Die Kunst, als Publisher online Geld zu verdienen

Ruth Betz
Ruth Betz

Dr. Ruth Betz arbeitet seit zehn Jahren im Marketing und engagiert sich als Auswahlkommissions-Mitglied ehrenamtlich für die Studienstiftung des deutschen Volkes. Während ihrer Tätigkeit bei Google und scoyo/Bertelsmann und als Marketingleiterin bei myfab und Airbnb hat sie Kampagnen für alle Online-Marketing-Kanäle (SEM, SEO, Affiliation, Display, Email) gesteuert – von der operativen Umsetzung bis zur strategischen Ausrichtung. Bei mgm technology partners verantwortet sie den Bereich Online-Marketing-Beratung. Mit einer starken Ausrichtung auf performancebasierte Modelle, Vermarktungsstrategien und mathematische KPI-Analysen macht sie ihre Kunden erfolgreich.

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Bei Urheberrecht und Datenschutz sind die deutschen Gesetze unbeugsam und weltweit gefürchtet. Online jedoch wird das Recht am Wort und der Wert des Wortes weniger geschätzt: Online-Content muss kostenlos sein, sagen die Nutzer. Publisher brauchen aber für die Erschaffung hochwertiger Inhalte eine sichere Refinanzierung. Die liefern Bezahlschranken oder Werbeeinnahmen, die von Nutzern durch AdBlocker zunehmend geschmälert werden. Ein unlösbarer Konflikt?

Als 2001 der Anzeigenmarkt für Printmedien einbrach, schien die Talsohle erreicht. Die Printmedien blickten in eine ungewisse Zukunft. Online-Auftritte wurden aus dem Boden gestampft und versprachen mit rasanten Wachstumszahlen bei der Vermarktung eine rosige Zukunft. Inzwischen ist Ernüchterung eingetreten. Einerseits sind die Anzeigenerlöse längst noch nicht so hoch, dass sie Print-Anzeigenerlöse ersetzen können. Andererseits haben die Werbetreibenden im Überschwang und durch TV-Erfahrungen geprägt die Nutzer verprellt. Blinkende Banner, Layer-Ads, die sich über Texte legen und weggeklickt werden müssen, Mouseover-Anzeigen, lautstarke Ton-Einspieler, Pop-ups und Endlos-Videos haben Nutzer verschreckt und Werbewirkungen abgeschwächt.

Die Besucher von Websites haben ihre eigene Lösung gefunden, nervige Werbeeinblendungen zu umgehen. Sogenannte AdBlocker hindern AdServer daran, Banner auszuspielen. Zunächst wurden Werbeblocker nur von technikaffinen Website-Nutzern verwendet. Der Ausfall ließ sich verschmerzen. Inzwischen ist der Anteil der AdBlocker-Nutzer gestiegen: Bei Spiegel Online werden rund 25 % der Werbeeinblendungen geblockt, bei IT-affinen Websites steigt der Anteil auf 50 % und höher. Die Einnahmeeinbußen haben damit für die Verlage bedrohliche Ausmaße angenommen. Mitte Mai 2013 haben daher Spiegel Online, sueddeutsche.de, faz.net, zeit.de, Golem.de und RPOnline einen Aufruf an ihre Leser veröffentlicht: „Schalten Sie bitte den Adblocker ab!“

In den Leserkommentaren war die schnell die Antwort gefunden: Dezentere Werbung ohne Tracking, am besten ganz unten am Ende der Website, würde man tolerieren. Dann hätte der Verlag die Werbung implementiert und der Leser könnte trotzdem ungestört lesen.

Vertreter dieser Idee ignorieren, dass es nicht reicht, Werbung irgendwie einzublenden. Werbung muss sich für den Werbetreibenden lohnen. Nur dann wird sie gebucht. Werbung ist nicht gleich Werbung. Und es gibt auch nicht „den“ Werbetreibenden. Die Landschaft in der Werbebranche ist fragmentiert, immer mehr Player mischen mit und teilen die Erlöse auf. Google verteilt den Traffic und wird damit ebenfalls zum bestimmenden Element.

Was also bestimmt darüber, welche Werbung wo zu welchen Preisen gebucht wird?

Mediaagenturen, Ad Networks, Ad Exchanges, Supply Side und Demand Side Platforms fungieren als Zwischenhändler

Ein Merchant hat verschiedene Wege, Budgets für Display-Kampagnen einzubuchen. Er kann das direkt bei einem Publisher tun. Wenn das Budget jedoch signifikant groß ist, wird er seine Werbeeinblendungen über verschiedene Portale hinweg streuen wollen. Dann wird der Aufwand für direkte Kooperationen zu groß.

