In der Vergangenheit sprachen wir bereits mehrfach über die Problematik nicht gelöschter Cache-Seiten. Kern der Auseinandersetzung war stets, dass der Schuldner die ihm verbotene Seite löschte, jedoch etwaige Cache-Seiten, wie zum Beispiel den Google-Cache, übersah.
Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs fügt dieser bisherigen Rechtsprechung ein neues Mosaiksteinchen hinzu. In dem Beschluss geht es um die Frage, inwieweit ein Schuldner auch für die Inhalte haftet, die ein Dritter auf einer Online-Plattform hochgeladen hat.
Im Ergebnis verneint der BGH die Verantwortlichkeit.
Reichweite einer Unterlassungsverpflichtung im Online-Bereich
A. Der Sachverhalt
Der Beklagte war der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Ihm war im Jahr 2017 gerichtlich verboten worden, bestimmte Äußerungen im Zusammenhang mit einem TV-Bericht zu publizieren. Nachdem das Gericht die Erklärungen für rechtswidrig bewertet hatte, löschte der NDR den Beitrag aus seiner Mediathek und beantragte eine Löschung bei den gängigen Suchmaschinen, insbesondere bei Google. Eine weitergehende Internetsuche nach einer sonstigen Verbreitung des Videobeitrags erfolgte nicht.
Erst als die Klägerin im vorliegenden Verfahren einen Ordnungsmittelantrag stellte, erfuhr der NDR, dass der betreffende TV-Ausschnitt in der Vergangenheit auch auf YouTube hochgeladen worden war. Die Fernsehanstalt hatte den Beitrag dort nicht selbst eingestellt, sondern ein ihr unbekannter, privater Nutzer.
Das LG Hannover verhängte wegen Verstoßes gegen das ausgesprochene Urteil gegen den NDR ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000,- EUR. In der Berufungsinstanz hob das OLG Celle die Verurteilung wieder auf, da es kein Verschulden des Rundfunkanbieters sah.
Der Rechtsstreit ging schließlich zum BGH, der nun endgültig entschied.
Die höchsten deutschen Zivilrichter nutzen die aktuelle Entscheidung, um noch einmal grundlegend zur Haftung in diesen Fällen Stellung zu nehmen.
So verdeutlichen die Robenträger, dass eine Unterlassung auch eine aktive Handlungspflicht beinhaltet. Denn abweichend von der Verwendung des Begriffs des „Unterlassens" im allgemeinen Sprachgebrauch könne ein gerichtliches Unterlassungsverbot den Schuldner auch zu einem aktiven Handeln verpflichten.
Dies betreffe insbesondere Handlungen, bei denen eine fortwährende Rechtsverletzung bestehe. Hierunter fallen auch entsprechende rechtswidrige Äußerungen auf Webseiten.
Somit sei ein Schuldner in diesen Fällen nicht nur zur Unterlassung verpflichtet, sondern müsse auch alle möglichen und zumutbaren Handlungen zur Beseitigung des Störungszustandes vornehmen.
Ausdrücklich betonen die Richter dabei, dass sich eine Unterlassungsverpflichtung nicht nur in einem bloßen Nichtstun erschöpfe, sondern vielmehr auch die Pflicht zur Vornahme von Handlung umfasse, wenn nur dadurch der rechtswidrige Zustand beseitigt werden könne.
So müsse der Schuldner grundsätzlich nicht nur auf seiner eigenen Seite die Löschung vornehmen, sondern müsse auch auf Dritte einwirken. Zwar hafte der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs nicht für selbstständiges Handeln Dritter. Dies entbinde ihn jedoch nicht von der Verpflichtung, auf Dritte einzuwirken, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekäme und bei denen er mit Verstößen ernstlich rechnen müsse.
Nach der bisherigen Rechtsprechung muss ein Schuldner alle gängigen Suchmaschinen durchforsten, um sicherzustellen, dass das verbotene Handeln auch auf diesen Drittseiten entfernt ist.
B. Die Entscheidung
Der BGH hatte nun zu entscheiden, ob die Recherchepflicht auch für YouTube und vergleichbare Videoportale gilt.
Im Ergebnis verneinten die Karlsruher Richter dies.
Denn der Beitrag auf YouTube komme dem NDR nicht zugute.
In den Fällen, in denen der BGH bislang eine Verantwortlichkeit bejahte, verschafften die Drittseiten dem Schuldner jeweils einen Vorteil. Diesem Haftungsmodell liegt die Wertung zugrunde, dass ein Schuldner, der sich zur Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten der Hilfe Dritter bedient, auch für die Verfehlungen dieser Dritten einzustehen hat. Dies gelte insbesondere bei Vertriebsketten, bei denen rechtswidrige oder ehrverletzende Produkte weiter veräußert würden.
Eine solche Konstellation konnte der BGH im vorliegenden Fall nicht erkennen, sodass er kein Ordnungsmittel verhängte.
Zwar verkennt der BGH nicht, dass die Veröffentlichung auf YouTube dem NDR durchaus einen gewissen Nutzen bringt, denn Zuschauer könnten den TV-Beitrag dort sehen.
Allerdings führe diese Erweiterung des Zuschauerkreises zu keinem wirklichen wirtschaftlichen Vorteil für den NDR. Im Gegenteil, so der BGH, schmälere das Hochladen eines Videos bei YouTube die Attraktivität der ARD-Mediathek, denn es werde ein unmittelbares Konkurrenzangebot geschaffen.
Aufgrund dieser Umstände sah der BGH keine Haftung des NDR und hob die Verhängung des Ordnungsmittels wieder auf.
