Das Lied, das Freddy Quinn berühmt gemacht hat, passt wohl ziemlich genau auch für Webshop-Betreiber. Sie stehen, ähnlich wie damals die Mütter der Seefahrer, am Ufer elektronischer Shopregale und schauen verzweifelt oft über 99 Prozent ihrer virtuellen Besuchern hinterher, wenn diese mit ihrem – Achtung, Wortspiel! – Surf-Brett wieder in den Wellen des Meeres aller anderen Webseiten verschwinden. Doch wie holt man sie wieder zurück?
Junge – komm bald wieder …
In der letzten Ausgabe von Website Boosting hat Alexander Holl beschrieben, was Retargeting ist und wie es funktioniert. Seit Kurzem bietet nun auch Google die Möglichkeit an, Retargeting zu machen – allerdings unter dem Namen Remarketing.
Wie funktioniert Remarketing?
Im Prinzip recht einfach. Nehmen wir an, jemand überlegt, sich vielleicht eine Raid-Festplatte anzuschaffen. Er besucht dazu unter anderem den erfundenen Webshop „Raidmefix“, sieht sich im Angebot um und legt sich zum Beispiel eine LaCie-Platte in den Warenkorb. Der Betreiber von Raidmefix hat im Programmiercode der Seiten des Warenkorbs einen Remarketing-Code hinterlegt. Dieser wird beim Aufrufen durch einen Browser ausgelöst und dadurch wird im Browserspeicher ein Remarketing-Cookie mit einer eindeutigen Nummer gesetzt. Nehmen wir weiter an, unser potenzieller Käufer bricht seinen geplanten Kauf an dieser Stelle ab. Die Gründe dafür sind genauso vielfältig wie plausibel: Das Telefon läutet, jemand ruft, dass das Essen auf dem Tisch steht, er ist sich schlicht noch nicht sicher oder aber sein Chef tritt unvermittelt ein und will schnell die letzten Quartalszahlen haben. Man sollte es nie aus dem Auge verlieren: Viele surfen tagsüber auch während der Arbeitszeit. Gerade in Büros sind aber ungeplante Störungen fast schon eine kalkulierbare Konstante.
Einige Tage später surft der Kaufabbrecher auf einer beliebigen Website, die Google-Anzeigen zur Finanzierung einsetzt. Google spricht bei diesen Sites vom sogenannten Google Display Netzwerk (vormals „Content-Werbenetzwerk“). Das vorher gesetzte Remarketing-Cookie wird nun erkannt und der Besucher bekommt gezielt eine Anzeige von Raidmefix angezeigt. Die Vorteile sind nun: Der Name des Shops ist dem Besucher bekannt, denn er hat ihn ja vor einigen Tagen besucht und sogar etwas in den Warenkorb gelegt. Und auch an den geplanten Festplattenkauf kann er jetzt erinnert werden. Sofern er nicht bereits an anderer Stelle gekauft hat, ist beim gut gemachten Remarketing die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass man damit nicht nur ein Folgebesuch im Shop auslösen kann. Auch die Wahrscheinlichkeit der Konversion, also dass ein tatsächlicher Kauf getätigt wird, ist hier sehr viel höher als bei anderen Werbemaßnahmen. Schließlich war dieser Besucher schon mal im Shop und dort sogar aktiv.
Remarketing ist vielseitig einsetzbar
Natürlich beschränkt sich der Einsatz von Remarketing nicht nur auf Shops oder gar abgebrochene Warenkörbe – wenngleich die Erfolgsquoten hier besonders hoch zu sein scheinen. Der Remarketing-Code kann prinzipiell auf jeder Seite gesetzt werden – auf der Startseite, bei der Newsletteranmeldung oder einer Produktdetailseite. Es muss auch nicht zwangsläufig eine Shopping-Website sein. Prinzipiell kann es sich für jeden professionell betriebenen Webauftritt lohnen, frühere Besucher über gezielte Werbung wieder zurückzuholen. Das Festlegen der Touchpoints, also der Stellen auf der eigenen Webseite, wo der Remarketing-Code implementiert und damit das Remarketing-Cookie gesetzt wird, sollte wohlüberlegt sein. In der Regel macht es gerade hier nämlich wenig Sinn, die eher klassische Marketing-Denke „möglichst viel und möglichst oft“ unkritisch anzuwenden.
Genauso unkritisch wäre es, einfach allen Besuchern das gleiche Werbemittel anzeigen zu lassen, die irgendwann irgendwo einmal auf der eigenen Website waren. Hier hilft eine Segmentierung, die mithilfe von Listen vorgenommen werden kann. Man teilt dazu die Besucher einer bestimmten Seite, die man mit einem individuellen Remarketing-Code versehen hat, gedanklich in Listenmitglieder auf. Jeder dieser Listen gibt man einen sprechenden Namen, eine Beschreibung und legt fest, wie lange die „Mitgliedschaft“ in dieser Liste dauert (siehe Abbildung 2). Im Prinzip wird hier definiert, wie lange das beim Besucher gesetzte Cookie gültig bleibt. Der maximale Zeitraum beträgt dabei 540 Tage; dieser wird jeweils auf Start zurückgesetzt, wenn ein Nutzer die Seite erneut besucht.
