Die Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten, Bettina Wulff, verklagt vor dem Landgericht Hamburg den Suchmaschinen-Riesen Google, weil bei der Autocomplete-Funktion ihr missliebige Begriffe angezeigt werden. Haftet Google für den Unsinn, den die Suchenden eingeben, oder handelt es sich lediglich um die von Suchenden am meisten verwendeten Begriffe?
Haftet Google für seine Autocomplete-Funktion? Oder: Rufmord 2.0?
Teil 1: Das Problem: Bettina und die Autocomplete-Funktion
Anfang September 2012 ging das Thema breit durch sämtliche Medien: Bettina Wulff, Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, verklagt Google wegen dessen Autocomplete-Funktion. Bei Eingabe ihres Namens zeigte der Suchmaschinen-Riese unter anderem Begriffe wie „Prostituierte“ und „Escort“ an. Dies war der Dame ein Dorn im Auge, sodass sie schließlich vor dem Landgericht Hamburg Klage erhob. Das Gerichtsverfahren dauert an.
Die Argumentation von Frau Wulff ist klar: Durch die Anzeige derartiger Begriffe im Rahmen der Autocomplete-Funktion würde den Gerüchten, sie sei früher in diesem Milieu tätig gewesen, weiter Vorschub geleistet. Google habe händisch in den Algorithmus einzugreifen und entsprechende Begriffe zu sperren.
Google hingegen erwidert, es handle sich bei dieser Funktion um ein nützliches Tool für alle User. Auf diese Weise erfahre der Suchende, was andere Personen am meisten mit dem jeweils eingegebenen Begriff gesucht hätten. Google verbreite lediglich Informationen, sei für ihren Inhalt jedoch nicht verantwortlich.
Teil 2: Urteile im Ausland
Bevor wir uns die deutsche Rechtsprechung näher anschauen, ist es dieses Mal sehr aufschlussreich, einmal über den deutschen Tellerrand hinweg einen Blick ins Ausland zu riskieren, denn die Autocomplete-Funktion ist nicht nur bei uns ein Problem, sondern vielmehr ein weltweites Phänomen.
1. Frankreich:
Anfang Januar 2010 verklagte ein Weiterbildungszentrum Google, weil bei Eingabe seines Namens das Wort „Betrug“ verwendet wurde. In der ersten Instanz gewann der Suchmaschinen-Anbieter, im Berufungsverfahren jedoch bejahten die Richter eine Haftung. Google biete mit einer Autocomplete-Funktion Usern die Möglichkeit, falsche oder gar ehrverletzende Inhalte zu verknüpfen. Insofern treffe das Unternehmen auch die Verantwortung, notfalls entsprechende Begriffe zu sperren.
Im September 2010 bejahte ein anderes französisches Gericht die Verantwortlichkeit für das Auto-Vervollständigen. Ein wegen Kindesmissbrauch Angeklagter, aber noch nicht Verurteilter, will verhindern, dass bei Eingabe seines Namens Begriffe wie „Vergewaltiger“ und „Satanist“ auftauchen. Auch hier verliert der Suchmaschinen-Anbieter.
2. Italien:
Eine Haftung bejahte auch ein italienisches Gericht im März 2011. Auch hier geht es wieder um die Begriffe Betrüger und Hochstapler. Das Mailänder Gericht ist der Ansicht, die Inhalte würden von Google angezeigt. Der Suchmaschinen-Riese sei somit voll verantwortlich.
3. Andere Länder:
Auch in weiteren Ländern, so z. B. in Irland oder Japan, kommt es regelmäßig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. In so manchem Verfahren schließt Google mit dem jeweiligen Kläger einen Vergleich. Die Öffentlichkeit erfährt dabei in der Regel nicht, worauf sich die Parteien geeinigt haben.
Teil 3: Urteile in Deutschland
Und wie sieht nun die Rechtslage in Deutschland aus?
Die Antwort ist relativ einfach: Eine höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt bislang. Jedoch haben sich einige Instanzgerichte direkt oder zumindest mittelbar zu dieser Problematik geäußert. Ohnehin wird Frau Wulff schon sehr gut wissen, warum sie ausgerechnet vor dem Landgericht Hamburg klagt.
1. OLG München:
Die Klägerin, Betreiberin eines Online-Branchenbuchs, nahm Google auf Unterlassung in Anspruch. Hintergrund war, dass die Autovervollständigen-Funktion die Begriffe „Betrug“ und „Abzocke“ anzeigte. Die Klage wurde abgewiesen (OLG München, Urt. v. 29.09.2011 – Az.: 29 U 1747/11). Die Anzeigen seien das Ergebnis eines vollständig automatisierten Verfahrens. Der maschinelle Charakter von Google stelle klar, dass die Suchmaschine lediglich das Ergebnis fremden Suchverhaltens als Resultat eines vollständig automatisierten Vorgangs wiedergebe. Es handle sich somit nicht um eigene Inhalte, sodass eine Verantwortlichkeit ausscheide.
