Flash. So lässt sich wohl die außergewöhnliche Konferenz „Neue Realität“ von Karl Kratz in einem Wort sinnvoll zusammenfassen. Vorab wurde die Idee neuer Realitäten in einigen Tweets oder Facebook-Postings belächelt und in die Esoterikecke gestellt. Da die Kritiker wahrscheinlich allesamt nicht dabei waren, werden sie wohl nie erfahren, wie falsch sie damit lagen. Der Veranstalter und seine Referenten schlugen mit einer derartigen inhaltlichen Wucht zu, dass viele der etwa 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr nachdenklich wurden über das, was sie da jeden Tag am Text ihrer Websites herumbasteln. Und nicht nur darüber. Auch die vielen Impulse über echte Strategiefindung und die eigene Denke bzw. Perspektive taten ein Übriges. Es fällt wirklich schwer, darüber für jemanden zu berichten, der nicht dabei war. Es war ein herausragender Event, wenn nicht gar der überragendste überhaupt in der Branche. Vielleicht auch, weil es eine Zuhören-und-verstehen-Konferenz war und es nicht die neuesten Erkenntnisse und Beispiele zum schnellen Mitschreibekonsum gab.
Magie, Hypnose und Online-Marketing
Wer Karl Kratz kennt, muss ihn wahrscheinlich mögen. Er rüttelt wach, seinen Vorträgen lässt sich wunderbar leicht zuhören und er regt dazu an, die eigenen Denkperspektiven infrage zu stellen und wenigstens teilweise zu verlassen. Auf vielen Konferenzen ist er Publikumsliebling und kein Referent mag gerne nach ihm vortragen. Man kann nur verlieren. Was passiert also nun, wenn so ein Mensch sich wirklich ebenbürtige Referenten holt und sie in einer eigenen Konferenz bündelt? Und was, wenn all diese anderen Referenten gar nicht aus dem Online-Marketing kommen? Richtig, dann braucht man ein sehr gutes Konzept für das Warum. Dieses „Warum“, die Begründung, warum ein Hypnotiseur, ein Magier und zwei Professoren aus anderen Forschungsbereichen dabei waren, ließ Kratz immer wieder und konsequent einfließen. Das war es wohl, was bei vielen Zuhörern den Flash-Effekt auslöste. Eingehende, verständliche und glaubwürdige Beispiele aus z. T. völlig anderen Bereichen, die Rückführung auf das Online-Marketing und die damit zwangsläufig erkannte Sinnhaftigkeit der Argumente bringen zum Nachdenken.
Jan Becker ist einer der bekanntesten und seriösesten Hypnotiseure in Deutschland. Im Fernsehen mag man bei solchen Vorführungen ja an Manipulation glauben, an gekaufte und eingeweihte Mitspieler. Wenn aber nach zehn Minuten der halbe Saal (kein Scherz) aufsteht und zur Bühne läuft, weil man die eingeredet verklebten Händen nicht mehr auseinanderbekommt und die einem bekannten Sitznachbarn mit aufstehen – dann kommt wohl der schärfste Kritiker ins Grübeln. Wenn Menschen auf der Bühne stehen, die man persönlich kennt und die plötzlich ihren Namen nicht mehr aussprechen können … Ja gut, was hat das mit Online-Marketing zu tun? Hier lag das fein versteckte Erfolgsrezept der Konferenz vergraben. Man zeigt Menschen, wie sehr man ihre wahrgenommene Wahrheit manipulieren kann – in diesem Fall durch Jan Becker. Das wurde ebenso eingängig wie unabweisbar für jeden demonstriert. Bei manchen funktioniert das mehr, bei anderen weniger. Beeinflussbar sind wir aber alle. Wenn das eigene Gehirn jetzt aber gerade geöffnet wurde für die Einsicht, dass man die Realität, die ja immer „nur“ individuell wahrgenommen wird, verändern bzw. beeinflussen kann, dann reift die Erkenntnis. Hey, wenn das bei mir und sichtbar bei so vielen anderen funktioniert, kann ich das auch nutzen. Dabei geht es nicht, wie oft vermutet, um eine böse „Manipulation“ unserer Websitebesucher. Es geht um die Einsicht, dass man Stimmungen bzw. Emotionen erzeugen kann und muss. Alles erzeugt Emotionen! Ein verdammt nachlässig hingerotzter Text, wie toll unser Unternehmen doch ist, manipuliert ja auch. Er weckt Langeweile, Ablehnung, Desinteresse. Nur weil wir gerade das eigentlich nicht wollten bzw. nicht absichtlich taten, ist es genauso beeinflussend. Aber in die falsche Richtung. Warum Besucher also nicht in die richtige Stimmung bringen? Das funktioniert aber nur mit der wirklichen Erkenntnis, dass jedes Wort und jedes Bild Einfluss ausübt. Erst danach beginnt man, mehr darauf zu achten und kritischer gegenüber den eigenen Textergüssen zu werden.
Auch die verschiedenen späteren, wunderbar inszenierten Zaubereien eines Magiers hob Kratz im Duo-Vortrag jeweils auf die passende fachliche Anwendungsebene des Online-Marketings und was man daraus dafür lernen kann. Es bliebt daher an keiner Stelle dem Zufall überlassen, ob die Zuhörer selbst aus den Beispielen der auf den ersten Blick ungewöhnlich ausgewählten fremden Branchen Rückschlüsse ziehen und Anwendungserkenntnisse entnehmen. Die Aha-Erlebnisse wurden durch das gezielte Wechselspiel ganz natürlich und schlüssig angeschoben.
