Conversion-Rate-Optimierung als ganzheitlicher Prozess

Moritz Habermann
Moritz Habermann

Moritz Habermann (Jahrgang 1983) hat an der Fachhochschule Würzburg / Schweinfurt Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt E-Commerce studiert. Praxiserfahrung in der Online-Branche sammelte er bereits während des Studium bei der Online-Versicherung HUK24 AG, seit 2.5 Jahren ist Moritz Habermann Project Manager für User-Centered-Design bei BAUR Versand (Mitglied der OTTO Gruppe). Dort leitet er Projekte zur Erhöhung der Konversionsrate und zur Verbesserung der User Experience. Weiterhin betreibt Moritz Habermann den Online-Marketing-Weblog BlogZwoNull, durch welchen er die Möglichkeit hatte auf diversen Fachveranstaltungen zu referieren (u.a. eMetrics Summit, Search Marketing Expo SMX, Conversion Conference, Conversion Camp).

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Wie Sie den Nutzer in den Mittelpunkt des Website-Gestaltungsprozesses stellen und somit Ihre Conversion Rate steigern

Vorbei sind die Zeiten, in denen steigende Umsätze und von allein in die Höhe schnellende Konversionsraten die Augen von E-Commerce-Verantwortlichen voll Freude glänzen ließen. Heute sehen sich Online-Shops mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Kern-Aufgabenstellung für Erfolg im E-Commerce ist nun eine starke Kundenorientierung, um sich von der Konkurrenz durch ein herausragendes Nutzungserlebnis abzusetzen. Dies kann nur durch eine Kollaboration unterschiedlicher Tools und Methoden der Nutzerforschung erreicht werden. Wie man einen solchen Prozess in einem Unternehmen platzieren kann und wie diese Vorgehensweise Sie in Ihrer täglichen Arbeit unterstützen kann, dass soll dieser Artikel erörtern.

HIPPO – Highest Paid Person‘s Opinion

Sie kennen wahrscheinlich die Situation: In großen Entscheidungsrunden, die nicht selten wie im Online-Clip „Virales Marketing im Todesstern Stuttgart“ ablaufen, debattieren und diskutieren Sie stundenlang über die Gestaltung einzelner Webseiten, um letztendlich doch die Entscheidung zur neuen Gestaltung der Webseite vom Vorgesetzten aufoktroyiert zu bekommen. Dieses Phänomen nennt man Hippo-Syndrom (Hippo = Highest Paid Person‘s Opinion); es legt beispielhaft dar, wie es eigentlich nicht sein sollte: Einzig und allein die Meinung des Chefs zählt. Die Bedürfnisse des Nutzers werden – wenn überhaupt – nur zweitrangig berücksichtigt oder gar analysiert.

User Centered Design – der Kunde ist König

Dabei bietet die heutige Nutzerforschung viele unterschiedliche Tools und Methoden zur Einbindung des Nutzers in den Gestaltungsprozess einer Webseite an. Letztendlich ist es der Nutzer, der über den Erfolg oder Misserfolg einer Webseite entscheidet.

Wer vor einigen Jahren noch vor einem wahllosen Durcheinander von Tools und Methoden stand, der kann heute gezielt für die jeweilige Problemstellung die geeigneten Tools zur Optimierung des Online-Shops auswählen. Damals waren die Anbieter sich selbst nicht über die Tragweite und Entscheidungskraft ihrer Tools im Klaren, sodass sich niemand wirklich Gedanken um einen idealen Methodenmix machte. So gab es Web-Analysten, die sich in den Tiefen ihrer zahlengetriebenen Reports verirrten, Usability-Forscher, die auf Basis einer kleinen Fallzahl Entscheidungen für die komplette Nutzerschaft der Webseite ableiteten, und Marktforscher, die durch große Befragungsinstrumente den Nutzer mit komplexen Problemstellungen konfrontierten.

Erst in den letzten Monaten kristallisierte sich ein ganzheitlicher Optimierungsprozess heraus, der den Nutzer in den Entwicklungsprozess mit einbezieht und eigentlich nach einer ganz einfachen Verkaufsmaxime aufgebaut ist: Der Kunde ist König und steht im Mittelpunkt des Gestaltungsprozesses. Web-Usability ist somit nicht nur eine DIN-Norm, wie in den vergangenen Jahren vielleicht vielfach der Eindruck erweckt wurde, sondern weit mehr.

