Quo vadis, SEO?

Stefan Fischerländer
Stefan Fischerländer

Stefan Fischerländer ist geschäftsführender Gesellschafter der Passauer Digitalagentur Gipfelstolz. Seit dem Jahr 2000 berät er Kunden mit Fokus auf technisches SEO und ist als Entwickler tätig. Mit seinem Theoriewissen und seiner Praxiserfahrung unterstützt er außerdem das SEO-Tool TermLabs.io als Tech-Evangelist.

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Die SEO-Branche ist mitsamt ihren Protagonisten langsam, blind und bequem geworden. Zentrale Änderungen werden nur sehr zögerlich wahrgenommen und die Reaktionen darauf sind noch weitaus zurückhaltender. Ein Urgestein der Branche, Stefan Fischerländer, spürt diesen Defiziten nach und versucht, die Gründe für diese Fehler aufzudecken, die er allesamt nach eigenen Angaben natürlich auch selbst begangen hat.

Die SEO-Zunft ist verunsichert. Diskussionen auf Facebook über den Sinn und Unsinn neuer Taktiken zeugen ebenso davon wie Debatten darüber, wohin sich SEO-Agenturen angesichts der verschiedenen Google-Updates entwickeln sollen oder werden. Allerdings sind das Phantom-Update und die verschiedenen Panda-Versionen nur Symptome für einen tief greifenden Wandel der Internetnutzung. Und wir SEOs sind von diesem Wandel besonders betroffen. Ich möchte deshalb den Blick darauf lenken, worin dieser Wandel besteht und wie wir Suchmaschinenoptimierer langsam, bequem und blind geworden sind.

Jeden Tag ist irgendwo in Deutschland Mobile-First-Day. Jeden Tag gibt es Websites, auf denen die Quote mobiler Nutzer die magische 50-Prozent-Schwelle übersteigt. Doch oft genug nehmen das die Inhaber dieser Sites gar nicht wahr oder reagieren mit einem Schulterzucken. Schließlich ist unsere Site doch schon im Responsive Webdesign programmiert, so die häufige Reaktion. Doch echte Konsequenzen sind selten, wirkliches Mobile-First im gesamten Prozess findet kaum irgendwo statt. Da ist der große Online-Shop, der auf der mobilen Website kein Analytics im Einsatz hat, um unter der Trafficgrenze der kostenlosen Version zu bleiben, nur ein allzu typisches Beispiel.

Mobile-First-Day

Google hat in wichtigen Ländern seinen persönlichen Mobile-First-Day bereits hinter sich. Im Mai erklärte die Suchmaschine, dass bereits „in zehn Ländern, darunter USA und Japan, mehr Suchen über mobile Geräte stattfinden als über Computer“. Dummerweise hat aber selbst der Website-Betreiber mit einem vorbildlichen mobilen Auftritt ein Problem. Denn Smartphone-Nutzer verbringen inzwischen mehr als 80 Prozent ihrer Screentime in Apps. Selbst wenn man die Zeitfresser „Spiele“ und „Facebook“ abzieht, bleibt immer noch eine ordentliche App-Nutzung von mehr als zwei Dritteln übrig. Wer also keine adäquate App bieten kann, verschenkt wertvolles Potenzial.

Angesichts dieser Zahlen möchte man glauben, die App-Stores der großen Anbieter Apple und Google würden von den SEOs geradezu überrannt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist davon aber nichts zu erkennen. Und das liegt bestimmt nicht an den ausgefeilten Anti-Spam-Mechanismen der App-Stores, denn die sind quasi nicht existent. Doch selbst die Optimierung für die Google-App-Suche ist kaum ein Thema in der Branche, viele Marketer haben diese Funktion überhaupt nicht auf dem Schirm. Dabei blendet Google auf mobilen Geräten zu sehr vielen Suchanfragen bereits Apps aus dem zum benutzten Gerät passenden App-Store ein. Für Suchanfragen wie [wetter iphone] oder [formel 1 app] ist das naheliegend. Doch auch für viele Suchen ohne expliziten App-Kontext zeigt Google solche App-Treffer als Einblendungen in den Suchergebnissen an:

