Social–Media-Manager spüren häufig sehr direkt, dass ihre Bemühungen stark abhängig von anderen Kolleginnen und Kollegen sind. Der Druck von außen wächst, die Erwartungshaltung steigt. Social-Media-Marketing kann viel Positives bewirken. Doch wer sich intern nicht zu positionieren weiß, riskiert seinen Erfolg.
Die Social-Media-Marketing-Lüge
Je nach Bekanntheit des Unternehmens oder der Marke unterliegen gerade Social-Media-Manager dem Druck ihrer „Fans”: der Erwartungshaltung, dass eine Frage innerhalb weniger Stunden beantwortet wird – unabhängig von Öffnungszeiten, versteht sich. Handeln ist nun gefragt, und zwar schnell. Irgendwas zu schreiben, genügt oft nicht, PR-Geschwafel nützt im Social Web nichts und geht schnell nach hinten los. Neben der Schnelligkeit muss die Antwort qualitativ hochwertig sein, und dafür braucht es Produktexperten im Unternehmen – das ist der Social-Media-Manager in der Regel nicht. So entwickelt sich um ihn herum eine Struktur, die irgendwann an ihre natürlichen Grenzen stößt und ihn erahnen lässt, dass seine Bemühungen zu einer Sisyphusarbeit ausarten könnten, denn bald werden es zu viele Posts, die beantwortet werden wollen– irgendwann vielleicht auch zu viele kritische Posts, die gar nicht mehr beantwortet werden können – zumindest nicht von ihm.
Leidensgeschichte eines Kunden
„Letzten Sommer, kurz vor dem Urlaub, ließ mich ein ohrenbetäubender Lärm aus meiner konzentrierten Arbeit am heimischen Schreibtisch aufschrecken. Der Krach kam aus dem Badezimmer und erinnerte mich an das Hubschrauber-Ballett aus ‚Apocalypse Now‘, was mich nicht beruhigte. Zu Recht. Im Badezimmer hatte sich die Waschmaschine aus ihrer Ruheposition verabschiedet und sprang munter auf die Kloschüssel zu, um diese zu zerstören. Dieses Inferno konnte ich durch geistesgegenwärtiges Ziehen des Netzsteckers verhindern, aber die Waschmaschine stellte sich dennoch als kaputt heraus, und zwar total im Eimer. Zum Glück war noch Garantie drauf, sodass ich schnell den Kundendienst anrufen konnte, um einen Termin zu vereinbaren. Der Terminvorschlag ‚in drei Wochen‘ war mit den Waschansprüchen einer 5-köpfigen Familie nicht wirklich kompatibel, aber es gab keine Alternative. Am verabredeten Termin kam tatsächlich ein Techniker, öffnete das Gerät und empfahl augenblicklich eine Austauschmaschine. Der Form halber musste er aber noch eine Liste beschädigter Komponenten erstellen, die länger war als das dafür vorgesehene Formular. ‚Das wird schon‘, sagte er aufmunternd, bevor er ging.
Eine Woche später hatte der Hersteller gegen den Rat des Technikers überraschend den Entschluss gefasst, das Gerät doch zu reparieren. Allerdings gab es noch keine Prognose, wann die erforderlichen Teile zur Verfügung stünden. Von gerechtem Zorn getrieben tat ich das, was jeder anständige Netizen in meiner Situation getan hätte: Ich ging zur Facebook-Seite des Herstellers, um mich dort öffentlich zu beschweren.
Beinahe wäre meine Beschwerde gescheitert, weil ich zunächst den Herstellernamen mit einem „like” versehen musste. Danach konnte ich den Community-Managern und der ganzen Community öffentlich mein Leid klagen und musste feststellen, dass das Gros der Einträge auf des Herstellers Pinnwand von unzufriedenen Besitzern unzuverlässiger Geräte stammte.
Kurz nach meiner Beschwerde erhielt ich einen Anruf und man teilte mir einen voraussichtlichen Liefertermin der Ersatzteile mit. Da dieser mir nicht passte, motzte ich abermals bei Facebook rum und bekam prompt einen früheren Termin.”
Besuch der Social-Media-Managerin
„Wir stehen so kurz davor, in einen möglichen Shitstorm zu geraten, den wir dann nicht managen können”, sagte die Social-Media-Managerin eines namhaften Konzerns im Vertrauen und visualisierte das Wörtchen „so”, mit einem Hauch Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand. „Erst kürzlich kam über Facebook eine kritische Frage herein, die wir über das Marketing nicht beantworten konnten. Das Ergebnis war, dass niemand sie beantwortete, denn die Abteilung, die sie hätte beantworten können, scherte sich nicht um Facebook. Glücklicherweise ist nichts weiter passiert, zumindest nicht im Sinne eines Shitstorms ... Aber wie lange geht das noch gut?”