2. OLG Hamburg:
In bereits zwei Verfahren hat sich das OLG Hamburg (Urt. v. 20.02.2007 – Az.: 7 U 126/06 und Urt. v. 26.05.2011 – Az.: 3 U 67/11) zu diesem Themenkomplex geäußert. Zwar betreffen die Entscheidungen nicht unmittelbar die Autocomplete-Funktion, jedoch ein artverwandtes Problem, nämlich die Snippet-Auswahl von Google.
Bei dem Kläger handelte es sich um den Geschäftsführer eines Unternehmens, welches Kapitalanlagen vermittelte. In der Vergangenheit wurden gegen ihn mehrere zivilrechtliche Verfahren geführt, da sich Käufer von Immobilien dagegen wehrten, dass ihnen überteuerte oder völlig heruntergekommene Häuser verkauft worden waren. Der Kläger ging nun gegen Google vor, da er der Ansicht war, dass Google für die rechtswidrigen Inhalte der Suchergebnisse über ihn hafte. Teilweise fanden sich in den Snippets im Zusammenhang mit dem Kläger Begriffe wie „Immobilienbetrug“, „Betrug“ oder „Machenschaften“. Die Verbreitung derartiger Inhalte sei unzulässig. Die Snippets seien „Schlagzeilen“ gleichzusetzen, für die Google als Presseorgan hafte.
Das Gericht wies die Klage ab und gab Google recht. Google hafte nicht für die angezeigten Snippets. Es handle sich dabei ganz offensichtlich und für jeden durchschnittlichen User auch erkennbar um fremde Inhalte, die von indizierten Webseiten angezeigt würden. Dem Nutzer sei daher klar, dass es sich nicht um Aussagen von Google selbst handle. Google fungiere hier gerade nicht als „Presseorgan“, welches Informationen selbst vertreibe, sondern als Suchmaschine, die von dem Verhalten der User abhängig sei.
Anders als der Kläger einwende, habe sich Google auch in ausreichendem Maß und für jeden deutlich erkennbar von den angezeigten Inhalten distanziert. Die Verbreitung sei daher rechtmäßig. Da Google auch im Vorfeld reagiert habe und ab Kenntnis rechtswidrige Inhalte herausgenommen habe, sei es seinen Prüfungspflichten nachgekommen. Eine Haftung komme vorliegend in der Gesamtschau nicht in Betracht.
Teil 4: Rechtslage in Deutschland – des Pudels Kern
Die alles entscheidende Frage ist somit – auch in Deutschland –, wie man die Inhalte, die mittels Autocomplete angezeigt werden, einstuft: als eigene oder fremde Inhalte von Google.
Nach § 10 S. 1 Telemediengesetz (TMG) sind nämlich Anbieter für fremde Informationen, die sie anbieten, grundsätzlich nicht verantwortlich.
§ 10 TMG: Speicherung von Informationen
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich (…)
Hingegen heißt es in § 7 S. 1 TMG:
§ 7 Abs. 1 TMG: Allgemeine Grundsätze
Diensteanbieter sind für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich.
Bedeutet im Klartext: Stuft man die Autocomplete-Texte als fremde Inhalte ein, ist Google zunächst aus dem Schneider. Sieht man sie hingegen als eigenen Content der Suchmaschine, wird man eine Haftung kaum noch verneinen können.
Seien wir ehrlich: Für beide Positionen sprechen gute Argumente. Die bislang angerufenen Gerichte in Deutschland haben die Begriffe als fremden Inhalt eingestuft und haben somit eine Verantwortlichkeit verneint. Ob diese Ansicht auch vor dem BGH Bestand haben wird, ist unklar. Der Ausgang des Rechtsstreits ist vielmehr vollkommen ungewiss. Gerade der Blick über den Tellerrand auf die zahlreichen ausländischen Rechtsstreitigkeiten zeigt, dass sich der Suchmaschinen-Riese keineswegs sicher sein kann, auch in Deutschland in den Genuss einer Haftungsprivilegierung zu kommen.
Egal, wie der Rechtsstreit über die Autocomplete-Funktion in Deutschland ausgehen wird – es ist bereits heute absehbar, dass damit nicht aller Ärger beendet sein wird. Gerade im Zeitalter des Web 2.0 bieten immer mehr Anbieter die Möglichkeit, alles und jedes mit Tags zu versehen.
So bietet der Online-Buchhändler Amazon jedem User die Möglichkeit an, Bücher mit Tags zu versehen. Diese Tags sind dann für die Allgemeinheit einsehbar. Bei Bettina Wulffs Buch „Jenseits des Protokolls“ finden sich Tags wie „Wer kauft den Mist?“, „lügen“, „geldgeil“ oder „Brechreiz“. Wie werden die deutschen Gerichte diese Inhalte bewerten?