Mit großem Abstand ist Wikipedia die über organische Suchergebnisse von Google am häufigsten gefundene Website. Auch bei den Visits wird die Enzyklopädie nur von wenigen Plattformen geschlagen. Grund genug, sich genauer anzusehen, was Wikipedia.org richtig macht und was sich davon auf die eigene SEO übertragen lässt. Durch die seit 2001 gewachsene Struktur mit einer Masse an sehr umfangreichen und informationsdichten Artikeln kann Wikipedia auch wertvolle Anregungen abseits fachlicher Fakten liefern. SEO-Experte Leonard Metzner machte sich darüber für Sie etwas tiefer gehende und interessante Gedanken.
Zwischen den Zeilen von Wikipedia lesen
Wortbedeutungen und Suchintention
Neben den Google-Suchergebnissen selbst kann auch Wikipedia einen Beitrag dazu leisten, ein Keyword besser zu verstehen. Schließlich ist Wikipedia nichts anderes als der Versuch, sich über Begriffe und deren Bedeutungen zu einigen. Existieren zu einem Begriff mehrere Bedeutungen, werden sog. Begriffsklärungsseiten genutzt, um diese zu differenzieren. Dort erfährt man z. B., dass ein „Neapolitaner“ nicht nur ein Waffelgebäck oder ein Einwohner Neapels ist, sondern dass es auch eine gleichnamige Pferderasse sowie einen neapolitanischen Sextakkord gibt, siehe Abbildung 1.
Nicht immer gibt es in diesen Fällen eine dominante Suchintention. Häufig spiegelt auch Google auf der Suchergebnisseite (SERP) die vielfältigen Bedeutungen wider, um so einem Großteil der Suchenden gerecht zu werden. Das ist aber nicht nur bei völlig verschiedenen Wortbedeutungen der Fall, sondern kann auch innerhalb des gleichen Themenfelds zutreffen und wertvolle Mehrfachrankings generieren.
Für die Suche „Politiker“ belegt Wikipedia z. B. die ersten drei Plätze der SERP. Es handelt sich dabei nicht um mehrere, einander kannibalisierende Artikel, die zufällig dort stehen. Vielmehr deuten die Ergebnisse die unklare Suchintention an. Manche Suchen scheinen einen Zeitbezug zu haben, weshalb zunächst der Artikel „Regierungsmitglieder“ erscheint, der die aktuellen Akteure auflistet. Außerdem kann es auch um den Politiker als Berufsbild gehen oder um dessen Tätigkeitsfeld, die Politik.
Das geht natürlich auch mit etwas mehr Bodenhaftung zu einem weniger allgemeinen und gleichzeitig auch schwächer gesuchten Begriff. Wer z. B. „Goldimplantation“ googelt, stellt schnell fest, dass diese Methode der Schmerztherapie vor allem beim Hund angewendet wird, grundsätzlich aber auch für die Behandlung von Menschen möglich ist. Wie beim Beispiel zu „Politiker“ von Wikipedia wäre es an dieser Stelle interessant, mehrere Plätze in den Top 10 zu belegen, einen für die Suchintention Hund und einen zum Menschen. Abbildung 2 zeigt diesen Fall. Auch für einen Tierarzt kann es dabei nützlich sein, beide Perspektiven über eine eigene Landingpage zu bedienen, selbst wenn er nur zu einer davon Leistungen anbietet, und sei es wegen einer erhöhten Aufmerksamkeit, um Kompetenz zu demonstrieren, Backlinks zu generieren oder den Traffic an einen Kollegen der Humanmedizin weiterzureichen, der ihn im Gegenzug dafür empfiehlt.
