Der Google-Cache & strafbewehrte Unterlassungserklärungen

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Umfasst eine Unterlassungserklärung auch den Google-Cache oder gilt sie nur für die eigene Webseite? Eine wichtige Frage, denn im Falle eines Verstoßes kann der Webmaster schnell einen hohen vierstelligen Euro-Betrag loswerden.

Jeder, der vor der Abgabe einer Unterlassungserklärung steht, sollte sich also die Frage stellen und beachten, dass das bloße Löschen von der eigenen Website möglicherweise nicht genügt. Der auf Online-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Dr. Martin Bahr gibt wertvolle Tipps, wie man richtig reagiert.

A. Die Sachlage:

Sie bekommen als Webmaster eine anwaltliche Abmahnung, in der Ihnen zu Recht vorgeworfen wird, einen urheberrechtlich geschützten Text oder ein urheberrechtlich geschütztes Bild übernommen zu haben. Sie gehen mit der Abmahnung zu Ihrem Anwalt. Der rät Ihnen, eine sogenannte strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Gesagt, getan.

Ihr Anwalt schickt die Erklärung an die Gegenseite. Nun müssen Sie zukünftig aufpassen: Jeder Rechtsverstoß kostet Sie einen Haufen Geld, bis zu 5.000,- EUR. Bei weiteren Verstößen erhöht sich sogar die Summe.

Als Sie wieder zu Hause sind, kommt Ihnen ein unheimlicher Verdacht. Sie schalten Ihren Computer ein und stellen fest, dass Sie den beanstandeten Inhalt zwar von Ihrer eigenen Webseite gelöscht haben, er jedoch nach wie vor in den Archiven der gängigen Suchmaschinen (z. B. Google-Cache, Waybackmachine) abrufbar ist.

Die Frage, die Sie sich nun voller Entsetzen stellen, lautet: Gilt die von Ihnen abgegebene Unterlassungserklärung auch für den Google-Cache & Co? Dann wären Sie 5.000 Taler ärmer.

Oder können Sie sich locker zurücklehnen, weil es sich doch um Bereiche handelt, auf die Sie keinen Einfluss haben und für die somit auch die Unterlassungserklärung nicht gilt?

Wie ist da die Rechtslage?

B. Die Rechtslage:

1. Vorbemerkung: Vollständige Löschung von eigener Webseite

Bevor wir auf unser eigentliches Problem eingehen, zeigt die anwaltliche Praxis, dass ein Umstand gar nicht so selten ist, wie man denken könnte – dass nämlich der Webmaster die beanstandeten Inhalte nicht vollständig von seiner Webseite löscht.

Immer wieder, auch bei großen Weltkonzernen, kommt es vor, dass lediglich die betreffende HTML-Seite gelöscht wird. Nicht entfernt wird hingegen das Bild, das in diese HTML-Seite eingebettet war. So denken leider viele technische Laien, dass alles entfernt würde, wenn sie in ihrem Content-Management-System (CMS) den Button „Seite löschen“ anklicken. Dies ist jedoch in aller Regel nicht so. Das CMS beseitigt nur die eigentliche Seite, die darin enthaltenen Inhalte wie z. B. Bilder oder Videos befinden sich weiterhin auf dem Server.

Zu beachten gilt es dabei auch, dass viele CMS eine eigene umfangreiche Cache-Funktion haben (z. B. TYPO3). Hier muss der Webmaster nicht nur das Bild aus dem ursprünglichen Ordner auf dem Server löschen, sondern er muss auch den Cache erneuern. Andernfalls ist die Datei nämlich weiterhin vorhanden.

Anders als bei unserer Ausgangsfrage geht es hier um die eigene Webseite. Hier ist die Rechtsprechung klar und eindeutig: Geht es um den Machtbereich, auf den der Schuldner unmittelbaren Einfluss hat, haftet er ohne Wenn und Aber.

Mehrere Oberlandesgerichte haben übereinstimmend festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Unterlassungserklärung vorliegt, wenn zwar die HTML-Seite entfernt wurde, die Datei sich aber weiterhin auf dem Server befindet. Lediglich das Kammergericht Berlin war in der Vergangenheit anderer Ansicht und lehnte einen Anspruch in diesen Fällen ab. Mitte 2010 haben die Berliner jedoch auch ihre Ansicht geändert und folgen seitdem der Rechtsprechung der anderen Gerichte.

Für eine Verletzung der Unterlassungserklärung reicht somit die bloße URL-Abrufbarkeit aus. Auch das Argument, dass niemand sich doch den direkten Pfad z. B. einer Bild-Datei notieren würde, lassen die Richter nicht gelten. Es sei für eine Rechtsverletzung unerheblich, ob der Inhalt in eine HTML-Seite eingebettet sei oder nicht. Vielmehr reiche die mögliche Abrufbarkeit aus.

