Das (praktische) Ende aller Kundenzufriedenheitsanfragen auf elektronischem Weg

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs läutet das praktische Ende aller Kundenzufriedenheitsanfragen auf elektronischem Wege ein. Das Urteil ist insbesondere auch deswegen von außerordentlich großer Praxisrelevanz, weil der vom Gericht zu beurteilende Sachverhalt auch solche Fälle betraf, bei denen die betreffende E-Mail nicht nur aus der Zufriedenheitsanfrage bestand, sondern noch einen anderen, weiteren Inhalt hatte.

A. Der Sachverhalt

Die Beklagte war Amazon-Seller und veräußerte über die Plattform regelmäßig Produkte. Nachdem der Kläger bei der Beklagten eingekauft hatte, übersandte die Beklagte – wie üblich – die Rechnung per E-Mail.

In dieser Rechnung hieß es:

„Sehr geehrte Damen und Herren, anbei erhalten Sie Ihre Rechnung im PDF-Format. Vielen Dank, dass Sie den Artikel bei uns gekauft haben. Wir sind ein junges Unternehmen und deshalb auf gute Bewertungen angewiesen. Deshalb bitten wir Sie darum, wenn Sie mit unserem Service zufrieden waren, uns für Ihren Einkauf eine 5-Sterne-Beurteilung zu geben.

Sollte es an dem gelieferten Artikel oder unserem Service etwas auszusetzen geben, würden wir Sie herzlich darum bitten, uns zu kontaktieren. Dann können wir uns des Problems annehmen.

Zur Bewertung: über folgenden Link einfach einloggen und eine positive 5-Sterne-Beurteilung abgeben (…)"

Der Kläger empfand diese E-Mail als Belästigung und klagte daher auf Unterlassung. Es ging ihm dabei um den Umstand, dass die Nachricht auch eine Aufforderung enthielt, eine Bewertung für das Produkt und das Unternehmen abzugeben.

Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Braunschweig wiesen die Klage ab. Beide Instanzen beriefen sich auf den Umstand, dass ein sachlicher Grund für die Zusendung per E-Mail bestanden habe. Grund der Übermittlung sei die Bereitstellung der Rechnung gewesen.

Der Kläger ließ sich jedoch nicht unterkriegen und ging mit dem Sachverhalt bis vor den Bundesgerichtshof. Dieser entschied, dass die allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Klägers durch die E-Mail verletzt seien, und verurteilte das Unternehmen zur Unterlassung.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass mit der E-Mail die Rechnung übersandt wurde und somit ein sachlicher Anlass für den Kontakt bestanden habe.

Zwar liege, so die Richter, in der Übersendung einer Rechnung selbst noch keine Werbung. Dies habe aber nicht zur Folge, dass die in der E-Mail enthaltene Bitte um Abgabe einer positiven Bewertung von vornherein keine Werbung darstellen könne. Die elektronische Post werde von der Beklagten vielmehr in zweifacher Hinsicht – nämlich für die nicht zu beanstandende Übersendung der Rechnung und zusätzlich für Zwecke der Werbung – genutzt. Für die Annahme, die nicht zu beanstandende Rechnungsübersendung nehme der E-Mail insgesamt den Charakter der Werbung, bestehe kein Anlass.

Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers sei auch rechtswidrig. Die insoweit erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien gehe zulasten der Beklagten aus. Das Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seiner Privatsphäre sei mit dem berechtigten Interesse der Beklagten, mit ihren Kunden zum Zwecke der Werbung in Kontakt zu treten, abzuwägen.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiege das Interesse des Klägers das Interesse der Beklagten, ihrem E-Mail-Schreiben mit der Übersendung der Rechnung an den Kläger werbende Zusätze in Form einer Kundenzufriedenheitsanfrage hinzuzufügen. Zwar sei die Beeinträchtigung des Klägers nur vergleichsweise geringfügig, zumal er die Kundenzufriedenheitsanfrage einfach ignorieren könne. Jedoch sei das Hinzufügen von Werbung zu einer im Übrigen zulässigen E-Mail-Nachricht auch keine solche Bagatelle, dass eine Belästigung des Nutzers in seiner Privatsphäre ausgeschlossen sei. Denn der Verbraucher müsse sich mit der Kundenzufriedenheitsanfrage zumindest gedanklich beschäftigen.