Wikipedia ist unvollständig
Mittels roter Links wird bei Wikipedia auf Themen verwiesen, die noch nicht existieren, nach Meinung der Autoren aber enzyklopädisch zu beschreiben sind. Diese Information lässt sich in mehrerlei Hinsicht nutzen. Erstens können diese Begriffe eine Anregung für die Content-Produktion sein, existiert doch scheinbar eine ausreichende Relevanz dafür, dass dem verlinkten Schlagwort ein eigener Artikel im Lexikon gewidmet werden soll. Zu diesem Keyword stellt Wikipedia selbst nun außerdem schon mal keinen Wettbewerber um gute Positionen dar. Schreibt ein Autor bei Wikipedia später ebenfalls einen Artikel zum Thema, hat der zuvor verfasste Artikel, bei entsprechender Aufbereitung, außerdem die Chance, als Quelle für den Wikipedia-Autor zu dienen und somit einen wertvollen Backlink zu generieren.
Systematisch ermittelt werden können solche vorgeschlagenen und noch nicht bearbeiteten Themen z. B. über die Custom Extraction von Screaming-Frog mittels XPath //a[@class="new"], siehe Abbildung 3. Es bietet sich dazu an, auf der übergeordneten Kategorie des Artikels zum gewählten Thema mit dem Crawl zu starten, z. B. im Bereich Floristik also mit de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Floristik.
Statistische Daten nutzen
Unscheinbar verbirgt sich am unteren Ende jedes Wikipedia-Artikels ein Link zur „Abrufstatistik“ (Abbildung 4). Diese liefert exakte Zahlen zu der Anzahl von Aufrufen eines Artikels für einen individuell festlegbaren Zeitraum. Wer einen Wikipedia-Beitrag verbessern und durch eine weitere Quelle bereichern möchte, kann über die Abrufstatistik eine gute Vorhersage darüber treffen, ob über einen solchen Link auch Traffic zu erwarten ist.
Besonders interessant innerhalb der Abrufstatistik ist die Unterscheidung zwischen den Plattformen (Desktop, mobile App, mobiles Web). Schnell wird so z. B. klar, dass der Artikel zur „Avocado“ vor allem mobil aufgerufen wird, vermutlich aus Supermärkten, von Marktplätzen oder aus der Küche. Das Verhältnis kann, je nach Thema, auch andersherum liegen, und nicht immer fallen die Zahlen so eindeutig mit dem gesunden Menschenverstand zusammen. Durch manche Ereignisse kann sich die Verteilung außerdem sehr schnell ändern. Am Tag der bayerischen Landtagswahl, dem 14. Oktober, wurde der Artikel zur Person Hubert Aiwanger vor allem von Mobilgeräten aufgerufen (Second-Screen), während am 15. Oktober vermehrt Desktop-Zugriffe aufliefen, siehe Abbildung 5.
Nützlich sind die Zugriffsstatistiken auf einzelne Wiki-Artikel auch bei der Erkennung saisonaler Trends. Über die Grenzen des dazu von Wikipedia zur Verfügung gestellten Frontend hinaus geht dabei die Aufbereitung der Statistikdaten durch das Tool wiki123.org. Einerseits ist durch Filter auf bestimmte Kategorien und eine Begrenzung mittels Schwellwerten für die Aufrufe pro Stunde eine einfachere Trenderkennung möglich (Abbildung 6). Andererseits lassen sich zu einem bereits identifizierten Trendthema leicht verwandte Themen/Keywords finden, die mit diesem Trend korrelieren (Abbildung 7).
An dieser Stelle lässt sich einwenden, dass solche Daten ebenfalls über Tools wie Google Trends zu gewinnen sind. Das stimmt zwar, allerdings findet dort keinerlei Qualifizierung des Interesses statt. Ein Klick auf einen Wikipedia-Artikel dagegen lässt auf ein vertieftes Interesse schließen. Damit können diese Daten sehr gut als Korrektiv zu einem oberflächlichen Sentiment genutzt werden.
Zu viel Information?
