Watch the watch!

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Augmented Reality, also die comuterunterstützte erweiterte Realitätswahrnehmung, ist derzeit in aller Munde. Doch wie integriert man die Realität profitabel und zum Nutzen der Kunden ins Web? Der Shop jura::watches zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie man moderne Technik für ein gesteigertes Einkaufserlebnis einsetzen kann.

Normalerweise ist das Internet zugegebenermaßen ein schrecklicher Platz für den Erlebniskauf. Man surft alleine umher und in allen Shops ist niemand zu sehen. Stattdessen versuchen nicht selten dröge Abbildungen mit kurzen Produktbeschreibungen, uns zum Kauf zu bewegen. Das haptische Erlebniss des Anfassens und das Von-allen-Seiten-„Begutachten“ fehlt uns. Einen guten Ansatz für eine ernsthafte Anwendung ansonsten oft verspielt wirkender Einsatzgebiete zeigt der Shop jura::watches für Luxusuhren (www.jurawatches.co.uk, dort unter „virtual watch“).

Das Funktionsprinzip für die Erweiterung der Realität ist in der Regel immer gleich. Man druckt sich einen sogenannten Marker aus und hält ihn je nach Anwendung in eine Webcam, deren steuernder Rechner mit dem Internet verbunden ist. Bei mobilen Anwendungen wird dieser Marker durch die per GPS ermittelte Geo-Informationen und einen Lagesensor im Smartphone ersetzt. Das Smartphone „weiß“ genau, wo es sich befindet und wie es aktuell in der Hand gehalten und bewegt wird. Über das Livebild, das durch die Handycamera auf den Bildschirm übertragen wird, werden dann zusätzliche Informationen oder Objekte gelegt. Da dies bei Notebooks oder stationären Computern so nicht machbar ist, behilft man sich, wie oben beschrieben, mit Markern. Diese tragen ein spezielles Symbol, das über das von der Webcam gelieferte Bild erkannt wird. Bewegt man den Marker innerhalb des Bildes, kann über die perspektivische Änderung des Markers auf Lageänderung und Drehbewegungen reagiert werden.

jura::watches hält für den Besucher eine stilisierte Uhr mit einem weißen L in einem schwarzen Quadrat zum Ausdrucken bereit. Diese Papieruhr schneidet man aus und legt sie sich einfach an den Arm. Ein Tropfen Kleber ersetzt den Verschluss. Über den Link „Try it here!“ wird dann automatisch eine (als Voraussetzung) vorhandene Webcam aktiviert. Viele Notebooks sind ja mittlerweile bereits in der Basisausstattung mit einer solchen Kamera ausgestattet. Aus einem zugegebenermaßen noch recht überschaubaren Angebot an virtualisierbaren Uhren wählt man eine aus und hält den Arm mit dem umgelegten Papierband in die Webcam. Die weiße Papieruhr wird dann im Bild live durch die gewählte Uhr ersetzt. Dabei macht diese virtuell umgelegte Uhr je nach Rechner- und Verbindungsgeschwindigkeit, den Lichtverhältnissen und der Qualität der Webcam Armbewegungen mit. Über rechts oben im Bild sichtbare Pfeile kann die virtuell umgelegte Uhr noch in der Größe angepasst werden.

Alles in allem ist die Anwendung sicherlich noch verbesserungswürdig, zeigt aber einen Weg auf, wie das Einkaufserlebnis im Web – zumindest bei höherpreisigen Objekten – durchaus noch steigerbar ist. Auch Lego, Adidas, IKEA und Nike experimentieren schon mit Augmented Reality. Zum Teil laufen diese Anwendungen noch auf spezieller Hardware in den Läden, aber es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis hierfür Webanwendungen allgemein verfügbar sind.

Wichtig bei der Überlegung und ggf. Konzeption solcher Systeme ist vor allem, dass dem Nutzer aus seiner Sicht ein spürbarer Mehrwert geboten wird, denn die Nutzung ist meistens mit Zusatzaufwand für ihn verbunden. Den wird er nur leisten mögen, wenn ihm die entsprechende „Belohnung“ dies wert ist. Unabhängig davon kann sich aber auch der First-Mover-Bonus kurzfristig rechnen. Eine besonders erstaunliche Anwendung verleitet die Besucher natürlich dazu, Webadressen solcher Angebote an Freunde und Bekannte weiterzusagen bzw. zu mailen. Je nach Produkt und Branche kann es dadurch zu nenneswerten Sekundäreffekten kommen. Zusätzlicher Umsatz muss ja nicht immer nur durch die Begeisterung für ein solches Augmented-Reality-Modul kommen, sondern kann durchaus auch durch das nun erhöhte Traffic-Aufkommen generiert werden, sofern die Angebote für eine breite Masse auch wirklich interessant und damit verkaufbar sind. Beim Fahrzeughersteller Mini verkümmert die eigentlich sehr gut gemachte Applikation etwas. Außer einem Film und dem downloadbaren Marker funktioniert scheinbar nichts mehr auf der Webseite. Das Geheimnis liegt im Browser. Außer mit einer veralteten Version des Internet Explorers läuft die Seite nämlich nicht ohne Browserabsturz. Der Link „Mehr Infos zum neuen Mini Cabrio“ führt, fast muss man sagen „konsequenterweise“, zu einem 404-Seitenfehler. Ein schwerer Patzer, der eindrucksvoll belegt, wofür marketingorientierte Unternehmen lieber kein Geld ausgeben: Einen begeisterten Besucher nach einem Technikfeuerwerk an die Hand zu nehmen und zu versuchen, es ihm leichter zu machen, zum Kunden zu werden. Und wenn es nur ein einfacher Link ist … Auf Youtube findet sich allerdings ein guter Filmbeitrag, der zeigt, wie es aussähe würde, wenn es denn funktionierte (http://einfach.st/mini).