Ins Online-Marketing wird seit vielen Jahren zunehmend mehr Budget gesteckt. Macht man es richtig, kommen auch immer mehr Besucher auf die eigene Website. Bei der Konversionsrate, also dem Verhältnis von Besuchern zu Käufern, hat sich in den letzten Jahren allerdings vergleichsweise wenig bewegt. Sie ist noch immer auf einem beschämend und unwirtschaftlich niedrigen Niveau. Wie im realen Leben geben Unternehmen lieber Geld aus, Neukunden via Werbung zu gewinnen, als bestehende Kunden zu halten. André Morys gibt wertvolle Praxistipps, wie man mehr aus den Besuchern macht, die sich schon im Shop aufhalten – genauer gesagt, wie man mehr von ihnen zu Kunden macht. Und das Spannende ist: Diese Art der „Neukundengewinnung“ ist viel günstiger, als ständig nur unreflektiert Menschen über Online-Marketing-Maßnahmen in den Shop zu pumpen!
Die drei Phasen des Online-Kaufprozess
So finden Sie die Optimierungshebel im Dschungel der Webkennzahlen
„3,1 % Konversionsrate – was nun?“
Die magische Zahl von 3,1 % Konversionsratendurchschnitt geistert durch Blogs und Konferenzen. Doch was bedeutet diese Zahl überhaupt?
Es ist eine spannende Diskussion darüber entbrannt. Dabei geht es um den Sinn und Zweck von Benchmarks, Uplifts und Optimierungen. „Die Konversionsrate sagt überhaupt nichts aus“, sagen manche – andere zeigen eindrucksvoll, wie sich Umsatz und Gewinn durch höhere Konversionsraten vervielfachen.
Dabei ist die Thematik durchaus nützlich für alle, die online Geld verdienen, Leads generieren oder sonst irgendeine Form der Wertschöpfung haben. Denn: Konversion bezeichnet nichts anderes als einen erfolgreichen Wertschöpfungsprozess – und Wertschöpfung ist das primäre Ziel jedes wirtschaftlich denkenden und handelnden Unternehmens.
„Hilfe, mein Auto fährt nur 20 km/h!“
Also: Wie bekommen wir Klarheit in den Dschungel? Ein einfacher Vergleich hilft: Sie sind stolzer Besitzer eines Autos. Sie fahren mit dem Auto zufrieden durch die Gegend. Sie wissen, dass Sie für eine Strecke von 10 km etwa eine halbe Stunde Zeit einplanen müssen. Damit haben Sie kein Problem, schließlich kommen Sie ans Ziel.
Solange Sie nicht wissen, dass andere Autos 120 kmh fahren, sind sie mit ihrem 20-km/h-Auto voll und ganz zufrieden! Oder anders ausgedrückt: Das Glück liegt im Vergleich. Webanalyse-Systeme vergleicht der Webanalyse-Guru Avinash Kaushik mit den Instrumenten im Auto. Er erklärt jedoch, dass man allein mit einem Tacho nicht fahren kann. Und man kann erst recht kein Rennen gewinnen. Anders gesagt: Die Kennzahl ohne den Vergleich (Benchmark) sagt nichts aus. Der Rennfahrer wird auch erst dann nervös, wenn der Konkurrent mit doppelter Geschwindigkeit an ihm vorbeizieht.
Es stimmt also beides: Maximale Geschwindigkeit ist das wichtigste Ziel im Rennen – und ohne Vergleich erkennt man nicht, wo man im Rennen steht.
Genau so ist es mit der Konversionsrate. Platitüden wie „100 % Konversionsrate gibt es nicht“ sind ebenso unsinnig wie „Wenn ich alles kostenlos mache, habe ich 100 % Konversionsrate“. Beides habe ich schon aus dem Munde anerkannter Experten gehört. Beides stimmt zwar prinzipiell – hilft aber einfach nicht weiter.
Webanalyse-Systeme messen immer mehr und immer genauer
Die Konversionsrate sagt aus, wie effizient eine Website neue Kunden gewinnt. Im Wettbewerb ist entscheidend, wie gut das Unternehmen im Vergleich zum Wettbewerber Kunden gewinnen kann. Wer schneller und effizienter wächst, kann dem Wettbewerber im Idealfall Kunden abnehmen – ein strategischer Wettbewerbsvorteil.
Gerade weil eine hohe Kundengewinnungsrate (nichts anderes ist die „Konversion“) ein strategischer Wettbewerbsvorteil ist, wird es wichtig, dass Unternehmen Antworten auf folgende Fragen bekommen:
- Wie gut oder schlecht ist meine eigene Konversionsrate (im Wettbewerbsvergleich)?