Sprachrohr für das Unternehmen im System des Misstrauens
9 von 10 Unternehmen verbieten Facebook & Co. am Arbeitsplatz(Eine Statistik zu Verboten von sozialen Medien am Arbeitsplatz siehe einfach.st/vsma). Kurios sind derartige Verbote nicht nur, weil sie leicht mit den eigenen Devices umgangen werden können und werden. Ebenso kurios ist, dass Social Media gleichzeitig als wichtig erachtet wird. Die Verschmelzung von Beruflichem und Privatem spürt man nirgends so deutlich wie hier: Zwar lässt sich der Zugang über das Firmennetzwerk einschränken, aber: Mitarbeiter sind privat im Internet, ob dem Arbeitgeber das gefällt oder nicht. Durch das Verbot der Teilnahme an öffentlichen Diskussionen im Namen des Unternehmens wird dem Mitarbeiter unterschwellig das Misstrauen ausgesprochen, die Firma angemessen repräsentieren zu können. Dass dies eine innere Distanz schafft, sollte niemanden ernsthaft überraschen.
Der im März zum 10. Mal erschienene Gallup Engagement Index (Siehe Gallup Engagement Index 2011 unter
einfach.st/vsma) zeigt deutlich: Jeder vierte Mitarbeiter in Deutschland hat innerlich gekündigt. Das allein auf die Verbote zu schieben, wäre zu weit hergeholt. Aber je unzufriedener ein Mitarbeiter wirkt, umso misstrauischer wird sein Umfeld – Vorgesetzte eingeschlossen. Die Folge sind häufig noch mehr Kontrollen, die die Unzufriedenheit nur noch weiter fördern. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt – gerade auch, wenn der Mitarbeiter als Sprachrohr das Unternehmen authentisch (re-)
präsentieren soll.
Auf dem kürzlich stattgefundenen Ökonomiekongress in Bayreuth sah man deutlich, wie sehr sich die Unternehmensvertreter bemühten, anwesende Studenten als Arbeitskräfte zu gewinnen. Ähnliches erleben wir auch auf Facebook & Co, wo sich Unternehmen gerne als attraktiver Arbeitgeber darstellen. Diese Maßnahmen sind leicht nachvollziehbar: Aufgrund fehlender Fachkräfte beläuft sich der Schaden im zweistelligen Milliardenbereich (es gibt keine zuverlässige Statistik darüber, doch kann von rund 33 Milliarden Euro ausgegangen werden, siehe auch Schaden durch Fachkräftemangel in Deutschland bei Focus online unter einfach.st/sfam). Doch was bringen all diese Bemühungen, wenn der frisch eingestellte kreative Kopf anschließend zwischen 9 und 17 Uhr vor einen Bildschirm gesetzt wird und in dieser Zeit gefälligst intrinsisch motiviert Ideen am Fließband produzieren soll? Sie ahnen es: Nichts. Der Grund dafür ist, dass Motivation und Kreativität in einem System der Kontrolle verkümmern wie ein Veilchen in der Wüstensonne. Wenn also nicht darüber nachgedacht wird, wie wir gewonnene Mitarbeiter halten und ihnen einen Raum schaffen, in dem sie sich entfalten und ihrer Arbeit mit Freude nachgehen können, werden unsere Fachkräfte niemals ein geeignetes Sprachrohr für Marke und Unternehmen sein – sie identifizieren sich nicht mit ihrem Arbeitgeber.
Wo anfangen?
Durch den Versuch, Dialoge zwischen Kolleginnen und Kollegen in Prozesse zu pressen, behindern sich Organisationen in ihrer äußeren Wahrnehmung, weil die interne Vernetzung fehlt: Hier liegen ungenutzte Chancen, die Kunden zufriedenzustellen und zu Fans und Botschaftern von Marke und Unternehmen zu machen. Social-Media-Managern wird oft als zuerst bewusst, dass Kommunikation nicht delegierbar ist. Es müssen künftig alle an einem Strang ziehen.
Um sich den Anforderungen im Social Web zu stellen, sollten wir, wie beschrieben, nicht beim Social-Media-Marketing anfangen und auch nicht bei einem „Facebook für Unternehmen”. Der Fokus auf die Technologie als Allheilmittel ist vielleicht sogar der Grund dafür, dass sich Deutschland noch auf einem Niveau eines digital-sozialen Schwellenlandes(siehe auch einfach.st/dksl) befindet. Eine auf e2conf.com veröffentlichte Studie belegt diese These: Wer nicht verstanden hat, die Rahmenbedingungen für mehr Bereitschaft zu Neuerungen bei den Mitarbeitern zu schaffen, hat von Anfang an schlechte Karten. Ein Unternehmens-Facebook wird früher oder später Fragen aufwerfen, die besser vor der Einführung beantwortet worden wären:
- Mitarbeiterprofil: Was sagt der Betriebsrat und der Datenschutz dazu? Welche HR-Daten können/sollen übernommen werden? Welche soll/darf der Mitarbeiter selbst pflegen?
