Websites, die wie Menschen verkaufen

Arno Bublitz
Arno Bublitz

Arno Bublitz ist Inhaber von Pragmatic Experts, einer Beratung für Usability und Persuasion. Seit über 10 Jahren berät er namhafte Unternehmen erfolgreich bei Online-Projekten. Seit 2006 lehrt er an der FH Kiel Usability Research und trainiert Unternehmen bei Schulungen und Workshops zu Usability und Persuasion-Techniken.

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Jeder normale Verkäufer gestaltet den Verkaufsdialog. Er ermittelt unseren Bedarf, wehrt Einwände ab und sorgt dafür, dass wir auch wirklich kaufen. Dieser menschliche Dialog ist für uns wichtig. Websites aber sind keine Menschen – damit sie wirklich erfolgreich verkaufen können, müssen menschliche Verkaufsmuster nachgestellt werden.

 

… möchten Sie Käse auf den Hamburger?“ Natürlich würden Sie persönlich niemals Hamburger essen gehen. Aber trotzdem kennen Sie diese Art Ansprache. Der Verkäufer auf der anderen Seite der Theke fragt Sie, was es noch sein soll. Und jeder erfolgreiche Verkauf verläuft nach einem ähnlichen Muster: Es gibt einen Ursprungszustand (Nicht-Kauf) und Motivationen. Diesen Motivationen stehen Blockaden gegenüber. Der Verkäufer sorgt schließlich dafür, dass Sie tatsächlich kaufen. Er überwindet die Blockaden und verstärkt Ihre Motivation. Diese Interaktion von Mensch zu Mensch ist wichtig für den Verkaufsprozess.

Bedarfsermittlung – Einwandbehandlung – Abschluss

Der Verkäufer fragt, was Sie wünschen, und schließt daraus, was er Ihnen noch verkaufen könnte. Der Verkäufer im Autohaus erkennt nach wenigen Sekunden Gespräch ganz genau, wie er Ihnen den sportlichen Mittelklasse-Kombi präsentieren sollte. Legen Sie besonders viel Wert auf die Sicherheit, dann wird er die Sicherheitsmerkmale hervorheben. Ist Ihnen ein sportliches Aussehen oder Fahrverhalten wichtig, dann wird er im Verkaufsgespräch den Schwerpunkt darauf legen. Dieser erste Schritt ist die Bedarfsermittlung.

 

Bedarfsermittlung findet im Internet verteilt statt. Ein Kunde wird sich über eine Kamera auf Websites von Profi-Fotografen informieren, über Features der Kamera beim Hersteller und über Preise und Erfahrungsberichte bei Amazon, Guenstiger.de oder anderen Plattformen. Seine Informationssuche wird er über Suchmaschinen dirigieren. Ein direkter Zugriff auf den Nutzerdialog ist Ihnen also verwehrt. Indirekt können Sie Search-Engine-Optimization anwenden. Aber die Bedarfsermittlung geht auf Ihrer Website weiter: Ist der Nutzer bei Ihnen gelandet, dann ist Ihr Interesse, dass der Kunde erstens einen möglichst großen Warenkorb zusammenstellt und dann zweitens den Kauf auch abschließt. Usability spielt dabei eine große Rolle: Wenn der Kunde sich nicht zurechtfindet, dann hat er keinen Spaß bei der weiteren Auswahl. Und er wird den Kauf wahrscheinlich auch nicht abschließen, denn ein Mangel an Usability mindert das Vertrauen in die Site.

In den Bereich Bedarfsermittlung gehört auch das Cross- und Upselling. Wie können wir erreichen, dass Nutzer zusätzliche oder teurere Produkte in den Warenkorb legen? Soziale Bestätigung wirkt natürlich:

Ein weiteres Mittel ist zum Beispiel das Ausnutzen von Kontrast: Sucht der Kunde eigentlich nach einem preiswerten Produkt, dann können wir in der Kategorie oder im Suchergebnis auch wesentlich teurere Produkte anzeigen. So erscheinen mittlere Produkte plötzlich nicht mehr so teuer.