  • todo liste
  • candy
  • fußball
  • finanzen

Und dieser Trend wird nicht so schnell beendet sein. Wer die Möglichkeit hat, die Mediennutzung heutiger Teenies zu beobachten, wird verstehen, wohin die Reise geht. Eng damit verbunden ist auch die Bedeutung der sozialen Netzwerke. Wenn 28 Prozent der Smartphone-Zeit für Facebook und WhatsApp eingesetzt werden, hat das natürlich Auswirkungen auf die Art, wie die Nutzer Informationen finden. So gibt es Nachrichten-Websites, die über Facebook genau so viel Traffic bekommen wie über Google – und das, ohne Social-Superstars zu sein. Die rapide zunehmende Nutzung des mobilen Internets verändert also die Landschaft, in der wir SEOs uns bewegen, enorm. In dieser Landschaft ist Google nicht mehr der allmächtige 90-Prozent-Gatekeeper. Und zusammen mit dem Kanal Google werden auch wir SEOs unwichtiger.

Vertikale Suchen wachsen

Die Zurückhaltung gegenüber der App-Store-Optimierung in der SEO-Branche hat aber offensichtlich wenig mit dem vermeintlichen Spezialthema „Apps“ zu tun. Vielmehr scheint es Berührungsängste mit allen Suchschlitzen zu geben, über denen nicht in bunten Buchstaben „Google“ steht. Besonders verwunderlich finde ich diese Zurückhaltung bei der Videosuche. Youtube ist die zweitgrößte Suchmaschine nach Google, sie beantwortet mehr Suchanfragen als Bing und Yahoo zusammen. Jungen Menschen dienen die Videos längst nicht nur zur Unterhaltung, sie nutzen diese auch zur Informationsbeschaffung. Ein Blick in die Agenden der einschlägigen Konferenzen hierzulande spiegelt diese Bedeutung aber nicht annähernd wider. Und im persönlichen Gespräch mit Kollegen aus der Branche heißt es nicht selten: „Youtube-Optimierung – das ist doch ein alter Hut!“ Nun mag es ja sein, dass die Rankingverfahren des Videoportals im Wesentlichen bekannt sind, aber das hat uns bei der Websuche auch nicht davon abgehalten, ausgefeilte Taktiken zu entwickeln, breit zu diskutieren und über viele Jahre hinweg zu verbessern. Es hilft ja nichts zu wissen, dass viele Views für ein Video wichtig sind, wenn ich nicht weiß, wie ich es schaffe, meinen Videos viele Views zu bescheren.

Noch wichtiger für uns SEOs sind aber E-Commerce-Seiten, denn hier können wir unmittelbar und sehr gut messbar für Umsatzverbesserungen sorgen. Auch in diesem Bereich gab es in den letzten Jahren große Veränderungen. Die Bedeutung von Amazon für produktbezogene Suchen nahm stetig zu; inzwischen werden doppelt so viele kommerzielle Recherchen auf Amazon gestartet wie auf Google. Aber über Amazon-Strategien wird in der Online-Marketing-Branche genau so wenig gesprochen wie über App-Store-Optimierung.

Auch hinter diesen Beobachtungen steckt ein Trend. Während die Zahl klassischer Websuchen stagniert, wachsen die Suchanfragen in vertikalen Suchmaschinen kontinuierlich an. Und diese Entwicklung wird noch rasant zunehmen. Gehen wir die Sache einmal aus einem anderen Blickwinkel an. Worin steckt denn der Wert von Google? Sicher, die Technologie ist zutiefst beeindruckend. Aber den eigentlichen Wert macht die Omnipräsenz des Suchschlitzes aus. Nicht umsonst zahlt Google Schätzungen zufolge mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Jahr an Apple, um als Standardsuchmaschine im mobilen Safari eingebunden zu sein. Doch nimmt die Bedeutung der klassischen Sucheingabefelder immer mehr ab. Auch das ist eine Konsequenz des Mobilbooms. Schon vor drei Jahren nutzte jeder neunte iPhone-Besitzer Siri, um im Web zu suchen. Aktuelle Zahlen sagen, dass heute bereits über 40 Prozent aller Smartphone-Besitzer in den USA Suchanfragen per Sprache stellen. Und bei den Teenies sind es sogar 55 Prozent. Dieser Trend wird übrigens nicht auf mobile Geräte beschränkt bleiben. Mit der Integration von Cortana in Windows 10 ist die Sprachsuche nun auch endgültig auf dem Desktop angekommen.