Sinnvolle Listen könnten zum Beispiel sein: „Warenkorb benutzt“, „Einkauf abgeschlossen“, „Detailseite aufgerufen“ und „Newsletter abonniert“. Aus den Listen können dann mit einfachen Mausklicks Zielgruppen zusammengestellt werden (siehe Abbildung 3). Kombiniert man dies noch mit der Möglichkeit, Listen auszuschließen, kann man tatsächlich komplexe Zielgruppen aufbauen und mit gesonderten Werbemitteln adressieren.
Will man nun mit einem Werbemittel all diejenigen Besucher ansprechen, die sich mindestens eine Produktdetailseite angesehen haben und/oder den Newsletter abonniert haben und/oder sich ein Produkt in den Warenkorb gelegt, aber keinen Einkauf getätigt haben, kombiniert man einfach die angelegten Listen miteinander. Liste 2 wird dabei dann als ausschließendes Kriterium festgelegt (siehe Abbildung 4). Durch die hinterlegte Gültigkeitsdauer der Cookies lässt sich auch ein Zeitbezug herstellen. Man könnte so zum Beispiel nur diejenigen Besucher per Liste ausschließen, deren letzter Einkauf kürzer als 21 Tage her ist. Liegt der Einkauf länger zurück, würden alle Teilnehmer der Gruppe 2 (Einkauf abgeschlossen) wieder positiv zusortiert. In diesem Fall wäre dann Besucher C – eben nach genau 21 Tagen – neues Mitglied in der Zielgruppe „Wdh-Besuch“, bei der man einen Wiederholungsbesuch mit einem geeigneten Werbemittel gezielt anregen möchte.
Wie werden nun Besucher zu Listenmitgliedern? Für jede der angelegten Listen erzeugt Google bei der Erstellung einen Code, der auf der entsprechenden Webseite eingesetzt wird. Der Code für die Gruppe „Newletter abonniert“ würde dann auf der Bestätigungsseite verwendet, der für „Warenkorb benutzt“ in allen Ansichten des Warenkorbs, wenn bereits ein Produkt hineingelegt wurde (siehe Abbildung 4). Dieser Code setzt dann beim Besucher wie oben beschrieben ein oder mehrere eindeutige Cookies, über die die Listenmitgliedschaften letztlich gesteuert werden.
Jetzt fehlen nur noch angepasste Anzeigen, um die definierten Zielgruppen auf den Seiten des Google Display Netzwerks zum Klicken anzuregen. Entweder liefert eine Agentur diese Anzeigen oder man baut sie mit dem Imageanzeigen-Tool aus Vorlagen direkt in AdWords selbst zusammen. Auch hier sollte man sich als Laie nicht von der Einfachheit der schon fast automatischen Erzeugung blenden lassen. Wie überall im Business ist für bestimmte Tätigkeiten eine gewisse Erfahrung grundsätzlich nicht schädlich. Wer also noch nie Werbemittel entworfen hat und auch sonst bisher wenig mit Werbewirkung und Gestaltungsprinzipien zu tun hatte, sollte vielleicht doch einen Profi hinzuziehen. Für schnelle Aktionen, bei denen das Hinzuziehen einer Agentur vielleicht zu lange dauern würde oder die Zeit einfach nicht ausreicht, ist die Toolunterstützung durch diesen im AdWords-Konto verfügbaren „Display Ad Builder“ aber ganz hilfreich. Eine Anzeige ist tatsächlich mit ein wenig Übung in ein paar Minuten erzeugt. Das Tool selbst zeigt zwar noch ein paar kleine Schwächen, die aber sicherlich bald behoben werden.
Prinzipiell bleibt die Anwendung von Remarketing natürlich nicht auf Shops begrenzt. Jede kommerzielle Website kann es einsetzen, um frühere Besucher von anderen Websites zurückzuholen, die Google AdWords auf ihren Seiten einbinden (das nennt sich dann „Adsense“). Gute Kandidaten für das Aufstellen von Remarketinglisten wären hier beispielsweise Besucher, die aktiv einen Download gemacht oder, wie oben beschrieben, eine Produktdetailseite aufgerufen haben. Man muss hier die Seiten(typen) ausfindig machen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten lassen, dass ein Besucher tatsächlich Interesse zeigt.
Lohnt sich der Einsatz von Remarketing?
Remarketing ist im AdWordssystem relativ neu, wird aber zunehmend von Werbetreibenden eingesetzt. Wird es vernünftig geplant und gut segmentiert umgesetzt, lassen sich damit durchaus erstaunliche Erfolge erzielen. Remarketing-Kampagnen überholen oft schon nach kurzer Zeit alle anderen Content-Kampagnen hinsichtlich der Conversions. Auf Stylebob.com konnten die Conversions schon nach einem Monat um mehr als 400 % gesteigert werden – und das bei einer Reduktion der Conversionkosten auf 10 %. Das deutsche Vergleichsportal Vergleich.de hat mit Remarketing eine um den Faktor 10 höhere Klickrate erzielen können. Die Kosten lagen dabei um 30 % unter denen herkömmlicher Content-Kampagnen. Ob sich überall solche traumhaften Ergebnisse erzielen lassen, werden die nächsten Monate zeigen. Eines scheint allerdings sicher: Wenn man alles richtig macht, kommt Freddy Quinns verlorener Junge sicher bald wieder zurück auf die eigene Website. In welchem Umfang und was man daraus macht – das hat jeder Sitebetreiber selbst in der Hand.