Qualitative Methoden vs. quantitative Methoden

Im Prinzip lassen sich alle Tools und Methoden der Nutzerforschung aus dem oben abgebildeten Werkzeugkasten wie folgt unterscheiden:

Zu den sogenannten qualitativen Methoden gehören Methoden wie der Test im Usability-Labor, Fokusgruppengespräche oder Eye-Tracking-Studien. Qualitative Methoden haben alle gemeinsam, dass sie sich der Frage nach dem „Warum?" widmen. Gegenüber einer kleinen Fallzahl an Probanden wird der Nutzer mit konkreten Problemstellungen während der Nutzung einer Webseite konfrontiert. Während dieser Erhebungen, welche häufig mit Laborsituationen vergleichbar sind, hat man die Möglichkeit, den Nutzer gezielt mit dem „Warum?" zu konfrontieren: Warum wird eine Aufgabenstellung auf die eine und nicht auf die andere Weise gelöst? Warum ist der vom Online-Shop-Betreiber vorgeschlagene Lösungsweg nicht der ideale? Hieraus lassen sich dann sehr einfach wertvolle Informationen über die Bedienung und optimale Seitengestaltung gewinnen.

Unter die quantitativen Methoden fallen solche Methoden wie z. B. das Analysieren von Web-Analytics-Reports, Marktforschungstools (Online-Befragungen), aber auch A/B- bzw. multivariate Tests, bei welchen unterschiedliche Seitengestaltungen im Livebetrieb ausgeliefert werden und auf vorher definierte, messbare Erfolgsgrößen (z. B. Kaufabschluss) überprüft werden. Die Gemeinsamkeit aller quantitativen Methoden ist, dass eine große Fallzahl in die Analyse der Daten einfließt. Kernzielstellung der quantitativen Methoden ist das „Wie?": Wie verhalten sich Besucher auf einzelnen Teilbereichen der Webseite? Wie verändert sich das Verhalten, wenn alternative Seitengestaltungen angeboten werden? Und wie wünscht sich der Nutzer eine „ideale" Seite?

Der ganzheitliche Optimierungsansatz

Doch wie kombiniert man nun qualitative und quantitative Tools, um einen maximalen Projekterfolg unter Einbeziehung der Nutzer bei der Webseitengestaltung zu erzielen?

Phase 1 hat das Ziel, Probleme  bei der Nutzung der Webseite aus Nutzersicht zu erkennen. Denn oft sind sich Shop-Betreiber keinesfalls der Schwachstellen in ihrem Shop bewusst. Hierbei hilft es, Kundenzufriedenheitsmessungen durch Online-Fragebögen im Shop durchzuführen oder vom Nutzer übermitteltes Feedback zu analysieren. Oft werden hier schon die sog. Flaschenhälse der Konversionsverhinderung sichtbar. Das zentrale Kernthema bei der Suche nach Optimierungspotenzialen im Online-Shop ist jedoch die Analyse von Web-Analytics-Reports. Durch die intelligente Erstellung von Konversionstrichtern (Conversion Funnels) im Web-Analytics-Tool lässt sich relativ schnell ermitteln, wo die Optimierungsarbeit starten soll. Ein weiterer Vorteil: Auf Basis der Daten kann abgeschätzt werden, was eine Optimierung wert ist (wenn die CVR um X % gesteigert werden kann, dann spült dies Y EUR Mehrumsatz in die Kassen) – ein unglaublich wichtiges Zahlenmaterial bei der Freigabe von Budgets, denn die Währung Mehrumsatz versteht auch der Chef sehr gut!

Phase 2 des Kreislaufs beschäftigt sich mit der Generierung von Lösungsideen für das in Phase 1 ermittelte Problem. Hierbei erweist es sich als hilfreich, wenn neben einer Wettbewerbsanalyse auch die Anforderungen und Bedürfnisse der betroffenen Fachbereiche durch Mitarbeiterworkshops mit eingeholt werden, denn nur wenn alle Projektbeteiligten am gleichen Strang ziehen, lässt sich ein solches Projekt erfolgreich durchführen. Am Ende diese Phase steht ein umfassender Ideenkatalog als Meilenstein, der die Grundlage der nächsten Phase darstellt.

Phase 3 widmet sich der Bewertung der Lösungsideen aus Kundensicht. Durch eine intelligente Nutzung von Online-Befragungssystemen werden die gesammelten Lösungsideen in eine Rangfolge aus Nutzersicht gebracht. Man unterscheidet hier zwischen Onsite- und Panel-Befragungen. Onsite-Befragungen werden direkt auf der Webseite des Betreibers platziert (Achtung: der Nutzer darf nicht in seinem eigentlichen Besuchsgrund behindert werden!). Panel-Befragungen rekrutieren die Teilnehmer dagegen aus einem großen Datenbestand an registrierten Nutzern, die individuell und anhand demografischer Merkmale repräsentativ für die Nutzerschaft der eigenen Webseite ausgewählt werden können. Dies hat den Vorteil, dass auch Nutzer erreicht werden können, die aktuell noch nicht die Webseite besuchen, zukünftig jedoch angesprochen werden sollen. Am Ende dieser Phase werden die erfolgversprechendsten Ideen in Prototypen überführt.

