Eines der wesentlichen Ziele in jeder Online-Marketing-Strategie ist es, Vertrauen aufzubauen und Nutzer von den eigenen Produkten oder Leistungen zu überzeugen. Da verwundert es, wie wenig Unternehmen gezielt nach Maßnahmen suchen, diese Überzeugungskraft zu stärken. Auffindbarkeit in Suchmaschinen, verbesserte Usability, schnellere Ladezeiten – das sind alles wichtige und sinnvolle Maßnahmen. Sie bleiben aber wirkungslos, wenn der gewonnene Nutzer nicht überzeugt ist und keine Conversion auslöst. Der bekannte Social-Media-Experte Felix Beilharz geht im Folgenden genau dieser Frage nach: Wie kann Vertrauen aufgebaut und der eigene Einfluss auf die Nutzerentscheidungen entscheidend vergrößert werden?
Die „Waffen der Einflussnahme” im Online-Marketing
In der populärwissenschaftlichen Literatur gibt es kaum eine bessere Quelle zu dieser Fragestellung als den amerikanischen Soziologen Robert B. Cialdini. Bereits in seinem 1984 erschienenen Buch „Influence – The Science of Persuasion“ beschrieb er sechs wesentliche Faktoren, die sich in seinen Studien zum Thema Vertrauensaufbau und Überzeugungsfähigkeit herauskristallisiert haben. In seinem neuesten Buch „Pre-Suasion“ fügt er einen siebten Faktor hinzu.
Die Faktoren sind allgemein gehalten und gelten für jegliche Lebenssituation. Bisher wurden diese Ansätze jedoch selten auf das Online-Marketing heruntergebrochen. In diesem Artikel finden die sieben Prinzipien daher auf unsere Branche Anwendung. An Beispielen und mit praktischen Tipps sollen die sieben Faktoren der Cialdini’schen Überzeugungslehre für das digitale Marketing nutzbar gemacht werden. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Manche Prinzipien nutzen Unternehmen im Online-Marketing bereits seit Langem intuitiv, meist ohne den dahinterliegenden Wirkmechanismus verstanden zu haben. Andere Faktoren werden kaum beachtet.
1. Reziprozität
Die erste grundlegende „Waffe der Einflussnahme“, wie Cialdini seine Prinzipien nennt, ist das Prinzip der Reziprozität. Dahinter steht die menschliche Eigenschaft, nur sehr schwer etwas annehmen zu können, ohne die dadurch entstandene Schuld wieder auszugleichen. Wir fühlen uns geradezu gezwungen, einen Gefallen zu erwidern. Im Alltag merkt man das schon daran, dass kaum ein Kompliment („Du siehst heute aber gut aus.“) einfach so angenommen wird, ohne es direkt zu erwidern („Danke, du aber auch!“).
Unternehmen nutzen das Prinzip der Reziprozität zum Beispiel durch kleine Geschenke, Give-aways oder Gefälligkeiten. Wer ein hübsches Weihnachtsgeschenk einer Agentur bekommen hat, wird diese viel eher zu einem Vorstellungstermin einladen. Kein Wunder, dass diesem Prinzip vor allem in größeren Unternehmen durch strenge Compliance-Regeln enge Grenzen gesetzt sind.
Ein großer Teil des gesamten Content-Marketings basiert auf dem Reziprozitätsgesetz. Wer durch einen hilfreichen Blogbeitrag oder einen nützlichen Ratgeber einen echten Vorteil erhalten hat, ist offener für Gegengefälligkeiten („Lass uns einen Like da“, „Trage deine E-Mail-Adresse ein“ oder „Vereinbare ein kostenloses Beratungsgespräch“). Je mehr Nutzwert Unternehmen in ihrem Marketing bieten, desto größer fällt meist auch die Gegenreaktion aus.
Reziprozität lässt sich vielfältig einsetzen:
- Kleine kostenlose Ratgeber als Bonusartikel beim Kauf im Online-Shop (z. B. gibt Booking.com kostenlose digitale Stadtführer zur Buchung dazu).
- Ratgeber-Bereich auf der Website, YouTube-Videos mit Ratgeber-Content etc.
- Ratgeber, Software oder Videos als typische „Leadmagneten“, um an E-Mail-Adressen oder Kontaktdaten zu kommen (wobei sich die Regeln hier durch die DSGVO ändern werden).