Über Textlängen wird in Verbindung mit SEO viel diskutiert. Während der Wikipedia-Artikel zum Internet im Jahr 2002 lediglich 420 Wörter umfasste, wuchs er seitdem stetig und liegt 2018 bei über 5000 Wörtern, siehe Abbildung 8. Eine Zahl, mit der sich die SEO-Szene gerne kontrovers auseinandersetzt. Bleibt doch die Frage, wer das alles lesen soll. Die Antwort kann nur sein: Es kommt darauf an, auf das Keyword und die dahinter verborgene(n) Bedarfsgruppe(n), die Nutzungssituation jedes Einzelnen bei Eingabe der Suchanfrage sowie auf Zeitpunkt und Ort seiner Suche.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass es gar nicht so viele Keywords sein können, die eine eindeutige Suchintention haben. Auch für Google lautet die Lösung deshalb in den Suchergebnissen immer öfter Diversifikation, siehe Abbildung 9. Der (auch sehr lange) Wikipedia-Artikel zum iPhone ist deshalb nicht nur heute in den Top 10 zu finden, sondern überlebt meist auch die stürmische Zeit vor der Keynote und kurz danach, in der sich die Suchintention verschiebt, innerhalb der ersten 10 Treffer.
Es gibt Visitenkarten, Flyer, Artikel in Tageszeitungen oder Fachmagazinen, genauso wie Romane und Fachbücher, die auf den Punkt kommen, aufgrund des Themas aber trotzdem dick sind. Wenn wir wissen, zu wem wir möchten, genügt uns vielleicht die Telefonnummer auf der Visitenkarte, egal wie kompliziert der Sachverhalt sein mag. Bei alltäglichen Gegenständen und Dienstleistungen lassen sich viele von uns auch mal von einem Flyer, der die wichtigsten Fakten enthält, überzeugen. Je weniger alltäglich Produkt oder Leistung sind und je größer die Informationsasymmetrie, desto höher wird aber der Informationsbedarf. Eine kleine Broschüre kann die meisten von uns dann nicht mehr zum Kauf einer Sauna oder dem Abschluss einer privaten Krankenversicherung bringen.
Interne Verlinkung (Linkfokus)
Während bei externen Links, die über das immer gleiche Keyword auf eine Seite zeigen, die Gefahr droht, von Google abgestraft zu werden oder in einen Filter zu rutschen, ist das bei internen Links nicht der Fall. Im Gegenteil sollte bei der internen Verlinkung darauf geachtet werden, eine URL mit möglichst immer dem gleichen Keyword oder einer Variante davon zu verlinken. Was theoretisch jedem SEO bekannt ist, wird praktisch nur selten konsequent umgesetzt. Bei Domains, die über eine Handvoll Seiten hinausgehen und über mehrere Jahre gewachsen sind, kommt schnell ein Dutzend verschiedener Linktexte zusammen, mit denen eine Unterseite verlinkt wird. Wikipedia ist die beste Erinnerung daran, auch bei einer extrem großen Domain zu versuchen, einen sauberen Linkfokus zu behalten.
Synonyme und Keyword-Recherche
Blauer Eisenhut wird laut Wikipedia u. a. auch als Würgling, Ziegentod oder Gifthut bezeichnet. Häufig steht die Domain in diesen Fällen zu allen aufgeführten Synonymen auf vorderen Plätzen bei Google. Das zeigt, dass es nicht mehr nötig ist, für jede Variante eine eigene Landingpage zu bauen. Gibt es tatsächlich keine Unterschiede in der Bedeutung, kann auch ein und dieselbe Seite für alle Bezeichnungen gefunden werden. Die verschiedenen Begrifflichkeiten direkt zu Beginn zu nennen, so wie es Wikipedia tut, bietet dem Leser Klarheit über die Begriffe und ist genau das Gegenteil von Keyword-Stuffing.
Überdies ist Wikipedia an dieser Stelle auch eine weitere gute Quelle für die Keyword-Recherche. Existiert das zu recherchierende Thema auf Wikipedia, bietet es sich an, die entsprechende URL über Tools wie Sistrix abzufragen und die dort gefundenen Keyword-Rankings auf Relevanz und Suchvolumen hin zu prüfen, siehe Abbildung 10.
Fazit
Wer sich mit Suchbegriffen beschäftigt, für den lohnt sich ein Blick auf Wikipedia nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell. Zwischen den fachlichen Informationen und in den statistischen Daten lassen sich vor allem im Zusammenspiel mit den richtigen Tools viele Erkenntnisse für die Optimierung eines Themas gewinnen.