Die großen Brands buchen ihre Gesamtmarketingbudgets daher meist über Mediaagenturen ein. Zu den größten Mediaagenturen zählen u. a. Mediacom, OMD, Carat, MEC, Mindshare und Mediaplus. Die Mediaagenturen verfügen damit durchaus über Macht – eine Werbeform, die von den großen Mediaagenturen nicht unterstützt wird, hat es schwer im Markt. Responsive Design, das Design für jede Display-Breite möglich macht, scheitert an den Standard-Bannern der Mediaagenturen, die eben nicht beliebig in die Breite skaliert werden können.

Mediaagenturen buchen die Budgets dann bei Vermarktern, Ad Networks oder Ad Exchanges ein.

Premiumvermarkter sind meist konzernabhängig und verkaufen exklusiv Werbefläche. Daneben gibt es thematische Vermarkter, die sich auf Sonderthemen spezialisiert haben. Restplatzvermarkter bündeln Werbeflächen und verkaufen sie im Paket als RON-Buchung (Run-of-Network) oder als ROS-Buchung (Run-of-Site) zu günstigeren Konditionen.

Auch Ad Networks bündeln Werbeflächen, verkaufen diese aber nicht exklusiv und nehmen kleinere Publisher in ihr Angebot auf. Die Preise im Ad Network sind niedriger und können performancebasiert sein.

Ad Exchanges schließlich sind Marktplätze, auf denen Werbeflächen im Auktionsverfahren versteigert werden. Die Ad Exchanges bündeln die unverkauften Werbeflächen von Vermarktern und Ad Networks und sind ein Dienstleister für die Angebotsseite, also für die Publisher.

Auf der Angebotsseite befinden sich auch die sogenannten SSPs – Supply Side Platforms. SSPs verkaufen, ebenso wie die DSPs – Demand Side Platforms – der Nachfragerseite (Merchants) nicht mehr Impressionen in bestimmten Umfeldern, sondern Impressionen von bestimmten Nutzern. Über Real-Time-Bidding wird dabei jede einzelne Impression bewertet und zur Auktion freigegeben.

Info

Ein Publisher, der über SSPs seine Restplätze zu attraktiven Tausend-Kontakt-Preisen (TKP) verkaufen möchte, muss einige Grundregeln beachten: Er sollte den Floorprice je nach Ad Network und Placement dynamisch setzen, vielleicht sein Inventar nicht blind, sondern zumindest halfblind anbieten und keine Fillrate von 100 % anstreben. Je höher der Druck zum Verkauf ist, desto stärker sinken die Preise, eine alte Marktweisheit.

Im Idealfall hat jede Werbefläche ihren eigenen Verkaufskanal

Was bedeuten diese komplizierten Zugangswege für Publisher? Idealerweise nutzen Publisher alle Zugangswege, um jede Impression zum höchstmöglichen Preis über den passenden Kanal zu verkaufen. Dafür nehmen sie eine Inventarisierung ihrer Werbeflächen vor. Premium-Inventar sind Werbeflächen, die Mediaagenturen angeboten und zu Festpreisen (TKP) verkauft werden. Restplätze sind Werbeflächen below the fold auf Inhaltsseiten mit wenig attraktivem Content. Diese Restplätze werden über SSPs verkauft. Alternativ vermarkten Publisher größere Anteile ihres Inventars, auch hochwertige Werbeflächen, über Private Exchanges. So hat die Spiegel-Gruppe zusammen mit Yieldlab im vergangenen Jahr den eigenen geschlossenen Marktplatz „Premium Private Exchange“ gestartet, über den Werbeplätze „above and below the fold“ verkauft werden.  

Den Großteil ihres Inventars an Werbeflächen versuchen Publisher zu Premiumpreisen an Mediaagenturen zu verkaufen, um die Kosten der Content-Erstellung sicher zu refinanzieren. Premiumpreise bezeichnen Tausend-Kontakt-Preise über zehn Euro, besser 20 Euro. Premiumpreise werden jedoch nur für Premium-Umfelder geboten.

Die Anforderungen an Premium-Werbeflächen sind im vergangenen Jahr immens gestiegen. Reichte es früher, einen Skyscraper auf einer Rubrikseite mit ordentlichem Content anzubieten, gucken die Werbetreibenden längst genauer hin. Was nützt es, wenn der Skyscraper zwar weit oben platziert ist – aber links davon befindet sich nur ein aussageloses Visual, über das der Nutzer sofort hinwegscrollt, um weiter unten auf der Seite den spannenden Artikel zu lesen?