- Wie hoch ist das Potenzial für Optimierungen?
- Was sind die wichtigen Kennzahlen für die Optimierung?
- Wie kann ich diese Kennzahlen richtig interpretieren?
Zur groben Orientierung haben wir bei Web Arts bereits 2009 eine Studie mit 120 Shopbetreibern durchgeführt, um die Verteilung von Konversionsraten deutscher Onlineshops zu ermitteln. Ausreißer durch besondere Geschäftsmodelle, Zahlen aus Affiliate-Traffic etc. wurden dabei herausgefiltert, um einen Vergleich zu ermöglichen:
Der Vergleich zeigt uns, dass zwischen Durchschnitt und Best Practice rund 900 % Unterschied liegen. Doch welche individuellen Zahlen helfen, bei der Optimierung den richtigen Ansatzpunkt zu finden? Schließlich produzieren die Webanalyse-Systeme Unmengen an Daten und Zahlen, die schwer interpretierbar sind.
Nicht den Überblick verlieren – aus der Realität lernen
Wer den Vergleich zur Realität sucht, der findet Klarheit in den Kennzahlen aus der Webanalyse. Die Frage lautet: Was sind die kritischen Wendepunkte in einem Kaufprozess? Wenn wir verstehen wollen, welche Wendepunkte aus Sicht der Kunden die Kaufentscheidung prägen, dann lässt sich eine Kaufsituation in drei Phasen unterteilen:
A) Schaufenster-Phase
B) Produktsuche
C) Kassensuche
Dabei vergleichen wir den Online-Kauf bewusst nicht mit dem Lebensmittel-Einkauf im Supermarkt. Der wöchentliche Supermarkt-Einkauf ist eher mit einem Beschaffungsprozess (Procurement) zu vergleichen. Wenn Menschen jedoch mehr oder weniger „absichtsarm“ durch eine Fußgängerzone bummeln und dabei konkrete Dinge im Kopf haben, die sie brauchen und kaufen könnten, dann sind Motivation und Kaufbereitschaft mit einer Online-Kaufsituation durchaus vergleichbar.
Die drei Phasen verraten uns, was jeweils im Kopf der Kunden passiert und welche Kennzahl den Erfolg oder Misserfolg der Phase beschreibt:
A) Schaufenster-Phase
Ein Kaufhaus oder ein Geschäft zu betreten, ist für Kunden ein gewisser Aufwand. Sie müssen sich orientieren, haben Laufwege – ganz ähnlich wie in einem Onlineshop. Daher versuchen Kunden, vor Betreten des Geschäfts zu bewerten und zu antizipieren, ob sich der Aufwand lohnen würde. Zwei entscheidende Aspekte bei dieser Bewertung sind das äußere Erscheinungsbild des Geschäfts und die in Schaufenstern präsentierte Ware. Potenzielle Kunden stellen sich vor dem Betreten eines Ladens drei Kernfragen:
a) Wie hoch ist die Chance, dass ich hier das Passende finde? (Relevanz)
b) Ist das Geschäft zu billig oder zu teuer? (Relevanz/Vertrauen)
c) Ist das überhaupt ein seriöser Anbieter? (Vertrauen)
Diese drei Kernfragen können potenzielle Kunden auf Basis impliziter Signale innerhalb von Sekunden beantworten. Dabei reicht der Gestaltungsstil der Schaufenster oder eine brüchige Fassade bereits aus, um eine der Kernfragen mit „Nein“ zu beantworten. Das Resultat: Das Schaufenster konnte den potenziellen Kunden nicht in den Laden ziehen.
In Onlineshops sind die Schaufenster die Landingpages. Und wir wissen: Jede Seite eines Onlineshops ist eine Landingpage. Die Antworten der potenziellen Kunden auf ihre drei Kernfragen lassen sich messen – in Form der Bouncerate. Bounces sind Besucher, die sich das Schaufenster kurz anschauen und entscheiden, den Besuch an dieser Stelle bereits abzubrechen. Im Gegensatz zur Exitrate, die aussagt, wie viele Besucher insgesamt an einer Stelle den Laden verlassen, beschreibt die Bouncerate bewusst nur die Besuche, die sich auf diese eine Seite beschränken.
