Die Risiken, sich als Unternehmen auf Facebook zu engagieren, entsprechen – überspitzt formuliert – denen, die sich ergeben können, wenn man in China wirtschaftlich tätig ist. Riesigen Verheißungen stehen nicht minder große Gefahren gegenüber: In China locken fast 1,4 Milliarden Menschen, auf Facebook sind es momentan weltweit 845 Millionen Menschen. Beide Märkte eint, dass es für die meisten heimischen kleinen und mittleren Unternehmen fremde Kulturen sind, mit Sitten und Gebräuchen, die nur die wenigsten kennen und die sich schnell ändern können, was Unwissenden meist eher zum Nachteil gereicht.
Facebook und die Unternehmen:
Freund des Marketings, Wackelkandidat der PR
Grundsatz Nr. 1: Niemand bekommt von Facebook oder Mark Zuckerberg etwas geschenkt.
Facebook ist mittlerweile vor allem eins: eine Werbeplattform. Hier werden ausschließlich Produkte vertrieben, die von den Nutzern im Rahmen ihres Networkings geschaffen werden. Diese Daten werden von Facebook beliebig verknüpft und weiterverkauft. In welcher Form das geschieht, weiß im Grunde nur der Oligopolist. Und der lässt sich nicht in die Karten schauen, auch wenn die deutschen Datenschützer ihm schon lange auf den Fersen sind.
Grundsatz Nr. 2: Die wenigsten Nutzer lesen Nutzungsbedingungen.
Nicht nur medienethisch relevant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob den Menschen bewusst ist, worauf sie sich bei Facebook einlassen. Wissen sie, dass jeder Klick, jede Äußerung, jedes Liken vom Diensteanbieter Facebook vermarktet wird? Oder wähnen sich nicht zu viele Nutzer im Privaten? Trifft Letzteres zu, stellt sich die Frage, ob Facebook in eine schützenswerte Privatsphäre eingreift und damit nicht eventuell sogar Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt.
Facebook verweist in diesem Zusammenhang auf seine Nutzungsbedingungen: Schließlich hat jeder der 845 Millionen Nutzer diesen bei der Registrierung zustimmen müssen. Aber haben sie das wirklich getan? War die Datenschutzerklärung übersichtlich? Konnte ein durchschnittlich informierter und interessierter Verbraucher den Text problemlos verstehen? Der Blick ins Telemediengesetz verrät, dass ein Diensteanbieter – zumindest in Deutschland – zwei Regeln einhalten muss: Er muss den Nutzer in verständlicher Form unterrichten und sicherstellen, dass der Nutzer seine Einwilligung bewusst und eindeutig erteilt.
Schon an dieser Stelle tauchen Bedenken auf: Facebook erfüllt weder die erste noch die zweite Anforderung des Telemediengesetzes. Aus Sicht von Facebook sind die Nutzungsbedingungen und Datenschutzerklärungen allerdings so raffiniert wie tückisch, denn sie sind Garant dafür, dass kaum einer sie liest. Wer studiert schon freiwillig 20 Seiten Kleingedrucktes? Noch dazu, wenn der Text auf verschiedene Webseiten verteilt ist!
Für wissbegierige Leser hat Facebook übrigens gleich eine weitere Hürde aufgebaut: So werden viele Inhalte zu den Richtlinien und Funktionsweisen von Plattform, Social Plugins, API-Schnittstellen und Timeline nur auf Englisch dargeboten. Dazu heißt es bei Facebook:
„Falls die Erklärung in der von dir ausgewählten Sprache nicht zur Verfügung steht, wird dir die englische Version angezeigt.“
Grundsatz Nr. 3: Für Facebook sind die Geldbußen-Androhungen Brosamen, für kleine und mittlere Unternehmen aber fatal.