- Gratis-Artikel im Online-Shop (sehr intensiv setzt zum Beispiel eis.de auf diesen Faktor – an manchen Tagen besteht die Startseite zum Großteil aus kostenlosen Aktionsangeboten.
2. Sympathie
Damit das Engagement aber Früchte trägt, lohnt sich erst einmal ein Blick auf die Besonderheiten des B2B-Sektors und was Social Media damit zu tun haben.
Auch das zweite Prinzip wirkt unterbewusst und zuverlässig, ohne dass man ihm sich komplett entziehen könnte: Wir lassen uns eher von etwas überzeugen, wenn wir für das Gegenüber Sympathie empfinden. Sympathische Verkäufer verkaufen mehr – weshalb das Auftreten, der Kommunikationsstil und weitere Faktoren, die Sympathie auslösen, wichtige Bestandteile jeder Verkäuferausbildung sind. Ähnlichkeit ist übrigens ein wesentlicher sympathieauslösender Faktor. Wir finden das sympathisch, was uns ähnlich ist. Ein gutes Argument dafür, sich intensiv mit seiner Zielgruppe zu beschäftigen und diese wirklich kennenzulernen.
Größere Marken und Online-Shops haben im Gegensatz zu Verkäufern den Nachteil, dass der persönliche Kontakt meist wegfällt. Sympathie entsteht daher im digitalen Marketing selten durch menschlichen Kontakt, sondern muss durch andere Effekte ausgelöst werden.
In jedem Fall spielt das Webdesign eine Rolle. Ein aufgeräumtes, modernes, nutzerfreundliches (bzw. allgemein „freundliches“) Layout und eine gute Usability wirken allemal sympathischer als Fehlermeldungen, veraltete Inhalte oder lange Ladezeiten. Alles, was sich negativ auf die Sympathie auswirken kann, sollte schleunigst unterlassen oder abgeschaltet werden.
Wenn möglich, kann durch die stärkere Einbeziehung von Personen auch hier wieder Sympathie erzeugt werden. Die amerikanische Versicherungsgesellschaft Progressive setzt zum Beispiel in ihrer Werbung seit langer Zeit den Charakter „Flo from Progressive“ ein. In der amerikanischen Gesellschaft genießt Flo eine hohe Bekanntheit und Beliebtheit. Und dieser Sympathieeffekt zeigt sich auch in den Zahlen: Die Fanpage von Flo hat nicht nur höhere Interaktionsraten als die eigentliche Progressive-Seite, sondern auch mehr als zehnmal so viele Fans.
Sympathie lässt sich zum Beispiel durch diese Maßnahmen stärken:
- Verstärktes Einsetzen von Personen statt ausschließlich Produkt- und Symbolbildern
- Verwendung natürlich und sympathisch wirkender Personen statt „typischer“ Models
- Kanalübergreifender Einsatz von Personen, z. B. Darsteller aus TV-Werbung auch auf Website einsetzen erhöht Sympathie durch Wiedererkennungseffekt
- Einsatz von beliebten Persönlichkeiten als Testimonial (große Teile des Influencer-Marketing-Prinzips basieren darauf)
- Einsatz von Tieren als Sympathieträger oder Maskottchen
- Lustige Inhalte (Lachen erzeugt Sympathie)
3. Soziale Bewährtheit (Social Proof)
Diesem Prinzip liegt eine universelle, wenn auch falsche Annahme zugrunde: Was vielen gefällt, kann nicht schlecht sein. Die soziale Bewährtheit nimmt uns das Risiko ab, mit unserer Wahl falsch zu liegen. Wir kaufen eher den Bestseller, weil andere ihn ja auch gekauft haben. Wir gehen lieber in das Restaurant mit der Schlange vor der Tür, weil es ja offensichtlich gut sein muss.
Der Einsatz im Online-Marketing ist relativ einfach: Erwecke den Eindruck, dein Produkt sei beliebt. Sämtliche Fake-Testimonials, Fake-Fans und Fake-Bewertungen versuchen, dieses psychologische Prinzip auszunutzen. Und leider fallen auch immer noch viele Menschen darauf herein.
