„Kunden, die das Canon-Objektiv 50 mm f1.2 gekauft haben, haben auch folgende Produkte gekauft: Panasonic 30 mm f2.8 und Pentax 55-300 mm.“ Nein, lieber Webshop, du lügst doch! Außerdem hast du soeben 80 % meiner Aufmerksamkeit verbraucht.
Abgekratzt …
„Personalisierung kotzt mich an.“ Die über 400 Teilnehmer fühlten wohl etwas Ähnliches, als Konversions-Papst André Morys auf der OM.live-Konferenz diesen Satz auf die Leinwand knallte.
Hey Amazon ... ich habe bei dir in den letzten 24 Monaten zehn (!) Apple-Produkte gekauft. Du weißt das. Ich weiß das. Warum zeigst du mir Produktvorschläge für Samsung-Geräte an? Und Microsoft-Produkte? Vielleicht weil ich jetzt (so rein statistisch-predictive) genug Apple-Produkte gekauft habe und langsam mal die Nase voll haben müsste? Nein. Dem ist nicht so.
Der Klassiker: Man kauft eine Waschmaschine online und wird dank Retargeting wochenlang mit Werbung für Waschmaschinen verfolgt. Vielleicht geht der Trend ja zur Zweitwaschmaschine. Lustig, oder? Die doofen Unternehmen! LOL. Wer jetzt lacht, weiß noch nicht, dass Unternehmen aus rechtlicher Sicht gar keine Möglichkeit haben, die Aussteuerung solcher Werbung zu unterbinden: Das würde einen Zugriff auf persönliche Informationen auch außerhalb eines zum Beispiel angemeldeten Zustands bedeuten.
Solche Informationen bekommt man natürlich nicht, wenn man sich mit einem Big-Data-Predictive-Hyperpersonalization-Verkäufer am Pappstand auf der DMEXCO unterhält. Sondern eher bei einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt oder einem Datenschutzbeauftragten. O. k., wieder etwas dazugelernt. Und dann kommt gleich die nächste Frage:
Wenn Unternehmen auf „all die Daten unserer bisherigen Einkäufe“ erst dann zugreifen und sie im Retargeting-Rahmen nutzen können, wenn wir uns zum Beispiel über eine Benutzeranmeldung eindeutig identifiziert haben ... warum nutzen sie es nicht wenigstens dann?
Hierauf gibt es eine ganze Bandbreite an möglichen Antworten. Wenn man sich mit einigen Unternehmen unterhält, lauten die ernüchternden Aussagen ungefähr so:
- Unsere Recommendation-Engine muss erst trainiert werden. Bei 50.000 Produkten und 700 Sales am Tag dauert das noch ein paar Jahre.
- Wir haben dieses Big-Data-Predictive-Hyperpersonalization-System gekauft, aber niemand hat eine Idee, wie man es bedient.
- Wir haben keine Ressourcen, um uns damit zu beschäftigen, welche Produkte unsere Kunden in welcher Reihenfolge benötigen.
„Personalisierung“ ist ein intensives und disziplinübergreifendes Thema: Vom Digital-Strategen bis zum Entwickler, vom Texter bis zum SEA-Experten und vom Designer bis zum Usability-Ingenieur muss jeder mit ins Boot und trägt eine wichtige Verantwortung. Das klingt wie im Bilderbuch. Aktuelle Umsetzungen in der Praxis beschränken sich leider auf Lösungen wie: „Menschen, die sich Produkt X gekauft haben, haben auch Produkt Y gekauft.“ Und selbst dann runzelt man nachdenklich die Stirn, wenn Amazon & Co. behaupten, dass Käufer regelmäßig zu einem iPad noch ein Samsung-Tablet in den Warenkorb legen würden.
Manche Unternehmen lassen sich auf das Testing-Szenario ein und überprüfen, was sich an den Konversionsraten verändert, wenn zum Beispiel „personalisierte Empfehlungen“ aus Webseiten entfernt werden. Und das Resultat ist oftmals ernüchternd: In der Regel verändert sich ... nichts. NICHTS!
Solche Szenarien sollten uns zu denken geben: Vielleicht sind es nicht die großen und bequemen Pseudo-Lösungen, die „irgendwie“ etwas berechnen. Vielleicht sollten Personalisierungs-Systeme aus Erfahrung, Empathie und echten Informationen aufgebaut werden.
Damit Personalisierung tatsächlich Spaß macht. Und mehr Umsatz bringt.