Conversion-Optimierung ist Profit-Optimierung. Aber welche Maßnahmen haben einen guten ROI? Wo finden sich noch lukrative Hebel zur Verbesserung der Onlineerträge? Ein Ausflug in die Welt der Konsumpsychologie und des Neuromarketings ...
Der ROI von Emotionen
„Martin Müller steht vor dem Schaufenster mit Handys. Bei Anblick des neuen iPhone bekommt er dieses Kribbeln im Bauch. Ein starkes Verlangen nach diesem Produkt macht sich in seinem Kopf breit. Eine leise Stimme im Kopf sagt ihm, es sei viel zu teuer. Er weiß, seine Frau wird sauer werden. ‚Lass uns vernünftig sein!‘, hatte sie gesagt. Doch das Verlangen ist größer …“
Conversion-Optimierung heißt: Das Verhalten des Nutzers steuern
Egal, was sie verkaufen: Produkte, Dienstleistungen oder gar die Idee, ein anonymer Nutzer könnte Ihnen seine persönlichen Daten für ein Angebot, ein Download oder eine Newsletter-Registierung verraten – es geht darum, die Handlung des Nutzers in Richtung einer „Wunsch-Aktion“ zu verändern. Der konvertierte Besucher unterscheidet sich von der breiten Masse meist dadurch, dass er genau jene Aktion durchgeführt hat, für die wir die ganze Website konzipiert und entwickelt haben. Die wichtigste Frage der Conversion-Optimierung lautet also: Wir können wir Nutzer dazu bewegen, genau diese Handlung durchzuführen? In der Realität lautet die Frage meist:
Warum brechen 97 % der Nutzer vorher ab? Und was hat das alles mit dem Kribbeln im Bauch von Martin Müller zu tun?
Es dreht sich alles um die Motivation
Ein einfaches Modell: Die unterschiedlich starke Motivation von Nutzern lässt sich vereinfacht anhand ihrer Einstellung darstellen. „Ich kann das kaufen“ impliziert eine wesentlich weniger starke Motivation als „ich muss das kaufen“. Dementsprechend verändert sich der ROI von Maßnahmen, die sich mit den verschiedenen Ebenen beschäftigen. Anhand dieses Modells lässt sich z. B. der Erfolg vieler Marken- und Luxusartikel erklären, die mithilfe langjähriger Marketingarbeit eine Begehrlichkeit beim Konsumenten erzeugt haben, die auf der „Ich muss!“-Ebene stattfindet. Bei Apple bedeutet die Resonanz der Konsumenten auf der „Ich muss!“-Ebene 8 Milliarden Dollar Profit pro Jahr. Was lernen wir daraus? Wir können Verlangen erzeugen. Apple könnte wahrscheinlich den Button für die iPad-Bestellung verstecken, es würden trotzdem Millionen Menschen danach suchen. Oder anders gesagt:
Der Grund für einen Abbruch ist selten die fehlende Auffindbarkeit des Bestell-Buttons.
Websites können in Millisekunden „Verlangen“ erzeugen
Ein kleiner Ausflug in das Jahr 2009. Mit meinen Kollegen und der Hilfe eines Charité-Professors haben wir in Berlin Probanden in einen funktionalen Magnetresonanztomografen geschoben und analysiert, welche emotionalen Aktivierungsmuster im Gehirn beim Betrachten von Onlineshops sichtbar wurden. Wir wollten mithilfe des 30 Millionen Euro teuren Geräts Emotionen sichtbar und vor allem messbar machen. Es ging um den Beweis, dass Gefühle bei Kaufentscheidungen auf Onlineshops eine wichtige Rolle spielen. Das fMRT (so die fachliche korrekte Abkürzung für dieses Monstrum der bildgebenden Verfahren der Radiologie) macht anhand unterschiedlich starker Durchblutungen im Gehirn die aktiven Areale sichtbar. Da wir inzwischen recht genau wissen, welcher Bereich des Gehirns für die unterschiedlichen Funktionen zuständig ist, lassen sich daraus Erkenntnisse über die Prozesse im Gehirn ableiten. Am Ende hatten wir Hunderte Scans und Aktivitätsmuster von allen Probanden für eine Vielzahl Seiten. Unter diesen vielen Seiten, die wir untersucht hatten, stach ein Beispiel hervor: Der kanadische Onlineshop
shoeguru.ca schaffte es, innerhalb von Millisekunden das Belohnungssystem im Gehirn der Probanden zu aktivieren. Jener Bereich ist dafür verantwortlich, dass in unserem Kopf unwiderstehliches Verlangen ausgelöst wird – nach Schokolade, Alkohol, Zigaretten – oder eben dem Kauf von Luxusartikeln. Das Interessante daran: Die Marke shoeguru.ca ist in Deutschland unbekannt. Ebenso war die Marke des auf der Website abgebildeten Schuhs nicht sichtbar. Und trotzdem löste diese Seite bei fast allen Probanden das unwiderstehliche Verlangen aus, diesen Schuh kaufen zu wollen, egal, ob es ein 16-jähriger Jugendlicher oder eine 44-jährige Hausfrau war. Jetzt wissen wir, welche Hirnregion bei Martin Müller beim Anblick des neuen iPhone aktiv war. Aber wir wissen noch nicht:
Was bedeutet das alles konkret? Wie können wir dadurch Kaufentscheidungen positiv beeinflussen?
