„Wir gucken erst mal, wie die anderen das machen. Bis dahin nehmen wir das Tool, das alle nehmen, dann machen wir nichts falsch. Und wir lassen uns zertifizieren, um zu zeigen, dass wir uns an die Standards halten.“
Abgekratzt …
Die Online-Marketing-Branche scheint weitgehend mutlos und durchschnittlich.
Das ist nicht schlimm, weil die Online-Marketing-Branche von lauter mutlosen, durchschnittlichen Branchen umgeben ist. Wir infizieren uns quasi gegenseitig. Das Virus ist nicht wählerisch: Es befällt Strategie, Taktik, Operative. Es nistet sich in Texten ein, in der Website-Gestaltung, in Unternehmens-Prozessen.
Ein Betreiber eines Online-Shops beobachtete einen Wettbewerber, wie dieser in seinem Webshop ein sympathisches Beratungs-System integrierte, welches über die oft völlig sinnlosen Produkt-Filter weit hinausging. Den Kunden gefiel das offensichtlich, die Methode sprach sich herum. Angetrieben durch diese „Inspiration“ imitierte der Webshop-Betreiber seinen Wettbewerber – der Erfolg blieb aus.
Inspiration motiviert in erster Linie zu Imitation, nicht zu Unterschiedlichkeit.
Der Shop-Betreiber hätte alle Möglichkeiten der Welt gehabt, etwas Neues zu erschaffen. Stattdessen glich er sich lediglich einmal mehr seinem Wettbewerber an.
Online-Marketing-Agenturen indoktrinieren seit über einer Dekade systematisch Unternehmen, „bestimmte Suchbegriff-Kombinationen in die H1-Überschrift einer Webseite zu schreiben“, um Google zu dienen.
Die Gehirnwäsche funktioniert: Unternehmen belästigen ihre Website-Besucher auch 2018 noch mit Wortvergewaltigungen in Überschriften wie „Fotograf für Hochzeitsfotografie Berlin online buchen“ oder „Rote Schuhe online günstig kaufen“.
Wer von diesem Konzept abweicht, um seinen Website-Besuchern mit Empathie und einem Bezug zum Grund ihres Besuchs zu begegnen, wird regelmäßig als „Ver“-Rückter angesehen: Das ist neben der Norm!
Nach Vorträgen werde ich oft gefragt, ob ich „mal ein paar ‚Cases‘“ zeigen kann. Man interessiert sich dafür, „wie andere Unternehmen etwas bereits gelöst haben“. Früher zeigte ich bereitwillig Beispiele, heute verweigere ich diese absichtlich.
„Unterschiedlichkeit“ entsteht in erster Linie aus Abgrenzung, aus der Abwesenheit von Ähnlichem. Unterschiedlichkeit erfordert Mut und bewusst eingesetzte Ignoranz gegenüber verfügbaren Lösungen.
Jede Information zu bereits existierenden Lösungen kann das Potenzial für „Unterschiedlichkeit“ sofort zunichtemachen – weil wir bekannten Denkmustern und ihren impliziten Logiken folgen. Das Gehirn will Energie sparen und wir orientieren uns bequemerweise an bereits Bestehendem. Alle anderen Denkoptionen verfallen sofort.
„Durchschnittlichkeit“ verspricht vermeintlichen Schutz: Es wurde wohl noch nie jemand gekündigt, weil er Online-Werkzeuge benutzte, die jeder verwendet, oder weil er „Keywords in der H1 für Google“ einsetzte. Aus Sicht des Kollektivs wurde alles richtig gemacht. Wer abweicht, gefährdet die Selbstbestätigung des Systems.
Menschen belohnen Unterschiedlichkeit in der Regel mit Aufmerksamkeit. Was sich vom Rest abhebt, wird beachtet: Gefahr oder Chance? Alles andere wird gefiltert.
Facebook weiß um diese Mutlosigkeit und wirbt dreist: „Lass Dich von Unternehmen inspirieren, die Deinem ähnlich sind!“ Eine perfekte Strategie, um Werbegebote der Plattformteilnehmer dauerhaft zu erhöhen.
Durchschnittlichkeit vernichtet, Unterschiedlichkeit lenkt Aufmerksamkeit!
Egal, ob du in einer Agentur, in einem Unternehmen oder selbstständig arbeitest: Entwickle Mut für mehr Unterschiedlichkeit! Die Welt besteht aus mehr Denkoptionen als denen, die für uns vorgedacht wurden.