Neue Qualitäts-KPI erhöhen die Anforderungen an Premium-Werbeflächen

Die Werbetreibenden haben also erkannt, dass nicht die Platzierung des Werbemittels ausschlaggebend für die Werbewirkung ist – sondern das Auge des Betrachters. Dort, wo dieses Auge hinfällt, möchte der Merchant sein Werbemittel platzieren. Das kann durchaus oben rechts sein. Muss es aber nicht. Über ein feines Tracking wird mittlerweile die Nutzung jedes Werbemittels überprüft. Die durchschnittliche „Visibility“ (Sichtbarkeit) beschreibt, wie oft ein Werbemittel im sichtbaren Bereich zu finden war. „Visibility 68 % bei Definition 50 % Fläche/1 sec“ heißt dann: Dieses Werbemittel war bei 68 % der Auslieferungen mit mindestens der Hälfte der Werbefläche für mindestens eine Sekunde im sichtbaren Bereich. Dazu kommt die „Viewtime“ (Sichtbarkeitsdauer): Eine „Viewtime 9 sec“ meint, dass das Werbemittel bei gleicher Definition neun Sekunden lang im sichtbaren Bereich war. Gruner + Jahr und Tomorrow Focus garantieren bereits die Auslieferung von Werbemitteln mit 75 % Visibility und 8 sec Viewtime bei 50 %/1 sec – zu gehobenen Preisen.

Für Publisher beginnt nun eine Abwägung. Da über alle Werbemittel hinweg die durchschnittlichen Ergebnisse für die Qualitäts-KPI Viewtime und Visibility meist deutlich unter dem neuen Standard 75 % und 8 sec (bei Definition 50 %/1 sec) liegen, müssen neue Auslieferungstechniken die Zahlen verbessern – auf Kosten anderer Zahlen.

Verbessert werden kann die durchschnittliche Visibility über die Auslieferungsmethode. Sticky Werbemittel scrollen mit nach unten. Die „Dynamic Sidebar Ad“ von IP Deutschland passt sich dynamisch an die Bildschirmgröße an und begegnet damit der neuen Design-Herausforderung, die durch fragmentierte Displaylandschaften entsteht. Der „Sightloader“ von Axel Springer Media Impact prüft über ein Script die Position und Größe des Browserfensters, merkt, wenn ein User scrollt, und erkennt, wenn eine Werbefläche in den sichtbaren Bereich kommt. Erst dann wird der Inhalt der Werbung geladen und die Impression vom Adserver vermerkt. „Unsichtbare“ Werbung wird gar nicht erst aktiviert.

Dadurch verschlechtert sich aber ein anderer Wert: die Zahl der Adimpressions. Wenn bisher auf einer Seite Adimpressions von drei Bannern ausgeliefert wurden, bei denen zwei immer wieder nicht im sichtbaren Bereich waren, wird nun eben nur noch ein Banner ausgeliefert, das dafür durchgehend im sichtbaren Bereich ist.

Die Publisher können also weniger Adimpressions teurer verkaufen. Die geringere Anzahl von Adimpressions muss anderweitig ausgeglichen werden. Mehr Pageviews korrelieren normalerweise mit mehr Adimpressions, also muss die Reichweite erhöht werden. Das ist ohnehin unumgänglich – denn: „Unter 10 Millionen Pageimpressions ist ein Publisher nicht relevant, den haben wir dann nicht auf dem Radar“, ist die gängige Einschätzung der Mediaagenturen.

„Unter 10 Millionen Pageimpressions ist ein Publisher nicht relevant, den haben wir dann nicht auf dem Radar“ (Geschäftsführer einer Mediaagentur)

Reichweite, Reichweite, Reichweite

Für die Generierung von mehr Pageviews gibt es drei Möglichkeiten: Zum einen kann das eigene Angebot erweitert werden, indem die Redakteure weitere Themenfelder bearbeiten und zusätzliche vermarktungsrelevante Content-Angebote schaffen. Vermarktungsrelevant sind zum Beispiel der Bereich Finanzen, der Bereich Sport, junge Eltern – und Gesundheit. Denn in Deutschland legt das Heilmittelwerbegesetz der Medikamentenwerbung starke Restriktionen auf. Unter anderem muss bei Medikamentenwerbung gegenüber Laienpublikum ein recht ausführlicher Pflichttext mitgeliefert werden, der neben der Bezeichnung des Arzneimittels auch Anwendungsgebiete, Warnhinweise, „Verschreibungspflichtig“-Verweis und den bekannten Disclaimer („Zu Risiken und Nebenwirkungen …“) enthält. Zudem muss dieser Pflichttext ohne weiteren Klick wahrnehmbar sein, wie das Landgericht Köln im November 2011 festgelegt hat – AdWords mit 95 Zeichen insgesamt (plus URL) entfällt damit. Hingegen ist ein Sternchenhinweis durchaus möglich – womit Display-Werbung in den Bereich des Möglichen kommt.