Ein Schritt zurück: Wir wissen nicht, was wir nicht wissen
Aus Expertensicht weist der Shop eine schlechte Usability auf – die Suche ist nicht erkennbar, ebenso die primäre Navigation. Man kann kaum den Zweck der Seite erkennen – überhaupt: Es fehlt fast alles, was einen guten Shop ausmacht. Oder? Nicht ganz. In den letzten 10 Jahren habe ich bei annähernd 1.000 „Labs“ – also Probandentests, bei denen Seiten (meist Onlineshops) getestet werden – zugeschaut und habe die Erkenntnisse zusammengefasst und präsentiert. Meine zwei persönlichen Favoriten unter allen Erkenntnissen: 1.) Hätte ich vorher einen Tipp abgeben sollen – ich hätte mich fast immer geirrt (so viel zur Expertenmeinung); 2.) Es geht selten darum, dass Nutzer den Button nicht finden „können“, es geht darum, dass sie ihn nicht drücken „wollen“. Manchmal können sie ein bestimmtes Gefühl äußern – oft ist es jedoch eine diffuse Unsicherheit.
Konversion passiert im Kopf des Konsumenten
Es geht also um die Gefühle – positive wie negative – die beim Betrachten von Websites entstehen. Konversion passiert nun einmal im Kopf des Konsumenten (und nicht in dem des Anbieters, Designers, Marketingleiters oder des besagten Experten). Und der Wille dieses Konsumenten wird von seinen Gefühlen gesteuert. Ein falscher Button ist also nicht der, der nicht direkt sichtbar ist, sondern eher der, der „komisch“ aussieht oder aus einem anderen Grund emotional negativ bewertet wird. Dass solche Gefühle unsere Entscheidungen maßgeblich beeinflussen, wissen wir übrigens seit annähernd zwei Jahrzehnten. Der sogenannte Priming Effekt zeigt, dass selbst bei angeblich „rationalen“ Entscheidungen die emotionalen Zentren des Gehirns aktiv werden, und zwar bereits einen Sekundenbruchteil, bevor wir die Entscheidung in unserem Bewusstsein formulieren können. Psychologen können den Priming Effekt im fMRT sogar messen. Ohne die emotionalen Bereiche des limbischen Systems in unserem Gehirn können Menschen nicht einmal mehr die einfachsten Rechenaufgaben lösen.
Menschen kaufen Gefühle
Es geht also nicht um den Button, den Preis oder sonstige „rationale“ Gründe. Es geht um das richtige Gefühl beim Kaufen. Wenn wir zurückschauen auf shoeguru.ca und auf die Frage nach dem ROI von Emotionen, dann wird schnell klar, dass eine effektive Conversion-Optimierung sich mit folgenden Fragen beschäftigt:
- Welche Gefühle löst ein Onlineshop aus? (emotionale Resonanz)
- Welche Gefühle aktivieren die Kaufbereitschaft? (emotionale Konversions-Booster)
- Welche Inhalte oder Elemente senken die Kaufbereitschaft (Demotivatoren, Konversions-Killer)
Conversion-Optimierung beschäftigt sich mit der Beantwortung dieser Fragen und mit dem Schließen der Lücken aus diesen Antworten. Eine wichtige Einschränkung ist dabei jedoch zu beachten: Zuerst müssen die „Hausaufgaben“ auf den funktionalen Ebenen („Ich kann“-Ebene) gemacht sein (Usability, Accessability, Visibility), damit ein Angebot grundsätzlich wahrgenommen und genutzt werden kann.
Kundenentscheidungen verstehen: Suchen Sie nach Antworten auf alle oben genannten Fragen. Beobachten Sie echte Kunden beim Kauf und lernen Sie, wie Konsumenten Kaufentscheidungen treffen.
Wirkung analysieren: Alles, was Menschen wahrnehmen, löst Gefühle in ihnen aus. Manche sind förderlich für die Aktion, die der Nutzer ausführen soll – manche sind hinderlich. Versuchen Sie zu verstehen, wie Ihre Seite oder Ihr Onlineshop auf Menschen emotional wirkt.
Über die „Ratio“ hinausdenken: Lösen Sie sich von dem Gedanken, dass ausschließlich funktionale Aspekte, Versandkosten oder Lieferzeiten die Erklärung für 97 % der Abbrüche sind. Es gibt eine unglaublich große Welt voller Erklärungen im Bereich der Gefühle und Emotionen.
Neue Hebel und Trigger finden: Suchen Sie gezielt nach Demotivatoren und Konversions-Killern emotionaler Art auf Ihrer Seite. Manchmal reicht schon die falsche Vorwahl der Hotline aus, um eine Kundenentscheidung zu Ihren Ungunsten ausfallen zu lassen. Finden Sie es heraus!
Management überzeugen: Die schwierigste Aufgabe lautet: „Bringe dem Marketingleiter oder Chef bei, dass seine persönliche Meinung nicht mehr zählt, sondern ausschließlich die Gefühle des Kunden.“ Das ist manchmal das exakte Gegenteil von CI-Styleguides und Policies. Ein kleiner Tipp: Mit positiven Ergebnissen aus einem A/B-Test und den dazugehörigen Euro-Zahlen wird den meisten Entscheidern der ROI der Kundenmeinung schnell klar ...