In Phase 4 werden dem Nutzer erstmalig optimierte Seitengestaltungen in Form bedienbarer Klick-Dummys zur Verfügung gestellt. Hierzu werden Nutzer (wichtig: repräsentativ für die Nutzerschaft) in einer Laborsituation mit konkreten Aufgabenstellungen hinsichtlich der Bedienbarkeit der Seite konfrontiert. Es können hier auch Instrumente des Neuromarketings eingesetzt werden, welche die Wirkung der Seitengestaltung auf kaufentscheidende Bereiche des Gehirns offenlegen und im Unterbewusstsein die Kaufentscheidung des Nutzers beeinflussen (vgl. Limbic Map, Häusel). Als Krönung steht zum Ende dieser Phase ein abschließender A/B- oder multivariater Test, der die ursprüngliche mit der neuen Seitengestaltung im Livebetrieb vergleicht. Somit kann am Ende genau festgestellt werden, wie hoch die Steigerung der CVR tatsächlich ist und welche Umsatzeffekte durch die Veränderung zu erwarten sind – dieser Schritt stellt sozusagen das Zeugnis eines Conversion-Rate-Optimierers dar.

Fazit/Stärken und Schwächen des ganzheitlichen Optimierungsansatzes

Mit Sicherheit ist dieser Prozess nur eine Möglichkeit – viele Wege führen nach Rom. Je nach Projekttyp und Problemstellung ist es auch denkbar, dass gezielt nur Teilschritte des Prozesses ausgeführt werden. Die Hauptsache ist: Der Nutzer darf den Weg begleiten. 

Der klassische Conversion-Rate-Optimierer wird anmerken, dass doch eigentlich ein A/B- oder multivariater Test ausreichend ist. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass auch diese Methode ihre Schwächen hat, weil z. B. nur ein kurzer Ausschnitt der Realität abgebildet wird und die langfristige, tiefenpsychologische Wirkung der Seiten außen vor gelassen wird. Weiterhin ist der Aufwand für die Überführung aller Optimierungsideen in ein Test-Design nicht tragbar. Ein iterativer Prozess, der, wie oben dargestellt, frühzeitig gute von schlechten Ideen trennt, ist in der Praxis besser anwendbar.

Der Verfechter der Usability-Norm DIN EN ISO 9241 – also der typische Usability-Papst – wird klarstellen, dass nur seine Methoden echte tief greifende Erkenntnisse bringen. Hier kommt jedoch ein Problem zum Tragen: Man kann seinem Chef unglaublich schlecht verständlich machen kann, dass „mit der neuen Seitengestaltung nun acht von zwölf Probanden zufriedener sind" – die Währung Kundenzufriedenheit kennt der Chef nämlich nicht.

Kleine und mittelständische Unternehmen sehen sich durch diesen ganzheitlichen Optimierungsprozess vielleicht mit hohen Kosten konfrontiert. Doch auch hier verhält es sich so, wie es bereits der Usability-Guru schlechthin, Jakob Nielsen, feststellte: „Ob De-luxe-Usability oder Discount-Usability –- Hauptsache, man unternimmt etwas." Dies lässt sich auch auf das Thema Conversion-Rate-Optimierung übertragen. Webseiten wie surveymonkey.com bieten kostensparend Befragungsinstrumente an. Tests im Labor sind mit einfachen Hausmitteln (leider aber mit Abstrichen) auch intern durchführbar. A/B- bzw. multivariate Tests lassen sich mit dem kostenlos erhältlichen Google Website Optimizer durchführen. Egal, ob man Agenturen mit der Erledigung der Tasks beauftragt (de luxe) oder die Einzelschritte mit den eigenen Bordmitteln durchführt (Discount) – wichtig ist, dass man damit startet! Letztendlich ist es so, dass dies echte Investitionen sind, die sich richtig und dauerhaft lohnen. Der Return on Investment eines solchen Projektes ist in der Regel hervorragend und sollte alle im Unternehmen noch vorhandenen Zweifler überzeugen.

Abschließend ist also der gesunde Methodenmix zwischen qualitativen und quantitativen Methoden der Nutzerforschung ausschlaggebend. Von allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sollte man – wie ein Chefkoch in der 5-Sterne Küche – die für die Problemstellung am besten geeigneten zur Optimierung heranziehen. Und wer der Meinung ist, dass die Arbeit am Ende des Kreislaufs getan ist, der hat sich getäuscht: Nutzerbedürfnisse ändern sich mit der Zeit. Daher ist es auch dann wieder Kernaufgabe eines Conversion-Rate-Optimierers, das Datenmaterial intensiv zu begutachten. Daher: Starten Sie durch, Conversion-Rate-Optimierung zahlt sich aus!

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe, wie Sie dieses Modell auch in Ihrem Unternehmen anwenden können. Anhand der typischen Fragestellungen während der Landing-Page-Optimierung zeige ich Ihnen, wie Sie die Conversion Rate Ihrer Landing Page und somit den ROI Ihrer Google-Adwords-Kampagnen erhöhen können.