Der Webmaster, der eine Unterlassungserklärung abgibt, sollte daher die eigene Webseite sorgfältig vorab überprüfen. Denn nur so kann er sicher sein, keine 5.000,- EUR Vertragsstrafe zahlen zu müssen. Jetzt werden sich viele Leser an den Kopf greifen und sagen, dass das ja selbstverständlich sei. Wer eben zu dumm sei, seine eigene Domain zu überprüfen, dem geschehe es recht, dass er das Geld bezahlen müsse. Die tägliche anwaltliche Praxis zeigt aber, dass ein solcher Verstoß schnell passiert ist, auch bei Webmastern, die ansonsten solide und sehr sorgfältig arbeiten. Daher hier noch einmal der eindringliche Rat: Bevor Sie eine Unterlassungserklärung unterschreiben, prüfen Sie mindestens zweimal Ihre Webseite, ob Sie tatsächlich alles entfernt haben!!!

Wer sich übrigens nicht 100%ig sicher ist, nicht doch vielleicht irgendwo etwas übersehen zu haben, sollte sich überlegen, ob es in einem solchen Fall tatsächlich sinnvoll ist, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Kann man nämlich nicht hinreichend sicher zukünftige Rechtsverstöße ausschließen, so sollte man sich überlegen, ob man nicht lieber eine einstweilige Verfügung oder ein Urteil in Kauf nimmt. Zwar fallen hierdurch Kosten an, die man bei der Abgabe einer außergerichtlichen Unterlassungserklärung einsparen kann. Der Vorteil einer einstweiligen Verfügung bzw. eines Urteils ist jedoch, dass im Falle eines Verstoßes die Vertragsstrafe der Staat kassiert und nicht der Gläubiger. Bei einem Verstoß gegen die Unterlassungserklärung ist dies anders: Hier erhält der Gläubiger das Geld. Das Interesse des Gläubigers, einen neuen Verstoß nachzuweisen, ist bei der Unterlassungserklärung also um ein Vielfaches höher, als wenn nur eine einstweilige Verfügung vorliegt.

Entscheidet sich der Webmaster zur Abgabe einer Unterlassungserklärung, so sollte er sich in jedem Fall über die konkrete Formulierung der Vertragsstrafe Gedanken machen. Es gibt einmal die Möglichkeit, eine absolute Summe (i. d. R. 5.000,- EUR) zu nennen, und die Alternative einer relativen Summe („angemessene Vertragsstrafe“). Letzteres nennt man Hamburger Brauch. Der Vorteil des Hamburger Brauchs ist es, dass im Falle eines Verstoßes nicht einfach die genannte Vertragsstrafen-Höhe fällig wird. Vielmehr wird hier noch einmal auf die konkreten Umstände des Einzelfalls geschaut: In welchem Umfang hat der Schuldner gegen seine Pflichten verstoßen? Liegt Vorsatz oder Fahrlässigkeit vor? Welche Maßnahmen hat er ergriffen, um solche Verstöße eigentlich zu vermeiden?

Somit kann es gut sein, dass bei der Variante des Hamburger Brauchs der Schuldner die Höhe der Vertragsstrafe noch etwas reduzieren kann, wenn er nachweist, dass ihm lediglich einfache Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.

2. Das eigentliche Problem

Kommen wir nun aber zurück zu unserem eigentlichen Thema: Umfasst eine Unterlassungserklärung auch den Google-Cache & Co.? Ja oder Nein?

a. Einschränkung der Unterlassungserklärung?

Findige Webmaster könnten auf die Idee kommen, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen und nur eine eingeschränkte Unterlassungserklärung abzugeben, nämlich bereits in dieser Erklärung klarzustellen, dass sich die Verpflichtung nur auf die eigene Webseite bezieht. Denkbar wäre z. B. nachfolgende Formulierung:

„Ausgenommen von dieser Unterlassungserklärung sind Inhalte, die von Dritten übernommen wurden und die über RSS-Feeds, Twitter oder in sonstiger technischer Weise auf Webseiten Dritter wie z. B. dem Google-Cache öffentlich zugänglich gemacht wurden oder werden.“

So verlockend eine solche Formulierung ist, so unwirksam ist sie. Wer eine derartige Unterlassungserklärung abgibt, schließt damit nicht hinreichend die Wiederholungsgefahr aus. Das heißt, der Gläubiger kann trotz der Unterlassungserklärung zu Gericht rennen und eine einstweilige Verfügung erwirken bzw. ein Urteil erstreiten.

Die Abgabe einer eingeschränkten Unterlassungserklärung ist somit nur dann sinnvoll, wenn der Schuldner sich sicher sein kann, dass dem Gläubiger eine solche Formulierung ausreicht. Der Schuldner sollte daher einfach beim Gläubiger nachfragen, ob er mit dieser Einschränkung leben kann. Wenn der Ja sagt, dann ist jedes Problem mit dem Google-Cache & Co. von vornherein vermieden. Eine solche Vereinbarung sollte sich der Schuldner in jedem Fall vom Gläubiger aus Beweisgründen schriftlich bestätigen lassen.