Das hat für uns SEOs zwei Konsequenzen. Nutzer formulieren eine gesprochene Suchanfrage anders als eine geschriebene. Und die Suchmaschine, die hinten dranhängt, ist nicht unbedingt Google. Auch wenn die künftige Entwicklung dieser Technologie noch nicht klar vor uns liegt, ist die Sprachsuche geeignet, das gesamte Suchverhalten zu ändern und die Vormachtstellung Googles als Informationsbeschaffer zu brechen.

Über Jahre hinweg haben wir immer spekuliert, wer eine Suchmaschine bauen könnte, die Google gefährlich werden kann. Jetzt stellen wir fest, es wird keine andere Suchmaschine sein. Die Bedeutung der althergebrachten Websuche selbst nimmt einfach ab. Google wird dieses Feld zwar weiterhin dominieren, aber die wesentliche Musik spielt woanders.

Google reagiert

Doch noch ist die Google Websuche für viele Sites der mit Abstand wichtigste Trafficlieferant und in vielen Bereichen, vor allem im B2B-Umfeld, spielt die mobile Nutzung bis heute eine nur geringe Rolle. Wer als IT-Leiter für sein Unternehmen dreißig neue PCs konfiguriert, macht das schließlich nicht auf dem kleinen iPhone-Bildschirm. Und die Suchergebnisse von Google sind ja auch weiterhin absolut erstklassig.

Um aber gute Suchergebnisse zu liefern, muss Google einen Text möglichst tief gehend, sogar semantisch analysieren. In der Ausgabe 32 dieser Zeitschrift haben die Autoren Tobias Aubele und Mario Fischer in ihrem Beitrag „SEO 4.0 – Fakten, Fakten, Fakten“ die Möglichkeiten, die Google heute dazu offenstehen, ausführlich erläutert. Ausgefeilte Machine-Learning-Verfahren ermöglichen es demnach, nicht nur das Thema, sondern auch die fachliche Qualität von Webseiten zu ermitteln.

„Brands are the solution, not the problem.“ Eric Schmidt, Google

Zusätzlich aber ist noch immer eine Relevanzmetrik notwendig. Auch im „echten“ Leben spielt neben der fachlichen Güte der Inhalte immer auch das Vertrauen in den Autor sowie den Publisher eine wesentliche Rolle. Ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen wirkt glaubhafter als derselbe Text im Hommingberger Tageblatt. Diese Notwendigkeit hat Google von Anfang an erkannt und die Suchmaschine erst zu dem gemacht, was sie heute ist. Dabei dominierten über mehr als ein Jahrzehnt die Backlinks diese Relevanzmetrik. Seit etlichen Jahren aber werden andere Faktoren zusehends wichtiger.

„Brands are the solution, not the problem“ – diese Aussage des damaligen Google-Chefs Eric Schmidt im Jahr 2008 ließ uns SEOs zunächst etwas ratlos zurück. Doch im Rückblick läutete Google damit eine lange Folge von Neuerungen ein, deren Ende immer noch nicht absehbar ist. Google-Updates gab es natürlich auch zuvor, doch mit dem sogenannten Brand-Update im Herbst 2009 änderte sich de facto die Geschäftsgrundlage: Es gab plötzlich bedeutendere Relevanzkriterien als Backlinks. War dieses auf Marken-Websites bezogene Update noch recht überschaubar, zeigten spätestens die Panda-Updates, wohin die Reise gehen wird: Websites, die gut bei den Nutzern ankommen, werden im Ranking bevorzugt.

Für uns SEOs heißt das in letzter Konsequenz, dass uns Google das Linkbuilding als Werkzeug weggenommen hat. Natürlich nicht ganz, aber die berühmten Wunder sind nun viel schwerer geworden. Konnte früher ein Kunde manche Onpage-Probleme etwa aus betrieblichen Gründen nicht beheben, machte das nichts, mit genügend Linkbuilding konnten wir das schon richten. Irgendwie fühlen wir uns nun wie die armen Köche in den Restaurantsendungen, denen Christian Rach die Gewürzmischungen, Fertigprodukte und Pülverchen wegnimmt. Plötzlich müssen wir wieder mit den althergebrachten Zutaten auskommen. Was am Ende rauskommt, schmeckt zwar deutlich besser, aber der Showeffekt ist weg.

