Steven Levy - ein externer Google-Insider

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

Mehr von diesem AutorArtikel als PDF laden

Steven Levy scheibt seit über zehn Jahren über Google und hat u. a. auch zwei erfolgreiche Bücher über Apple verfasst. Vor Kurzem ist nun auch sein Buch „Google Inside“ in deutscher Sprache erschienen. Es ist wohl mit Abstand das umfassendste und am besten recherchierte Werk über die Interna des Suchgiganten. Grund genug für Website Boosting, mit Levy vor allem auch über seine Einschätzungen bezüglich der Zukunft von Google zu sprechen.   

Website Boosting: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Buch „Google Inside“. Es ist sicherlich das umfassendste und bestrecherchierte Werk zu einer Company, die sich im allgemeinen eher mit Geheimnissen umgibt, statt mit PR oder Transparenz zu protzen. Wie lange muss man recherchieren, wie viele Gespräche muss man führen, um ein solch detailliertes Werk zu erschaffen?

Steven Levy: Ich habe im Juni 2008 begonnen, konzentriert an dem Buch zu arbeiten; die Erstfassung des Manuskripts war dann im September 2010 fertig. Ich habe mit ungefähr 200 Leuten gesprochen, mit vielen davon mehrmals. Natürlich war ich sehr oft in Kalifornien, weil ein Großteil der Arbeit dort auf dem Google-Campus stattfand.

Googles Erfolg beruht ja auf einer eher unwahrscheinlichen Abfolge von Zufällen. Was ist Ihrer Meinung nach der tiefer liegende Kern des dauerhaften Erfolges bei Google? Ist er „isolierbar“ und auf andere Unternehmen übertragbar?
Der Erfolg von Google ist zum Teil einzigartig und im Kern auf zwei bahnbrechende Neuerungen zurückzuführen. Die wichtigste ist der Suchalgorithmus, mit dem Google Informationen wesentlich schneller und effizienter zum Nutzer bringen konnte als die Mitbewerber. Die andere Neuerung sind die Werbeprogramme, die sich zu einer Geldmaschine entwickelten, mit der Google in den letzten zehn Jahren seine sämtlichen Aktionen finanzierte. Wenn man daraus eine Lehre ziehen kann, lautet sie: Traue dich, eine Idee umzusetzen, die die meisten Leute für nicht realisierbar halten.

Was würden Sie einem Internet-Start-up mit einer guten Idee raten?
Da habe ich nur eine Empfehlung: Tun Sie's. Die Zeiten waren noch nie besser, um ein Start-up durchzuziehen und zu finanzieren.

Stimmt denn das Gerücht, dass Larry Page auch heute noch jede Einstellung von Mitarbeitern persönlich genehmigt?
Das ist kein Gerücht – Google selbst hat diese Aussage bestätigt. Zu dem Zeitpunkt, als das Buch veröffentlicht wurde, entsprach das der Wahrheit.

Ist Page Ihrer Meinung nach für die Zukunft von Google der bessere Geschäftsführer als Schmidt?
Also, Google ist eindeutig dieser Meinung. Die Resultate werden zeigen, wie gut Page wirklich ist. Eric hat die Messlatte hoch gelegt, aber man muss bedenken, dass er Google als Teil einer Troika geführt hat, während Larry eher selbstständig arbeitet. Das ist Neuland für Google. Im letzten Jahr hat Page Google seinen Stempel in einer Weise aufgedrückt, wie Eric es nie getan hat.

Google ist ja ein sehr „grünes“ Unternehmen. Das ist in der breiten Öffentlichkeit noch gar nicht so bekannt. Andere Unternehmen würden sich für jedes eingesparte Watt oder jeden vermiedenen Joghurtbecher in der Kantine öffentlich feiern lassen. Warum nutzt Google solche Dinge nicht zur Festigung des eigenen Images in der Öffentlichkeit? Oder schreiben die Medien nur einfach nicht darüber, weil „Good News“ im Mediengeschäft ja nicht wirklich „good“ für die Verkaufszahlen am Kiosk sind?
Es gehören durchaus auch PR-Leute zu dem „Green Team“, die dafür zuständig sind, Googles Maßnahmen zur Nachhaltigkeit in den Medien bekannt zu machen. Wegen der Bedenken hinsichtlich der Mitbewerber hat man sich in den letzten Jahren mit Informationen über Googles Energiepolitik (im Hinblick auf die Datenzentren) sehr bedeckt gehalten, aber seit Kurzem wird das lockerer gehandhabt.

