Mit einem Fokus auf Zahlen, Fakten und Analysen scheinen B2B-Unternehmen vermeintlich nicht für eine kreative und emotionale Kommunikation gemacht zu sein. Doch auch oder gerade technisch anspruchsvolle Themen können durch Geschichten eine hohe Anziehungskraft auf ein großes Publikum entwickeln. Einige Grundregeln des erfolgreichen Storytelling zählen auch in der B2B-Kommunikation. Expertin Miriam Rupp gibt Ihnen wertvolle Tipps an die Hand, wie auch Mittelständler davon profitieren können.
Technologie und Komplexität eine Seele geben:
Fünf Marken-Storytelling-Tipps für B2B- und Tech-Mittelständler
Ob Logistik, Technologie oder Maschinenbau – es gibt kein Thema, das zu erklärungsbedürftig oder nicht sexy genug wäre, um Storytelling anzuwenden. Bei ihrem Webauftritt scheuen sich viele mittelständische B2B- und Tech-Unternehmen bislang noch vor dem inzwischen etablierten Content-Marketing-Prinzip, denn das Etikett „hoher Erklärungsbedarf“ scheint eine kreative und emotionale Kommunikation auszuschließen. Dabei können auch die harten Fakten und komplexen Technologien der Business-to-Business-Branchen oder technisch anspruchsvolle Themen durch die Macht von Geschichten eine hohe Anziehungskraft auf ein breites Publikum entfachen. Oftmals muss das Medienecho dagegen gar nicht weitläufig sein, um für eine spürbar wachsende Nachfrage bei den Zielgruppen zu sorgen. Die gezielte Ansprache auf nur einem strategisch ausgesuchten Kanal reicht in bestimmten Industrie- und Produktionsnischen vollkommen aus. Wie lassen sich also spannende Geschichten für die Webpräsenz aus komplexen Produkten und Services entwickeln? Wer sind die Hauptdarsteller? Lohnt sich Storytelling, wenn es um ein Produkt geht, für das es weltweit nur 150 mögliche Käufer gibt? Auf welchen Medienkanälen erreicht man diese und ist jeder Kanal gleichermaßen wichtig, um die eigene Geschichte publikumswirksam zu transportieren? Von originellen Kampagnen aus der Praxis lassen sich Tipps zur kommunikationsstrategischen Orientierung für mittelständische Unternehmen ableiten. Die Beispiele können dabei helfen, neuen Ideen und Denkansätzen abseits der Konvention eine Chance in der oft unüberschaubaren Vielschichtigkeit zu geben und gleichzeitig den B2B-Anforderungen gerecht zu werden.
Tipp 1 – Die Vorteile der Nische nutzen: Glaubwürdig und gezielt Geschichten verbreiten
Gerade kleine oder sehr spezialisierte Unternehmen stellen sich die Frage, wie sie mit wenigen Mitteln ein großes Publikum erreichen können. Die wichtigere Überlegung ist jedoch in vielen Fällen, ob sie das überhaupt müssen. Das Beispiel des deutschen Baumaschinenherstellers Liebherr zeigt, dass in manchen Fällen schon ein Kanal und eine Zielgruppe von wenigen Hundert reichen, um mit Geschichten zu punkten. Die Nische macht es für Unternehmen sogar einfacher. Denn sie kennen ihr Publikum oft persönlich und wissen, welche Bedürfnisse oder Fragen ihre Kunden haben und wo der Schuh drückt. Zur Markteinführung seines zwei Millionen Euro teuren Spezialtiefbaugeräts orientierte sich Liebherr ebenfalls an den Grundpfeilern des Storytelling. Die Zielgruppe war in diesem Fall sehr spitz und vorrangig im Online-Business-Netzwerk LinkedIn zu finden. Statt die Bekanntheit des „LB 44“ mit emotionalen Kontaktmails oder in Geschichten verpackten Artikeln zu steigern, wurde das Spezialtiefbaugerät zu einem eigenen Charakter. Mit dem viel griffigeren Namen „Mister Torque“ bekam die Maschine ein eigenes LinkedIn-Mitgliedsprofil. Mit dem Hashtag #MrTorque wurden vorab zudem kurze Videos gestreut, die mit Detailaufnahmen Spannung aufbauten, worum es sich bei dem Gerät genau handelt. Zum Start wurde auf der Facebook-Seite von Liebherr ein ausführliches Vorstellungsvideo gepostet. Mit der Ankündigung „Huge. Strong. Powerful. Solid. Mobile. Time to Face Mr. Torque!“ wurden sowohl der Hashtag als auch das LinkedIn-Profil eingeführt. Das Video wurde knapp 7.000-mal in den sozialen Medien geteilt. Insgesamt 170 LinkedIn-Kontakte kamen laut Liebherr durch diese Kampagne zustande, darunter auch Anfragen für ein Treffen auf der amerikanischen Baumesse Conexpo. Von den 20 Verkäufen waren drei Firmen direkt mit Mister Torque auf LinkedIn vernetzt. Drei Kontakte, die sechs Millionen Euro wert sind.