Einwandbehandlung

Der zweite Schritt ist die Einwandbehandlung: Wir haben immer auch Bedenken und Unsicherheiten beim Kauf: „Ist es das richtige Produkt für mich? Bekomme ich es woanders nicht noch preiswerter?“ Dann ist es die Aufgabe des Verkäufers, diese Einwände zu behandeln; er wird von anderen Kunden berichten, die mit dem Produkt zufrieden sind, einen Testbericht zitieren oder Ihnen sagen, dass die Produkte der Konkurrenz teurer sind und obendrein Ihre Anforderungen nicht so gut erfüllen.

Wenn die Nutzer keinerlei Zweifel hätten, dann wäre das Verkaufen, auch im Web, ein Kinderspiel. Ist es aber nicht. Käufer im Internet zweifeln auf drei Ebenen: Ist das Produkt das richtige für mich? Kann ich dem Produkt vertrauen? Kann ich dem Händler vertrauen? Für den Aufbau von Vertrauen können wir gezielt gestalten.

Ein guter Name mit passender URL ist der Anfang. Aber es gibt noch mehr Wege: Wenn wir dem Kunden Vertrauen schenken, dann wird er uns auch vertrauen. Gegenseitigkeit und Sympathie sind dann am Werk. Eine weitere Möglichkeit ist, das Prinzip Sympathie anzuwenden: Bilder von echten Mitarbeitern zeigen.

Ein „menschlich“ geführter Dialog hilft ebenfalls: Je verständlicher und umgangssprachlicher die Texte einer Site für die Nutzergruppe sind, desto leichter fällt es den Nutzern, ihr zu vertrauen. Ein wunderbares Beispiel ist Facebook, aber auch im E-Commerce lässt sich diese Technik gut nutzen.

Abschluss

Selbst wenn der Verkäufer den Bedarf des Kunden kennt und die Bedenken mit Argumenten eingeschränkt hat, heißt dies noch nicht, dass der Kunde auch wirklich kauft. Aus diesem Grund gibt es die sogenannten Abschlusstechniken. Zum Beispiel ist der Kühlschrank, den sich ein Kunde gerade anschaut, vielleicht das letzte Exemplar im Laden. Diese Techniken sind dazu bestimmt, den Käufer unter Druck zu setzen und ihn Entscheidungen treffen zu lassen, über die er sich eben noch nicht sicher war.

Der klassische Weg hier ist die Verknappung. Die neue Digitalkamera ist noch nicht einfach so verfügbar. Nur hier, nur noch zwei Stück. Ein weiteres Beispiel: der Sonderverkauf zur Geschäftsaufgabe: Der Kunde denkt sofort: Schnell kaufen, bevor alles weg ist (er weiß nicht, dass der Händler extra für diesen Sonderverkauf sein Lager gefüllt hat). Oder es sind nur noch drei Exemplare des Buches auf Lager.

Eine weitere Abschlusstechnik zum Beispiel ist es, wenn Bekenntnisse des Kunden genutzt werden. Ein besonders elegantes Beispiel ist der Kündigungshelfer bei SIMYO. Die Firma bietet einen Online-Assistenten. Dieser hilft, die richtigen Angaben für die Kündigung des alten Vertrags zu sammeln und daraus einen rechtlich sicheren Kündigungsbrief zu erstellen. An dieser Stelle entsteht formell keine Verpflichtung. Aber die Gegenseitigkeit und die Schriftform machen aus diesem „unverbindlichen“ Assistenten eine sehr wirkungsvolle Abschlusstechnik.

Welche Prinzipien liegen den Verkaufstechniken zugrunde?

Die Verkaufstechniken nutzen in Jahrtausenden entstandene Abkürzungen in unserem menschlichen Entscheidungsverhalten. Die sechs wichtigsten sogenannten Persuasions-(Überzeugungs-)Prinzipien sind:

Gegenseitigkeit 

Bekommen wir ein Geschenk, so fühlen wir uns dem Schenkenden verpflichtet. Und oftmals zahlen wir mehr zurück, als wir bekommen haben. Im E-Commerce lassen sich gut anwenden: kostenloser Versand, Warenprobe oder ein Gutschein. Aber auch exklusive oder nützliche Informationen wirken.