Beim Kochen ohne chemische Unterstützung entscheidet die Qualität des Produkts über den Geschmack. Genauso ist es heute mit SEO. Nur mit einer richtig tollen Website bekommt man richtig gute Platzierungen. Allerdings entscheiden nicht wir vermeintlichen Spezialisten darüber, was eine richtig gute Website ist, sondern die Nutzer. Und da mag der Webauftritt einer bekannten Marke noch so ungenügend erscheinen, die Marke macht ihn trotzdem zur tollen Site. Google ist da wie das echte Leben: Kein normales Restaurant kann es sich leisten, Essen auf Industrieniveau zu verkaufen, doch die Leute rennen McDonalds und Burger King die Bude ein. Marken sind halt ziemlich oft die Lösung.

Somit sind die wesentlichen Rankingfaktoren heute nicht mehr technische Exzellenz und viele gute Links, sondern die Nutzerzufriedenheit. Doch damit entscheiden immer weniger wir SEOs über den Erfolg oder Nicht-Erfolg in Google, sondern die Produktmanager und Webagenturen.

Langsam, bequem und blind

Doch wie reagieren wir darauf? Wir sind bequem geworden. Schließlich war es doch so angenehm in unserer Nische. Ein bisschen technisches Consulting zum Start einer Kundenbeziehung, dann Links aufbauen und vielleicht noch Content produzieren lassen. Schon ging’s in Google steil nach oben. Und als Linkbuilding mit dem Penguin-Update endgültig einen schlechten Leumund bekam, nannten nicht wenige Anbieter plötzlich die gleiche Dienstleistung nun Content-Marketing und machten munter weiter wie zuvor. Wie sehr diese Bequemlichkeit in der Branche noch immer vorherrscht, zeigt nicht zuletzt ein Blick ins Vortragsprogramm der SEO-Campixx. Nicht weniger als neun Linkbuilding-Vorträge verzeichnet die Agenda 2015. Und da diese Konferenz allein von den Einreichungen der Teilnehmer lebt, ist das ein sehr deutliches Bild. Vorträge über mobile Themen ließen sich dort übrigens an zwei kleinen Fingern abzählen.

Wir sind langsam geworden. Wie langsam, zeigt die lahme Reaktion der gesamten SEO-Branche auf den Anstieg der mobilen Webnutzung. Es brauchte schon die ausdrückliche und unmissverständliche Ankündigung von Google, dass die mobile Tauglichkeit von Websites als Rankingfaktor wichtiger wird, um die Branche auf das Thema aufmerksam zu machen. Warum haben denn die SEO-Tools die mobilen Rankings nicht schon seit Jahren in ihrem Datenbestand? Sicher nicht, weil die Anbieter unfähig wären, sondern weil wir Toolkonsumenten das nicht verlangt haben. Und die Erkenntnisse über Qualitätsfaktoren und Machine-Learning sind so neu auch wieder nicht. Es gibt eine ganze Reihe von Websites, die seit Jahren kontinuierlich an Sichtbarkeit verlieren, ohne dass sie etwas Böses gemacht hätten. Hin und wieder machte in diesem Zusammenhang ein Schlagwort wie „Slow Death 2.0“ die Runde, aber eine echte Reaktion auf diese Entwicklung gab es in der Branche nicht. Dabei muss man sich die betroffenen Seiten nur mal mit dem Blick des normalen Nutzers ansehen: Fast alle diese Seiten sind zwar nach SEO-Gesichtspunkten ordentlich optimiert, doch kombinieren sie häufig belanglose Inhalte mit missglückter Nutzerführung.

Und wir sind blind geworden. Blind für den Anstieg der vertikalen Suchen und die gewaltigen Änderungen, die von der mobilen Webnutzung ausgehen. Blind für die Änderungen, die sich daraus für das Geschäftsmodell von SEO-Dienstleistern ergeben. Und blind für die Konsequenzen, die all das auf Kundenseite hat.

