548.000 Produkte im Webshop. 2,7 Millionen Hotel-Beschreibungen auf der Reiseplattform. 8,1 Millionen von irgendwas auf irgendeiner Website, mit der irgendjemand etwas machen kann: Der Gier nach einer großen Anzahl digitaler Assets scheint in der Online-Branche keine Grenzen zu kennen.
Abgekratzt …
Was treibt gut ausgebildete Menschen dazu, in der digitalen Welt Dinge zu tun, über die sie in der realen Welt nur den Kopf schütteln würden? Oft bekommt man auf diese Frage zur Antwort: „Weil es geht!“ Oder: „Weil wir es können.“
Gut konzipierte digitale Systeme kommen mit komplexen Prozessen und großen Datenmengen besser zurecht als Menschen. Und Menschen bedienen gern digitale Systeme, die ihnen das Gefühl von Macht und Kontrolle über große Datenmengen geben. Die Krux an der Sache ist: Architekten digitaler Systeme denken zwar oft holistisch, allerdings eben nur bis zu den Grenzen ihrer Welt und ihres Auftrags. Sobald man an die Schnittstellen zur Außenwelt kommt, wird es hakelig: Zwar hat sich jemand Gedanken gemacht, wie man auf viele Millionen Daten in Echtzeit zugreifen kann – nur leider nicht über beispielsweise Systemausfälle, Datenverlust und Wiederinbetriebnahme.
So kommt es immer wieder vor, dass gesunde Unternehmen durch einige wenige digitale Fehler zuerst in eine Schieflage und dann in die Insolvenz rutschen. Erfahrene Online-Marketing-Manager mögen jetzt gelangweilt abwinken und auf die prachtvollen ITIL-Zertifikate ihrer IT-Abteilungen verweisen.
Was eine IT leider nicht abdecken kann: Zum Beispiel für die Transformationsfähigkeit dieser digitalen Daten sorgen. Wenn eine Suchmaschine Regeln ändert, wenn plötzlich gesetzliche Regelungen eine Anpassung aller digitalen Assets verlangen, wenn Wettbewerber auf einmal in 80 % des vernachlässigten (da nicht managebaren) Long-Tail-Bereichs aktiv werden – dann sind Unternehmen ohne ein echtes digitales Asset-Management in der Regel schlicht verloren.
Um überhaupt reaktions- und transformationsfähig zu werden, zu sein und zu bleiben, muss ein wichtiges Funktionsprinzip ins Unternehmen integriert werden: die Fähigkeit zur Reduktion. Gerade das Loslassen digitaler Assets fällt vielen Unternehmen in der Praxis sehr schwer und löst bei Verantwortlichen oft maximale Irritation aus. Und das, obwohl es mathematisch und wirtschaftlich glasklar darstellbar ist, dass die Gesamtrelevanz eines digitalen Assets steigt, wenn alle unterdurchschnittlichen, unrentablen, veralteten oder irrelevanten Elemente daraus entfernt werden.
Ein Unternehmen, das aufgrund seiner Datenmenge nicht auf Umgebungsveränderungen reagieren kann, macht sich zu einem leichten Opfer: Während es – paralysiert durch die eigenen Systeme – am Umgebungswandel nicht teilnehmen kann, bietet es den Wettbewerbern offene Flanken.
Auch betriebswirtschaftlich macht die Gier nach großen Datenmengen oft kaum Sinn: Fast immer wird der größte Teil des Umsatzes mit einem sehr kleinen Bruchteil der Daten gemacht. Pareto lässt grüßen. Und eine Plattform für 2.000 exklusiv ausgesuchte Objekte ist deutlich einfacher und günstiger zu betreiben als eine Plattform, die Daten für 2,7 Millionen Objekte bereitstellt. Das beginnt bei Programmierung, Datenbanken, geht über IT-Infrastruktur, Service-Level-Agreements bis hin zum Thema Sicherheit. Was soll das also?
Dennoch bleibt der wildromantische Gedanke in den Köpfen, eine Plattform mit Millionen von Angeboten sei eine besondere Leistung. Nein, das ist sie meist nicht. Es ist ein fragiles, riskantes Konstrukt, welches bestenfalls die Eitelkeit seiner Betreiber bedient und über kurz oder lang durch besser transformierbare und fokussierte Systeme verdrängt wird.