Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Ich bin Google, deine Suchmaschine. Du sollst auf Konferenzen keine anderen Suchsysteme neben mir haben.
Abgekratzt …
Wer im Jahr 2017 unterschiedliche „SEO“-Konferenzen im deutschsprachigen Raum besucht, wird für gewöhnlich nichts Ungewöhnliches feststellen: Im Schnitt gibt es ein bis fünf parallele Vortrags-Reihen in unterschiedlichen Räumen, bekannte und unbekannte Sprecher, Häppchen, Small Talk, Party. Inhaltlich geht es beispielsweise um Links, Content, Google Search Console, Analytics, Keyword Planner, Ranking-Tools, Sichtbarkeits-Indizes, Indexierungs-Verhalten und Co.
Die Keynotes – einleitende Vorträge mit der Aufgabe der disziplinübergreifenden, visionären Inspiration – behandeln in der Regel eine Mischung aus „Neues aus dem Hause Google“, etwas mit Smartphones, Sprachsuche, Transformationsfähigkeit und ein emotionales Thema. Aus der Technik-Ecke kommt ein bisschen http/2, Pagespeed, JSON-LD und PWA.
Man hört Fragen wie: „Was ist die minimale Content-Menge, die ich für Google brauche, um auf Seite 1 zu ranken?“ Ein Sprecher denkt kurz nach, empfiehlt eine Textmenge von mindestens 300 Wörtern, WDF*IDF-optimiert und leicht lesbar. Ein Teil des Publikums nickt zufrieden, einige machen sich Notizen, ein weiterer fragt nach einem Tool dafür.
Raumwechsel: „Google hat einen Marktanteil von 95 %.“ Raumwechsel: „Texte für Google optimieren.“ Raumwechsel: „10 Tools, um besser bei Google zu ranken.“ Raumwechsel: „Erhöhung der Indexierungs-Frequenz für den Google-Bot.“ Ich habe dieses Jahr gut ein Dutzend Mal auf mein Ticket geschaut: „Bin ich hier auf einer Google-only-Konferenz gelandet? Die sind noch nicht mal als Sponsor gelistet?“
Wir erleben seit fast zwei Dekaden eine freiwillige systematische Selbstindoktrination einer ganzen Branche: eine sektenähnliche Formation, die in angsterfüllter Harmonie um das googelnde Kalb tanzt und hochinfektiös alle angeschlossenen Branchen freudig mit dieser viralen Denk-Sackgasse ansteckt.
In so einer „SEO“-Konferenz sitzen oft Einsteiger in die Suchmaschinen-Welt. Und Veranstalter wie Sprecher erzeugen für diese Einsteiger eine neue Realität: Es gibt nur eine einzige Suchmaschine und du solltest ihr gefallen, dann schenkt sie dir Besucher. Jeder Konferenz-Betreiber und jeder Sprecher ist mitverantwortlich für die neuen Denkmodelle im Kopf eines Nicht-Fachmanns: Diese Person glaubt im Ernstfall alles, was auf dieser Experten-Konferenz gesagt wird. Und weiß nichts von all dem, worüber nicht gesprochen wird.
Es gibt so viel mehr Suchsysteme außerhalb des Google-Universums, die allesamt ihre Berechtigung haben: Eine 10-köpfige Körpertherapie-Praxis lässt sich bequem mithilfe von Jameda + Netdoktor + Yelp über(!)füllen. Und es gibt für jede Branche und jedes Angebot viele passende und rentable Suchsysteme – es ist eine Frage des „Begreifens“.
Dieser Artikel ist definitiv kein Aufruf, auf Google zu verzichten. Das hier ist ein Aufruf zur dringend notwendigen Diversifizierung. Ein Unternehmen, das den allergrößten Teil seiner Umsätze über die organische Google-Suche macht, betreibt in erster Linie ein fahrlässiges und verantwortungsloses Risiko-Management.
Weshalb ist Google die mächtigste Suchmaschine? Weil wir alle sie – ohne umfassende Kenntnis – dazu machen. Google ist derzeit unbestritten die beste Suchmaschine für „Alles“ – und dennoch ein unzureichendes Suchsystem für „Spezielles“.
Wir alle, Teilnehmer wie Sprecher, sollten „SEO“-Konferenzen bevorzugen, auf der mindestens ein Dutzend unterschiedliche Suchsysteme besprochen werden. Und „Google-only-Konferenzen“ künftig meiden.