Bekenntnis und Konsistenz

Uns Menschen ist es wichtig, in unseren Einstellungen konsistent zu bleiben, ganz besonders, wenn wir ein öffentliches oder schriftliches Bekenntnis abgegeben haben. Je mühsamer die Entscheidung oder das Verfassen des Bekenntnisses ist, desto wichtiger ist die Konsistenz. Typische Anwendung: Der „Like-Button“ (schwache Wirkung) oder das ausführliche Kunden-Testimonial (starke Wirkung). Aber auch der Kündigungshelfer von Simyo fällt hier hinein.

Soziale Bestätigung

Wir gleichen unser Verhalten laufend mit dem unserer Umwelt ab. Was unsere Mitmenschen, bevorzugt solche wie wir selbst, tun, das machen wir nach: „Kunden, die dieses Produkt ansahen, kauften …“ oder Produktbewertungen.


Sympathie

Wir interagieren gerne mit Menschen, die wir mögen. Das können einerseits besonders schöne Menschen sein, Prominente oder auch Menschen, die uns ähnlich sind. Vor allem aber interagieren wir gerne mit Menschen, die freundlich sind. Typisch sind Stock-Photos von besonders hübschen Call-Center-Agents oder auch Prominenten. Echte Bilder von echten Call-Center-Agents, also Menschen wie uns, wirken aber ebenfalls.

Autorität

Wir gehorchen Autoritäten. Das ist so seit unserer Kindheit. Autoritäts-Indikatoren sind Kleidung (Arztkittel, Uniform, ein förmlicher Anzug), Titel (z. B. Doktor) oder auch einfach die Bekanntheit eines Prominenten. Typische Mittel: der Zahnarzt in der Zahnpasta-Werbung, die Laborantin im Kosmetik-Labor, die Ergebnisse wissenschaftlicher Tests.

Verknappung

Dies ist eines der stärksten Mittel im Persuasion Engineering. Wir sind darauf programmiert, knappe Waren mehr zu begehren als frei verfügbare. Hinzu kommt eine soziale Komponente: Knapp heißt auch, dass andere Menschen dieses Produkt offenbar ebenfalls begehren. Exklusive, also knappe Informationen erachten wir übrigens als glaubwürdiger. Beispiele im E-Commerce: hohe erzielte Preise bei Online-Auktionen, zeitlich begrenzte Sonderverkäufe oder Shopping-Clubs. 


Natürlich können wir die Verkaufstechniken nicht 1:1 übertragen. Wenn man jedoch die Persuasions-Prinzipien nimmt und auf Websites adaptiert, dann funktioniert das sehr gut. Man spricht dabei vom Persuasion Engineering.

Drei Schritte zur Auswahl der richtigen Techniken

Einzelne Prinzipien-Techniken machen noch keinen Dialog. Und hier kommen wir zum wirklichen Unterschied zwischen Persuasion Engineering und persönlichem Verkauf: Der Verkäufer kann sich auf jeden Kunden individuell einstellen. Eine Website müssen wir strukturiert gestalten und auf unsere Nutzer als Gruppe ausrichten. Drei Schritte führen zu den passenden Techniken für Ihre Nutzer:

  1. Ausrichtung der Gesamt-Tonalität auf die Motivationen und Einstellungen Ihrer wichtigsten Nutzergruppen. Hierzu kann man die bestehenden User-Experience-Personas um Motivationen, Blockaden, Einstellungen und Vorurteile erweitern und innerhalb ihres Umfeldes abbilden. Als Grundlage für diese Persona-Erweiterungen dienen alle Ergebnisse der Nutzer- und Marktforschung. Tiefeninterviews, die gezielt auf die Entscheidungsmomente ausgerichtet sind, bieten die solideste Grundlage.
  2. Auf der Basis von Schritt 1 wird ein sogenannter Persuasion-Flow erarbeitet: Über den gesamten Konversions-Trichter werden für die Ziel-Personas passende Grundprinzipien ausgewählt. Dabei kann es auch sinnvoll sein, verschiedene alternative Ansätze zu erarbeiten.
  3. Abschließend werden für jeden Persuasion-Flow die gewählten Prinzipien in Interaction-Elemente umgesetzt. Für die einzelnen Elemente sollten auch Alternativen gestaltet und mittels AB-Tests ausgewählt werden. Wie das Beispiel der Call-Center-Agents zeigt, können kleine Veränderungen erhebliche Wirkungen haben.

 

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