Während dem Multimilliardär Mark Zuckerberg die angedrohten Geldbußen der Datenschutzbeauftragten wohl kaum den Schlaf rauben, kann es kleineren und mittleren Unternehmen bei Verstößen gegen das Telemediengesetz oder das Bundesdatenschutzgesetz angst und bange werden. Schließlich können dort Bußgelder bis zu 50.000 Euro (TMG) beziehungsweise 300.000 Euro (BDSG) fällig werden. Wer zum Beispiel sein Impressum nicht angemessen nach § 5 TMG aufbereitet oder aber Werbung betreibt, indem er Praktikanten anweist, Einladungen über Facebook zu verschicken, verstößt gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (§ 7 UWG). Wer das tut – und das sind sicherlich einige Unbedarfte – kann nicht nur von Verbraucherzentralen oder Mitbewerbern abgemahnt, sondern auch von Facebook gesperrt werden, denn Facebook behält sich selbstverständlich das Recht vor, zu entscheiden, was auf seiner Website erscheint:
„Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf Facebook gepostet hast, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen die vorliegende Erklärung verstoßen.“
Sobald Facebook registriert, dass ein Fanpage-Kunde sehr viele Freundesanfragen verschickt, greift das soziale Netzwerk durch und verbannt den Regelverletzer für einige Tage oder Wochen von der Plattform.
Grundsatz Nr. 4: Facebooks Geschäftsmodell beruht ausschließlich auf den Daten seiner Nutzer. Sie bilden das Produkt. Je mehr Daten, umso besser für Facebook.
Bei allen Vorhaben sollte man im Hinterkopf behalten, dass Unternehmen, die sich auf Facebook präsentieren, gleichzeitig die Daten ihrer Kunden preisgeben. Schließlich heißt es in den Nutzungsbedingungen:
„Wir können deine Anwendung, Inhalte und Daten zu jeglichem Zweck, einschließlich kommerziellen Zwecken (wie die Bereitstellung von Werbung für bestimmteZielgruppen und die Indexierung von Inhalten für die Suche), analysieren.“
Wer da mitzieht, unterstützt Verstöße gegen den Datenschutz und andere guten Sitten, die die heimische Wirtschaft so verlässlich machen.
Grundsatz Nr. 5: Facebook scheut nicht davor zurück, den „Partnern“ Konkurrenz zu machen.
Auch für Unternehmen, die z. B. die (API-)Schnittstellen nutzen, um neue Produkte wie Spiele über Facebook zu vertreiben, kann es ein böses Erwachen geben – nämlich dann, wenn Facebook sich das Produkt zu eigen macht, denn auch das ist laut Nutzungsbedingungen denkbar:
„Wir können Anwendungen erstellen, die über ähnliche Funktionen und Dienstleistungen wie deine Anwendung verfügen oder anderweitig mit deiner Anwendung konkurrieren.“
Grundsatz Nr. 6: Mit Facebook kann man nicht auf Augenhöhe „kooperieren“.
Obwohl Facebook seine Nutzer duzt, ist der Umgang alles andere als kameradschaftlich, nicht einmal für jene Unternehmen oder Institutionen, die auf Facebook werben und dafür Geld bezahlen: Wer mit Facebook kooperiert, agiert nicht auf Augenhöhe, sondern muss sich Zuckerbergs Diktat unterwerfen. Und dessen Gebote haben einen bitteren Beigeschmack:
„Wenn du einen Auftrag erteilst, wirst du uns die Art der Werbung, die du kaufen möchtest, den Betrag, den du ausgeben möchtest, sowie dein Gebot mitteilen. Wenn wir deinen Auftrag akzeptieren, zeigen wir deine Werbeanzeigen an, sobald Werbefläche verfügbar wird. Wir stellen die von uns angezeigten Werbeanzeigen so gut wie möglich dem von dir festgelegten Publikum zu.“
„Allerdings können wir nicht in allen Fällen garantieren, dass deine Werbeanzeigen die ausgewählte Zielgruppe erreichen.“
„In Fällen, in denen wir glauben, dass wir die Effektivität deiner Werbekampagne steigern können, sind wir dazu befugt, die von dir festgelegten Werbekriterien zu erweitern.“
„Wir bestimmen die Größe, Platzierung sowie Positionierung deiner Werbeanzeigen.“
„Wir können deine Werbeanzeigen und die damit verbundenen Inhalte und Informationen zu Marketing- oder Werbezwecken verwenden.“
„Du wirst ohne schriftliche Erlaubnis keine Pressemitteilung veröffentlichen oder öffentliche Erklärungen über deine Beziehung zu Facebook abgeben.“
„Wir dürfen eine Werbeanzeige aus beliebigem Grund ablehnen oder entfernen.“
Facebook kann also nach Belieben schalten und walten, während seine Kunden alles akzeptieren müssen – freilich ohne jedwede Garantie.