In der Praxis geben sich jedoch die wenigsten Gläubiger mit einer solchen Einschränkung zufrieden, sodass die Abgabe einer eingeschränkten Unterlassungserklärung in aller Regel keine taugliche Möglichkeit ist.

b. Chaotische Rechtsprechung

Die Frage, ob sich eine Unterlassungserklärung auch auf den Google-Cache & Co. bezieht, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Vielmehr herrscht eine sehr chaotische und extrem widersprüchliche Rechtsprechung vor.

So wird von den Gerichten nahezu jeder Standpunkt vertreten, von einem Extrem zum anderen. Ein Teil der Gerichte ist der Meinung, dass die Unterlassungsverpflichtung sich selbstverständlich auch auf Bereiche bezieht, auf die der Schuldner keinen unmittelbaren Einfluss hat. Ein anderer Teil vertritt den Standpunkt, dass die Löschung nur die eigene Webseite umfasst.

So hat das OLG Hamburg im Jahre 2002 (Az.: 416 O 63/01) entschieden, dass ein Webseiten-Betreiber nicht verpflichtet ist, sich um die Löschung seiner rechtswidrigen Seiten im Index einer Suchmaschine zu kümmern. Er kann sich vielmehr darauf verlassen, dass die Suchmaschine innerhalb regelmäßiger Abstände ihren Index aktualisiert und so die Löschung der rechtswidrigen Seite automatisch erfolgt. Ähnlich das OLG Köln (Az.: 6 W 25/01): Nach Auffassung der Dom-Richter ist ein Domain-Inhaber nicht verpflichtet, sich um die Löschung seiner rechtswidrigen Domain aus dem Index einer Suchmaschine zu kümmern. Insbesondere trifft ihn deswegen diese Pflicht nicht, weil es ihm weder rechtlich noch tatsächlich möglich ist, einen solchen Anspruch gegen den Suchmaschinen-Betreiber durchzusetzen. So auch das LG Halle (Az.: 4 O 883/11), das keine generelle Pflicht des Schuldners annimmt, sich um die Löschung des Google-Caches zu kümmern.

Anderer Auffassung ist hingegen das LG Hamburg im Jahr 2006 (Az.: 308 O 743/05). Ein Webseiten-Betreiber, der in einem Online-Shop urheberrechtswidrig ein geschütztes Bild verwendet hat, ist nicht nur zur Löschung des Bildes verpflichtet, sondern er hat darüber hinaus auch Sorge dafür zu tragen, dass keine der herkömmlichen Bilder-Suchmaschinen das Bild noch in ihrem Index hat. Auch das KG Berlin (Az.: 9 U 27/09) hat entschieden, dass das Argument, man habe auf Google keinen Einfluss, nicht ausreichend sein kann. Der Rechtsverletzer müsste sich vielmehr von vornherein Gedanken um eine Löschung machen und notfalls mit Google ein gesondertes Verfahren zur Löschung vereinbaren. Ähnlicher Meinung ist das LG Saarbrücken (Az.: 9 O 258/08), das bereits in einer einstweiligen Verfügung den Hinweis aufnahm, dass die Löschungsverpflichtung auch fremde Cache-Seiten umfasst.

Bereits dieser kurze Abriss zeigt, dass die Rechtslage außerordentlich umstritten ist und zum Teil sogar bei den gleichen Gerichten unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. 

c. Situation nicht gänzlich hoffnungslos

Anders, als es vielleicht auf den ersten Blick den Anschein macht, ist die Situation für den Webmaster nicht gänzlich hoffnungslos. Dies liegt an folgendem Umstand: Während bei den übrigen Online-Rechtsverletzungen der fliegende Gerichtsstand greift und der Gläubiger sich somit ein Gericht, das seinen Standpunkt unterstützt, aussuchen kann, gilt dies nicht für den Bereich der Vertragsstrafe.

Auf Fälle der Vertragsstrafe ist der fliegende Gerichtsstand nicht anwendbar, sondern es ist allein der Ort des Schuldners maßgeblich. Der Webmaster sollte sich daher vorab informieren, welche Auffassung aktuell in seinem Gerichtsbezirk vertreten wird.

d. Absolute Rechtssicherheit

Will der Schuldner absolute Rechtssicherheit haben, wird ihm hingegen nichts übrig bleiben, als sich vor Abgabe der Unterlassungserklärung um die Löschung seiner Inhalte aus dem Cache der gängigen Suchmaschinen zu kümmern. Wie dies auf einfache Weise möglich ist, zeigt der nachfolgende Beitrag in dieser Ausgabe.

Nur dann kann der Schuldner sicher sein, dass er einen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung in jedem Fall vermeidet.

Da in Abmahnungen häufig sehr kurze Fristen gesetzt werden und innerhalb dieser Zeit eine Löschung des Google-Caches nicht immer möglich ist, sollte der Schuldner überlegen, ob er nicht mit dem Gläubiger eine sogenannte Aufbrauchsfrist vereinbaren kann. Das heißt, der Schuldner gibt zwar eine uneingeschränkte Unterlassungserklärung ab, erklärt aber, dass diese Verpflichtung erst ab einem bestimmten Datum gelten soll, da erst ab diesem Zeitpunkt gewährleistet ist, dass die Inhalte auch auf fremden Seiten entfernt wurden.