Daher kommt der Bouncerate eine ganz besondere Bedeutung zu, denn die Besucher der Schaufenster haben anders als beim echten Kaufhaus meist richtig viel Geld gekostet. Angesichts Tausender oder Zigtausender Landingpages eines Onlineshops ist die Aufgabe daher, sich auf die wichtigsten Landingpages zu konzentrieren. Die erste Kennzahl können Sie also meist nur mit einem individuellen Report im Webanalyse-System ermitteln. Gehen Sie wie folgt vor:
a) Ermitteln Sie die wichtigsten Landingpages
- Landingpages mit den meisten Besuchern
- Landingpages mit den höchsten Traffic-Kosten
b) Ermitteln Sie die Bouncerate dieser Landingpages
c) Beginnen Sie bei der Optimierung mit den Landingpages mit den höchsten Bouncerates
Eine wichtige Frage lautet hier: Was ist eine hohe Bouncerate? Diese Frage lässt sich nur mithilfe des zuvor genannten Auto-Beispiels beantworten. Mit gesundem Menschenverstand wird uns klar, dass es 0 % Bouncerate wohl kaum geben wird, 100 % Bouncerate hingegen wären ein eindeutiger Hinweis darauf, dass auf der Seite etwas falsch läuft. Aus der Erfahrung vieler Projekte in unterschiedlichsten Märkten und Geschäftsmodellen weiß ich, dass bis zu 40 % Bouncerate normal sind – auch am besten Schaufenster des erfolgreichsten Geschäfts gehen potenzielle Kunden einfach vorbei, weil sie später kaufen möchten oder an einer anderen Stelle schauen wollen. Wenn eine Bouncerate einen Bereich von 50 % übersteigt, dann heißt das jedoch, dass mehr als die Hälfte des Webmarketing-Budgets verbrannt werden. Wenn das passiert, stimmen wichtige Parameter von Werbemittel/Keyword/Kampagne mit der Landingpage nicht überein (sprich: Sie haben die falschen Leute vor das Schaufenster geholt) oder die Landingpage kann die Kunden nicht überzeugen – in beiden Fällen ein Indikator für ein hohe Optimierungspotenzial.
Versuchen Sie, die Landingpages mithilfe der oben genannten Kernfragen aus Nutzersicht zu überprüfen und entwickeln Sie Optimierungshypothesen, die sich mit A/B-Tests validieren lassen.
B) Produktsuche
Die aus Optimierungssicht schwierigste Phase eines Kaufprozesses ist die Zeit, die zwischen dem Betreten des Geschäfts und der eigentlichen Kaufentscheidung liegt. Im mentalen Modell des Kunden existiert eine Vorstellung, wie das gewünschte Produkt aussehen soll, wie es heißt, wo es zu finden sein müsste und was es kosten darf. Bis zur eigentlichen Entscheidung sind unzählige kleine Zwischenentscheidungen nötig (gehe ich zuerst in das 3. OG oder suche ich zuerst hier unten?), die sehr stark das subjektive Zufriedenheitsgefühl des potenziellen Kunden beeinflussen. Die Kernfragen potenzieller Kunden lauten:
a) Wo muss ich überhaupt hin? (Orientierung)
b) Warum sollte ich das jetzt und hier kaufen? (Stimulanz)
c) Wird das kompliziert werden? (Komfort)
Dabei sinkt die Kaufmotivation, je länger die Suche nach dem gewünschten Produkt dauert (sie kennen das sicher aus der eigenen Erfahrung). Im Idealfall endet die Phase mit einem Artikel, den der Kunde aus dem Regal in die Hand nimmt und sich nach kurzer Überlegung sicher ist, dass er dieses Produkt kaufen möchte. Diese Phase kann in einem Onlineshop mehrere Minuten, Stunden oder sogar Tage dauern, da der Besuch (anders als im echten Leben) an jeder beliebigen Stelle abgebrochen und später fortgesetzt werden kann. In dieser komplexen Phase des Kaufprozesses sind zwei Faktoren entscheidend: Wie viele Kunden brechen den Kaufprozess ab, indem sie den Shop verlassen, ohne ein Produkt gesehen zu haben, und wie viele Kunden, die sich ein Produkt angeschaut haben, legen eines in den Warenkorb?