Aber ist diese Analyse nicht reichlich übertrieben? Wenn sich der Hebel „Linkbuilding“ langsam abnutzt, so höre ich regelmäßig, setzen wir halt auf einen neuen Hebel. Doch der Platz am Hebel „Brandbuilding“ ist schon besetzt. Dort sitzen Werbe- und Markenagenturen. Mit Leuten, die das gelernt haben. Auch der Hebel „User Experience“ ist nicht wirklich verwaist, ebenso wenig die Bereiche „Social Media“ oder „Mobile“. Hinzu kommt, dass es sich bei all diesen Themen um höchst strategische Fragen handelt. Und auch wenn viele gute SEOs Suchmaschinenoptimierung schon lange als strategische Aufgabe ansehen, heißt das noch lange nicht, dass die Auftraggeber uns diese strategische Beraterrolle auch zutrauen. Schließlich sind wir bislang eher als trickreiche Taktiker aufgefallen, die hier einen Kniff und da einen Weg kennen, um einfach an Traffic zu kommen.

SEO als Querschnittsaufgabe

Rand Fishkin von moz.com zeigte vergangenes Jahr in seiner SMX-Keynote in München, dass in den USA die Anzahl der LinkedIn-Mitglieder, die „SEO“ im Jobtitel haben, zurückgeht. Die Anzahl der Mitglieder mit „SEO“ in der Jobbeschreibung hingegen steigt weiterhin an. SEO wird ganz offensichtlich zur Querschnittsaufgabe im Unternehmen. Das ist letztlich nur konsequent und dem Thema angemessen. Doch was bedeutet das für die Dienstleister in der Branche, allen voran für die SEO-Agenturen? Wer online erfolgreich ist, wird über kurz oder lang nicht an internem SEO-Know-how vorbeikommen. Und wer nicht erfolgreich ist, kann sich auch keine Agentur leisten.

Dieser Trend lässt noch eine weitere Sichtweise zu. SEO wird zur Commodity-Dienstleistung. Nicht heute und auch nicht morgen, aber es geht in diese Richtung. Der technische Unterbau von Websites wird immer Google-konformer. Umgekehrt kommt Google mit technischen Unzulänglichkeiten zunehmend besser zurecht. Zwar gibt es auch heute noch regelmäßig Fälle von Rankingverlusten dank Duplicate Content, wie gerade die Phantom-Updates wieder gezeigt haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Google mit Duplicate Content meistens ganz gut umgehen kann. Und selbst AJAX und andere JavaScript-Lösungen sind keine unüberwindlichen Hürden für den Googlebot mehr.

Kein Wunder also, dass so viele dem Content-Marketing hinterherrennen. Da pfuscht uns SEOs niemand dazwischen, wir können uns austoben und gute Ergebnisse bringt es obendrein. Aber wie nachhaltig wird diese Entwicklung sein? Wenn der fünfte T-Shirt-Shop seine Produkttexte nach den neuesten Erkenntnissen der Content-Marketing-Industrie gepimpt hat, spielen halt dann doch wieder die Offsite-Faktoren die entscheidende Rolle. Wir SEOs bleiben dabei in der Rolle des Taktikers, der dank intimer Internet-Kenntnisse die Low-Hanging Fruits findet und seinem Kunden weitergibt. Aber werden wir auch in Zukunft noch genügend Kunden finden, die sich diesen Aufwand leisten können? Und wird es genügend Low-Hanging Fruits geben?

Verschiedene Vorträge und Gespräche der letzten Jahre zeigen mir, dass auch SEOs, die über Jahre hinweg sehr erfolgreich waren, dieser Trafficquelle nicht mehr so recht vertrauen oder einfachere Wege gefunden haben. Nicht wenige konzentrieren sich jetzt auf Facebook oder verdienen ihr Geld mit Tools. Oder um mit den Worten von Niels Doerje zu sprechen: „SEO ist halt ein erwachsener digitaler Traffickanal, der professionell und teuer geworden ist.“

Dabei ist „teuer“ ein gutes Stichwort. SEO hängt üblicherweise unter dem Label „Performance-Marketing“. Diese Einordnung hatte lange ihre Berechtigung, konnte man dank des Hebels Linkbuilding den Erfolg doch recht gut steuern. Aber das ändert sich gerade. Ich kann zwar immer noch messen, welchen Umsatz der organische Traffic bringt, aber die direkte Kausalität zum eingesetzten SEO-Budget ist immer schwerer herzustellen. Und je größer der Einfluss des Nutzerverhaltens aufs Ranking wird, um so weniger können wir SEOs mit unseren typischen Maßnahmen dazu beitragen.