- Status und Sicherheit: Dürfen Geodaten wie der derzeitige Aufenthaltsort des Mitarbeiters veröffentlicht werden? Welche können automatisiert werden?
- Teilen & Kommentieren: Mit wem darf/soll der Mitarbeiter teilen und bei wem kommentieren? Sind alle Informationen frei zugänglich? Machen alle mit? Welche (Mit-)Teilungsängste bestehen in der Belegschaft?
... und so weiter.
Sollten Sie sich über ein „Social Intranet” oder Ähnliches Gedanken machen, tun Sie gut daran, vorab die zum Teil schwierigen Fragen zu beantworten. So bewahren Sie sich vor unliebsamen Überraschungen nach einer großen Investition.
Schritte zur Umsetzung
Wie ist es möglich, dass Hobbyautoren große Enzyklopädien in die Knie zwingen? Oder dass Softwareentwickler in Gemeinschaftsarbeit freiwillig ein System schaffen, vor dem die Großen der Softwareunternehmen erblassen? Was treibt diese Menschen an, wenn nicht Geld oder Karriere, welche in Unternehmen als die Motivationsfaktoren Nummer eins gelten? Lernen wir von den sozialen Netzwerken, können wir die Antworten gut ableiten: Es sind Selbstbestimmung, persönliche Weiterentwicklung und der im Tun gefundene Sinn. Wenn das bewusst ist, können folgende unternehmensinterne Schritte umgesetzt werden:
Wahrnehmung schärfen
- Finden Sie Kolleginnen und Kollegen (bevorzugt aus HR, Marketing, F&E, Wissensmanagement und IT), die für sich den Wandel bereits wahrgenommen haben, und stellen Sie sich die Frage, wie die eigene Unternehmenskultur für die Zukunft aufgestellt ist.
- Erarbeiten Sie sich Argumentationsketten: Analysieren Sie, wo das Unternehmen steht, wo es sich blockiert und welchen Nutzen interne Vernetzung bringt.
- Binden Sie Führungskräfte, einschließlich des Inhabers/Vorstandes mit ein und überzeugen Sie sie gemeinsam mit Ihren Argumenten. Ziel ist, von ihnen kontinuierliche Unterstützung zu bekommen.
Organisationsplanung
- Erarbeiten Sie sich anhand der IST-Analyse eine SOLL-Analyse und definieren Sie, welche Unternehmensziele Sie unterstützen können.
- Analysieren Sie den Nutzen bestehender Inhalte und Prozesse.
- Ermitteln Sie wichtige (gesetzliche) Regeln, die bei diesem Thema Beachtung finden sollten.
- Binden Sie zusätzliche Schlüsselpartner wie den Betriebsrat und die Datensicherheit mit ein.
- Analysieren Sie bestehende IT-Infrastrukturen: Was gibt es schon? Was wird gebraucht, was nicht? Welche Schnittstellen werden benötigt?
Operativ
- HR & Betriebsrat/Datenschutz: Definieren Sie Maßnahmen, um die Einhaltung der (gesetzlichen) Regeln zu gewährleisten.
- Marketing, HR: Erarbeiten Sie sich Maßnahmen, die die Kolleginnen und Kollegen Abteilungen und Hierarchieebenen übergreifend in den Wandel einbinden. ACHTUNG: Führungskräfte mit einbinden! Der Social Workplace lässt sich nicht delegieren.
- IT: Ermitteln Sie aus der bestehenden IT-Infrastruktur- und Bedarfsanalyse eine Liste möglicher Social-Software-Anbieter und testen Sie diese.
- Führen Sie die Software ein.
Diese Schritte in wenigen Wochen durchzuführen, ist unrealistisch. Es sollte darüber hinaus bedacht werden, dass einzelne Schritte auch wiederholt aufgegriffen werden müssen, selbst wenn die Phase aus Prozesssicht erledigt ist.
Zusammenfassend sind bei der Einführung eines Social Workplaces wichtig: Fangen Sie intern an und immer bei den Menschen selbst. Finden Sie Kolleginnen und Kollegen, die mit Ihnen gemeinsam das Thema angehen wollen. Überzeugen Sie dann die Führungskräfte. Social-Media-Marketing darf keine Lüge sein und wird erst dann ehrlich, wenn Mitarbeiter emotional hinter dem Unternehmen und dessen Produkten stehen und die Zugehörigkeit voller Stolz in den sozialen Netzwerken verbreiten.