Beide Kennzahlen sind nicht einfach zu ermitteln, da sie nicht als Standard in den meisten Webanalyse-Systemen zu finden sind, auch hier werden individuelle Reports benötigt. Sie können sich jedoch behelfen – ähnlich wie bei den Landingpages:
a) Ermitteln Sie
- Kategorieseiten mit den meisten Aufrufen
- Suchergebnisseiten (Suchbegriffe) mit den meisten Aufrufen
b) Ermitteln Sie die Exitrates dieser Seiten
c) Schließen Sie die Seiten aus, die Sie schon als Landingpages identifiziert haben
d) Beginnen Sie bei der Optimierung mit den Seiten mit der höchsten Exitrate
Exits haben viele Gründe – schließlich muss jeder Besuch an irgendeiner Stelle enden und nur wenige Prozent enden im Checkout. Daher ist es schwer möglich, ähnlich wie bei den Bouncerates der Landingpages, ein Zahlenkonstrukt als Benchmark zu entwickeln. Bei der Annäherung an sinnvolle Zahlen hilft die Vorstellung, dass das Ziel (Micro-Conversion) einer Kategorie-, Listen- oder Suchergebnisseite der Klick auf ein Produkt sein sollte. Es können jedoch zu viele Faktoren dazu führen, dass in eine andere Kategorie geklickt oder eine neue Suche ausgeführt wird. Der Klick in die Produktebene ist also keine valide Kennzahl. Die Exitrate nähert sich dem Problem von der anderen Seite: Das Beenden des Besuchs auf der Ebene von Kategorie- oder Suchergebnisseiten kann am allerwenigsten ein sinnvolles Ziel sein.
Versuchen Sie also, nach Optimierungsansätzen auf den Seiten zu suchen, auf denen Sie die meisten Kunden verlieren. Die eigentliche Kaufentscheidung fällt jedoch meist auf einer Produktdetailseite. Die Verkaufsleistung von Produktdetailseiten lässt sich daher gut mit der Add-to-Cart-Conversion von Produktseiten messen. Gehen Sie dazu genau wie bei den beiden zuvor genannten Kennzahlen vor und suchen Sie nach Produktseiten mit viel Traffic und der geringsten Add-to-Cart-Conversion. An diesen Stellen verlieren Sie die meisten Kunden.
C) Kassensuche
Im echten Leben beginnt an dieser Stelle die für den Verkäufer unkritischste Phase. Die Kaufentscheidung ist gefallen, und sofern die nächste Kasse in Reichweite ist und nicht eine 30 Meter lange Schlange wartender Kunden davor steht, ist der Kauf in trockenen Tüchern. Auch an dieser Stelle sind die Kernfragen, die sich potenzielle Kunden stellen, im echten Leben und im Internet in etwa vergleichbar. Im Onlineshop ist die Abbruchmotivation jedoch deutlich höher als im Kaufhaus (was hauptsächlich an dem enormen Aufwand liegt, ein anderes Kaufhaus zu finden und das Produkt erneut zu suchen). Die Kernfragen lauten:
a) Wie kompliziert wird es wirklich? (Komfort)
b) Welche Risiken gibt es? Habe ich Garantie? (Sicherheit)
c) Ist das wirklich eine gute Idee? (Bewertung?)
Ähnlich wie in der Schaufenstersituation sind Kunden dazu in der Lage, diese Fragen innerhalb weniger Sekunden zu beantworten. Anders als in der komplexen Suchsituation, in der sich die Kaufmotivation der Kunden über eine längere Zeit entwickelt und über viele Ebenen und Elemente als Trigger verteilt, ist es hier ein zentraler Punkt, an dem die Entscheidung fällt – eine Art „Single-Point-of-Failure“ im Kaufprozess. Erfahrungsgemäß verlieren Onlineshops zwischen 40 % und 80 % aller Kunden, die sich bereits durch den komplexen mittleren Entscheidungsteil gearbeitet haben, an dieser Stelle.
Damit werden die Warenkorbseite und die darauf folgenden Checkout-Seiten zu einem idealen Optimierungsbereich. Die entscheidende Kennzahl ist hier erneut die Exitrate. Anders als bei den mehrere Seiten umfassenden Bereichen zuvor müssen Sie hier jedoch nicht nach den Seiten mit den höchsten Abbruchquoten suchen – es gibt jeweils nur eine Seite.
Eine typische Verteilung der Exits gleicht einem liegenden Hockeyschläger:
Fazit: Es kommt darauf an. (Nein!)
Sind 60 % Bouncerate o. k.? Sind 40 % Exit im Warenkorb o. k.? „Es kommt darauf an ...“ werden die meisten Experten sagen. Und das stimmt natürlich auch. Es kommt darauf an, welches Produkt von welchem Händler an welche Leute zu welchem Preis verkauft wird.
Dennoch hilft Ihnen diese Sichtweise nicht. Daher empfehle ich, dass Sie sich für die Phasen A) und B) die für sie am schlechtesten funktionierenden relevanten Seiten heraussuchen und dort mit der Optimierung beginnen.
Nutzen Sie den Vergleich mit der Realität, um aus dem Dschungel der Kennzahlen die herauszufiltern, die für die drei Phasen der Kaufentscheidung wirklich relevant und für Ihre Optimierung hilfreich sind.