Nicht selten bedeutet das, dass SEO als Besucherlieferant gegenüber anderen Kanälen in einer ROI-Betrachtung schlecht abschneidet – insbesondere, wenn diese Betrachtung einen relativ kurzen Zeitraum von wenigen Monaten umfasst. Steht ein Unternehmer vor der Entscheidung, zunächst mindestens fünfstellig in eine SEO-Agentur zu investieren und anschließend eine vergleichbare, nicht selten sogar noch höhere Summe für die Umsetzung der SEO-Maßnahmen auszugeben, erscheinen weitgehend planbare Kanäle wie SEA sehr verlockend. Der nicht-monetäre Aufwand, den die Querschnittsaufgabe SEO im Unternehmen hervorrufen kann, ist da noch gar nicht berücksichtigt. Natürlich ist auch heute die Zusammenarbeit mit guten SEO-Consultants eine Investition, die sich im Laufe mehrerer Jahre meist um ein Vielfaches rechnet. Doch Unternehmen, die derartig langfristig denken, bauen für gewöhnlich eigene Inhouse-SEO-Teams auf und kaufen externen Input höchstens punktuell ein.

Wohin geht die Reise?

Fassen wir also zusammen: Externe Hilfsfaktoren – sprich: Backlinks – werden zunehmend unwichtiger, der monetäre wie organisatorische Aufwand für den Kunden steigt erheblich an und das Umfeld der Suche ändert sich rapide. Wie sollen wir darauf reagieren? Ich sehe mehrere denkbare Szenarien:

Szenario „Taktiker“: Wir akzeptieren unsere bisherige Rolle, ja forcieren sie sogar noch weiter. Darunter fällt die bereits häufig zu beobachtende Spezialisierung auf entweder rein technisches SEO oder auf Content-Marketing als Nachfolger des bisherigen Linkbuildings. Daraus kann ja eine durchaus Erfolg versprechende Strategie für Kunden entstehen: Du wirst dich schwertun, zur Marke zu werden. Also helfe ich dir, immer die aktuellen Schlupflöcher zu finden, mit denen du jeweils am einfachsten an Traffic kommst. Wie lange dieser Weg aber tragen wird, ist heute schwer abzuschätzen. Deutlich größer wird dieser Kuchen jedenfalls nicht mehr werden.

Szenario „Full-Service“: Wenn heute zu einer erfolgreichen Website eben eine ordentliche technische Umsetzung, ein schönes Design, eine flippige Social-Media-Strategie, eine fantastische App oder die Produktion toller Videos gehört, dann liefern wir das halt. Für große Agenturen drängt sich dieses Vorgehen geradezu auf und nicht wenige ehemalige SEO-Agenturen haben sich bereits mit Anbietern aus angrenzenden Fachgebieten zusammengeschlossen. Wer aber nicht für alle Spezialbereiche richtig gute Mitarbeiter finden kann, wird hier stets mit Qualitätsproblemen zu kämpfen haben.

Szenario „Strategieberater“: Viele SEOs haben sich, nicht zuletzt für eigene Projekte, schon lange mit all den vielen Facetten einer guten Website auseinandergesetzt. Damit könnten sie zwar Full-Service bieten, haben aber nicht die dafür nötige Größe. Was liegt also näher, als diese Kompetenzen gewinnbringend für Kunden einzusetzen, die ja oft genug mit genau dieser Querschnittsaufgabe überfordert sind? Allerdings stellt sich hier die bereits angerissene Frage wieder, ob Kunden uns diese zentrale, koordinierende Aufgabe auch zutrauen.

Die Wahl des richtigen Szenarios hängt von vielen Parametern ab. Und sie wird nicht dadurch einfacher, dass häufig gerade die lieb gewordenen Kunden nicht zum ansonsten idealen künftigen Weg passen. Wir selbst sind in unserer Agentur bei diesen Fragestellungen nach einem zweijährigen Klärungsprozess zwar deutlich weiter, aber sicher noch nicht bei einer endgültigen Lösung angekommen. Sicher ist nur eins: SEO ist trotz der hier skizzierten Änderungen keinesfalls tot. Solange irgendwer Fragen an Maschinen stellt, wird es Kunden geben, die unter den Antworten weiter vorn auftauchen möchten. Es ist aber dringend nötig, den oft sehr verengten Blick auf SEO deutlich auszuweiten.