Zwar werde sich der Arbeitsaufwand bei einer einzelnen E-Mail in Grenzen halten. Mit der häufigen Verwendung von Werbezusätzen sei aber immer dann zu rechnen, wenn die Übermittlung einzelner E-Mails mit solchen Zusätzen zulässig sei. Denn im Hinblick auf die billige, schnelle und durch Automatisierungsmöglichkeiten arbeitssparende Versendungsmöglichkeit und ihrer günstigen Werbewirkung sei mit einem Umsichgreifen dieser Werbeart zu rechnen. Eine bei isolierter Betrachtung unerhebliche Belästigung könne Mitbewerber zur Nachahmung veranlassen, wobei durch diesen Summeneffekt eine erhebliche Belästigung entstehen könne.

Entscheidend sei dabei, dass es dem Verwender einer E-Mail-Adresse zu Werbezwecken nach Abschluss einer Verkaufstransaktion zumutbar sei, dem Empfänger – wie es die Vorschrift des § 7 Abs. 3 UWG verlange – die Möglichkeit zu geben, der Verwendung seiner E-Mail-Adresse zum Zwecke der Werbung zu widersprechen.

 

B. Reichweite der Entscheidung

1. Entscheidung gilt für alle Werbekanäle außer Briefpost

Auch wenn sich die Entscheidung rein formal nur auf E-Mails bezieht, kann sie auf alle Werbekanäle verallgemeinert werden. Das heißt, das Urteil betrifft sämtliche bekannten Werbekanäle wie z. B. Telefon, Fax, E-Mail, SMS oder WhatsApp. Der einzige nicht betroffene Bereich ist die gute, alte Briefpost.

Diese Verallgemeinerung ergibt sich aus dem Umstand, dass für alle herkömmlichen Werbekanäle – ebenso wie für die E-Mail – eine Einwilligung erforderlich ist. Somit liegt eine interessensgleiche Situation vor. Lediglich für den Fall der Werbung per Briefpost gilt etwas anderes, weil hier das Gesetz in § 7 Abs. 1 UWG ausdrücklich erlaubt, dass Werbesendungen per Schneckenpost versendet werden dürfen.

Die Ansicht des Bundesgerichtshofes hat somit weitreichende Bedeutung für das gesamte Direktmarketing.

2. Gilt für jede Art von Werbung, die mitgeschickt wird

Die Wertungen, die dem Urteil zugrunde liegen, gelten nicht nur für Kundenzufriedenheitsanfragen, sondern vielmehr für jede Form von Werbung. Die konkrete Ausgestaltung ist dabei vollkommen unerheblich. So kann zum Beispiel bereits ein einfacher Link im Footer auf die eigene kostenlose App oder einen unentgeltlichen Webdienst juristisch als Reklame gewertet werden.

Der Bundesgerichtshof hatte bereits in der Vergangenheit entschieden, dass in Check-E-Mails jede Form von Reklame zu unterlassen ist.

C. Konsequenzen aus Entscheidung

1. Jede Form von Werbung zu unterlassen.

Die praktische Konsequenz der Entscheidung kann nicht überbewertet werden. Denn zukünftig wird jeder Unternehmer darauf achten müssen, dass in seiner Korrespondenz mit einem Kunden keine Werbung, und sei sie noch so harmlos und versteckt, vorhanden ist.

Die Entscheidung geht somit weit über die Konstellation, dass eine Rechnung per E-Mail übersendet wird, hinaus. Vielmehr betrifft es sämtliche Fälle, in denen der Unternehmer einem Verbraucher etwas übermittelt. Dabei ist es unerheblich, welchen sachlichen Grund es für die Kontaktaufnahme gibt, zum Beispiel Übermittlung einer Rechnung, Teilnahme an einem Gewinnspiel oder Rückfrage wegen einer konkreten Produktanfrage. In all diesen Konstellationen muss eine Firma darauf achten, an keiner Stelle Werbung zu platzieren.

