Immo-Shop realisierbar.
Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt: Ein Interessent muss nahtlos zwischen analogem und digitalem Vertrieb wechseln können. Steht beim potenziellen Käufer der Komfort im Vordergrund, spielt beim Verkäufer der Kundenwert die Hauptrolle. Ein Interessent, der sich bereits für den Kauf eines Objektes entschieden hat und zur gefühlsmäßigen Bestätigung seiner Entscheidung nur noch ein telefonisches Gespräch braucht, ist aus ökonomischer Sicht wertvoller als einer, der sich frisch im Immo-Shop registriert hat und dessen Kaufabsichten unklar sind. Vor allem bei der Übergabe eines Interessenten an einen externen Vertrieb wird der Wert eines Kunden provisionsrelevant. Da aus Erfahrung mit einer nicht unerheblichen Anzahl von Wechslern zu rechnen ist, handelt es sich um einen wichtigen Faktor des wirtschaftlichen Erfolgs, der zwingend digital abgebildet werden muss.
Architektur für den digitalen Vertrieb
Der digitale Vertrieb baut auf Datenaustausch über Anwendungsprogramm- und Unternehmensgrenzen hinaus. Dabei muss von außen auf Daten zugegriffen und diese müssen eingespielt werden können – möglichst in automatisierter Form. Beispiele dafür: Provisionssysteme fragen Verkaufsabschlüsse ab oder Vertriebstools von Partnern rufen die aktuell verfügbaren Objekte ab. Gleichzeitig müssen Funktionen automatisch Daten in andere Systeme wie Immobilienplattformen exportieren, importieren (Marketingtools etc.) und manipulieren können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Datenimport auch Einschränkungen unterliegen kann, z. B. nur zu bestimmten Zeiten möglich ist.
Ein Ansatz, diese Architektur technisch umzusetzen, ist die klare Trennung in die Schichten Views, Business Logic und Data Layer. Die Bereitstellung der Daten bzw. deren Verarbeitung erfolgt ausschließlich durch und über die Business Logic, die über einen Webservice als standardisierte Schnittstelle kommuniziert. Auf diese Weise haben alle Views den identischen Stand der Daten. Nur so kann die notwendige Konsistenz des Systems bei einem hohen Grad an Flexibilität hergestellt werden. Der eigene Immo-Shop ist bei dieser technischen Architektur nur eine View wie die Website des Vertriebspartners.
Abbildung des Verkaufsprozesses
Im Immo-Shop werde alle Schritte der Customer Journey, die beim Offline-Vertrieb durch eine oder mehrere Personen übernommen werden, unter der Berücksichtigung der rechtlichen Aspekte abgebildet. Deren Einhaltung wird durch ein Regelwerk, das ebenfalls in der Business Logic hinterlegt ist, garantiert.
Zwischen der Registrierung im Immo-Shop mit Anerkennung der Datenschutzrichtlinien bis hin zur verbindlichen Notariatsbeauftragung sind folgende Zwischenschritte mindestens nötig und zwingend erforderlich:
- Auswahl eines Apartments
- Berechnung der Finanzierung/Rendite
- Erfassung der korrekten Käuferdaten
- Herunterladen der Verkaufsprospekte
- Empfangsbestätigung
- Verbindliche Reservierung des Apartments
- Bindende Notariatsbeauftragung
Die genannten sieben Punkte müssen genau in dieser Reihenfolge durchlaufen werden. Hinter jedem dieser Punkte liegen mehrere Prozesse. Ein Beispiel: Es ist ratsam, eine Reservierung erst dann verbindlich zu bestätigen, wenn ein merklicher Betrag als Sicherheit auf ein Treuhandkonto überwiesen wurde. Der Zahlungseingang innerhalb eines bestimmten Zeitraumes kann automatisiert überprüft werden, nach definierten Fristen können Erinnerungen oder Eingangsbestätigungen per E-Mail verschickt werden und die Rückzahlung der Sicherheit bzw. ein Storno veranlasst werden.
Neben diesen Formalitäten sind ergänzend weitere Prozesse zur Führung und Beratung des Kaufinteressenten notwendig. Abhängig davon, auf welcher Station oder Stufe der Customer Journey er sich befindet, werden ihm Inhalte im Immo-Shop ausgespielt oder an ihn per E-Mail verschickt. Auch auf die ursprüngliche Kaufintention des Interessenten lässt sich der ausgespielte Content optimal abstimmen. Die Möglichkeiten der Personalisierung sind fast unbegrenzt.
Diese kurze Darstellung soll einen ersten Eindruck des Potenzials und der grundsätzlichen Idee der Digitalisierung des Vermarktungskonzepts vermitteln. Die genannten Vorteile greifen bereits, wenn nur ein Teil der Objekte über den rein digitalen Kanal vermittelt und abgewickelt wird, denn ein optimaler Verkaufsprozess auf traditionellem Weg verursacht durchschnittlich vier Stunden Beratungsaufwand und nachgelagerte Tätigkeiten für nur ein einziges Objekt. Hier sorgt die Skalierbarkeit der Automatisierung für spürbare Entlastungen. Einzelne Akteure auf dem Markt tasten sich an die Thematik heran, scheuen aber nach aktuellem Stand den letzten Schritt über kleine Pilotprojekte hinaus. Es wird spannend, ob die Branche selbst das Heft des Handelns in der Hand behält oder ein externer Disruptor den Wandel erzwingt.