Grundsatz Nr. 7: Facebook ist kein Aufgabenfeld, das Praktikanten bestellen können.
Wer sich von all dem nicht beeindrucken lässt, dem stellt sich die Frage nach dem eigenen Nutzen. Hier gibt es innerhalb eines Unternehmens wahrscheinlich unterschiedliche Meinungen. Die Marketingabteilung wird „Hurra“ schreien. Die Personalabteilung wird sich über den neuen Weg freuen, junge Menschen direkt anzusprechen. Und die PR-Abteilung wird überlegen, ob Facebook zum eigenen Unternehmensprofil passt und ob sie hier eher Vertrauen verspielen als gewinnen kann.
Alle drei Abteilungen haben bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, dass das Engagement auf Facebook mit Kosten verbunden ist. Benötigt wird Personal, das den Content pflegt (und zwar jeden Tag aufs Neue). Des Weiteren sind umfassende Rechtskenntnisse vorteilhaft, zumindest Basiswissen des Wettbewerbsrechts, des Urheberrechts, des Telemediengesetzes und – nicht zu vergessen – des Bundesdatenschutzgesetzes. Dass man darüber hinaus mit den Persönlichkeitsrechten Dritter vertraut sein und sie achten sollte, versteht sich von selbst. Und damit ist eine Lösung bereits in der Planungsphase zu verwerfen: diese Aufgabe dem Praktikanten zu übertragen. In der Praxis wird das bislang aber gern gemacht, nicht nur aus Kostengründen, sondern weil der jungen Generation generell eine höhere Affinität zu den Social Network Services unterstellt wird.
Grundsatz Nr. 8: Facebook ist ein ideales Umfeld fürs Marketing.
Wer die Chancen und Risiken eines Engagements bei Facebook aus der Perspektive der verschiedenen Abteilungen beleuchtet, kann schnell Vor- und Nachteile entdecken. Nehmen wir beispielsweise an, der Geschäftsführer eines Schwimmbades würde mit Facebook liebäugeln.
Die Augen seines Marketingchefs jedenfalls würden strahlen: Werbung, fast ohne Streuverluste. Auch müsste man sich nicht nur mit einigen wenigen personenbezogenen Daten zufriedengeben. Nein, man könnte auf umfassende Profile zurückgreifen, die gegebenenfalls auch mit privaten Infos unterfüttert wurden. Kurzum: Diese Investition scheint jeden Cent wert zu sein.
Folgerichtig würde der Marketingchef in diesem fiktiven Beispiel auf Faceboook Anzeigen schalten, und zwar für seine neue Attraktion, einen Wasser-Climbing-Turm. Seine präferierte Zielgruppe: Jugendliche im Alter von 13 bis 20 Jahren, die sowohl sportlich als auch abenteuerlustig sind und in einem Umkreis von 30 Kilometern wohnen. In diesem Beispiel könnte Facebook tatsächlich gute Dienste leisten und die Anzeige genau platzieren (ohne dies aber zu garantieren).
Grundsatz Nr. 9: Facebook kann auch Personalabteilungen beim Recruiting unterstützen.