Tipp 2 – Mitarbeiter zu Botschaftern machen: Authentizität durch Employer Branding
Mehr noch als in der Consumer-Branche geht es bei B2B- oder sehr kleinen Unternehmen oft um die persönliche Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer, Dienstleister und Auftraggeber oder zwischen Berater und Kunde. Dass das Vertrauen der Kunden zu den Mitarbeitern aufgebaut wird, ist daher für solche Unternehmen von besonders großer Bedeutung. Geschichten über Persönlichkeiten, kleine und große Helden sind hier die beste Wahl. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Menschen in den Fokus der eigenen Stoytelling-Strategie zu stellen. Mitarbeiter sind die wichtigsten Helden und gleichzeitig besten Erzähler, wenn es darum geht, ein authentisches und attraktives Bild als Arbeitgeber – und damit auch als Marke – zu zeichnen. Um sich mit einer zukünftigen Stelle identifizieren zu können, gilt es, sich in die Menschen, die an ähnlichen Projekten arbeiten, hineinversetzen zu können. Für die porträtierten Erzähler ist es wiederum eine wertschätzende Geste für ihre Rolle im Unternehmen und ihren Beitrag, den sie täglich leisten. Ein schönes Beispiel für gleichzeitigen Brand und Employer Branding ist der Unternehmensfilm der Meyer Logistik. Hier sind die Protagonisten nicht nur Mitarbeiter, sondern Menschen mit Leidenschaften, deren Arbeitsphilosophie mit den Metaphern ihrer echten Hobbies veranschaulicht wird. Bei Kunden wie Bewerbern hinterlässt dies ein wohliges Sympathie-Gefühl und damit eine positive Markenwahrnehmung.
Auch auf der Website des Autoteile-Zulieferers Hirschvogel werden Mitarbeiter zu Botschaftern des Unternehmens – jedoch ohne ein großes Budget für einen professionellen Image-Film. Auf der Storytelling-optimierten Landingpage sind keine konventionellen Informationen zu finden, sondern überraschende Zitate wie „Unsere Ziele tendieren stark gegen null.“ neben den Porträts sympathischer Mitarbeiter mit Schlips oder im Blaumann. Auf den zweiten Blick verrät die Zeile darunter: „Null Fehler, natürlich.“ Das unweigerliche Schmunzeln erzeugt eine positive Markenwahrnehmung und bleibt damit im Kopf des Publikums. Als Weltmarktführer in seiner Sparte beweist das Unternehmen damit Mut zum Humor und zeigt, dass Authentizität nicht stocksteif kommuniziert werden muss.