Zusätzliche Content-Angebote sind also die erste Möglichkeit, die Reichweite zu steigern und ein für Werbekunden attraktives Umfeld zu schaffen.

Zum anderen kann über Zukäufe mit gemeinsamem IVW-Pixel die Vermarktungsreichweite erhöht werden. So hat im Dezember vergangenen Jahres Tomorrow Focus das Mütter-Netzwerk netmoms übernommen – das auf 15,4 Millionen Pageimpressions im November 2012 verweisen konnte. Und kurz darauf kam der nächste Einkauf: Auch wallstreet-online.de wird nun von Tomorrow Focus vermarktet, weitere 23 Millionen Pageimpressions (Oktober 2012). Die gemeinsame Ausweisung bei AGOF über dasselbe IVW-Pixel treibt übrigens merkwürdige Blüten: Seit Mai ist der Nachrichtenaggregator Rivva offizieller Partner von süddeutsche.de – und bindet dafür das IVW-Pixel der Süddeutschen bei sich ein. Ähnliche Reichweiten-Steigerungs-Vorgänge gibt es bei der RTL-Group: Sport.de bindet jetzt das IVW-Pixel von n-tv.de und verstärkt damit die AGOF-Ausweisung von n-tv.

Schließlich bleibt noch das Handwerkszeug: Gut gemachtes Content-Marketing, auch Suchmaschinenoptimierung genannt, steigert die Sichtbarkeit bei Google & Co. und generiert damit mehr Pageimpressions für Publisher. Doch auch hier wird der Kampf um die ersten Plätze auf der Suchergebnisseite schwieriger, zumal Google den Algorithmus ständig verfeinert, automatisierte Einträge von Contentfarms immer besser erkennt und Standard-SEO-Methoden daher nicht länger wirken. Gegen die Flut der Ankündigungen von Algorithmus-Anpassungen durch Matt Cutts, Leiter des Webspam-Teams bei Google, hilft übrigens The Short Cutts: www.theshortcutts.com – allein der Blick auf die Trivia lohnt, der unter anderem verrät, dass Matt Cutts zwei Kätzchen hat und warum er Ende 2009 mit Glatze vor die Kamera trat.

Hand in Hand: Journalisten, Vertrieb und Leser müssen einander wertschätzen

Welche Publisher werden also langfristig überleben und auch in ein paar Jahren noch kostenlose hochwertige Inhalte anbieten können? Eins sollte klar sein: Wenn der Anteil der Nutzer mit AdBlocker weiter wächst, wird es kaum ein Publisher schaffen, seine kostenlosen Inhalte über Werbeeinblendungen zu finanzieren. Der Nutzer muss auf jeden Fall für hochwertigen Content zahlen – entweder mit Geld oder mit Daten und Kaufwunsch. Aber vielleicht wird ja doch das Gentlemen’s Agreement beibehalten, beflügelt durch gut gemachte Banner, die eben nicht stören, sondern schön sind, zum Schmunzeln bringen oder vielleicht sogar Inhalte und Informationen transportieren. Dann darf der Nutzer weiter kostenlos lesen und nimmt dafür Werbung wohlwollend zur Kenntnis.

Bleibt die Frage, welche Publisher beim Kampf um die Werbebudgets gewinnen werden. Es werden die Publisher sein, die hochwertigen Content ohne die Hilfe von Contentfarms anbieten. Die mit einer hohen Reichweite aufwarten, ohne ihren Kern zu verraten. Die ihre Technik mit AdServern, CMS und Tracking im Griff haben. Die neue Werbeformate pushen. Die sauberes Content-Marketing betreiben. Die ihre Redakteure auf Online-Vermarktungsthemen schulen und ihren Vertrieb für journalistische Anforderungen sensibilisieren. Es werden die Verlage sein, die niemals stehen bleiben, sondern ihre Strategie unentwegt den neuen Möglichkeiten des Online-Publishings anpassen und dafür ihr wertvolles Wissen aus der Zeit der Printmedien nutzen.