Im fiktiven Bäderbetrieb würde das Herz des Personalmanagers ebenfalls für Facebook schlagen. Allerdings könnte die Unternehmensdarstellung auf Facebook Bewerber anlocken, die nicht unbedingt zum Unternehmen passen. So könnte eine Analyse der Posts auf Facebook ergeben, dass einige Bewerber beispielsweise nur rudimentäre Rechtschreibkenntnisse haben.
Grundsatz Nr. 10: Jedes Engagement auf Facebook kann Nebenwirkungen haben.
Würde die Personalabteilung sich nun entscheiden, die Kandidaten mit den offensichtlichen Defiziten nicht einzuladen, würde das zumindest Personalern einleuchten. Theoretisch bestünde aber gleichzeitig die Möglichkeit, dass sich ein Kandidat aus verletzter Eitelkeit an dem Bäderbetrieb rächt. Schon ein böser Kommentar kann hohe Wellen schlagen. So könnte besagter Kandidat zum Beispiel auf der Bad-Fanpage fälschlicherweise behaupten, er hätte sich beim Wasserclimbing schwer verletzt. In solchen Fällen ist guter Rat teuer und professionelles Krisenmanagement gefordert.
Das Beispiel ist zwar erfunden, aber durchaus realistisch. Während Wahrheit und Klarheit wichtige Eckpfeiler des realen Geschäftsverkehrs sind, wird in sozialen Netzwerken öfter mal übertrieben, geflunkert oder ein Fake-Account erschaffen. Im Nu entstehen Orte, die Unzufriedene anlocken und die dann wortreich (vermeintliches oder echtes) Fehlverhalten anprangern. Ist der Ruf des Unternehmens aber gefährdet, verlieren zumindest Geschäftsführer die Freude an Facebook.
Wem dieses Beispiel überzogen erscheint, der muss sich derzeit nur die offizielle Facebook-Page des ehemaligen Bundespräsidenten ansehen. Während die Pressesprecher des Bundespräsidialamtes tapfer die Termine des Bundespräsidenten ankündigten, warfen die Kommentatoren vor allem verbalen Schmutz und Ballast ab, um Christian Wulff zum Rücktritt zu bewegen.
Die Kehrseite der Offenheit in Social Network Services ist nämlich, dass sie sich schwer steuern lässt. Oder, wie Christoph Neuberger und Thomas Quandt im „Handbuch Online-Kommunikation“ treffend schreiben, dass „keine flächendeckende Qualitätssicherung möglich ist“. Das gilt für das Internet im Ganzen und für soziale Netzwerke im Besonderen.
Grundsatz Nr. 11: Die Macht des Konsumenten kann der PR Kopfschmerzen bereiten.
Reputation kann auf Facebook schnell zunichtegemacht werden. Dass die Macht der Konsumenten Unternehmen treffen kann, haben bereits Nestlé, Kaffee Partner oder Jack Wolfskin erlebt. Für PR-Abteilungen hat Facebook überdies einen weiteren nicht zu unterschätzenden Schwachpunkt: In der Informationsflut schwindet nicht nur die Gunst der Internetnutzer, sondern ebenfalls die Chance, mit positiven Informationen Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Bedenkt man außerdem, dass 90 Prozent der Nutzer auf Facebook sind, um Kontakt mit anderen Menschen zu halten oder um andere – also den Ex, den Konkurrenten, den Nachbarn – zu beobachten, und Facebook keineswegs als Informationsplattform betrachten, dann stellt sich generell die Frage, ob PR auf Facebook überhaupt erwünscht ist.
Und was heißt das für Unternehmen? Wohl dem, der seine eigene Website hat. Wer dabei noch – wie bereits seit den 1990er-Jahren technisch problemlos möglich – mit seinen Nutzern Dialoge führt, befindet sich auf der Höhe der Zeit und behält vor allem die Hoheit über seine Daten und – nicht zu unterschätzen – über die Inhalte, die ihm seine Kunden anvertrauen.