Tipp 3 – Emotion vor Buzzwords: Kundennutzen betonen statt Produktfeatures preisen
Um potenzielle Kunden mit der eigenen Website anzusprechen, sind es weniger Produktinformationen und Vorteilsargumentationen, die einen überzeugenden ersten Eindruck vermitteln. Natürlich zählen in der B2B-Kommunikation Tatsachen und harte Zahlen, aber auch Fakten können überraschen und dem Inhalt mehr Gefühl verleihen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, auf die Tränendrüse zu drücken. Die Zielgruppe sollte vor allem dazu bewegt werden, sich überhaupt mit den dargestellten Themen zu beschäftigen. Emotionales Storytelling stellt den Nutzen für den Kunden in den Vordergrund, nicht die Features des Produkts. Geschichten eines konkreten, persönlichen Beispiels wirken besser als gesichtslose Statistiken. Statt die Qualität des eigenen Saatguts über den Klee zu loben, begeistern solche Aspekte das Publikum, die deren persönliches Interesse widerspiegeln – nämlich dass sie damit den schönsten Garten haben können. Einer Identifikation des Kunden mit dem Erzählten können sperrige Formulierungen im Wege stehen. Deshalb sollte auf Buzzwords, die zwar Zusammenhänge praktisch bündeln, jedoch keinerlei persönliche Verbindung der Kunden zum Inhalt erzeugen, besser verzichtet werden. Der beste Weg zur reibungslosen B2B-Kommunikation sind klare und strukturierte Inhalte, das klassische Auf-den-Punkt-Kommen und das Vermeiden vager Formulierungen und leerer Worthülsen. Ein Beispiel für gelungene, einfache Kommunikation auf der Internet-Präsenz kommt von Maersk. „Enabling Trade“ steht in großer Schrift auf der Website, das große Warum, das sich Maersk als Unternehmenszweck auf die Fahnen schreibt. Diese zwei simplen Worte lassen bereits die Rolle des dänischen Unternehmens als Mentor erkennen. Im Reiter „Industries“ wird klar, wer der eigentliche Held ist, nämlich der End-Verbraucher:
„Without the industries of global transport and energy, you would not have the electronic device you are using to read this website, the shoes on your feet, or the gas that powers your car. However, as the global economy develops, so too does the need for greater levels of trade and an even larger demand on energy sources. The Maersk Group operates within both of these industries striving to continuously push boundaries and provide innovative solutions that will help not only our companies advance, but the overall industries as well.”
Das Frachtunternehmen schafft es schon mit dem schlichten ersten Satz, dass sich jeder mit dieser Aussage identifizieren kann und die Relevanz des Unternehmens im komplexen Wirtschaftskreislauf erkennt. Im zweiten Satz folgt die aktuelle Herausforderung für die eigentlichen Helden und deren Bedürfnisse: immer größere Transportvolumen und zunehmender Bedarf an Lösungen. Ohne die Einzelheiten im komplexen Logistik-Prozess zu erklären, wird also das große Warum im Selbstverständnis von Maersk deutlich.
Tipp 4 – Den Fluch des Wissens überwinden: Mit der kommunikativen SUCCESs-Formel
Neben den branchenspezifischen Buzzwords verhindern oft die fachlichen Scheuklappen eine einfache Kommunikation der eigenen Unternehmensgeschichten und Botschaften. Jeder kennt es, dass Experten dazu neigen, ihre Erkenntnisse zu verkomplizieren, anstatt ihre Aussagen für jedermann verständlich zu gestalten. Um wieder den Wald anstelle unzähliger Bäume zu sehen, nützt auch bei den Unternehmensbotschaften ein kommunikativer Schritt zurück. In ihrem Buch „Made to Stick“ nennen Dan und Chip Heath dies den „Fluch des Wissens“ und betonen mit einem Beispiel den entscheidenden Unterschied zwischen verständlichen und unverständlichen Formulierungen: Der Großteil aller CEOs würde ein Vorhaben wahrscheinlich so formulieren: „Unsere Mission ist es, durch Team-zentrierte Innovation und strategisch gezielte Luftfahrt-Initiativen in der Raumfahrtindustrie international führend zu werden.