Ist Google mit der heutigen verfügbaren Technologie noch einholbar – mit anderen Worten: Kann Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren ein anderes Unternehmen Google gefährlich werden?
Kein Unternehmen hat seinen Markt für alle Ewigkeit im Griff. Meiner Ansicht nach sitzt Google im Hinblick auf die aktuellen technischen Paradigmen ziemlich fest im Sattel, aber die Technik entwickelt sich mit dramatischer Geschwindigkeit weiter. Kommt es zu einem Paradigmenwechsel, steht Google vor einer Herausforderung.

Wie schätzen Sie ganz persönlich die Zukunft von Google ein?
Das beste Szenario: Google behält seine Position im Suchmaschinensektor und expandiert durch umsatzstarke neue Firmen.
Weniger gut: Google entwickelt sich zu einem Unternehmen wie Microsoft – es hat zwar ein Cashcow-Business, aber es ist fraglich, ob es im Hinblick auf Wachstum und Innovation so weitermachen kann wie bisher. Ich glaube, dass Google gute Chancen hat, den Best Case zu realisieren, aber das Unternehmen scheint seine soziale Initiative zu stark in den Mittelpunkt zu stellen. Mir gefällt Pages Konzentration auf ehrgeizige, ja überambitionierte Projekte wirklich gut. Aber noch besser wäre es, wenn mehr von diesen anspruchsvollen Überlegungen in den Kategorien angesiedelt wären, in denen Google bereit Marktführer ist – nämlich Suchvorgänge und Anzeigen.

Wo ist Google denn spürbar schlechter als andere Unternehmen?
Google steht für das bewundernswerte Ziel, hohe moralische Standards zu vertreten, tut sich aber schwer damit, die Transparenz zu kommunizieren, die damit einhergehen sollte. Verfehlt Google seinen eigenen Normen – beispielsweise bei dem Debakel mit dem Schutz der Wi-Fi-Daten oder bei den illegalen Medikamenten aus Übersee, die über die Suchfunktion gefunden werden konnten –, legt das Unternehmen seine Karten nicht offen auf den Tisch. Google scheint das Problem zu erkennen und wird in einigen Bereichen transparenter. Mein Buch ist wahrscheinlich ein Beispiel dafür! Aber Larry Page ist, seit er an der Macht ist, in den letzten Monaten etwas zugänglicher geworden.

Weitsichtige Experten ziehen derzeit hochachtungsvoll die Augenbrauen hoch, wenn sie über das nächste große Projekt „Google Glasses“ sprechen. Was halten Sie persönlich davon? Wird es „the next big thing“, das unser aller Art zu kommunizieren und Computer zu nutzen bereits mittelfristig auf den Kopf stellen wird?
Nun ja, wir haben es schon erlebt, dass mobile Geräte den Desktop-Computer in den Schatten stellen. Google war mit Android erfolgreich, und man kann sich Glasses als eine Funktion vorstellen, die Android nicht nur für das mobile, sondern auch für das am Körper tragbare Gerät nutzbar macht. Meiner Meinung nach wird Google Glasses einige Iterationsschleifen durchlaufen und dabei versuchen, sich im Bereich der am Körper tragbaren Geräte als Marktführer zu etablieren. Aber dass es alles auf den Kopf stellen wird, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Wenn Sie sich für eine der vier Optionen entscheiden müssten: Würden Sie Ihre Rücklagen für die Altersvorsorge lieber in Google-, Facebook-, Microsoft- oder Apple-Aktien investieren und warum?
Da ich wegen meines Interessenkonflikts in keines dieser Unternehmen investieren kann, brauche ich über diese schwierige Frage gar nicht erst nachzudenken!

Welches ist denn Ihr nächstes Buchprojekt?
Ich habe die Auswahl schon eingegrenzt, mich aber noch nicht entschieden. Aus ganz eigennützigen Gründen will ich mich erst nach dem Sommer endgültig festlegen – so kann ich das schöne Wetter ausnahmsweise einmal in Ruhe genießen.

Und zum Schluss noch eine persönliche Frage: Welches Buch liegt bei Ihnen derzeit auf dem Nachtkästchen?
Eine Vorabausgabe eines Buchs über das Unternehmen Y Combinator, das im Herbst auf den Markt kommt, und  „The Last Sultan” von Robert Greenfield, eine Biografie  Ahmet Erteguns.

Vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch!
 

Das Interview mit Steven Levy führte Mario Fischer. Mehr über Steven Levy finden Sie unter www.stevenlevy.com