Das bedeutet nichts anderes, als dass viele Unternehmen ihre Footer zu überarbeiten und anzupassen haben, denn häufig wird dort auf bestimmte weiterführende Angebote hingewiesen.

Nur dann, wenn eine ausdrückliche Einwilligung vorliegt oder die Ausnahmeregelung nach § 7 Abs. 3 UWG vorliegt, ist dem Unternehmer gestattet, eine solche Werbung zu platzieren.

2. Verkäufer über Online-Plattformen von Dritten (Amazon, eBay etc.) schauen in die Röhre

Dabei zeigt sich auch, wer die großen Verlierer dieser neuen Rechtsprechung sind.

Nämlich alle Verkäufer, die während des Verkaufsvorgangs keinen unmittelbaren Kontakt mit dem Kunden haben. Also alle Händler, die über Online-Plattformen von Dritten wie Amazon, eBay oder Rakuten verkaufen.

Denn diesen Firmen ist es während des Bestellvorgangs weder möglich, eine ausdrückliche Einwilligung abzufragen, noch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung herbeizuführen. Dies wäre nur möglich, wenn die Plattformbetreiber zugunsten des jeweiligen Verkäufers eine gesonderte Checkbox-Abfrage vornehmen würden. Diese werden jedoch einen Teufel tun und schon aus Performancegründen von einer solchen Ausgestaltung Abstand nehmen. Zumal die Online-Plattformen selbst keinerlei Interesse haben, ihre Kunden näher an den jeweiligen Verkäufer zu binden. Vielmehr ist es das ureigentliche Bestreben von Amazon & Co., sämtliche Verbraucher an die eigene Plattform zu binden und nicht an den einzelnen Händler.

3. Kritik an der Entscheidung

Der zuvor beleuchtete Umfang der Entscheidung offenbart auch, welche grundlegende Änderung auf lange Sicht durch diese Rechtsprechung eintreten wird.

Denn ab sofort ist – bis auf den Bereich der Briefpost – jeder Unternehmer mit einem Bein in der Haftung, wenn er im Austausch von Nachrichten über das informelle Maß hinaus Inhalte platziert. Immer dann, wenn er beispielsweise in einer E-Mail nicht nur die üblichen Kontaktdaten wie Telefon, Fax oder E-Mail benennt, sondern auch anderen Content erwähnt, muss er damit rechnen, dass ihm der Vorwurf der unzumutbaren Belästigung gemacht wird.

Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, wie uferlos und praxisfern das Urteil ist. Denn faktisch wird damit den Unternehmen die Möglichkeit genommen, für sich und ihre Dienstleistungen und Produkte angemessen zu werben.

Die Möglichkeit, eine Einwilligung einzuholen, besteht zwar theoretisch, ist aber absolut praxisuntauglich. Zumal die Rechtsprechung an die Bestimmtheit einer Einwilligung bekanntermaßen unerreichbar hohe Voraussetzungen setzt. Auch ein Berufen auf die Ausnahmeregelung nach § 7 Abs. 3 UWG wird in der Praxis nicht weiterhelfen. Denn zum einen wenden die Gerichte die Norm nur sehr, sehr eingeschränkt an. Und zum anderen erlaubt die Norm auch nur Werbung für ähnliche Waren und Dienstleistungen. Ein Unternehmen, das bislang Autos verkauft hat und nunmehr auch Versicherungen vertreibt, wird sich hierauf nicht berufen können.

Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis die ersten Abmahnungen solche Konstellation betreffen. Es ist daher dringend notwendig, dass jedes Unternehmen seine Korrespondenz auf diese neue Problematik hin überprüft und entsprechend anpasst.

Wie schon erläutert, ist der einzige Bereich, der nicht davon betroffen ist, der der Briefwerbung. Die übliche Reklame, die als Beipack Rechnungen und sonstigen Anschreiben beiliegt, bleibt von der neuen Rechtsprechung unberührt.