“ John F. Kennedy verkündete seine Vision im Mai 1961 in seiner ersten Rede an den amerikanischen Kongress jedoch ganz anders: „Die Vereinigten Staaten sollten sich das Ziel setzen, noch vor Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zur Erde zurückzubringen.“ Die gleiche Aussage, die plötzlich hängen bleibt und nicht verdammt ist vom Fluch des Wissens. Die Formel, dieses Dilemma zu überlisten, nennen die Gebrüder Heath: Simple, Unexpected, Concrete, Credible, Emotional und Story (SUCCESs). Für eine erfolgreiche Kommunikation müssen nicht alle sechs Prinzipien umgesetzt werden, eine Kombination mehrerer Punkte ist jedoch in jedem Fall ratsam. Mit „simple“ ist vor allem gemeint, den Kern einer Idee zu formulieren, das Warum, auf eine Art und Weise, die es möglichst einfach macht, etwas zu verstehen. Stilistisch hilfreich sind hier Metaphern, da sie auf bereits Bekanntes zurückgreifen. Anstelle einer korrekten, aber umständlichen botanischen Beschreibung der Pomelo-Frucht könnte ihre Beschreibung auf einfache Art „eine etwas größere Grapefruit mit dickerer Schale“ lauten. „Unexpected“ steht für das Aufbrechen bekannter Muster, indem diese unerwartet und damit überraschend kolportiert werden. So etwa Hirschvogels Zitate aus Tipp 2, die neugierig auf das Dahinter machen. „Concrete“ ist Kennedys soeben erwähntes Bild des Menschen auf dem Mond, während Stimmen von Autoritäten, also Kunden oder Experten, glaubwürdig, also „credible“ sind. Menschen interessieren sich für andere Menschen und nicht für Zahlen. „Emotional“ wird es entsprechend, wenn wie im Tipp 3 der Kundennutzen eines Produkts betont wird und wie dieser den Alltag der Zielgruppe erleichtert. „Stories“ wie die Mitarbeiter-Geschichten von Meyer Logistik verpacken diese Botschaften in komprimierten Szenarien und können so Visionen und Argumente persönlicher transportieren. Kommunikation, die hängen bleibt, sollte also kompakt und trotzdem tief gehend sein.
Tipp 5 – Jenseits von Websites: Die richtigen Kanäle wählen
Während Kunden beim Kauf von Tic Tac nicht unbedingt deren Website besuchen würden, wendet man sich bei Dienstleistern oder Lieferanten schon eher an die zentrale Online-Anlaufstelle, möchte man in Kontakt treten. Die Unternehmensseite ist nicht nur digitale Visitenkarte und Aushängeschild, sondern kann auch mit einem eigenen Blog dem Content-Marketing dienen. So generieren B2B-Unternehmen mit einem Corporate-Blog im Schnitt 67 Prozent mehr Leads als ohne. Dennoch hat Print in der Unternehmenskommunikation nicht ausgedient. Maersk entwickelte beispielsweise ein monatliches Magazin für Kunden und Mitarbeiter. Dessen Artikel werden sowohl als Print-Edition als auch online herausgegeben. Alle Werte und Aspekte von Personal- bis Kundenansprache werden darin abgedeckt. Storytelling auf der eigenen Plattform hilft zudem gerade bei spezialisierten Themen, die Sichtbarkeit in Suchmaschinen zu verbessern. Wie das Beispiel „Mister Torque“ mit seinem LinkedIn-Erfolg verdeutlichte, können auch Social Media ausschlaggebend für den Erfolg einer Storytelling-Kampagne sein. Die Inhalte des eigenen Magazins verbreitet Maersk auf nicht weniger als neun sozialen Medien und betreibt dort intensives Community-Management. Über zwei Millionen Facebook-Fans gefällt dies. Außerdem zählt der eigene Instagram-Account über 68.000 Follower – auch wenn die vertretenen Geschäftsfelder auf den ersten Blick nicht so attraktiv scheinen wie griffige Lifestylemarken oder Produkte. Der Frachtdienstleister schaffte es dennoch, ein internationales Millionenpublikum zu begeistern, das sich nicht allein aus zufriedenen Geschäftskunden oder potenziellen Interessenten zusammensetzt.