C. Konsequenzen aus der Entscheidung
Die bisherige Rechtsprechung des BGH wies bislang immer in die gleiche Richtung, nämlich dass einen Schuldner nahezu umfassende Recherche- und Löschpflichten treffen.
Wir erinnern uns kurz:
Bereits im Jahr 2013 hatte der BGH1 geurteilt, dass ein Schuldner, der eine fehlerhafte Firmenbezeichnung hatte, nicht nur Google Maps überprüfen müsse, sondern auch Internet-Verzeichnissen wie ortsverzeichnis.org, stadtbranchenbuch.com, 11880.com und gelbeseiten.de.
Nur ein Jahr später wurde der Schuldner einer Unterlassungserklärung zur Zahlung einer Vertragsstrafe verurteilt, weil er eine abgelaufene eBay-Auktion nicht gelöscht hatte.2
Auch die ganz überwiegende Instanz gerichtlicher Rechtsprechung erlegte dem Schuldner in diesen Fällen umfassende Kontrollpflichten auf. Unisono hieß es zwar in den Entscheidungen, dass von einem Schuldner nicht verlangt werden könne, unbegrenzt das Internet auf entsprechende Einträge zu durchsuchen. Im Ergebnis bejahten die meisten Richter gleichwohl eine Haftung, da sie den Standpunkt vertraten, dass das jeweilige Internetportal zu den gängigen Seiten gehöre.
Die neue BGH-Entscheidung bietet den Betroffenen ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Der BGH äußert nämlich bereits Zweifel, ob der Schuldner für etwas einzustehen hat, was ein unbekannter Dritter ohne Kenntnis und Wollen des Schuldners online hochgeladen hat. Handelt hier nämlich ein Dritter vollkommen autonom und eigenständig, so kann die Kausalität dadurch unterbrochen sein.
Der BGH schafft für die Zurechenbarkeit ein neues Kriterium, nämlich, ob das Handeln des Dritten dem Schuldner wirtschaftlich zugutekommt. Ohne Probleme wird man eine Verantwortlichkeit dann zu bejahen haben, wenn zwischen dem Schuldner und dem Dritten eine vertragliche oder sonstige wirtschaftliche Beziehung besteht. Denn in diesen Fällen hat sich der Schuldner seinen Vertragspartner selbst ausgesucht, sodass er sich ein etwaiges Fehlverhalten auch zurechnen lassen muss.
Anders ist dies, wenn gerade keine Beziehung zwischen dem Schuldner und dem Dritten vorhanden ist. Dies ist zwar auch in den Google-Cache-Fällen gegeben, denn zwischen dem Seitenbetreiber und Google besteht in der Regel ebenfalls keine vertragliche Beziehung. Dort hatte der BGH aber eine Verantwortlichkeit deswegen angenommen, weil der Ursprungsbeitrag, der sich im Google Cache wiederfand, von der Webseite des Schuldners stammte. Es handelte sich quasi um eine Kopie der Seite des Schuldners.
Im vorliegenden Fall war dies anders. Dort zeigte der Google Cache nicht das Video an, sondern die Datei war auf YouTube von einem Dritten hochgeladen worden. Der Ursprung der Rechtsverletzung lag somit nicht beim NDR, sondern bei einem autonom handelnden Dritten.
Diese Fälle löst der BGH nun über das Kriterium des wirtschaftlichen Zugutekommens. Der Begriff ist leider nicht klar umrissen, sondern vielmehr schwammig und nebulös. Genauso gut hätte man nämlich die Ansicht vertreten können, dass die Veröffentlichung des Videos auf YouTube dem NDR eine größere Reichweite und somit einen wirtschaftlichen Vorteil bringt. Alleine der Umstand, dass YouTube der ARD-Mediathek Konkurrenz macht und somit kein positiver Effekt eintritt, ist zu kurz gegriffen.
Findet nämlich der User das YouTube-Video und gefällt ihm dieser Beitrag, wird er, um vergleichbare Inhalte aufzufinden, ganz sicher die ARD-Mediathek ansteuern und durchsuchen. Damit gewinnt das öffentlich-rechtliche Portal eindeutig an Attraktivität und erlangt somit durchaus einen wirtschaftlichen Vorteil.
Ein Parallel-Beispiel mag dies verdeutlichen: Enthielte das Video irreführende Werbebotschaften für ein bestimmtes Produkt, so würde der BGH vermutlich gleichwohl eine Haftung bejahen, denn durch das Ausstrahlen der Werbung erlangt der Schuldner potenzielle neue Kunden. Die Zivilrichter würden sicherlich nicht das Argument greifen lassen, dass die Werbung auf YouTube, die ein Dritter hochgeladen hat, die offizielle Werbung des Schuldners unterliefe und Kunden abgriffe.
Aus dem Schneider sind Unternehmen somit mit der neuen BGH-Rechtsprechung nicht. Sie bietet jedoch mehr Argumentationsspielraum für Fälle, bei denen Inhalte von Dritten eingestellt wurden.
Um jeden Ärger zu vermeiden, sollte eine betroffene Firma in jedem Fall auch YouTube & Co. auf verbotene Inhalte durchsuchen. Denn nur so wird sich eine gerichtliche Auseinandersetzung von vornherein vermeiden lassen. Anzuraten ist dabei, die jeweiligen Recherchen auch entsprechend gerichtsfest zu speichern, damit zu einem späteren Zeitpunkt sicher nachgewiesen werden kann, dass man entsprechend tätig wurde.
1 BGH, Urt. v. 13.11.2013 – Az.: I ZR 77/12.
2 BGH, Urt. v. 18.09.2014 – Az.: I ZR 77/13.