Als weiteren Tipp gab Kratz, mehrere Handlungsaufforderungen zu verketten. Also nicht nur das eher dümmliche „kauf jetzt“, sondern „bestelle jetzt … und … um zu …“. Solche Verkettungen führen dazu, die ersten Aufforderungen leichter bzw. fast automatisch als gesetzt zu akzeptieren. Ein Beispiel gab Kratz von seiner eigenen Website, wo er u. a. ein E-Book vermarket.
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Der Unterschied zwischen den Varianten drei und vier bestand nur noch in einem farblichen Hervorheben von Schlüsselaufforderungen. Der Absatz stieg nach dem Einsatz der letzten Fassung um fast 400 Prozent. Für solche Ideen bzw. Wechsel der eigenen Perspektive braucht es oft Zeit zum Nachdenken. Hier kann auch ein ehrliches Brainstorming helfen. Aber niemals mit Kollegen im eigenen Unternehmen, empfahl Kratz eindringlich, sondern immer mit anders (nach-)denkenden Menschen – und am besten mit Kunden.
Wie öffnet man die Köpfe von Entscheidern mit alten Denkmustern und noch primär analogen Ankerpunkten? Prof. Klemens Skibiki zeigte den Zuhörern, wie er man solche Menschen überzeugen kann, die neue Digitalität der Welt offener anzunehmen und innere Barrieren dagegen abzubauen. Dazu muss man sie vor allem mit verständlichen Beispielen aus anderen Bereichen abholen und ihnen damit unmissverständlich deutlich machen, dass ein Verharren in eigenen gelernten Denkmustern eine evolutionär verwurzelte, zutiefst menschliche Eigenschaft ist. Man macht keinen Fehler, (noch) so zu denken. Erst wenn man wirklich selbst teilnimmt, es selbst spürt, wie es sich anfühlt, kann man erkennen, ob und was dahintersteckt. Dazu benutzte er den Begriff Karneval bzw. Fasching. Jeder versteht darunter etwas anderes, in jedem Land, in jeder Region. Ja viele kennen noch nicht mal den Unterschied zwischen den beiden Worten. Erst wenn man den Karneval in Köln miterlebt hat, versteht man die Bedeutung hinter diesem Begriff wirklich. Zurückgeführt in den Online-Bereich bedeutet das dann eine leichtere Einsicht, dass es nicht genügt, sich „digital Leadership“ auf die Website und in Werbeanzeigen zu schreiben, wenn der Vorstand weder Facebook noch Instagram oder ähnliche Kommunikationswege nutzt. Der Fehler liegt oft im Fokus auf die Kanalorientierung. Da gibt es nur Trolle, Katzenbilder und wertloses Geplapper? Ist das so – oder hängt es von den Kommunikationspartnern ab? Man meidet ja auch keine Gartenparty, weil dort vielleicht ein paar geistige Trolle sind. Man sucht und unterhält sich mit interessanten Menschen. Und man hört ihnen zu. Alleine sich zu erkundigen, wer im Unternehmen den Social-Media-Kanal betreut, ist die völlig falsche Frage, so Skibiki. Gegenfrage: Wer bei Ihnen im Unternehmen darf denn telefonieren? Antwort: Was für eine absurde Frage, natürlich jeder. Eben. Vor 60 Jahren bei der Einführung des Telefons wurde genau diese Frage gestellt: Wer darf überhaupt telefonieren? Heute fast unvorstellbar, aber das war tatsächlich der Fall. Wirkt in zehn Jahren die heutige Frage, wer Social Media machen darf, genauso lächerlich wie die damalige nach dem Telefonieren heute? Geschichte wiederholt sich – immer wieder. Und immer wieder mit den gleichen Mustern. Eingetretene Pfade im Gehirn lassen uns nur neue Dinge (noch zu) ungewöhnlich erscheinen. Wir bleiben lieber bei unseren bewährten Erfahrungen, dort fühlen wir uns sicher und unser Gehirn mag das – es versucht uns geradezu dazu zu zwingen. Nur wer diesen Manipulationsversuch des eigenen Gehirns einmal erkannt hat, ist in der Lage, ihn bewusst und aktiv aufzubrechen. Acht der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt sind rein datengetrieben. Die drei reichsten Menschen der Welt sind Selfmade-Milliardäre. Die reichsten drei Deutschen sind Erben.
Über den Vortrag von Prof. Gunter Dueck kann man als höchstes Lob für seine beeindruckende Art am besten gar nichts berichten. Ihn MUSS man erleben. Wer auch nur irgendwo die kleinste Chance hat, ihm zuzuhören, sollte diese Gelegenheit wahrnahmen oder eines seiner Bücher lesen. Ein kristallklarer Denker, der mit außergewöhnlich scharfem Humor Dinge aus den unternehmerischen Alltag so auf den Seziertisch liegt, dass sich Erkenntnis und der Wille, sich vor Lachen wegzuwerfen, so schnell abwechseln, dass eine Stunde kürzer als zehn Minuten wirkt und man sich wünscht, ihm den ganzen Tag zuhören zu dürfen.
Die Konferenz „Neue Realitäten“ wird es laut Veranstalter nicht mehr geben. Obwohl sie restlos ausverkauft war, soll sie ein einmaliges Erlebnis bleiben. Das alte Sprichwort, wenn es am schönsten ist, soll man aufhören, stimmt dann wohl selten so wie hier. Es war am schönsten.