Der gleiche Mechanismus kann und sollte aber auch im seriösen Online-Marketing Verwendung finden. Aus den unzähligen Möglichkeiten seien hier nur einige wenige herausgegriffen:
- Anzahl Facebook-Fans sowie deren Nennung auf der Website
- Anzahl der E-Mail-Marketing-Abonnenten über dem Newsletter-Formular nennen
- Testimonials und Kundenreferenzen
- Einsatz von Kundenbewertungssiegeln
- Empfehlungsquote bisheriger Käufer
- Hervorhebung von Bestseller-Artikeln oder beliebtesten Blogbeiträgen
- Nutzung der Targeting-Option „Freunde von Fans der Seite“ bei Facebook-Anzeigen
4. Autorität
Wer eine Autorität ist, dem glaubt und vertraut man eher. Ein Arztkittel, eine Polizeiuniform oder auch nur eine „Ordner“-Jacke verleihen Autorität. Und das gilt sogar, wenn das Thema, um das es gerade geht, gar nichts mit dem eigentlichen Feld der Autoritätsperson zu tun hat (Boxer empfiehlt Schokoriegel, Tennisprofi wirbt für Internetprovider).
Online lässt sich Autorität oder auch nur den Anschein von Autorität ebenfalls sehr gut erzeugen. Wer sein Know-how offen weitergibt, z. B. in Form von Blogbeiträgen, Videos oder Webinaren, erweckt automatisch den Anschein von Expertentum oder eben Autorität (inhaltliche Qualität vorausgesetzt). In besonderem Maße gilt das offline übrigens auch für Vorträge – wer auf einer Bühne steht, muss es ja irgendwie dahin geschafft haben, folglich muss er eine Autorität für sein Thema sein.
Autorität wird darüber hinaus auch vererbt: Eine Autorität kann auch andere Einheiten zu Autoritäten machen, z. B. durch Empfehlungen oder sonstige Nähe. Das Google-Partner-Logo basiert zum Beispiel genau auf diesem Prinzip: Wenn Google diese Agentur in ihre Partner-Datenbank aufgenommen hat, muss sie ja gut sein. Wie gering die Hürden dafür wirklich sind, weiß der Endkunde in der Regel ja nicht.
Autorität kann unter anderem durch diese Maßnahmen erzeugt werden:
- Verwendung von Test- und Expertensiegeln sowie ähnlichen Trust-Elementen, die von einer bekannten Autorität verliehen wurden (Trusted Shops, TÜV etc.)
- Nennung von Medienberichten, Medienlogos etc.; Auflistung der Berichterstattung
- Kooperation mit bekannten Autoritäten (z. B. Gastbeiträge in anerkannten Online-Magazinen, gemeinsame Events mit bekannten Persönlichkeiten, Einholen von Gastbeiträgen externer Autoritäten auf den eigenen Medien etc.)
- Generell Autorentätigkeit (auch heute noch insbesondere „echte“ Bücher, aber zunehmend auch E-Books oder andere Formate)
- Weitergabe Expertenrat in allen Formaten (insb. Video wirkt sich deutlich autoritätssteigernd aus)
Eine wenig beachtete Strategie ist es übrigens, nicht nur fremde Autoritätszeichen wie Preise oder Siegel anzustreben und zu verwenden, sondern auch selbst solche herauszugeben. Wer einen Preis gewinnt, ist gut; wer selbst einen Preis vergibt, ist automatisch besser. Zumindest ist das der geistige (Fehl-)Schluss, den unser Gehirn automatisch zieht …
5. Verknappung
Das Prinzip der Verknappung bzw. dessen Wirksamkeit kennt jeder. Kaum jemand kann sich einer Behauptung wie „Nur noch 3 Stück auf Lager …“ wirklich entziehen. Wenn etwas sich so gut verkauft, dann muss es ja gut sein. Umgekehrt ist ein Experte, der noch an 345 Tagen im Jahr verfügbar ist, sicherlich nicht der gefragteste am Markt.
Verknappung kann in den unterschiedlichsten Formen kommuniziert werden. Booking.com verwendet fast alle in Kombination. „In den letzten 6 Stunden 3-mal gebucht“ ist sowohl ein Zeichen für soziale Bewährtheit (Social Proof), als auch ein Verknappungssignal. Noch deutlicher sind Hinweise wie „Nur noch 2 Zimmer verfügbar“, „Sehr gefragt“ oder „Unsere letzten verfügbaren Zimmer ansehen“. Wer einmal über die Booking.com-Angebote surft, spürt unweigerlich das Gefühl von Dringlichkeit, auch wenn er für die Entscheidung eigentlich genug Zeit hätte.
Verknappung kann sowohl mengenmäßig („Nur 100 Stück“) als auch zeitmäßig („Nur heute“) erfolgen und ist nicht auf Online-Shops beschränkt. Auch der Speaker, der im Jahr auf maximal drei Konferenzen auftritt, oder die Agentur, die nur noch zwei Kunden dieses Jahr aufnehmen kann, nutzt das Prinzip der Verknappung. Wichtig ist, dass diese Verknappung entsprechend kommuniziert wird – eine Knappheit, von der niemand weiß, ist nutzlos.
6. Konsistenz und Verbindlichkeit
Konsistenz und Verbindlichkeit bedeuten, dass wir einmal eingeschlagene Richtungen nicht gerne ändern. Wenn wir eine Handlung durchgeführt haben, erledigen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die nächste, ähnliche oder dazugehörige Tätigkeit, selbst wenn wir zwischendurch erkennen, dass die erste Aktion falsch war. Wenn wir uns einmal zu etwas „verpflichtet“ fühlen, ist es schwer, uns wieder davon abzubringen.
Das Prinzip der Reziprozität führt oft zu einem solchen Konsistenzbedürfnis, vor allem, wenn der Ausgleich mit der ersten Gegenleistung noch nicht wieder hergestellt zu sein scheint.
Im Online-Marketing wird das Prinzip der Konsistenz und Verbindlichkeit oft durch eine Einstiegsfrage ausgenutzt, die das eigene Selbstbild in eine entsprechende Bahn lenkt. Wer die Headline „Achtung: Nur für Sparfüchse“ innerlich akzeptiert hat, wird empfänglicher auf Sonderangebote reagieren – schließlich ist er ein Sparfuchs (das Prinzip dahinter nennt sich „Priming“). Auch Einstiegsfragen wie „Würden Sie gern leichter abnehmen?“ auf einer Landingpage führen, sofern sie innerlich bejaht wurden, zu einer höheren Conversion-Wahrscheinlichkeit: Wer leichter abnehmen will, sollte auch willens sein, das geeignete Hilfsmittel oder Diätprogramm für ein paar Euro zu erwerben – vor allem, wenn es nur noch heute so günstig ist und es von Diätcoach XY empfohlen wurde. Die Kombination der Prinzipien macht meist den Erfolg aus.
Der beste Weg, das Konsistenz-Prinzip zu nutzen, sind Funnel. Im Funnel wird der Kunde Schritt für Schritt weitergeführt. Und jeder durchgeführte Schritt bestärkt ihn in seinem Tun. Deswegen sind Customer-Journey-bezogene Ansätze und Funnelkonzepte auch deutlich erfolgreicher als simple „Klick und Kauf“-Versuche.
7. Zusammengehörigkeit
Das siebte Prinzip hat Cialdini erst in seinem 2017 erschienenen Buch „Pre-Suasion“ veröffentlicht, obwohl es in manchen der ersten sechs Faktoren bereits mitschwingt. Wir wollen uns als Teil von etwas fühlen, ein „Wir-Gefühl“ erleben. „Ingroup/Outgroup“ nennen Soziologen diesen Effekt – wir gegen die.
Auch das Zusammengehörigkeitsprinzip lässt sich relativ leicht umsetzen. Beispiele hierfür sind:
- Facebook-Gruppen zu einem gemeinsamen Thema, betrieben von einer Marke
- Beziehungsweise auch ganz allgemein der Aufbau von Communities
- „Insider-Witze“ und Anspielungen, die Außenstehende nicht verstehen
- Eine besondere Sprache, die Verwendung von Begriffen der Zielgruppe
- Offline-Treffen, Stammtische, Barcamps etc.
- Betonung von Zusammengehörigkeit durch Elemente im Webdesign, z. B. regionale oder kulturelle Hervorhebungen, die für die Zielgruppe einschlägig sind
Fazit
Die „Waffen der Einflussnahme“ von Cialdini sind allgemeine Prinzipien, die für jeden und in jeder Situation wirken, wenn auch unterschiedlich stark. Sich ihnen zu entziehen, ist schwierig bis unmöglich, einfach weil unser Gehirn so funktioniert. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Ethik, um die Zielgruppen zwar zu beeinflussen (das tut Marketing nun mal), aber nicht auszunutzen. Die Gesetzgebung, vor allem das Wettbewerbsrecht, setzt diesen Prinzipien soweit möglich Grenzen, zum Beispiel, indem falsche Angaben bei der Anzahl der zufriedenen Kunden oder irreführende Verknappungsaussagen verboten sind. Innerhalb der erlaubten und vertretbaren Grenzen sind sie jedoch wirksame Conversion-Treiber, die nicht vernachlässigt werden sollten.